Mathematik – mehr als eins, zwei, drei

Mathematik begegnet dem Menschen im alltäglichen Leben: beim Bezahlen an der Kasse beim Bäcker, beim Abmessen von Zutaten zum Kochen, im Straßenverkehr durch verschiedene Symbole, bei der Nutzung von Handys und Fernbedienungen. Selbst in der Natur beschreiben wir beispielsweise Formen von Blättern oder Pflanzen mit mathematischen (geometrischen) Begriffen. Forschen Sie doch selbst mal nach, wo Ihnen in Ihrem Alltag mathematische Inhalte begegnen!

Wann beginnt mathematisches Verständnis?

Nun haben die Kindertageseinrichtungen in Deutschland einen Bildungsauftrag, der anhand von Leitgedanken und -zielen in den verschiedenen Bildungsplänen der Bundesländer Ausdruck erhält. Was oft aber fehlt, ist die Kenntnis über die Entwicklung eines mathematischen Verständnisses. Wie bauen sich entsprechende Kompetenzen auf? In der Forschungsliteratur werden den einzelnen Abfolgen des mathematischen Kompetenzerwerbs verschiedene Namen und Schwerpunkte gegeben. Daher soll nun nur ein verallgemeinerter Abriss des mathematischen Kompetenzerwerbs gegeben werden.

Der Erwerb numerischer Kompetenzen vollzieht sich zusammen mit dem Beginn des Lebens eines Menschen. Wie entwicklungspsychologische Forschungen gezeigt haben, besitzen bereits Säuglinge mentale Vorstellungen von Mengen. Bereits kurz nach der Geburt sind Säuglinge in der Lage, Mengen von maximal vier Elementen miteinander zu vergleichen. Mit vier Monaten zeigen sie Verwunderung, wenn sie nach einem gewohnten Bild mit acht Punkten plötzlich eines mit sechzehn Punkten gezeigt bekommen. Zwar können sie hierbei noch nicht die konkrete Anzahl abschätzen, jedoch scheint ihnen der Mengenunterschied aufzufallen, vermutlich auf Grundlage der Gesamtausdehnung der Elemente. Dies gelingt auch nur, wenn die Anzahl möglichst klein ist und der Mengenunterschied in einem bestimmten Verhältnis präsentiert wird. Schon Säuglinge scheinen also über ein angeborenes System für Nummerositäten zu verfügen. Dieser natürliche Mengensinn stellt eine bedeutende Grundlage für das spätere Verstehen der Begrifflichkeiten des Vergleichens (mehr, weniger) dar und ist somit gleichzeitig Basis für zukünftige Rechenoperationen. Gleichzeitig ist die Forschung uneins darüber, ob diese Kompetenzen eher den ersten mathematischen oder visuellen Fähigkeiten zuzuordnen sind.

Gegen Ende des ersten Lebensjahres können Kleinkinder die Reihenfolge von größer oder kleiner werdenden Mengen beziehungsweise Flächen erkennen. Mit Beginn des Sprechens im zweiten Lebensjahr erlernen Kinder die systematische Nutzung der Zahlwörter. Diese werden vor sich hin geplappert, die Zahlenreihe wird wie eine Art Reim aufgesagt – mit Zählen hat dies aber meist noch nichts zu tun. Mit drei Jahren sind Kinder in der Lage, bis fünf zu zählen und durch Antippen beziehungsweise Deuten auch Elemente in diesem Bereich abzuzählen. Die Kenntnis des Zahlenraums steigert sich nun stetig. Mit dreieinhalb Jahren kennen Kinder die Zahlenwörter bis zehn, und im Alter von viereinhalb Jahren können sie bis zwanzig zählen, wobei einige Kinder hier noch relativ unsicher sind. Bis zum dritten Lebensjahr nutzen Kinder beim Zählen noch das Prinzip des „subitizing“ (auch bekannt als Simultanerfassung), worunter man das Schätzen kleiner Mengen (maximal vier Elemente) durch spontanes visuelles Erfassen versteht. Diese Fähigkeit wird durchaus auch von Erwachsenen angewendet, um kleine Mengen zu erfassen (überprüfen Sie sich mal selbst!). „Subitizing“ scheint also grundlegend im Nervensystem des Menschen verankert zu sein. Das eigentliche Zählen ist auch für Erwachsene erst ab einer Anzahl von fünf Objekten und mehr nötig. Günstig für das Prinzip der spontanen Erfassung einer Menge wirkt sich eine strukturierte Anordnung der einzelnen Elemente aus.

Mathematisches Verständnis bei Kindern ab drei Jahren

Ab einem Alter von drei Jahren beginnen die Kinder, auch Mengen tatsächlich zu versprachlichen, wobei sie sich auf die meist auswendig gelernte Zahlenreihe beziehen und meist vergessen, die Dinge tatsächlich abzuzählen. Im Laufe des vierten Lebensjahres verinnerlichen sie dann gewisse Zähl-Grundlagen, wie das Kardinalitätsprinzip (Zahlen werden zur Beschreibung von Anzahlen genutzt, das letzte genannte Zahlwort, bezeichnet auch die Menge), die Eins-zu-Eins-Zuordnung (einem Element wird eine Zahl zugeordnet) und das Prinzip der stabilen Reihenfolge (für das Zählergebnis ist die Anordnung oder die Abfolge der zu zählenden Menge nicht ausschlaggebend). Diese Prinzipien scheinen die Kinder zunächst auf einen kleineren Zahlenraum anzuwenden und zu festigen, bevor sie weiter auf einen größeren Zahlenraum übertragen werden. Das Verstehen solcher Prinzipien versetzt Kinder ab vier Jahren in die Lage, kleinere Additions- und Subtraktionsaufgaben zu lösen, dabei sind sie aber noch auf visuelle Darstellungsmittel und Antippen angewiesen. Im Vorschulalter verfügen die Kinder dann über die Fähigkeit, Strukturen in geordneten Objektmengen (Würfelbilder) zu erkennen, von einer bestimmten Startzahl an aufwärts zu zählen und einfache Additionsaufgaben zu lösen. Bei letzterem benutzen Vorschulkinder unterschiedliche Strategien:

  • Abruf aus dem Gedächtnis (von schon bekannten Aufgaben oder Darstellungen, dies nutzen die meisten Kinder, kommen aber oft zum falschen Ergebnis),
  • Darstellung durch Finger (hohe Erfolgsquote),
  • Zählen (dies nutzen sehr wenige Kinder, die Erfolgsquote liegt bei 50%),
  • Fingerzählen (Darstellen der Summenaden durch jeweils eine Hand und finales Abzählen, sehr zeitintensiv, aber meistens mit dem richtigen Ergebnis, eine durchaus komplexe Methode).

