Gemeinschaft als Ausgangspunkt für Entwicklung bei Klein(st)kindern

„Bringt eure kleinen Kinder nicht in die Krippe – das schadet ihnen. Sie brauchen nur Mama und Papa.“ Der Beitrag zu diesem Thema und vor allem diese Behauptung haben mich bewogen, mich erneut inhaltlich mit der Betreuung der Kleinsten in unseren element-i Einrichtungen auseinanderzusetzen und die Frage zu stellen: Brauchen Kleinstkinder diese Gemeinschaft, bzw. profitieren sie davon?

Zunächst einmal ist wichtig zu sagen: Beziehung ist die Basis für Entwicklung und Lernen. Denn kleine Kinder haben vordergründig das Bedürfnis nach Geborgenheit, Sicherheit, Fürsorge. Ohne die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse durch uns Erwachsene sind sie verloren. Wenn wir ihnen diese Grundlage bieten, die Beziehung zur Pädagog*in aufgebaut und stabil ist, dann können und sollten wir die Peer-Kontakte – so zart sie am Anfang auch sind – in den Blick nehmen.

Peers – was ist damit denn gemeint?

Peers sind die Mitglieder einer Gruppe gleichaltriger Kinder. Sie haben die Besonderheit, eine symmetrische Bezugsform darzustellen. Das bedeutet, dass es nicht wie im Kontakt mit Erwachsenen oder älteren Kindern ein Machtgefälle aufgrund von kognitiver oder körperlicher Überlegenheit gibt. Ganz im Gegenteil: Peers befinden sich auf Augenhöhe. Es entsteht ein geschützter Rahmen, in dem das eigene Ausprobieren nahezu unbegrenzt von statten gehen kann (vgl. Schneider-Andrich 2011, S. 4).

Kontaktaufnahme von Babys und Kleinkindern

Sobald „[…] Handlungslernen in selbstgewählte Spielkonstellationen zu zweit, zu dritt oder in kleine Peer-Gruppen eingebettet […]“ (Wüstenberg 2017, S. 9) ist, können Bildungsprozesse mit Sicherheit erwartet werden. Dazu nutzen Babys bereits ab einem Alter von fünf Monaten hilfreiche Strategien, um mit ihren Peers Kontakt aufzunehmen – mit ihnen ins Spiel zu kommen. Zunächst setzen sie dafür das erforschende Tasten ein, um Gegenstände von Lebendigem zu unterscheiden. Die dadurch ausgelösten Reaktionen sind verschieden. Wenn sie ein anderes Kind berühren oder befühlen, lächeln sie und brabbeln vor sich hin. Sie haben die Erwartung, dass das Gegenüber reagiert. Dinge hingegen werden mit dem Mund, aber auch den anderen Sinnen spielerisch erkundet: Was kann ich damit machen? Wie hört es sich an, wenn ich den Stock auf den Boden schlage? Was passiert, wenn ich daran ziehe?

Zu einem späteren Zeitpunkt der Entwicklung kann beobachtet werden, dass Babys Anstrengungen leisten, um in die Nähe anderer zu gelangen. Es folgen Versuche der Kontaktaufnahme: Sie reichen sich Gegenstände, beobachten die Anderen, versuchen sich über Gesten, etwas zu zeigen, oder machen das andere Kind und sein Verhalten nach (vgl. ebd., S. 9f.). Letzteres ist die typischste Kommunikationsform von Kleinkindern: die Imitation. Einer fängt an, der andere macht nach. Das Ganze kann sowohl nach einer Interaktion wieder beendet oder aber auch über einen längeren Zeitraum wechselseitig aufgebaut werden (vgl. Schneider-Andrich 2011, S. 7): Nils holt sich einen Ball. Anton holt sich einen Ball. Anton beobachtet Nils und lässt den Ball fallen. Nils lässt daraufhin ebenfalls seinen Ball fallen. Dieses Spiel kann über mehrere Minuten beobachtet werden und entwickelt sich stetig weiter.

Die Welt gemeinsam erforschen

Nicht nur die Kontaktaufnahmen an sich bieten eine Erweiterung des Erfahrungsschatzes von Kindern an – sie ermöglichen noch etwas anderes: die Welt gemeinsam zu entdecken und untersuchen. Denn durch das Gemeinsame ergibt sich zum einen eine größere Vielfalt und zum anderen eine eigene Qualität.

Kinder auf annähernd gleichem Entwicklungsstand gehen ganz anders in den Austausch und den Aushandlungsprozess. Es entstehen Spiele, die Erwachsene nicht initiieren – beispielsweise Bausteine gegeneinander zu schlagen, um die Wette zu krabbeln oder auch mal einen Gummistiefel mit Wasser zu befüllen. Dadurch kommt es zu neuen Bildungssituationen. Darüber hinaus ergibt sich für die pädagogische Fachkraft die Möglichkeit, einen Einblick in die Art und Weise, wie Kinder denken, zu bekommen. Um was geht es dem Kind dabei? Welchen Zusammenhang versucht es gerade für sich zu erschließen? Welches Interesse, welches Bedürfnis steckt denn dahinter? Antworten für das weitere pädagogische Handeln können dann über die Sortierung zu den Leitlinien, aber auch Themen der Bildungsbereiche gefunden werden.

Auch das Symbolspiel – in Gemeinschaft ausgeübt – hilft den Kindern, mit der dinglichen und personalen Welt zu experimentieren und dadurch neue Erfahrungen zu sammeln und Alltagssituationen zu erweitern (vgl. Wüstenberg 2017, S. 10f.). Der Baustein wird zum Telefon, die Decke zum Kleid, der Stock zum Flugzeug.

In der Interaktion entstehen selbstverständlich auch Konflikte und damit Möglichkeiten, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, Räume und Gegenstände zu erkunden. Denn Kleinkinder streiten sich vor allem um Platz, die Ausführung einer Spielidee mit den vorhandenen Gegenständen oder die ungeteilte Aufmerksamkeit einer Person für sich. Eine Vielzahl an Konflikten entstehen in der Mitte des Spiels, sind nach weniger als dreißig Sekunden vorbei und führen nicht selten zu neuen Spielimpulsen, die wiederum neue Aktionen auslösen und ein anderes Erfahrungsfeld öffnen (vgl. ebd., S. 11). Demnach bieten auch Konflikte ein Lernfeld, das durch Gemeinschaft entsteht.

Kleinkinder entwickeln in Gruppen einen einzigartigen Interaktionsstil. Dieser wächst im Laufe des Spiels durch die gegenseitigen Reaktionen und verändert sich. Die Kinder verstehen sich scheinbar blind und fühlen sich voneinander angezogen. Die Motivation sehr junger Kinder, gemeinsam zu spielen, ist vermutlich der Wunsch, Spaß zu haben. Das Quatsch-Machen und zusammen Fröhlich-Sein bietet Kindern neue Erfahrungsfelder im Bereich Bewegung, Körpererleben, humorvolle Reaktion und Interaktion (vgl. Wüstenberg 2017, S. 12). Häufig beobachtet wird die Situation am Ende des Mittagessens: Ein Kind beginnt mit einem Laut, alle anderen stimmen vergnügt mit ein, bis sich ein wundervoller Chor durch das ganze Kinderhaus ausbreitet.

Besonderheiten bei Kontaktaufnahmen von Kleinkindern

Wichtig ist im Blick zu behalten, dass die jungen Kinder sich selbst als Ausgangspunkt für ihr Handeln nehmen. Dieser Egozentrismus ist geprägt von einem starken Erkundungstrieb. Das hat zur Folge, dass Begegnungen unter Kleinstkindern in der Regel von sehr kurzer Dauer sind und schnell wechseln bzw. sich wieder auflösen.

