Achtsamkeit – Vom Ich zum Wir – Vom Tun zum Sein

Kinder und auch Erwachsene sind heutzutage mit einer Vielzahl an Reizen und Anforderungen konfrontiert. Viele Kinder erleben im Alltag (mitunter durch verschiedene Medien) eine starke Stimulation von akustischen und optischen Sinnesbereichen, wohingegen andere Sinnesbereiche kaum Beachtung finden. Dieses Ungleichgewicht von einerseits Reizüberflutung und andererseits Reizarmut kann zu Problemen in der Wahrnehmung und bei der Verarbeitung von Reizen führen.

Der Begriff der Achtsamkeit ist seit einigen Jahren in aller Munde. Ursprünglich wurde mit Achtsamkeit eine besondere buddhistische Praxis verbunden. Heutzutage hilft diese Haltung in einer gestressten Gesellschaft der „Zuvielisation“ aktiv zu begegnen. Sie unterstützt, bei der Art und Weise sich selbst und anderen zu begegnen und sich auf das Gegenwärtige zu besinnen.

Alle Achtsamkeitsinterventionen beinhalten folgende Aspekte: An erster Stelle ist die bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit auf den Körper und die gegenwärtigen Sinneseindrücke zu nennen. Das Ziel ist es, die Aufmerksamkeit bewusst zu lenken und zu halten. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist eine offene (selbst-)zugewandte, neugierige Haltung geprägt von Akzeptanz. Weiterhin ist die achtsamkeitsbasierte Haltung gekennzeichnet durch das Zurückhalten von Bewertungen und vorschnellen Reaktionen.

Parallelen zur dialogischen Haltung

Eine Haltung von Achtsamkeit beinhaltet nicht nur, das alleinige persönliche Wohlbefinden bzw. die individuelle Situation zu verbessern, sondern sie nimmt auch Bezug auf die Gemeinschaftsbildung. Im Umgang miteinander gilt es kostbare Momente zu erkennen, Routinen zu unterbrechen, sich gegenseitig Aufmerksamkeit zu widmen und miteinander Momente teilen. Was tun wir alltäglich parallel und rufen den Kindern oder Mitmenschen lapidar bestätigende Wörter zu, anstatt sich diesem Moment voll und ganz zu widmen und in einen „echten“ Dialog zu treten?

Es gibt eine Vielfalt an Möglichkeiten, Achtsamkeit zu leben und zu praktizieren. Es ist nicht zwangsläufig notwendig, Situationen künstlich zu schaffen. Vielfach ist es ein erster Schritt, Situationen und Wahrnehmungen bewusst zu machen und die Sinne anzuregen, beispielsweise die Augen zu schließen und Geräusche deutlicher und differenzierter zu hören und darauf einzugehen.
Bei den Kindern können wir uns vieles abschauen: Die Gedanken der Kinder richten sich auf die Gegenwart, sie blenden das Gestern und Morgen aus und fokussieren das, was im Moment bedeutsam ist. Kinder können auf natürliche Weise über freies, vertieftes Spielen oder schöpferisches Tätig-Sein ohne Aufwand in einen Zustand des „Bei-sich-seins“ gelangen. Leider gelingt es den Kindern zunehmend weniger, einfach einzutauchen (u.a. aufgrund von sterilen Umgebungen, getakteten Abläufen, reduzierten Naturerfahrungen, wenige nährende Stille). Viele verlernen es, auf ihre Körpersignale zu hören und eine aktive Rolle einzunehmen.

Die Wirkung von Achtsamkeit ist bemerkenswert

Achtsamkeitsbasierte Übungen sind eine gute Möglichkeit, dass Kinder sich und ihren Körper bewusst spüren können. Kinder, die in einem guten Kontakt mit sich selbst stehen, können besser für sich sorgen, Bedürfnisse sowie Gefühle erkennen, benennen und begreifen, dass diese wandelbar und vorübergehend sind. Wer ein gutes Gefühl für sich entwickelt, kann den Wert anderer Lebewesen ermessen und Verantwortung übernehmen.

Eine achtsamkeitsbasierte Haltung sowie Methoden stärken die Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung, Selbstregulation und Selbstverantwortung und leisten einen nachhaltigen Beitrag zu freudvollem Lernen.
Wichtig ist bei allen Übungen, dass die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder im Vordergrund stehen. Berücksichtigen sollte man bei Achtsamkeitsübungen mit Kindern stets, dass nicht die Ziele der Erwachsenen („die Kinder sollen runterkommen und ruhiger werden“) verfolgt werden.

Stille und Innehalten ist für viele Kinder nicht auf Abruf möglich. Kinder erleben Stille auch auf ganz andere Weise, in Form von Konzentration bei Tätigkeiten wie Malen, Tiere beobachten, Klangspiel lauschen, etc.. Kinder lieben es, sich selbst zu erforschen und mitzuteilen. Hierzu habe ich eine schöne Übung gefunden: die Taschenlampenrunde! Kinder mögen Taschenlampen, es ist spannend die Taschenlampe ein- und auszuschalten und zu verfolgen, wohin der Lichtstrahl strahlt und wie Licht und Schatten sich bewegen. Die Taschenlampe geht im Kreis herum und wird auf ihrem Weg mit den Worten begleitet „Zeige mir, was du in deinem Körper wahrnimmst!“. Jedes Kind kann auf eine Körperstelle leuchten, wo es gegenwärtig etwas wahrnimmt. Kinder sind oft neugierig, auf welche Körperstelle die anderen Kinder das Licht strahlen lassen und Aussagen wie z.B. „Ich leuchte auf meinen Fuß, weil der mich gerade kitzelt.“ Oder „Ich bemerke die Luft in meiner Nase!“ hören.
Bei dieser Übung werden verschiedene Kompetenzen gefördert: sich untereinander zuzuhören, sich selbst wahrzunehmen sowie sich mitzuteilen. In dieser Runde geht es nicht um gestern und morgen, sondern um das Hier und Jetzt.

Vielleicht ist dieser Artikel für viele wieder eine Gelegenheit, sich über kostbare Momente bewusster zu werden und innezuhalten. Kinder können uns im Alltag immer wieder daran erinnern, denn sie haben die Fähigkeiten, im Spiel ganz natürlich den Moment zu wahren und mit ganzer Aufmerksamkeit zu widmen. Möglicherweise können geplante und zielorientierte Aufgaben kurz ruhen, wenn Kinder uns einladen, in ihrem Sein teilzuhaben.

Literaturempfehlung
Gruber, Jutta; Vogel, Detlev (Hrsg.) (2020): Achtsamkeit. Für Selbstwirksamkeit, Resilienz und Partizipation. Weimar

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