Grundlage für ein gefestigtes mathematisches Verständnis im Bereich des Mengen- und Zahlenwissens ist also nicht nur die Kenntnis des Zahlenworts, sondern auch die Bezugnahme zur entsprechenden Menge, auch als bildliche Darstellung (Punkte, Würfelbilder). Weiterhin spielen der kulturelle Kontext sowie die Sprache eine bedeutende Rolle. Zahlensymbole und Mengenbegriffe sind kulturabhängig, einige Kulturen besitzen beispielsweise nur sehr grobe Bezeichnungen für Mengen.

Gehen Sie nun noch mal in sich: In welchen Kontexten wird Mathematik in Ihrem Kinderhaus schon gelebt? Wo lassen sich Mengen darüber hinaus darstellen und mit Zahlworten verknüpfen? Wo können Kinder einen Mengen- und Zahlenbegriff erwerben?

Quellen:
Daseking, M., Lemcke, J. & Petermann, F. (2006): Vorläuferstörungen schulischer Fertigkeiten: Erfassung von kognitiven Leistungen im Kindergartenalter. In: Petermann, U. & Petermann, F. (Hrsg.): Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs. Göttingen: Hogrefe. S. 211-237.
Oerter, R: & Dreher, M. (2002): Entwicklung des Problemlösens. In: Oerter, R. & Montada, L.: Entwicklungspsychologie (5. Auflage). Weinheim & Basel: Beltz PVU. S. 469-494.
Pahnke, J. & Pauen, S. (2009): Entwicklung mathematischen Denkens. In: Pauen, S. & Herber, V. (Hrsg.): Vom Kleinsein zum Einstein. Berlin: Cornelsen Scriptor. S. 22-40.
Quaiser-Pohl, C. (2008): Förderung mathematischer Vorläuferfähigkeiten im Kindergarten mit dem Programm „Spielend Mathe“. In: Hellmich, F. & Köster, H. (Hrsg.): Vorschulische Bildungsprozesse in Mathematik und in den Naturwissenschaften. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 103-125.

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Umgang mit schwierigen Eingewöhnungen

Nicht jede Eingewöhnung verläuft nach dem zuletzt vorgestellten Schema von Eingewöhnungsmodellen. Jedes Kind ist anders und bringt eigene Bindungserfahrungen mit, die entscheidend für den Aufbau der Bindung zu anderen Menschen sind. Daher gelingt auch nicht jede Eingewöhnung oder sie benötigt sehr viel mehr Zeit, bzw. eine andere Vorgehensweisen. Ansätze zur Bewältigung solcher schwierigen Eingewöhnungen werden heute vorgestellt. Zuvor möchte ich auf zwei Personengruppen eingehen, die zum Gelingen der Eingewöhnung betragen (können): die pädagogische Fachkraft und die Eltern.

Bindungserfahrung der Eltern

Im Artikel zur Bindungstheorie wurde angedeutet, dass die Bindungserfahrungen der Eltern eine bedeutende Rolle auf die Bindungserfahrungen des eigenen Kindes haben. Man spricht hierbei von internalen Arbeitsmodellen von Bindung, die sich auf das eigene Verhalten zum Kind auswirken. Dies sind meist rekonstruierte Erinnerungen zu Beziehungen, der eigenen Lebenszufriedenheit und der Persönlichkeit. Diese Faktoren wirken sich nicht direkt auf die Bindungsqualität zum eigenen Kind aus, können sie aber beeinflussen. Entscheidend ist hierbei, wie man das eigene Kind betrachtet und welche Haltung man zu ihm hat.

Weitere Faktoren, die Einfluss auf die Bindungsqualität nehmen können, sind die Beziehung zwischen den Elternteilen, Stressoren außerhalb der Familie und soziale Unterstützungsmöglichkeit im Umfeld. Weiter bringt die Eingewöhnung in eine Kindertagesstätte nicht nur für das Kind einen Wandel seiner Lebensumstände mit sich. Folgt man der Transitionstheorie, geht mit der Eingewöhnung auch für die betroffenen Elternteile eine Umstellung einher. Die Eltern müssen sich darauf einstellen, ihr Kind, mit dem sie viel Zeit verbracht haben, zur Betreuung in fremde Hände zu übergeben, was nicht selten Schuldgefühle bei den Eltern auslöst. Gleichwohl können Eltern auch Ängste entwickeln, ihr Kind mit der neuen Umgebung zu überfordern oder auch die Bindung zu ihm zu schwächen oder zu verlieren. Oft ist die Eingewöhnung in die Kita mit dem Wiedereinstieg (meist der Mutter) ins Berufsleben verbunden. Studien belegen, dass die Einstellung der Eltern zu diesen beiden Parametern signifikant entscheidend für das Gelingen der Eingewöhnung ist: Eltern, die die gleichzeitige Eltern- und Arbeitnehmerrolle als stressreich empfinden, sich gezwungen fühlen, wieder arbeiten gehen zu müssen (z.B. aus finanziellen Gründen) und ihr Kind noch nicht in fremde Betreuung geben wollen, gelingt die Trennung vom Kind im Rahmen der Eingewöhnung meist am schlechtesten.

Können beide Elternteile sich in der Situation gut zurechtfinden und die Doppelrolle als Elternteil und Arbeitnehmer akzeptieren, zeigen sich wiederum meist sehr hohe Werte in der Bindungssicherheit zwischen Kind und Eltern. Der Eintritt in die Kita und die Wiederaufnahme der Arbeit bringt zudem veränderte innerfamiliäre Abläufe mit sich, an die sich sowohl das Kind als auch die Eltern gewöhnen müssen. Gleichzeitig sollte es den Eltern gelingen, eine Identität als Kita-Eltern aufzubauen, wozu ein Austausch über die Erwartungen der Einrichtung an die Eltern hilfreich ist.

Aufgabe der pädagogischen Fachkraft

An diesem Punkt kommen wir zur zweiten Personengruppe für eine gelingende Eingewöhnung: Die eingewöhnende Erzieherin (wie in der allgemeinen Literatur wird in der Folge zur Vereinfachung die weibliche Form genutzt). Hier ist zum einen das Wissen über Bindungsentwicklung und die Bedeutung von Bindung für die kindliche Entwicklung und auch den Übergang von Familie in die Einrichtung relevant. Mit diesem Wissen gelingt es meist zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Eingewöhnung, Bindungsmuster zu erkennen und ggf. entsprechend zu reagieren und alle beeinflussenden Faktoren zu berücksichtigen. Eng zusammen hängt hiermit auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexion der Pädagogin. Die Erkenntnisse daraus sind zusammen mit den Kind-Beobachtungen Grundlage für das pädagogische Handeln. Hierzu gehört auch die Erkenntnis, dass es sich im Institutionskontext vor allem um eine enge und stabile Beziehung handelt, die zwischen Kind und Fachkraft aufgebaut wird und nicht um eine den lang andauernde Bindung wie die zwischen Eltern und Kind.