Die jüngeren Kleinkinder im Alter von 0 bis ca. 1 Jahr spielen meist allein, teilweise auch in altershomogenen Gruppen. Meistens nutzen sie dafür das sogenannte Parallelspiel. Sie finden jedoch auch die Älteren faszinierend und interessieren sich für ihr Spiel. Kleinkinder im Alter von 2 bis 3 Jahren hingegen kontaktieren bevorzugt Gleichaltrige – ältere und jüngere Kinder stehen bei ihnen in der Regel nicht im Fokus. Trotzdem profitieren alle Kinder von einer Altersmischung. Denn die Interaktion ereignet sich dann innerhalb eines höheren Niveaus: die Älteren üben sich in der Vorbild-Rolle, die Jüngeren bekommen neue Impulse (vgl. Schneider-Andrich 2011, S. 5).

Die Form der Kontaktaufnahme im Kleinkindalter zu anderen ist vor allem motorisch-affektiv geprägt. Das bedeutet, dass für sie die non-verbale Kommunikation im Vordergrund steht. Dazu gehört eben auch, dass ein Kind das andere schubst, ihm ein Spielzeug wegnimmt oder sie sich gegenseitig mit Sand überschütten (vgl. ebd., S. 6).

Abschließend lässt sich klar belegen: alle Kinder – auch die Jüngsten – profitieren, wenn sie regelmäßig auf andere Kinder in ihrem Alter, aber auch auf ältere treffen. Die Neugier und Strategien haben Kinder von allein. Sie brauchen Gelegenheiten im Tagesablauf und eine bedürfnisorientierte und reflektierte Begleitung durch die pädagogische Fachkraft.

Mehr von Denise Samuel

Literatur

Schneider-Andrich, Petra (2011): Entwicklung und Themen von Peerbeziehungen. Verfügbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/FT_schneider_andrich_2011.pdf (letzter Zugriff am 05.05.2022).

Wüstenberg, Wiebke (2017): Bildungsprozesse im gemeinsamen Spiel von Babys und Kleinkindern. frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre (02), S. 6 -13

Adultismus – die erste erlebte Form der Diskriminierung?

Diskriminierung – ein Wort, das leider immer noch mit alltäglichen Beispielen gefüllt werden kann. In den Nachrichten gibt es nach wie vor Berichte über Rassismus, der auf verschiedenste Weisen sichtbar wird. Aber auch die Gleichstellung von Geschlechtern ist zurecht weiterhin oft diskutiertes Thema in unserer Gesellschaft. Die Liste ließe sich ergänzen: Sexismus, Homophobie …

Natürlich betreffen diese Missstände auf eine Weise auch die Lebenswelt von Kindern und damit auch unsere element-i Kinderhäuser, als kleine Abbildungen unserer Gesellschaft. Doch sind nicht alle Kinder von diesen Formen der Diskriminierung direkt betroffen – von Adultismus jedoch schon. Und zwar nahezu tagtäglich (vgl. Richter 2013, S. 3). Den Begriff haben Sie noch nie gehört? Dann ist es höchste Zeit, sich damit tiefergehend auseinanderzusetzen!

Begriffserklärung

Der Terminus Adultismus kommt aus dem Englischen: „adult“ bedeutet erwachsen / Erwachsener und das Suffix -ismus steht hier als Benennung eines gesellschaftlich verwurzelten Machtsystems (Richter 2013, S. 5). „Adultismus beschreibt den Umgang von Erwachsenen mit dem Machtungleichgewicht, das zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen besteht. Der Begriff verweist auf die Einstellung und das Verhalten Erwachsener, die davon ausgehen, dass sie allein aufgrund ihres Alters intelligenter und kompetenter sind als Kinder und Jugendliche – und sich daher über ihre Bedürfnisse, Meinungen und Ansichten hinwegsetzen können“ (Steinke 2019, S. 1). Als gesellschaftliche Diskriminierungs- und Machtstruktur ist Adultismus durch Gesetze, soziale Institutionen und Traditionen gefestigt (vgl. Steinke 2019, S. 1).

Wenn ein respekt- und achtungsvoller Umgang mit den Kindern Ziel der pädagogisch qualitativ hochwertigen Arbeit ist, ist das Bewusstwerden von, die Auseinandersetzung mit dem und die (Selbst-)Reflexion in Bezug auf das Machtverhältnis zwischen Fachkräften und Kindern unumgänglich (vgl. Richter 2013, S. 3). Doch welches Bild von Kindheit dient hierbei als Grundlage?

Soziologie der Kindheit

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es dominierende Bilder von Kindheit gibt, welche im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen. Dadurch ändert sich auch der Status von Kindern und der Umgang mit ihnen (vgl. Richter 2013, S. 3). Je nach Kontext und Perspektive unterscheiden sich die Definitionen von Kindheit:

  • Juristisch: Kindheit als Minderjährigkeit = 0 bis 14 Jahre
  • Erwachsenensicht: alles, was selbst von der Geburt bis ins Jugendalter erlebt wurde (eigene biografische Erfahrung)
  • Akteurs- und lebensweltbezogen: Kinder als soziale Akteure
  • Strukturbezogen: Kindheit in generationaler Ordnung und wohlfahrtsstaatlichem Kontext
  • Diskursanalytisch: Kindheit wird in gesellschaftlichen Diskussionen konstruiert

(vgl. Richter 2013, S. 4)

In unserer element-i Konzeption wird das Menschenbild, die Philosophie und die Vision genau beschrieben. Wenn wir diesen Formulierungen folgen, nämlich unsere individuelle Verantwortung zu nehmen, wir uns – jede/r an seiner/ihrer Stelle – aktiv einbringen zur Gestaltung einer gesunden Gemeinschaft und für das Gelingen, dann ist das ein klarer Handlungsauftrag an uns Pädgog*innen (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 4). Und zwar hin zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Thema Adultismus, aber auch als Wegbereiter*innen für starke, verantwortungsbewusste Kinder.

Erscheinungsformen und Entstehung

Es gibt unterschiedlichste Situationen, in denen adultistisches Verhalten sichtbar wird. Bereits die Kleinsten erleben es in Form von “kurz mal über die Haare streichen” oder “ein Küsschen aufdrücken”, obwohl das Kind das augenscheinlich in diesem Moment nicht möchte. Diese Formen der Grenzüberschreitung werden teilweise unreflektiert hingenommen und die Abwehrreaktion des Kindes verbucht unter “ist eben ein bisschen schüchtern” oder sogar “stellt sich aber an” (vgl. Richter 2013, S. 6).

Auch im alltäglichen Sprachgebrauch tritt Adultismus auf. Aussagen wie „das ist aber kindisch“, „benimm dich nicht wie ein kleines Kind“ oder „wir sind hier doch nicht im Kindergarten“ zeigen die negative Besetzung des Wortes „Kind“. Auch Abwertungen wie „dafür bist du noch zu jung“ werden nicht selten genutzt (vgl. Richter 2013, S. 7).

Im Alltag einer Familie kann adultistisches Verhalten ebenfalls beobachtet werden: in vielen Bereichen bestimmen Eltern über ihre Kinder. Es wird vorgeschrieben, wann es etwas zu essen gibt, wann die Kinder ins Bett gehen und aufstehen müssen, was sie anziehen sollen, wie die Freizeit der Familie ausgestaltet wird. Teilweise ist die Abnahme von Entscheidungen für Kinder ohne jeden Zweifel sinnvoll. Nämlich immer dann, wenn Erwachsene Kinder vor einer reellen Gefahr schützen oder auch weil das Kind keine ausreichenden Informationen hat, um alle Verknüpfungen überschauen zu können und deshalb schlicht mit einer Entscheidungsfindung überfordert wäre. Wenn die Entschlüsse ohne den Einbezug der Kinder aus Bequemlichkeit der Erwachsenen getroffen werden, keine Sinnhaftigkeit dahinter liegt oder dem Erhalt der eigenen Autorität dienen, sollte sich daran etwas ändern. Denn an diesen Stellen beginnt Diskriminierung. Entscheidend ist die Art und Weise, wie wir mit Kindern kommunizieren, ob wir Freiheits- und Selbstbestimmungseinschränkungen begründen können und letztendlich, ob es uns gelingt, einen gewaltfreien Umgang mit Kindern zu leben (vgl. Richter 2013, S. 7).

Dabei ist es wichtig, eben nicht nur Familien, sondern auch Einrichtungen für Kinder und Jugendliche auf das Umsetzen demokratischer Prinzipien zu prüfen und anzuerkennen: Das Spiel ist die Arbeit des Kindes (vgl. Montessori 1999, S. 196-198). Es stellen sich Fragen wie: Haben Kinder Einfluss auf ihre Lebenswelt? Sind die Räume, das Material, der Tagesablauf und die Inhalte dessen optimal auf Kinder abgestimmt? Ja, in den element-i Kinderhäusern und auch anderen Kindertageseinrichtungen ist vieles auf Kinder ausgerichtet, wie kleine Toiletten oder auch niedrige Waschbecken. Aber wer die Perspektive eines Kindes einnimmt, wird sicherlich Optimierungspotential finden. Ob es nun der nicht erreichbare Lichtschalter oder die zu hohe Türklinke ist (vgl. Richter 2013, S. 7) oder das unreflektierte Unterbrechen des kindlichen Spiels, aufgrund einer von Erwachsenen festgelegten Uhrzeit – schlichtweg alles, was dazu führt, dass die Abhängigkeit von Erwachsenen weiterhin nicht aufgehoben werden kann und die Autonomie von Kindern unrechtmäßig begrenzt wird.

Auswirkungen

Wie eben beschrieben, gibt es eine Vielzahl an Erscheinungsformen von Adultismus. Genauso vielfältig sind auch die Folgen. Zum einen betrifft er Kinder in ihrem Grundbedürfnis nach Beziehung und Responsivität. Denn durch adultistische Verhaltensweisen erleben sie, dass ihre Perspektive keine oder wenig Bedeutung hat und ihre Stimme nicht relevant ist. Da sie diesen Erlebnissen an unterschiedlichen Stellen ausgesetzt sind, werden sie möglicherweise verinnerlicht: Die Kinder fangen an zu glauben, dass Erwachsene über mehr Macht und Wissen verfügen und damit rechtmäßig über sie bestimmen. Das bedeutet wiederum, dass sich Kinder selbst nicht ernst nehmen, resignieren, ihre Meinung nicht äußern oder eben rebellisch, launisch und aggressiv werden. Letzteres folgt daraus, dass sie den erlebten Schmerz der Unterdrückung zurück- oder weitergeben möchten. Beide resultierenden Verhaltensweisen sind letztlich Bewältigungsstrategien (vgl. Richter 2013, S. 8f). „Das Selbstvertrauen der Kinder wird so verletzt, dass sie sich nicht mehr zutrauen, Dinge zu versuchen und es dabei wagen, Fehler zu machen“ (Richter 2013, S. 9).

Weiterhin hat Adultismus Auswirkungen auf Peers. Sie nehmen sich gegenseitig nicht mehr ernst und übernehmen adultistische Verhaltensweisen: Ältere Kinder geben jüngeren Kindern Befehle und bestimmen über sie; in der Annahme dem allgemein normalen Verhaltenskodex zu entsprechen (vgl. Richter 2013, S. 9).

Eine andere, noch gravierendere Folge ist, dass Adultismus die Grundlage für unterschiedlichste andere Formen der Diskriminierung bildet. Denn durch Adultismus lernen Kinder sehr früh, dass das Unterdrücken okay ist, und zwar sogar bei Menschen, die zum engsten Bezugskreis gehören. Dieses Raster wird dann auf andere Gruppen angewandt und übertragen: beispielsweise rassistische Verhaltensweisen. Kinder verstehen dann nicht, warum solch ein Verhalten nicht in Ordnung sein soll. Geht es hier doch ebenfalls darum, dass eine Personengruppe die Macht über eine andere ausübt. Und selbst wenn sie sich für Toleranz einsetzen, kann ihr Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit schnell gebrochen werden. Das Selbstbewusstsein ist ja bereits geschwächt (vgl. Richter 2013, S. 9).

Der Grund für die Auseinandersetzung mit Adultismus als ein wichtiger Aspekt professionellen pädagogischen Handelns sollte hiermit ausreichend geklärt sein. Doch wie können Sie das Thema konkret angehen?

Adultismus begrenzen, Partizipation leben

„Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, fühl dich zu Hause!“
„Einen Klaps auf den Po hat noch niemandem was genutzt.“
„Wer nicht hören will, möchte verstehen.“
„Aus dir wird ALLES was du willst!“

1. Schritt: (Selbst-)Reflexion – Adultismus erkennen und benennen

Setzen Sie sich damit auseinander, an welchen Stellen Ihnen selbst bisher adultistisches Verhalten begegnet ist und wie Sie sich dabei gefühlt haben. Reflektieren Sie gemeinsam im Team den pädagogischen Alltag in Ihrem element-i Kinderhaus. Wo begegnen Ihnen Machtdemonstrationen von Erwachsenen? Wie fühlen Sie sich bei Begegnungen mit adultistischem Verhalten? Wie geht es den anderen Teammitgliedern? Was sind Kennzeichen der Macht von Erwachsenen?

Dafür können Sie die Methode: Adultismusplakat nutzen. Die genaue Anleitung finden Sie im Artikel von Steinke (2019) unter: https://www.nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=952:adultismus.

2. Schritt: Handlungsalternativen entwickeln

Beschreiben Sie die Veränderungsmöglichkeiten und überlegen Sie, wie die Umsetzung gelingen kann.

a) Regeln und Grenzen hinterfragen

Woher kommt diese Regel? Warum gibt es sie? Was möchten wir damit bezwecken? Für wen gilt die Regel? Ist die Regel für alle (auch die Kinder) nachvollziehbar und erklärbar?

b) Vorbild sein und eine positive Fehlerkultur entwickeln

Halten Sie sich selbst an die vorgegebenen Regeln? Wann gelingt es Ihnen, Adultismus zu vermeiden? Wann nicht? Wie gehen Sie mit dem Nicht-Gelingen um? Entschuldigen Sie sich für Ihr Fehlverhalten gegenüber dem Kind?

c) Dialog auf Augenhöhe führen

Halten Sie bei Gesprächen Blickkontakt mit Kindern? Lassen Sie Kinder aussprechen? Fragen Sie Kinder nach ihrer Meinung? Nehmen Sie die Meinung der Kinder und ihre Perspektive auf die Welt ernst? Sehen Sie den Blick von Kindern als Bereicherung? Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche mit den Kindern und hören ihnen zu? Welche Worte wählen Sie gegenüber Kindern? Wie gut können Sie sich auch in vermeintlich schwierigen Situationen auf das Kind einlassen (zurechtweisen und kritisieren oder vorher durchatmen und sich einfühlen)? Welche Situationen nutzen Sie für Kritik – schaffen Sie stets eine geschützte Atmosphäre?

d) Partizipation leben

Beziehen Sie die Kinder entwicklungsstandentsprechend bei allen Themen (Raumgestaltung, Materialauswahl, Tagesablauf, Regelfindung, …) ein? Haben die Kinder die Wahl, „Nein“ zu sagen (Beispiel: Waldtag)? Beziehen Sie sie in Ihre Gespräche mit Erwachsenen ein (Beispiel: Tür- und Angelgespräche mit Eltern).

Ein achtsamer Umgang im Kita-Alltag kann so viel Gutes bewirken. Die Sensibilität für Adultismus und Veränderungen im Kleinen können für uns alle, besonders jedoch für die Zukunft der Kinder einen großen Unterschied machen.