Das erzieherische Handeln sollte dem Kind gegenüber empathisch und zugewandt sein, die Pädagogin bietet zunehmend Geborgenheit, Sicherheit und Rückhalt und bereitet eine emotional (und auch räumlich) warme Atmosphäre. Dies wird allgemein als Feinfühligkeit der Erzieherin beschrieben und hat einen hohen Stellenwert für das Gelingen der Eingewöhnung, besonders bei Kindern mit unsicheren Bindungen zum Elternteil. Weiter sollte die Fachkraft die Möglichkeit zur Stressreduktion bieten, um Emotionen regulieren zu können. Vor allem aber übernimmt sie die Rolle der Explorationspartnerin und muss die Balance zwischen Erkundung und Rückversicherung des Kindes finden. Hierfür ist die aufgebaute Beziehung die Grundlage. Gleichzeitig bietet sie eine Art Assistenz und Unterstützung, wenn das Kind an seine eigenen Grenzen kommt.

Zur Aufgabe der Pädagogin gehört auch das Gespräch mit den Eltern, sowohl im Erstgespräch vor Beginn der Eingewöhnung als auch während der Eingewöhnung. Hier sollte man versuchen herauszufinden, wie die Zeit zu Hause mit dem Kind in den ersten Lebensmonaten war: Welche Gelegenheiten hatte das Kind, andere Bindungen aufzubauen, und wie ist dies gelungen? Welche persönlichen Bedürfnisse hat das Kind und wie äußert es diese? Wie reagieren die Eltern normalerweise darauf (weinen bedeutet zum Beispiel nicht immer, getragen werden zu wollen)? Wie geht es den Eltern mit der Situation der außerhäuslichen Betreuung? Selbstverständlich heißt es auch hierbei feinfühlig vorzugehen und sich bewusst zu machen, dass man ggf. in den sogenannten Tanzbereich der Eltern eintritt. Einige Eltern empfinden sogar Konkurrenzgefühle den Erzieherinnen gegenüber. Wenn die Eltern Grenzen aufzeigen, muss dies akzeptiert werden, da es sonst zum Bruch des möglicherweise beginnenden Vertrauens führen kann. Feinfühliges Vorgehen begleitet die Kommunikation mit den Eltern bzw. dem eingewöhnenden Elternteil auch weiterhin.

Sicher hat man im Erstgespräch, zu dem möglichst immer eine Hausbesichtigung gehören sollte, schon den Verlauf der Eingewöhnung besprochen, doch in der hohen Emotionalität, die Eltern meist während der Eingewöhnung begleitet, muss Vieles nochmal aufgegriffen werden. Es ist ratsam, den Eltern Stück für Stück die nächsten Schritte zu erklären und zu besprechen, warum die Zeit für den nächsten Schritt gekommen ist, an welchen Zeichen und Reaktionen des Kindes man festmacht, ob die nächsten Phase eingeläutet werden kann. Gerade bei Schwierigkeiten während der Eingewöhnung sollte die Pädagogin als einfühlsame Gesprächspartnerin fungieren, die den Eltern eventuell aufkommende Schuldgefühle nimmt. Hierzu ist ein täglicher Bericht zum Tun und den Entwicklungen des Kindes gewinnbringend.

Wann gilt eine Eingewöhnung als erfolgreich abgeschlossen? Das Kind zeigt sich gut integriert, es erkundet den Raum und tritt zunehmend mit anderen Kindern oder auch Erwachsenen in Interaktion. Es darf bei der Verabschiedung durchaus weinen, das starke Äußern seiner Emotionen dient der erfolgreichen Übergangsbewältigung. Wichtig ist jedoch, dass es sich zeitnah nach der Trennung wieder beruhigen lässt und wieder ins Spiel findet.

Hilfestellungen

Welche Möglichkeiten hat man nun, wenn die Eingewöhnung nicht voranschreitet und das Kind lange weint und großen Trennungsschmerz zeigt? Die folgende Liste gibt überblicksartig einige Hinweis zum Vorgehen:

  • Geduld mit sich: Wie beschrieben, müssen Kinder lernen, eine Beziehung zu anderen Personen aufzubauen. Geben Sie dem Kind die Gelegenheit und die Zeit dafür. Verzweifeln sie nicht gleich an sich, wenn die ersten Trennungen mit vielen Tränen verbunden sind.
  • Zeit für die Eingewöhnung: Nehmen Sie sich Zeit für die Eingewöhnung. Im Idealfall können Kolleginnen Ihnen diese Freiräume verschaffen. Gleichzeitig sollten auch die Eltern Zeit für die Eingewöhnung ihres Kindes mitbringen – besprechen Sie dies ausführlich. Haben die Eltern zeitlichen Druck, merken dies die Kinder oft.
  • Situation zu Hause: Versuchen Sie im Gespräch mit den Eltern etwas über die momentane Situation zu Hause zu erfahren: Wie verhält sich das Kind dort seit der Eingewöhnung? Wie reagieren die Eltern auf Signale des Kindes? Gibt es neue, besondere Situationen (Geburt eines Geschwisterchens o.ä.)? Wie reagiert das Kind auf andere Personen und bei Trennung im bisher bekannten Rahmen, fremdelt es?
  • Abläufe zu Hause: Versuchen Sie in Erfahrung zu bringen, was sich durch den Einrichtungsbesuch ändert oder auch geändert hat. Erörtern sie gemeinsam, ob es die Möglichkeit für eine gewisse Routine zu Hause gibt.
  • Gefühle zulassen: Kinder, die ihre Emotionen zum Ausdruck bringen dürfen, sind letztlich emotional stabiler. Lassen Sie also Weinen oder andere Gefühlsäußerungen wie Zorn durchaus zu, und legitimieren Sie dies auch vor den Eltern. Wichtig ist, dass sich das Kind in einer angemessenen Zeit von Ihnen beruhigen lässt.
  • Physische Bedürfnisse des Kindes: Ist die Terminierung der Eingewöhnung passend, oder liegt sie möglicherweise in eine Schlaf- oder Essensphase des Kindes? In dem Falle bietet es sich an, die Eingewöhnung zum Beispiel auf den Nachmittag zu legen, sofern das Kind am Nachmittag eine „fittere“ Phase hat. Möglicherweise kann das Elternhaus seine Abläufe langfristig an die Zeiten in der Einrichtung anpassen. So lässt sich (vielleicht schon vor Beginn der Eingewöhnung) eine gemeinsame Routine entwickeln.
  • Übergangsobjekt: Das Lieblingskuscheltier wird meist im Erstgespräch angesprochen, fragen Sie ggf. hier nochmal nach. Auch wenn Kinder bisher keins hatten, im Rahmen der Eingewöhnung entwickelt sich der ein oder andere Gegenstand zum unterstützenden Übergangsobjekt.
  • Lieblingstätigkeiten: Was tut das Kind momentan zu Hause gern? Lässt sich diese Tätigkeit in der Einrichtung aufgreifen? Für den Beginn kann es hilfreich sein, das entsprechende Spielmaterial, ähnlich dem Übergangsobjekt, mit in die Einrichtung zu bringen. Darüber hinaus können Klassiker wie Aktivitäten mit Wasser, Matsch oder Schaum eine intensive Beschäftigung und Entspannung bieten. Für manche Kinder kann ein gänzlich fremdes Spielmaterial spannend und hilfreich für den Eingewöhnungsprozess wirken. Gleiches gilt für einen neuen Raum, der möglicherweise attraktiver ist.
  • Andere Personen: Im Konzept-e-Netzwerk sprechen wir seit längerem von Dokumentations-Pädagogen, die sicher die Eingewöhnung übernehmen. Dennoch ist die Person nicht gleichzeitig die, zu der sich die engste Beziehung tatsächlich aufbaut. Überprüfen Sie, ob dem Kind eine andere Person in der Einrichtung lieber ist. Seien Sie hierbei flexibel und gönnen Sie dem Kind dieses Bedürfnis. Es mag sein, dass der eingewöhnende Elternteil nicht die ideale Person für das Kind ist. Sprechen Sie bei Bedarf an, ob eine andere Person (Partner*in, Großeltern) eingewöhnen kann und sich besser lösen kann. Hier gilt zu bedenken, dass in dem Falle schon zu Hause eine nötige Verabschiedung von der offensichtlichen Hauptbindungsperson manchmal auch eher zum Gegenteil führt. In Anlehnung an das Münchner Eingewöhnungsmodell schauen Sie bitte auf die Kindergruppe: Gibt es in der Gruppe ungünstige Konstellationen, und wie kann man damit umgehen?
  • Elterngespräche: Den Leitfragebogen zur Eingewöhnung kennen Sie. Wichtig ist, den Eltern so Verständnis zur Bindungstheorie und -entwicklung mitzugeben, auch in Gesprächen während der Eingewöhnung. Machen Sie deutlich, warum Sie so agieren und nicht anders, und bleiben Sie im Gespräch mit den Eltern. Auch zwischen Ihnen muss sich Vertrauen aufbauen. Versuchen Sie, die Fortschritte zu kommunizieren und die Zeit des Kindes in der Kita zu verbildlichen: ein frühes Portfolio oder auch ein ICH-Buch sind für Eltern und Kind eine gute erste Verbindung zur Einrichtung.

Ich wünsche Ihnen für Ihre künftigen Eingewöhnungen viel Erfolg. Bedenken Sie die genannten Punkte auch für die Wieder-Eingewöhnungen nach der aktuellen Schließung. Für einige Kinder wird dies relevant sein. Gehen Sie dafür rechtzeitig mit den Eltern ins Gespräch, erfragen Sie, wie die vergangenen Wochen verliefen und weisen Sie auf ausreichend Zeit für die Re-Eingewöhnung hin. Bei Fragen oder Anregungen und Ideen dazu, freuen wir uns über Rückmeldungen von Ihnen!

Quellen:
Bauer, M.; Klamer, K. & Veit, M.: „So gelingt der Start in die Kita“ – Bindungsorientierte Eingewöhnung. In: Textor, M. R. & Bostelmann, A. (Hrsg.): Das Kita-Handbuch. https://www.kindergartenpaedagogik.de/images/PDF/1985.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.4.2020)
Berk, L. E. (32005): Entwicklungspsychologie. München: Pearson. Kap. 6.4.
Hédevári-Heller, E: Eingewöhnung. In: Weegmann, W. & Kammerlander, C. (2010): Die Jüngsten in der Kita. Stuttgart: Kohlhammer.

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Bindung – das wichtigste Bedürfnis eines Kleinkindes

Menschliche Neugeborene sind im Vergleich zu anderen Lebewesen sehr lange nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Eine andere Person ist für den Säugling also zwingend notwendig. Nach der allgemein anerkannten ethnologischen Bindungstheorie (John Bowlby) sind zwei Gründe dafür zu nennen: Zum einen ist für ein Neugeborenes die menschliche Nähe und Wärme, verbunden mit Zuneigung, unerlässlich. Hieraus entwickelt sich später eine emotionale Bindung. Zum anderen geht es für das Neugeborene ums Überleben. Es sendet daher Signale aus, die die Bindungspersonen (in der Regel die Eltern) in der Nähe halten und zur Fürsorge anregen. Die Bindungspersonen sorgen entsprechend direkt für die Versorgung durch Nahrung für das Neugeborene, das zweite unerlässliche Bedürfnis. Eine Abwesenheit der Bindungspersonen bedeutet für das Baby direkt existentielle Not, da die Versorgung gefährdet scheint.

Bindungsphasen

Die erwähnten ersten Signale sind anfangs Weinen, Schreien und undefiniertes Greifen, das später gezielter wird, ebenso wie das erste Lächeln mit ca. 4-6 Wochen. Ab diesem Lebensalter beginnt auch die eigentliche Bindungsphase, das Kind erhält eine erste Ahnung davon, dass seine Signale Auswirkungen auf den Gegenüber haben und entwickelt eine erste Beziehung zu den vertrauten Personen, die es nun auch langsam an Geruch, Stimme und Äußerem erkennt. Die Bindung, die auch die Eltern erst im Verlaufe der Schwangerschaft und über die Geburt hinweg zu ihrem Kind aufbauen müssen, festigt sich in dieser Zeit: Das erste Mal von seinem Kind zum Beispiel bewusst angelächelt zu werden, trägt hierzu massiv bei. Fragen Sie mal Ihre Eltern oder erinnern Sie sich an Ihr eigenes Kind.