Literatur

Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart

Montessori, Maria (1999): Kinder sind anders. dtv: München

Richter, S. (2013): Adultismus: die erste erlebte Diskriminierungsform? Theoretische Grundlagen und Praxisrelevanz. Verfügbar unter: http://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen//KiTaFT_richter_2013.pdf (letzter Zugriff am 24.08.2021)

Ritz, M. (2013): Adultismus – (un)bekanntes Phänomen. Erschienen in: Wagner, Petra (Hrsg.): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung. Verfügbar unter: https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2019/08/Ritz2013_Adultismus_Handbuch-Inklusion.pdf (letzter Zugriff am 24.08.2021)

Steinke, A. (2019): Wie können adultistische Strukturen in der Kindertagesbetreuung erkannt und reflektiert werden? Verfügbar unter: https://www.nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=952:adultismus (letzter Zugriff am 24.08.2021)

Humor in der frühen Kindheit

„Das Lachen ist nichts anderes als ein wetterleuchtendes Aufblitzen der Seelenfreude, ein Aufzucken des Lichtes nach draußen, so wie es innen strahlt.“ – Dante, Philosoph

Gerade in den schwierigsten Zeiten zeigt sich, wie wichtig das Lachen und der Humor für uns, aber auch die Kinder ist! Deshalb möchte ich mich mit Ihnen für ein paar Minuten auf die Sonnenseite begeben und dem Humor als förderliche Eigenschaft widmen. Wie entwickelt sich Humor in den ersten Lebensjahren? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Humor, Motivation, Bindung und dem Spiel? Welche Funktionen hat Humor in der Kindheit? Und was unterstützt die Humorentwicklung? All diesen Fragen werden wir nun ein Stück auf den Grund gehen.

Wir beginnen mit einem Blick in die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die Fredéric Fernandes in seinem Artikel ausführlich dargestellt hat (Fernandes 2016, S. 4ff.): Welche Perspektiven im Zusammenhang mit Humor beleuchten die verschiedenen Disziplinen und welche Theorien haben sich daraus entwickelt?

Die Übersicht zeigt, wie unterschiedlich auf den Humor geschaut werden kann und welche Aspekte einfließen. Im Folgenden gilt es diese unterschiedlichen Perspektiven immer wieder mitzudenken, um die Zusammenhänge zu erkennen.

Die Entwicklung des Humors

Studien haben nachgewiesen: Die Humorentwicklung von Kindern beginnt bereits ab dem ersten Lebensjahr. Forscher:innen sehen eine Grundlage dafür in leicht zu beobachtendem Verhalten. Lächeln und Lachen sind kommunikative Phänomene, die bereits im Säuglingsalter auftreten. Auf diesem Verhalten aufbauend entwickelt sich der Humor stufenartig (vgl. Fernandes 2016, S. 8). Hier finden Sie eine Tabelle dazu.

Humor und Spiel als kindliche Ausdrucksmöglichkeit

Ähnlich wie der Humor, so entwickelt sich auch das kindliche Spiel im Laufe der Zeit. Beides kann als Möglichkeit, sich ausdrücken zu können, gesehen werden (vgl. Fernandes 2016, S. 12). Sie werden im Folgenden miteinander verknüpft, um sich sowohl Unterschiede in der kindlichen Intention bewusst zu machen als auch die Parallelen der einzelnen Entwicklungsstufen von Humor und dem kindlichen Spiel aufzuzeigen.

Kinder haben zunächst Spaß an Wiederholungen. Egal, ob eine Handlung mit einem Gegenstand oder auch mit dem eigenen Körper durchgeführt wird – die Kinder lieben es in der sensomotorischen Phase, etwas immer und immer wieder zu tun. Das sogenannte Übungsspiel dient dazu, sich Verhaltensschemata anzueignen. Gleichzeitig beginnt die erste Phase der Humorentwicklung: vor allem Versteckspiele oder auch die Produktion lustiger Geräusche können Kinder in dieser Zeit begeistern. Beides geschieht innerhalb sozialer Interaktion und stärkt damit auch die Bindung (vgl. Fernandes 2016, S. 12). Ganz wichtig ist dabei: Die Humorgefühle in solchen Situationen können nicht nur die Neugierde wecken, sie können auch Angst erzeugen! Deshalb ist die Basis für das Humorempfinden immer die Verbundenheit und Sicherheit zur Bezugsperson. Verbundenheit und Sicherheit entstehen u.a., wenn die Bezugsperson vermittelt: Es geht um unseren gemeinsamen Spaß (vgl. Fernandes 2016, S. 13).

In dieser Phase sind die Kinder demnach besonders auf Erwachsene als „sicheren Hafen“ angewiesen. Verbundenheit ist die Grundlage, dass Kinder explorieren und sich autonom und frei im Spiel ausdrücken können, lachen. Hier zeigt sich besonders die enge Verbindung zwischen den beiden Leitlinien: verbundene Autonomie und autonome Verbundenheit.

Die anschließende Spielform ist das Symbolspiel. Diese entsteht in etwa der gleichen Zeit wie die zweite Stufe der Humorentwicklung. Charakteristisch ist hierbei, dass die Kinder nun zunehmend in der Lage sind, symbolisch zu denken. Kinder schreiben Gegenständen andere Bedeutungen zu als Erwachsene und grenzen sich dadurch eine Zeit lang von der Realität ab.

Der Unterschied der beiden Tätigkeiten besteht darin, dass das Symbolspiel eine ernsthafte Intention hat. Kinder versuchen, ihren Wünschen, Ängsten und Bedürfnissen einen Raum zu geben, was wiederum kompensatorisch wirkt und dabei hilft, Probleme zu lösen. Beim Erzeugen von Humor hingegen geht es dem Kind darum, die Realität mit Absicht für eine sie beobachtende Person zu manipulieren (vgl. Fernandes 2016, S. 13). Dies wird beispielsweise durch den Blickkontakt des Kindes zur Pädagog:in sichtbar.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, Kindern immer wieder die Möglichkeit für diese Art von Spiel zu ermöglichen – sowohl pädagogisch begleitet als auch unbeobachtet. Denn um sich möglichst ungestört dem Rollenspiel und damit seinem Innersten widmen zu können, brauchen die Kinder zum einen Freiräume. Sie brauchen aber eben auch Sicherheit, die wiederum unter anderem durch die pädagogische Fachkraft vermittelt werden kann. Zudem benötigen Kinder für die Humorentwicklung in dieser Phase, wie gerade beschrieben, die Interaktion. Das pädagogische Handeln ist demnach gerade im Freispiel ein Balanceakt zwischen Sichern und Freigeben, Aktivität und Passivität, Impulse setzen und Zutrauen schenken.

Nachfolgend etabliert sich nach und nach das Regelspiel. Dieses ist in Gänze zwar erst in der späten Kindheit sichtbar. Trotzdem beginnt das Verständnis für den Umgang mit Regeln und sozialen Vereinbarungen bereits vorab. Dadurch eröffnen sich dem Kind andere Möglichkeiten bei der humorvollen Interkation: Sie verletzen oder testen dabei explizit oder auch implizit vereinbarte gesellschaftliche Normen. Dabei geht es ihnen aber nicht darum, die Pädagog:in zu ärgern, sondern ihrem lustvollen und interaktiven Spieltrieb Raum zu geben und Interaktionspartner:innen herauszufordern. Sie bauen dadurch Spannung auf und wieder ab. Gleichzeitig stärken sie mit diesem Verhalten die Beziehung zu Gleichaltrigen (vgl. Fernandes 2016, S. 13f.).

Das bedeutet im pädagogischen Alltag, das eigene Verhalten in Bezug auf das Lachen von Kindern in der Gruppe genau zu beobachten. Dabei helfen die folgenden Reflexionsfragen: „Gelingt es mir, mit einer professionellen Distanz die Situation zu beurteilen und dementsprechend passend, verständnisvoll und ruhig zu reagieren?“, „Unterstelle ich den Kindern zunächst einmal Absicht und reagiere entsprechend harsch?“, „Was könnte ich dafür tun, zukünftig gelassen mit solchen Situationen umgehen zu können?“

Zusammenhang Humor, Motivation und Bindungsaufbau

Warum ist es aber so wichtig die Humorentwicklung zu fördern? Um die Bedeutsamkeit nachvollziehen können, braucht es die Herstellung des Zusammenhangs zur Motivation. Diese ist nämlich stets eng verknüpft mit Emotionen, und beide beeinflussen sich gegenseitig: Das Sich-Wohlfühlen ist die Grundlage für eine proaktive und gestaltende Handlungsbereitschaft. Weiterhin dient das Motivationssystem dazu, dass Menschen sich in eine soziale Gemeinschaft einfügen und Beziehungen aufbauen. Wir wollen schlicht die Zuwendung, Wertschätzung und Anerkennung der anderen mit unserem Verhalten erwirken oder schenken (vgl. Fernandes 2016, S. 10). Genau dieses Phänomen zeigt sich auch beim gemeinsamen Lachen: Anerkennung für den Witz des anderen. Dadurch ist Humor und auch im Spezifischen der Witz eine Möglichkeit Bindung zu fördern (vgl. Fernandes 2016, S. 11).

Funktionen des Humors in der frühen Kindheit

Evolutionsbiologisch betrachtet, diente der Humor dem Überleben des Kindes. Insofern ist dieses Verhalten im Menschen angelegt und unterstützt den Aufbau folgender Kompetenzen (vgl. Fernandes 2016, S. 14-15):

  1. Humor verstärkt die Beziehung zu Gleichaltrigen und Eltern.
  2. Humor ist eine Möglichkeit, effektiv mit der Umwelt in den Austausch zu kommen (Transaktion), und unterstützt damit den Sozialisationsprozess.
  3. Dem Humor kommt eine wichtige Rolle in der Stressverarbeitung und Emotionsregulation zu. Er ist demnach ein Coping-Mechanismus (vgl. Fernandes 2016, S. 14-15).

An dieser Stelle lässt sich die enge Verbindung zwischen Humor, Gesundheit und Resilienz aufzeigen: Humor kann nicht nur selbst eine Möglichkeit sein, schwierige Situationen erfolgreich zu meistern, sondern auch Schutzfaktoren hervorbringen und Risikofaktoren reduzieren. Er ist dadurch weiterhin eine freudvolle Möglichkeit, gesund zu bleiben. Dies gilt natürlich nicht nur für Kinder, sondern auch für Sie! Nutzen Sie Ihren Humor, entwickeln Sie ihn weiter. Denn Lachen hilft. Gerade in schwierigen Zeiten gilt es, sich sonnige Gedanken ins Gedächtnis zu rufen und gemeinsam zu lachen.

Was können Pädagog:innen und Eltern beachten?

Kinder brauchen als Grundlage das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Ansonsten kann sich ihr Humor nicht entwickeln. Wie wir wissen, sind wir Erwachsenen maßgeblich an der Entstehung dieses Gefühls beteiligt und müssen deshalb die Kinder wohlwollend in den Blick nehmen (vgl. Fernandes 2016, S. 10).

Weiterhin wissen wir: Kinder lernen sehr viel durch Beobachten und Nachahmen – sie „Lernen am Modell“. Hierbei kommt den Eltern und eben auch den Pädagog:nnen ein hoher Stellenwert zu. Denn sie müssen sich ihre eigene Einstellung zum Thema Humor bewusst machen, das dazugehörige Wissen haben, sich selbst reflektieren. Das ist notwendig, da wir Erwachsenen aufgrund des Altersgefälles einen ganz anderen Stand in der Humorentwicklung haben und diesen auch anders nutzen. Im Austausch mit Kindern muss der eigene Humor auf den Stand der Kinder angepasst werden, um Ihnen auf Augenhöhe begegnen zu können und sie nicht zu überfordern (vgl. Fernandes 2016, S. 15).

Darüber hinaus hat der Humor eben nicht nur anregende und positive Wirkung. Abstufungen in die negative Wirkungsrichtung sind beispielsweise Ironie, Sarkasmus und Zynismus. Auch darüber muss ich mir als erwachsene Begleiter:in eines Kindes bewusst sein und mich dementsprechend selbst reflektieren (vgl. Fernandes 2016, S. 16). Folgende Fragen regen zur Selbstreflexion an:

  • Was bedeutet Humor für mich?
  • Wie nutze ich Humor (im Umgang mit Kindern)?
  • Inwieweit passe ich meinen Humor an den Entwicklungsstand der Kinder an? Was sind hierbei Stolpersteine? Was hilft mir dabei?
  • Wie kann ich meinen Humor weiterentwickeln und auch pflegen?
  • Welche Haltung haben wir im Team dazu?

Neben dem eigenen Verhalten gilt es, sich auch mit den Räumen bzw. Material auseinander zu setzen, was Kindern zur Verfügung stehen. Denn für die Entwicklung von Humor braucht es eine anregungsreiche Umgebung. Diese sollte sowohl Verkleidungsutensilien beinhalten, aber auch akustische und visuelle Medien (Lieder, Bücher, Bilder, …) sollten zur Verfügung stehen (vgl. Fernandes 2016, S. 10). Wichtig ist, die Kinder zu beobachten und entsprechend ihrer Interessen die Themen der Materialien zu wählen.

In der Praxis haben sich hierzu „Themenkisten“ bewährt, die gestaltbar sind und zur Verfügung gestellt werden können. Den Kindern ist so das Material autonom zugänglich, es kann leicht ausgetauscht werden und wirkt durch die Struktur anregend. So wird der Raum als 3. Erzieher:in im besten Sinne wirksam.

Mehr von Denise Samuel

Quellenangabe:

Fernandes, Frédéric (2016): Humor in der frühen Kindheit. Verfügbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/de/fachtexte-finden/humor-in-der-fruehen-kindheit (letzter Zugriff am 15.03.2021)

Gewaltprävention in Kitas

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung  von Beginn an. Dies ist nicht nur im Bürgerlichen Gesetzbuch so festgehalten, sondern auch im GrundgesetzNach Artikel 1 ist die Menschenwürde unantastbar. Denn Gewaltanwendungen, in welcher Form auch immer, sind ein Angriff auf die Würde des Menschen. Zudem ist die Gewaltfreiheit Basis jeder Demokratie und freien Gesellschaft. Das heißt, dass wir uns im Kontext Kita mit Gewaltprävention beschäftigen, steht außer Frage (vgl. Gugel 2014, S. 10). Die wesentliche Frage ist: Wie kann die Umsetzung in die Praxis aussehen? 

Dazu möchte ich zunächst auf den Gewaltbegriff näher eingehen, sowie die Funktionen, Ursachen und Folgen von Gewalt beleuchten und schließlich den Terminus Prävention, sowie den Handlungsrahmen von Gewaltprävention betrachten. 

Der Gewaltbegriff

Was wird unter Gewalt verstandenJeder deutet den Begriff ein wenig anders und legt ihn demnach subjektiv aus. Es gibt selbstverständlich offizielle Definitionen von Gewalt, welche allerdings nicht gut greifbar und eindeutig sind. Sie sind stets interessengeleitet und kontextgebunden zu betrachten. Sowohl historisch als auch kulturell und geografisch sind immer wieder Unterschiede zu verzeichnen. Deshalb ist die eigene Auseinandersetzung und die Betrachtung der Formenvielfalt wichtig (vgl. Gugel 2014, S. 59). Ich empfehle dazu die Übung „Das Gewaltbarometer“, siehe nebenstehenden Kasten.


Das Gewaltbarometer

Um das individuelle und sehr subjektive Verständnis der unterschiedlichen Teammitglieder des Gewaltbegriffs auf eine gemeinsame Ebene zu bringen und in den Austausch zu kommen, können Sie folgende Methode nutzen:

Benötigtes Material – vorbereitete Karten mit den Begriffen:

Gewalt 

Keine Gewalt

Armut, Nägel kauen, Türe zu knallen, an der Hand wegziehen, schlagen, küssen, Fernsehverbot, kein Geld für Schulausflüge, beengter Wohnraum, in die Ecke setzen, brüllen

Ablauf:

  1. Legen Sie die Begriffe Gewalt und Keine Gewalt mit etwas Abstand auf den Boden. Alternativ können Sie bei einer digitalen Teamsitzung in einem Word Dokument arbeiten (oben Gewalt und unten Keine Gewalt). 
  2. Dann verteilen Sie die Begriffe an die einzelnen Teammitglieder. 
  3. Die Teammitglieder legen die Begriffe mit entsprechender Begründung dann zwischen Gewalt und Keine GewaltBei der digitalen Teamsitzung können Sie die Begriffe willkürlich zwischen Gewalt und Keine Gewalt anordnen und dann gemeinsam in eine für Sie richtige Reihenfolge bringen.
  4. Anschließend gehen die anderen Teammitglieder in den Austausch. Passt die Position der einzelnen Begriffe für sie? Bedarf es aufgrund anderer Schilderungen einer Veränderung? Dadurch ergibt sich nach und nach eine Reihenfolge, die für das Team repräsentativ ist. Es gibt dabei kein richtig und falsch. 