Eine erkennbare Bindung zeigt sich dann ab ca. dem 6. Lebensmonat. Das Kind beginnt aktiv die Nähe seiner Bezugspersonen zu suchen. Bezugspersonen ist bewusst im Plural gehalten, da das Baby sehr wohl in der Lage ist, zu verschiedenen Personen eine Bindung aufzubauen, diese hat nur unterschiedliche Qualitäten und Dimensionen. Die Mutter bleibt meist die Hauptbindungsperson, direkt gefolgt vom Vater (auch hier gibt es Unterschiede in den Dimensionen, das Bindungsverhalten verändert sich über die Zeit). Von den Bezugspersonen aus beginnt das Baby zunehmend – auch verbunden mit erweiterten motorischen und kognitiven Fähigkeiten – seine jeweilige Umgebung zu erobern und in seiner Welt zu explorieren. Die Bezugspersonen dienen dabei als sichere Basis. Bindung kann nun als eine lang andauernde, emotionale Beziehung zu vertrauten Personen definiert werden, die Schutz und Unterstützung bieten.

Im Laufe der ersten zwei Lebensjahre verändert sich das Bindungsverhalten des Kindes. Es erweitert durch zunehmende motorische, kognitive und sprachliche Kompetenzen sein Lebens- und Sozialumfeld und kann die Nähe zur Bindungsperson dadurch besser regulieren und einschätzen – durch Verhandeln oder auch das Einbeziehen der Absichten der Anderen.

Qualität einer Bindung

Selbstverständlich kann es unterschiedliche Bindungs-Qualitäten geben. Die bekanntesten sind sicher die durch Mary Ainsworth beschriebenen, die eine sichere und drei unsichere Bindungsarten unterscheidet. Beeinflussend für die Qualität der Bindung sind verschiedene Faktoren: Es muss eine Gelegenheit zum Bindungsaufbau vorhanden sein, die Qualität der Fürsorge ist entscheidend, und – eng verbunden mit dem Bindungsstatus der Eltern und der familiären Situation – der Säugling hat nicht zuletzt eine Persönlichkeit, die sich auswirken kann.

Warum schreiben wir diesen Artikel für Sie? Die Betreuung von Klein- und Kleinstkindern ist eine Notwendigkeit für viele Eltern und kann künftig ein Thema werden, das auch gesellschaftlich gelöst werden wird. Ein Verständnis von Bindung in den ersten Lebensmonaten ist für eine gelingende Eingewöhnung in diesem Alter unerlässlich. Wir wollen Sie anregen die momentane Gelegenheit zu nutzen und weiter in die Tiefe zu gehen:

  • Informieren Sie sich über die Bindungstypen von Ainsworth und wie sie diese herausgefunden hat (Stichwort: Der Fremde-Situation-Test)!
  • Diskutieren Sie mit Ihren Kollegen: Haben Sie schon sicher gebundene Kinder erlebt? Woran machen Sie dies fest?
  • Welche Anforderungen und Herausforderungen ergeben sich durch die unterschiedlichen Bindungsphasen mit Blick auf die Eingewöhnung? Was brauchen besonders die von uns betreuten Kleinst-Kinder, um ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit zu entsprechen? Sind Ablauf und Gegebenheiten in Ihrem Kinderhaus daran angepasst?
  • Welche Rolle nehmen Sie als Pädagogin in der Bindungsbiographie eines Kindes ein? Sprechen wir hier von einer echten Bindung, oder bewegt man sich im institutionellen Rahmen eher auf der Ebene einer Beziehung?
  • Wer gehört zum Bindungsverhalten des Kindes mit dazu – wen muss man „mit eingewöhnen“? Was hat möglicherweise das Bindungsmuster des Kindes geprägt?
  • Welche Ängste haben Eltern (und Kinder) bei einer Eingewöhnung? Wie können Sie diesen (auch im Vorfeld) kompetent begegnen? Was brauchen Eltern, um ihr Kind vertrauensvoll in Ihre Hände zu geben?
  • Die Bindungsmuster nach Ainsworth lassen sich in allen Kulturen nachweisen, allerdings mit unterschiedlicher Verteilung. Woran kann dies liegen? Welche Bedeutung hat dies für das Bindungsverhalten der betreuten Kinder aus anderen Kulturen?

Beachten Sie, dass auf die Fragen nicht immer eine pauschale Antwort gegeben werden kann – betrachten Sie das Kind individuell! Fremd-betreute Kinder weisen tendenziell eine sichere Bindung auf (auch wenn sie manchmal nicht so erscheint). Die erwähnten Einflussfaktoren für eine gelingende Bindung zeigen Ihnen aber, wie viel Individualität im Bindungsaufbau steckt und spielen für die sichere Bindung in einer Institution eine bedeutende Rolle. Erfragen Sie dies bei der Eingewöhnung mit Mutter oder Vater!

Literatur:
Berk, L. E. (32005): Entwicklungspsychologie. München: Pearson. Kap. 6.4.
Zimmermann, P. (2007): Bindungsentwicklung im Lebenslauf. In: Hasselhorn, M. & Schneider, G. (Hrsg.): Handbuch Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.
Fuhrer, U. (2005): Lehrbuch Erziehungspsychologie. Bern: Huber. Kap. 9.
Siegler, R. S.; DeLoache, J. & Eisenberg, N. (2005): Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. München: Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag. Kap. 11.

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Berliner oder Münchner Modell – die gängigen Eingewöhnungsmodelle kurz besprochen

Im Artikel Bindung – das wichtigste Bedürfnis eines Kleinkindes wurden theoretische Erkenntnisse zur Bindung kurz vorgestellt. Die Erkenntnisse der Bindungsforschung haben natürlich Einfluss auf die institutionelle Betreuung, besonders auf die Eingewöhnung. Betrachtet man außerdem gängige Aussagen zu den Grundbedürfnissen der Kinder, steht in jeder Auflistung das Bedürfnis nach Bindung, Fürsorge und Geborgenheit sowie liebevollen Beziehungen ganz oben.

Folglich kommt der Eingewöhnung in einer außerfamilialen Institution eine besondere Bedeutung zu, besonders im Kleinkindalter. Wenn Sie sich an den vergangenen Artikel erinnern, wurde dargestellt, dass die eigentliche Bindungsphase mit ca. einem halben Jahr beginnt und bis zum 24. Lebensmonat dauert – also genau in dem Alter, in dem die meisten Kinder ihre Kindergarten-Karriere starten. Ein sanfter und gut begleiteter Übergang von der Familie in die Betreuungsinstitution ist damit für die weitere Entwicklung bedeutend. Gelingt dieser gut, haben die Kinder die Gelegenheit, emotional stabil aufzuwachsen und umfassende Sozialkontakte und -kompetenzen zu erwerben.

Entsprechend haben sich im Laufe der letzten drei Jahrzehnte verschiedene Eingewöhnungspraktiken entwickelt. Die beiden bekanntesten sollen hier zusammengefasst vorgestellt werden. Vorweg sei gesagt: Beide Modelle beziehen sich in ihren Grundsätzen auf Bowlbys Bindungstheorie und seine Definition einer sicheren Bindung: Die Bezugsperson wird als sichere Basis erlebt, das Kind exploriert in seiner Gegenwart und weint bei Trennung. Bei der Wiedervereinigung ist es in der Lage, seine Emotionen effektiv zu regulieren. Die Bezugsperson gibt damit dem Kind auch eine mentale Sicherheit um anstehende Übergänge zu meistern.