Zudem möchte ich Ihnen drei Perspektiven aufzeigen, wie Sie sich dem Gewaltbegriff von der theoretischen Ebene her nähern können. 

Die WHO definiert den Begriff der Gewalt folgendermaßen: „Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“ (Weltgesundheitsorganisation 2003, S. 6) 

Ergänzend dazu gibt es eine Typologie der Gewalt. Durch diese lassen sich einzelne Situationen analysieren und konkrete Ansatzpunkte für Gewaltprävention festlegen. Sie kategorisiert drei Ebenen:  

  • kollektive Gewalt, 
  • interpersonelle Gewalt, 
  • gegen sich selbst gerichtete Gewalt.  

Diese können jeweils noch weiter unterteilt werden. Zum Beispiel zählt zur Ebene interpersonaler Gewalt sowohl die Familie, unterteilt in einzelne Familienmitglieder (Kind, Partner, Alte) als auch die Gemeinschaft (Bekannte, Freunde). Auf diesen unterschiedlichen Ebenen wiederum gibt es Bezüge zu den verschiedenen Formen von Gewalt: physisch, sexuell, psychisch und Vernachlässigung (vgl. Gugel S. 57-58). 

Das Dreieck der Gewalt von Johan Galtung unterscheidet drei Gewalttypen: strukturelle und kulturelle (unsichtbar), aber auch direkte (sichtbare) Gewalt. Dabei ist bei Letzterer (auch personale Gewalt genannt) die Opfer- und Täterrolle nicht immer eindeutig zuzuordnen oder zu identifizieren. Bei der strukturellen Gewalt sind nicht einzelne Personen Täter*innen, sondern Lebensbedingungen oder Strukturen von Gesellschaft und Institutionen. Ideologien, Legitimationssysteme, Überzeugungen und Überlieferungen hingegen zählen zur kulturellen Gewalt, welche wiederum die anderen beiden Typen manifestieren. Diese Betrachtungsweise soll dazu anregen, Gewalt nicht nur als Handlung, sondern eben als komplexes Phänomen wahrzunehmen (vgl. Gugel 2014, S. 56). 

Funktionen von Gewalt

Gewalt wird im Alltag oft unter dem Fokus verletzendes oder destruktives Verhalten gesehen. Dabei sind Gewalt und Aggression vor allem im Zusammenhang mit Kindern oft eine Form der Interaktion und Kommunikation. Dabei kann explorative und reaktive Aggression unterschieden werden (vgl. Gugel 2014, S. 60). 

Zudem muss, um die Funktion von Gewalt und Aggression zu beleuchten, der Kontext genau unter die Lupe genommen werden: Liegt ein Konflikt zugrunde? Welches Ziel soll mit dem Verhalten erreicht werden, und welche Handlungsalternativen haben die Beteiligten? Werden bestimmte Regeln vereinbart und eingehalten, oder werden psychische oder körperliche Grenzen überschritten (vgl. Gugel 2014, S. 60)? 

Motivation und Intention müssen ebenso in den Blick genommen werden. Wurde Gewalt ausgeführt, um das Gegenüber bewusst zu verletzen? Oder war die Gewaltausübung instrumentalisiert – also Mittel zum Zweck? Oder doch nur ein Nebeneffekt des Handelns „in Kauf genommen“ (vgl. Gugel 2014, S. 61)? 

Ursachen von Gewalt – Statistik

Gewalt gegen Kinder hat unterschiedliche Formen und demnach auch Ursachen. Kinder können körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt sein. Aber auch Vernachlässigung, beobachtete Gewalt (reale Gewalt im häuslichen Bereich / mediale Gewalt) oder indirekt erfahrene Gewalt, wie Armut oder mangelnde Förderung, zählen dazu (vgl. Gugel 2014, S. 82). 

Tatsächlich gibt es kaum verlässliche Aussagen zur Häufigkeit von kindlichen Gewalterfahrungen. Denn es gibt eine große Dunkelziffer, die nicht erfasst wird und außerhalb polizeilicher Kriminalstatistik und gemeldeter, dokumentierter Kindeswohlgefährdung liegt (vgl. Gugel 2014, S. 81). 

Doch schon die Zahlen der aufgedeckten Fälle sind alarmierend: In einer ForsaUmfrage aus dem Jahr 2011 – von der Zeitschrift ELTERN in Auftrag gegeben – gaben 40 Prozent der befragten Eltern an, in den letzten 12 Monaten ihren Kindern mindestens ein bis zwei Mal „einen Klaps auf den Po“ gegeben zu haben – dabei sind „Ohrfeigen“ und „Hintern versohlen“ als Antwort noch nicht miteingerechnet (vgl. Forsa 2011, S. 2). Als Grund für diese Strafmaßnahmen nannten Eltern dafür hauptsächlich, dass ihre Kinder „frech / unverschämt“ (51%) waren, „nicht gehorcht“ (40%) haben oder „ihnen gegenüber aggressiv waren“ (40%) (vgl. Forsa 2012, S. 16). Und sie taten das, obwohl sie wussten, dass es falsch ist: Denn 75 hatten im Anschluss ein schlechtes Gewissen (vgl. Forsa 2011, S. 22). Bei anderen Möglichkeiten, auf unerwünschtes Verhalten von Kindern zu reagieren, geben Eltern zudem an, dass sie oft „laut werden“ (93%) oder „Verbote aussprechen“ (85%) (vgl. Forsa 2011, S. 55). 

Im Jahr 2019 gab es laut polizeilicher Kriminalstatistik mehr als 4000 Kindesmisshandlungsfälle (vgl. Bundesregierung 2020). Die Befunde zeigen, dass Gewalt gegen Kinder trotz des gesetzlichen Verbots weiterhin noch präsent ist. 

Folgen von Gewalt

Gewalt hat gravierende Folgen. Nicht nur Traumatisierungen und Entwicklungsverzögerungen können Kinder dadurch langfristig begleiten. Gewalt fördert Gewalt. Das bedeutet: Kinder, die Gewalterfahrungen wiederholt erleben, neigen dazu, selbst Gewalt auszuüben und in das eigene Handlungsmuster aufzunehmen oder anderes Risikoverhalten zu zeigen. Dazu zählen Alkoholmissbrauch, aber auch Depression, mangelnde Leistungsfähigkeit, Gedächtnisstörungen und körperliche Auswirkungen stehen im Zusammenhang mit Gewalterfahrungen. Im Kleinkindbereich zeigen sich vor allem im sozial-emotionalen Bereich Verhaltens- und Entwicklungsprobleme (vgl. Gugel 2014, S. 87). 

Prävention – Verhalten vs. Verhältnisse

Prävention bedeutet übersetzt „zuvorkommen“. Das ist auch genau der Fokus der Gewaltprävention: Was braucht man, um der Gewalt zuvor zu kommen? Dazu kann zum einen auf das Verhalten und was dieses beeinflusst geschaut werden und zum anderen – der viel wichtigere Part – auf die Beeinflussung und Einbeziehung des Umfeldes und der Lebenswelt. Denn diese bedingen das Verhalten zumeist mit. Aber auch politische, kulturelle und gesellschaftliche Dimensionen sind in den Blick zu nehmen (vgl. Gugel 2014, S. 16). 

Gewaltprävention im Elementarbereich – der Handlungsrahmen

Die Kindertagesstätten und auch Krippen sind die ersten Erfahrungsbereiche der Kinder außerhalb der Familie. Kinder verbringen dort viel Zeit. Im Sinne der Gewaltprävention hat der vorschulische Bereich eine große Bedeutung. Denn die Qualität der Einrichtungen und Angebote beeinflussen den weiteren Weg und die Entwicklung der Kinder mit (vgl. Gugel 2014, S. 130). Die folgenden sechs Aspekte geben einen Rahmen für die Gewaltprävention im Elementarbereich: 

  1. Orientierung geben: Dazu zählen Grenzen setzen, Regeln etablieren, Etikettierung vermeiden, Sozialklima optimieren, Mit- und Umwelt achten sowie Selbst- und Mitbestimmung einüben (vgl. Gugel 2014, S. 131-133) – feste Bestandteile unserer Bildungsbereiche (v.a. Soziales Miteinander und Menschsein in der Welt), aber auch durch unsere Leitlinien (v.a. verbundene Autonomie und autonome Verbundenheit sowie Resilienz) verankert.
  2. Handeln in schwierigen Situationen: Hierzu zählt das Handeln bei Kindeswohlgefährdung – bei uns im Unternehmen ist Franziska Pranghofer die Expertin für all Ihre Fragen zu diesem ThemaDarüber hinaus gibt es dazu Prozessbeschreibungen in Roxtra. 
    Aber auch richtig mit kindlicher Gewalt und Aggression umzugehen, sowie konstruktive Konfliktbearbeitung gehören zu diesem Unterpunkt (vgl. Gugel 2014, S. 134). Mehr dazu können Sie auch in dem Fachnewsletter-Artikel „Konflikte“ nachlesen (Samuel 2020, 1ff.).
  3. Besondere Herausforderungen: In diesem Zusammenhang gilt es Inklusion zu leben, Transitionen gut zu gestalten, gendersensible Pädagogik zu praktizieren und Kinder mit spezifischem Förderbedarf zu unterstützen (vgl. Gugel 2014, S. 134-135).
  4. Guter Kindergarten: Hierunter fällt alles zum Thema Qualitätsmanagement, Raumgestaltung und Weiterbildungsmöglichkeiten. (vgl. Gugel 2014, S. 137-138)
  5. Umfeld einbeziehen: Hierzu zählt die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zu den Eltern, aber auch das Arbeiten in Netzwerken (vgl. Gugel 2014, S. 138-139).
    Alle bisher genannten (Querschnitts-)Themen sind bei uns inhaltlich verankert und durch ExpertInnen aus dem pädagogischen Leitungskreis ausgearbeitet.
  6. Programme und Projekte: Ergänzend zu den bereits genannten Möglichkeiten Gewaltprävention in element-i Kinderhäusern zu leben, nämlich pädagogisch gute Arbeit entsprechend der inhaltlichen Ausgestaltung der frühkindlichen Themen, können Programme und Projekte genutzt oder entwickelt werden (vgl. Gugel 2014, S. 141). Dazu muss das jeweilige Kinderhaus allerdings ganzheitlich in den Blick genommen und die Optimierungsbedarfe herausgefunden werden: welche oben genannten Themenbereiche werden schon gut umgesetzund welche noch nicht zufriedenstellend? Anschließend gilt es weitere Schritte zu planen (Projektplan erstellen). 

Wie Sie sehen, sind wir in unserem Netzwerk theoretisch sehr gut aufgestellt, um Gewaltprävention mit all ihren Ebenen in unseren element-i Kinderhäusern zu leben. Und in der Praxis wird schon viel davon umgesetzt. Vielleicht hat Sie dieser Artikel zum Nachdenken angeregt, welchen Bereich Sie sich genauer anschauen wollen und dadurch die pädagogische Qualität in den Häusern weiter optimieren können. 

Literatur: 

Bundesregierung (2020): Kindeswohl hat höchste Priorität. Abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/missbrauchszahlen-1752038 (zuletzt aufgerufen am 21.11.2020) 

Forsa (2011): Gewalt in der Erziehung. Abrufbar unter: https://www.eltern.de/public/mediabrowserplus_root_folder/PDFs/Studie_forsa_Gewalt%20in%20der%20Erziehung_2011.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.12.2020) 

Gugel, Günther (2014): Handbuch Gewaltprävention III. Für den Vorschulbereich und die Arbeit mit Kindern. Grundlagen – Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten. Berghof Foundation. 

Samuel, Denise (2020): Konflikte. In Fachnewsletter des Pädagogischen Leitungskreises. Ausgabe 14 vom Oktober 2020, S. 1-4 

Weltgesundheitsorganisation (2003): Weltbericht Gewalt und Gesundheit. Zusammenfassung. Abrufbar unter: https://www.gewaltinfo.at/uploads/pdf/WHO_summary_ge.pdf (zuletzt aufgerufen am 15.11.2022)

Mehr von Denise Samuel

Konflikte im Kitaalltag

Den Ball hatte ich zuerst.“, „Lass mich in Ruhe!“ oder „Du bist nicht mehr mein Freund.“ – diese Sätze hören wir in unseren element-i Kinderhäusern fast täglich. In jeder Kindergruppe gibt es eben nicht nur das Miteinander, sondern auch das Neben- oder Gegeneinander. Es gilt immer wieder, seinen eigenen Platz zu finden (vgl. Gugel 2014, S. 209).

Dies ist mit viel Anstrengung verbunden – nicht nur für die Kinder und die Verantwortlichen des Bildungsbereiches Soziales Miteinander. Jede einzelne Fachkraft ist in der Begleitung dieser Konflikte täglich herausgefordert. 

Was sind Konflikte?

Der Terminus Konflikt kann weit gefasst werden und reicht von der Komplexität der Weltpolitiken bis zum kindlichen Streit um die Schaufel. Auch wenn es zahlreiche Unterschiede gibt, haben alle Konflikte die gleichen Grundstrukturen. Dabei muss ein Konflikt nicht unbedingt mit Streit oder Gewalt verbunden sein (vgl. Tries / Reinhardt 2008: S. 26). Ein interpersonaler Konflikt hat drei Bedingungen:

• Interdependenz der Akteure – mindestens zwei Personen oder Gruppen stehen sich in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber.

• Zieldivergenz der Akteure – mindestens eine der beiden Parteien verfolgt ein Ziel, das mit dem Ziel des Gegenübers unvereinbar ist.

• Fehlende attraktive Alternative – die bestehende Beziehung zwischen den beiden Personen oder Gruppen zu verlassen ist für keine der Parteien eine attraktive Alternative (vgl. Tries / Reinhardt 2008: S. 30). Darüber hinaus gibt es intrapersonale Konflikte.

Was steckt hinter den Konflikten? Welches (Hintergrund-)Wissen braucht eine Fachkraft, um ihr pädagogisches Handeln passend zu wählen? Wie kann Kindern Konfliktfähigkeit vermittelt werden, sodass sie Konflikte allein lösen können, und in welchen Situationen muss durch die Fachkraft eingegriffen werden? All diese Fragen stellen sich und sollen im Folgenden beantwortet werden.

Professionelle Konfliktbegleitung in Kitas

Es ist eine Entwicklungsaufgabe für jedes Kind und eine pädagogische Herausforderung für seine Entwicklungsbegleiter/innen, die Besonderheiten von Konfliktanlässen zu verstehen und in weitere Handlungsplanungen einzubeziehen“ (Haug-Schnabel 2012, S. 10). 