Kinder sind weiter grundsätzlich in der Lage, Mehrfachbindungen aufzubauen. Ausschlaggebend dafür ist die Möglichkeit, schon im Laufe des ersten Lebensjahres Bindungen und Beziehung zu anderen Menschen (wie Geschwister, Großeltern etc.) erleben und aufbauen zu können. Hierfür ist auch die Bindungsqualität zur Hauptbindungsperson (kulturell verbreitet meistens die Mutter, direkt gefolgt vom Vater) relevant: Kinder mit einer sicheren Bindung zur Bezugsperson sind, wie beschrieben, in der Lage zu explorieren und mental fähig, dann auch gefestigte Bindungen zu anderen Personen aufzubauen.

Berliner Eingewöhnungsmodell

Das Berliner Eingewöhnungsmodell wurde im Rahmen des INFANS-Modells von Laewen et al. entwickelt und stellt die Beziehung zwischen Kind und Eingewöhnungserzieherin in den Mittelpunkt. Bevor die eigentliche Eingewöhnung in der Einrichtung beginnt, findet ein gemeinsames Gespräch mit den Eltern statt, das über den Ablauf der Eingewöhnung, die Gegebenheiten der Einrichtung und die bisherigen Erfahrungen und Bedürfnisse des Kindes gegenseitig informiert.

Grundphase

In dieser ersten dreitägigen Phase ist die Bezugsperson für die Dauer von ca. 1 – 1,5 Stunden zusammen mit dem Kind in der Einrichtung. Die Bezugsperson verhält sich eher passiv, akzeptiert aber gleichzeitig, wenn das Kind die Nähe sucht. Sie bildet die sichere Basis, von der aus die Erkundung erfolgen kann. Das Kind kann dazu angeregt, aber nicht gedrängt werden. Die Fachkraft beobachtet anfangs das Kind in seinem Spiel- und Interaktionsverhalten und unternimmt erste Kontakteversuche, z.B. Spiel- und Konversationsangebote.

Trennungsversuch

Am vierten Tag (bzw. am Dienstag, wenn ein Wochenende dazwischen liegt) erfolgt der erste Trennungsversuch nach einen kurzen Ankommens- und deutlichen Verabschiedungsphase. Die Bindungsperson verlässt dabei nicht die Einrichtung, sondern bleibt in kurz erreichbarer Nähe (Elternecke oder ähnliches, möglichst außer Sicht- und Hörweite des Kindes). Die Reaktion des Kindes auf den Trennungsversuch ist ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Eingewöhnung:

  • Akzeptiert das Kind die Abwesenheit der Bezugsperson, möglicherweise nach kurzem Weinen und lässt sich von der Fachkraft trösten bzw. findet wieder ins Spiel zurück, kann die Trennung auf ca. 30 Minuten gedehnt werden. Der weitere Verlauf der Eingewöhnung kann in kürzeren Abständen erarbeitet werden. Wichtig ist ein positiver Abschluss des ersten Trennungsversuchs: Wenn das Vermissen der Bezugsperson größer zu werden scheint und das Kind das Spiel verliert, sollte man die Bindungsperson nach weniger als 30 Minuten zurück holen.
  • Wirkt das Kind unsicher, sucht es deutlich nach der abwesenden Bezugsperson und lässt sich auch von der Bezugserzieherin nicht trösten, wird der Elternteil direkt zurück gebeten und nimmt sein Kind wieder in Empfang. Die restliche Eingewöhnung dauert entsprechend länger. An den beiden darauf folgenden Tagen sollte die Bezugsperson wieder am Gruppengeschehen teilnehmen, um dem Kind Sicherheit und Vertrauen zu geben. Erst am siebenten Tag soll ein erneuter Trennungsversuch unternommen werden.

Stabilisierungsphase

Die Trennung von der Bezugsperson verläuft gelassen, wie oben beschrieben, das Kind ist nun ohne die Bezugsperson in der Einrichtung. Die Dauer wird nach und nach, abhängig vom Verhalten und den Bedürfnissen des Kindes, erweitert. In den ersten Tagen sollte die Bindungsperson noch in der Nähe der Einrichtung sein. Entsprechend übernimmt die Bezugserzieherin die Aufgaben der Bindungsperson: Versorgung und Spielen. Dies sollte auch angestrebt werden, wenn am 5. und 6. Tag noch keine weitere Trennung unternommen werden kann. Das Vorgehen bleibt von den Reaktionen des Kindes abhängig.

Schlussphase

Bleiben die Trennungen und das gezeigte kindliche Verhalten stabil, kann die Bezugsperson nun auch für eine gewisse Zeit anderen Tätigkeiten nachgehen, sollte aber abrufbereit sein. Das Kind beginnt, die Bezugserzieherin als sicheren Hafen zu akzeptieren, und sucht Geborgenheit bei ihr. Im Idealfall besucht das Kind anfänglich die Einrichtung noch nicht für den ganzen Tag und erobert sich die weiteren Stationen im Tagesablauf nach und nach.

Münchner Eingewöhnungsmodell

Das Münchner Eingewöhnungsmodell nimmt das eben beschriebene Berliner Modell als Grundlage und wurde unter Federführung von Kuno Beller weiterentwickelt und berücksichtigt stärker den Transitionsansatz. Hauptaspekt ist hier, dass die Kindergruppe eine besondere Relevanz erhält und maßgeblich zur Eingewöhnung des Kindes beträgt.

Auch hier besteht ein Beziehungsdreieck zwischen Kind, Erzieherin und Eltern. Letztere fungieren ebenfalls als sicherer Hafen, von dem aus das Kind seine Umgebung erkunden kann und sich nach und nach an die neuen Gegebenheiten in der Institution gewöhnen kann. Gleichzeitig hat die Bezugsperson so auch die Möglichkeit, die neuen Abläufe in der Kita kennenzulernen und sich mit der neuen Situation der Fremdbetreuung auseinander zu setzen. Die Eingewöhnung gliedert sich in fünf Phasen, deren Tempo das Kind bestimmt. Die Grunddauer wird auf vier bis sechs Wochen geschätzt.

Vorbereitungsphase

In einem ersten Gespräch zwischen Eltern und möglichst der Bezugserzieherin werden die Eltern über die Rahmenbedingungen wie Tagesablauf, konzeptionelles Arbeiten und die Einrichtung an sich informiert. Gleichzeitig erhält die Fachkraft Informationen über die Gewohnheiten und Bedürfnisse des Kindes und die elterlichen Erwartungen an die Eingewöhnungszeit und die Einrichtung.

Kennenlernphase

Zusammen mit der Bezugsperson nimmt das Kind über ca. eine Woche am Tagesablauf der Einrichtung teil. Es lernt in dieser Zeit die Gegebenheiten und Abläufe kennen und kann sich in Ruhe orientieren, die Bezugsperson stellt auch hier den sicheren Hafen und Rückzugsort dar. Das Tempo der Exploration bestimmt das Kind. Gleichzeitig ist hier Gelegenheit, die ersten sozialen Kontakte zu knüpfen und vor allem die Kindergruppe in ihren Interaktionen und Handlungen zu beobachten: Das vorhandene Vertrauen zu den Erziehern dient beispielhaft für das einzugewöhnende Kind.

Sicherheitsphase

In der zumeist zweiten Woche agiert die Fachkraft aktiver. Nachdem sie in der ersten Woche das Kind in seinen Bedürfnissen und seiner Interaktion mit der Hauptbezugsperson kennengelernt hat, übernimmt sie nun zunehmend die bisherigen elterlichen Aufgaben (Ruhe, Hygiene, Versorgung, Erkundungen). Die Fachkraft bietet sich dabei tatsächlich eigeninitiativ als Spiel- und Entdeckungspartner*in an, begleitet von dem Elternteil, der dem Kind durch seine Anwesenheit nach wie vor Sicherheit bietet. Das Spielangebot ist von den Bedürfnissen und Vorlieben des Kindes abhängig. Je freudvoller es auf das Spiel reagiert, desto positiver ist die Verbindung, die es mit der Erzieherin assoziiert. Auch in dieser Phase nimmt die übrige Kindergruppe wieder die Vorbildrolle ein: Sie zeigt dem Kind die Verhaltensweisen in der Einrichtung und animiert zum gegenseitigen Spielen und Ausprobieren. Nimmt das Kind Kontakt zur gut sichtbaren und weiterhin präsenten Bezugsperson auf, soll diesem auch nachgegangen werden. Ein Weg-Schicken des Kindes stellt sich als kontraproduktiv dar. Durch die nun bekannten Abläufe und Gegebenheiten sowie ein zustimmendes Verhalten der Bezugsperson entwickelt sich über die ersten zwei Wochen hinweg die Grundlage für die nächste Phase.

Vertrauensphase

Nun wird die Rolle des Elternteils zunehmend passiver, die Fachkraft übernimmt mehr und mehr die Versorgung in allen Belangen. Die erste Trennung ist möglich, wenn das Kind alleine und ohne Kontaktversuche zum Elternteil spielt oder die Bezugserzieherin als Interaktionspartner*in annimmt. Auch hier ist ein deutliches und bewusstes Verabschieden wichtig. Das Kind weint trotz der vorbreitenden Phasen möglicherweise dennoch, eine Trennung verursacht nach wie vor Stressmomente für das Kind. Die Eingewöhnung kann als abgeschlossen betrachtet werden, wenn sich das Kind nach kurzer Zeit beruhigen lässt und wieder ins Spiel mit der Fachkraft oder der Kindergruppe findet. Ist dies nicht der Fall, sollte die Bindungsperson für weitere Tage in der Einrichtung verbleiben, bevor ein erneuter Trennungsversuch unternommen wird. Eltern fällt die Trennungsphase nicht immer leicht, weshalb die Entscheidung von allen Seiten besprochen und akzeptiert werden sollte.

Phase der Reflexion

Das Kind nimmt nun an allen Punkten im Tagesablauf ohne Ängste und Unsicherheiten teil. Es sucht Kontakt sowohl zur Kindergruppe als auch zu den Fachkräften. Für die Eltern stellt sich zu Hause ein neuer Alltag, meist mit Berufstätigkeit verbunden, ein, an den sie sich gewöhnt haben. Gemeinsam mit der Bezugserzieherin findet einige Wochen später ein Reflexionsgespräch statt, das den Verlauf der Eingewöhnung reflektiert und die Entwicklung des Kindes thematisiert.

Vergleich der Eingewöhnungs-Modelle

Neben der grundlegenden Basis, Bowlbys Bindungstheorie, lassen sich weitere Gemeinsamkeiten der beiden Eingewöhnungsmodelle erkennen, was sicher auch daran liegt, dass das Münchner Modell auf den Berliner Erfahrungen aufbaut. Beide Modelle legen Wert auf eine sorgfältige Planung und eine allmähliche Eingewöhnung des Kindes und Trennung von der Bezugsperson. Das Kind muss nicht einfach in der Einrichtung verbleiben. Gleichzeitig wird die Beziehung zur Erzieherin Stück für Stück aufgebaut. Der gesamte Verlauf und die Absprachen zur Eingewöhnung basieren auf den kindlichen Reaktionen und auch den individuellen Bedürfnissen der Familie. Im beschriebenen Dreiecksgeflecht werden die Eltern und die Veränderung ihrer Lebenswelt durch die außerfamiliale Betreuung berücksichtigt – in der Forschungslandschaft ein bedeutendes Qualitätskriterium für Eingewöhnungsmodelle, besonders aufgegriffen im Münchner Modell. Charakteristisch ist hierbei für das Münchner Modell, dass in den ersten zwei Wochen alle relevanten Personen die Einrichtung besuchen, den Alltag miterleben und die Trennung erst im Anschluss erfolgt. Im Berliner Modell hingegen wird ein erster Trennungsversuch bereits am vierten Tag unternommen.

Beide Modelle setzen das einzugewöhnende Kind mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt des Geschehens. Das Münchner Modell fügt dem Dreiecksgeflecht – Kind, Bezugsperson, Fachkraft – die Kindergruppe hinzu. Man verfolgt die Annahme, dass das Kind sich selbst bzw. durch die anderen Kinder und durch ihre Interaktionen eingewöhnt. Die eingewöhnende Fachkraft hat einen weniger hohen Stellenwert, das Kind kann sich auch an anderen Fachkräften orientieren. Im Berliner Modell findet die Interaktion zu großen Teil zwischen Kind und Bezugs-Pädagog*in statt. Die anwesende Kindergruppe wirkt aber auch hier unterstützend. Die Bezugsperson nimmt im Berliner Modell eher eine passive Rolle ein.

Ein Unterschied zwischen den beiden Modellen springt direkt ins Auge: Während das Berliner Modell meist auf 14 Tage bis ca. vier Wochen angelegt ist, dauert das Münchner Modell mit seinen fünf bis sechs Wochen erheblich länger. Dadurch ist es für die meisten Einrichtungen weniger praktikabel und organisatorisch schwieriger umzusetzen, auch wenn es an sich gleichzeitig kindzentrierter wirkt als das Berliner Modell.

Beide Modelle sind an den Entwicklungsthematiken für Kinder im U3-Bereich orientiert, lassen sich aber in Abwandlungen auch für ältere Kinder anwenden. Im Rahmen einer Eingewöhnung sind ein Agieren entlang der kindlichen Bedürfnisse und ein Einbeziehen ALLER Beteiligten sinnhaft und wünschenswert. Erprobt und erfolgreich umgesetzt sind beide Modelle. Die meisten Einrichtungen orientieren sich an dem einen oder anderen Modell, bringen aber ihre eigenen Gegebenheiten mit ein. So ist auch das Eingewöhnungsmodell der element-i-Pädagogik ans Berliner Modell angelehnt. Was man tun kann, wenn eine Eingewöhnung nicht „nach Plan“ läuft, und welche Herausforderungen mit einer Eingewöhnung für Sie als Pädagogen und auch die beteiligten Eltern verbunden sind, greifen wir im nächsten Newsletter auf.

Literatur

Bauer, M.; Klamer, K. & Veit, M. (2009): „So gelingt der Start in die Kita!“ Bindungsorientierte Eingewöhnung. In: Textor, M. R. & Bostelmann, A. (Hrsg.): Das Kita-Handbuch. https://www.kindergartenpaedagogik.de/images/PDF/1985.pdf (zuletzt aufgerufen am 9.4.2020)

Roßbach, H.-G.; Kluczniok, K. (2006): Institutionelle Übergänge in der Frühpädagogik. In: Fried, L. & Roux, S. (Hrsg.): Pädagogik der frühen Kindheit. Weinheim und Basel: Beltz, S. 298-311

Spieß, T. (2016): Eingewöhnung nach dem „Münchener Eingewöhnungsmodell“. In: Textor, M. R. & Bostelmann, A. (Hrsg.): Das Kita-Handbuch. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/gestaltung-von-uebergaengen/uebergang-von-der-familie-in-die-tagesbetreuung/2348 (zuletzt aufgerufen am 9.4.2020)

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Lego? Lego!

Zwei Kollegen treffen sich in einem Bauzimmer:

Luca: „Schau mal, da kam wieder eine große Ladung neuer Legos. Die gibt es ja mittlerweile für alle Altersgruppen: Lego Baby für die Jüngsten, Lego duplo für die Anfänger und das richtige Lego für die Großen!“

Kim: „Ja und? Was ist daran toller als an normalen Holzklötzen oder sogar Naturhölzern?“

Luca: „Naja, jedes Kind kann damit schon in Berührung kommen und auf einfachste Weise bauen. Und zwar auf dem jeweils passenden Niveau.“

Kim: „Aber was lernen denn die Kinder dadurch, gerade die Kleinen schon im jungen Alter?“

Luca: „Zum Beispiel das Aufeinanderstapeln.“

Kim: „Das können die Kinder doch mit Holzklötzen auch. Die lassen sich sogar viel einfacher aufeinander stapeln und müssen nicht erst in der richtigen Position festgedrückt werden.“

Luca: „Aber dafür hält es bei Lego durch die Verzahnungen viel besser. Türme und Mauern aus Holzbausteinen fallen doch viel schneller um!“

Kim: „Genau, so wie in der Realität. Welche Maurerziegel haben denn solche Verzahnungen? Die werden doch auch meist mit Mörtel oder so festgemacht. Ich finde es wichtig, dass die Kinder so direkt ein Gefühl für Statik und Stabilität eines Bauwerks erhalten. Das geht mit Lego nicht.“

Luca: „Hm, aber mit Lego kann man viel größere Bauwerke in verschiedenen Dimensionen und Ebenen bauen, da wir ja auch verschiedene Platten und unterschiedlich große Teile haben.“

Kim: „Vielleicht fällt den Kindern mit anderen Baumaterialien aber auch was Kreatives ein, wie man unterschiedliche Ebenen herstellen kann und in höheren Dimensionen baut. Was meinst du? Hierfür gibt’s ja auch viele Möglichkeiten, die man als Material platzieren könnte. Da kann man auch die Phantasie und den Ideenreichtum der Kinder ansprechen und aufgreifen. Das geht halt mit Lego in seinen vorgefertigten Formen definitiv nicht! Ich finde es außerdem angenehmer, dass Holzbausteine u.ä. eine „echte“ Struktur haben, wenn ich sie anfasse: Von rau über glatt und manchmal auch wellig. Besonders Natursteine mag ich. Das Plastik der Lego-Steine fühlt sich haptisch für mich so unecht an, für die Kinderhände bestimmt auch.“

Luca: „Aber Legos sind deutlich stabiler und können auch rumgeworfen werden, ohne dass dabei was kaputt geht oder man böse getroffen wird. Und die vielen verschiedenen bunten Farben finde ich gerade für Kinder sehr ansprechend. Die haben es gern bunt.“

Kim: „Das liegt im Auge des Betrachters. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Farben Kinder eher übermäßig fordern, sie bieten wenig Ruhe fürs Auge. Ich habe schon Kinder dabei beobachtet, wie sie verzweifelt nach Legos in einer bestimmten Farbe gesucht haben, weil die Mauer noch nicht ganz fertig, aber eben einfarbig werden sollte. Oder dass Kinder feststellen, dass die Farbe, die noch da war, nicht zu dem gepasst hat, wie es tatsächlich in der Realität aussieht.“

Luca: „Es gibt so viel anderes Zubehör, was man passend machen kann. Die Männchen, die es dazu gibt, sehen doch zum Beispiel prima aus. Alle mit einem freundlichen Gesicht …“

Kim: „… und fixierten Händen und Gliedmaßen, die, wenn überhaupt, in zwei Richtungen bewegbar sind. Das halte ich für nicht sehr realistisch. Da sind wir wieder bei den vorgefertigten Formen, die wenig Vorstellungskraft provozieren. Da bieten ja zum Beispiel die kleineren Puppen, die biegsam sind, bessere Möglichkeiten, finde ich. Ich bleibe jedenfalls bei den Holzklötzen in unserem Bauzimmer in der Kita. Die hat vielleicht nicht jedes Kind zu Hause. Damit bleiben sie etwas Besonderes. Lego gibt’s vermutlich in jedem Kinderzimmer.“

Wie sehen Sie die Diskussion? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in der Nutzung von Lego für die Kinder? Welche Argumente der Gegenseite können Sie nachvollziehen, welche nicht? Schreiben Sie uns Ihre Meinung zu dem Thema gerne in die Kommentare!

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