In der Begleitung von Kinderkonflikten ist es stets ein Abwägen: Wann ist das Kind in der Situation physisch oder psychisch überfordert? Dies kann durch Beobachtung jedes einzelnen Kindes, seiner Themen und Interessen, sowie das Feststellen der Zone der nächsten Entwicklung gelingen. Es gilt unter anderem, den Entwicklungsprozess der emotionalen Kompetenz als Grundlage für Konfliktfähigkeit in den Blick zu nehmen. Die nebenstehende Tabelle fasst wesentliche Informationen zusammen. 

element-i Magazin Tabelle Konflikte

(vgl. Weltzien et al. 2016, S. 24f) 

Nur mit dem nötigen Fachwissen kann die Fachkraft im Alltag bewusst entscheiden, wie die zuvor gestellte Frage zu beantworten ist, welche Erwartung sie an das Kind richten und wie sie die optimale Balance zwischen Zutrauen und Unterstützung finden kann. Wenn ein Nest-Kind beispielsweise einem anderen etwas wegnimmt oder es beißt, geschieht das niemals, um dem anderen Schmerzen zuzufügen. Diesen Entwicklungsschritt hat es nämlich noch gar nicht vollzogen – es hat noch kein Empathievermögen. Auch die Aussagen: „Ist doch nicht so schlimm.“ oder „Hör auf zu weinen.“ sind sinnlos, wenn das einjährige Kind noch nicht über diese Fähigkeiten zur Selbststeuerung und Emotionsregulation verfügt.

Konfliktanlässe in den Blick nehmen 

Wie entstehen Konflikte?

Konflikte entstehen durch eine Mischung aus unterschiedlichsten Anlässen, wahrnehmbaren Verhaltensweisen und deren Interpretation durch das soziale Umfeld, welches davon betroffen ist Voraussetzungen, welche die Entstehung von Konflikten wahrscheinlich machen, sind:

• Konflikte durch Änderung der Person z.B.: Bedürfnisausformung oder Änderung kognitiv-emotionaler Strukturen

• Allokation knapper Ressourcen z.B.: Zielkonflikte oder Machtkonflikte • Veränderung externer Regeln

• (Inter-) kulturelle Konflikte • kognitiv-kommunikative Asynchronität z.B.: Missverständnisse (vgl. Tries / Reinhardt 2008: S. 33f)

Im Kita-Alltag zeigen sich unterschiedlichste KonfliktanlässeBesonders die Bedürfnisse von Kindern aufgrund ihres Entwicklungsstandes sind als Stressauslöser und Konfliktursache in den Blick zu nehmen. Vor allem das Beginnen des Ich-Bewusstseins im Alter von 18 bis 24 Monaten initiiert folgenreiche Entwicklungsschritte. Jetzt kann das Kind über sich als Handlungsakteur nachdenken. Dies fördert wiederum die Autonomie-Entwicklung: das Kind kann sich vor Handlungsbeginn ein Ziel vorstellen und hat demnach eine eigene Absicht bei seinem Tun. Das Kind muss die Möglichkeit haben, Dinge allein versuchen zu dürfen, denn das ist entscheidend für seine Persönlichkeitsentwicklung. Hieraus erwächst die Aufgabe für die pädagogische Fachkraft, jeden Tag aufs Neue abzuwägen, wann sie ein Kind gewähren lässt und wann es wiederum Anregungen von außen braucht (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 12). 

In den element-i Kinderhäusern können die Kinder durch die vorgegebene Tagesstruktur sowohl Freispiel- als auch Impulsphasen erleben. Doch gerade das strikte Einhalten von vorgegebener Struktur kann dazu führen, dass das Kind nicht selbst entscheiden, Verantwortung für sein Tun übernehmen kann und sich dadurch als selbstwirksam erlebt. Es gilt demnach sowohl im Übergang zur Kiko als auch anderen Mikrotransitionen im Alltag, sich selbst die Frage zu stellen: Inwieweit löse ich durch mein Handeln Konflikte aus und welche (Aus-)Wirkung haben diese? Wann muss ich eingreifen, und wann ist genau das störend? Müssen alle Kinder um kurz vor zehn ihr teilweise noch sehr intensives Spiel beenden, oder kann ich gemeinsam mit den Kindern Alternativen finden? Denn: Aushandlungsprozesse sind Lernprozesse (vgl. Haug-Schnabel 2012, S.13)! 

Konflikte können auch durch die Regeln von Fachkräften oder die vorgegebene Gruppenkonstellation, wie Kohorten-Einteilung, die Einteilung in Stamm- und Kita-Gruppe, entstehen. Diese können sogar spiel- und denkhemmend wirken (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). Diesen Aspekt gilt es als Fachkraft gemeinsam mit der Teamleitung zu reflektieren: Werden bei der Kohorten-Einteilung die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt? Welche Kinder brauchen wann welche pädagogische Fachkraft – zum Beispiel am Morgen, um gut in den Tag zu starten, oder zum Einschlafen? Haben die Kinder ausreichend Spielpartner*innen entsprechend ihres Entwicklungsstandes? Wann ist ein Kind bereit, in die Stamm- oder Kita-Gruppe zu gehen, und wie lässt sich ein guter Übergang (Transition) gestalten? 

Aber auch die Raumgestaltung inklusive Materialauswahl und die ggf. nicht vorhandene Wahlmöglichkeit des Kindes, in welchen Raum es wann gehen möchte, können Konfliktanlässe sein (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). Haben die Kinder stets die Möglichkeit, den Raum zu verlassen, oder zumindest einen Rückzugsbereich im Raum? Wieviel und welches Material wird zur Verfügung gestellt? Gibt es beispielsweise bewusst nur zwei Rutschautos, wodurch Konflikte entstehen, die anschließend durch die Fachkraft begleitet werden? Oder hemmt diese Entscheidung die motorische Entwicklung, weil das Kind nicht ausreichende Lernerfahrungen in der Zone der nächsten Entwicklung machen kann? 

Grundsätzlich gilt: eine Fachkraft muss in Konflikten – je nach Entwicklungsstand des Kindes – die sichtbaren Gefühle und Bedürfnisse verbalisieren, beide Sichtweisen einnehmen und darstellen können sowie die Betroffenen trösten und beruhigen (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). 

Bezug zu Bildungsbereichen 

Streithemen müssen nicht immer Konfliktursache sein, sie können auch Hinweise auf Interessen der Kinder geben. Allerdings bedeuten Konflikte immer ein Aufbau des sozialen Miteinanders (vgl. Gugel 2014, S. 209). Schlüsselthemen des Sozialen Miteinanders sind unter anderem: einander kennen lernen, die eigene Position finden, ändern oder festigen, Besitzerklärung, Regeln einfordern, testen, ändern oder erfinden. Zentrale Entwicklungsaufgabe von Kindern im Kindergartenalter ist der Aufbau von sozialem Bindungsverhalten und Kommunikationsfähigkeit. Eine große Rolle bei Kindern, deren Sprachfähigkeit noch nicht differenziert ausgebildet ist, spielen metaphorische Symbolik und Körpersprache (vgl. Gugel 2014, S. 209). Eine enge Verknüpfung besteht demnach zum Bildungsbereich Sprache. Denn Sprachfähigkeit ist gleichzeitig auch Konfliktfähigkeit. Je mehr Wörter mir zur Verfügung stehen, desto besser kann ich meine Absichten und Wünsche oder auch Ablehnung kommunizieren. Weiterhin lässt sich eine Verknüpfung zum Bildungsbereich Bewegung herstellen: Durch Bewegung haben die Kinder die Möglichkeit, ihre Affekte und Emotionen zu regulieren (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). 

Die Antworten auf alle gestellten Fragen gilt es in den element-i Bögen festzuhalten. Daraus wiederum ergibt sich, wie die Fachkraft pädagogisch handeln muss, um die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder zu fördernKonflikte gut zu begleiten und ggf. hemmende Konfliktanlässe zu beseitigen: Eventuell braucht es mehr Rückzugsorte, öfter die Möglichkeit in die Natur zu gehen, sich dort zu bewegen oder zur Ruhe zu kommen, mehr oder bewusst weniger von einem bestimmten Material, den Austausch im Team zur flexiblen Gestaltung des Tagesablaufs oder zur Anpassung der Kohorten-Einteilung, um nur ein paar Impulse zu setzen. 

Buchtipps für die Praxis zur Konfliktbearbeitung mit Kindern

In der Broschüre „Konfliktlösungen in Bilderbüchern für Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter“ aus dem Jahr 2018 finden Sie eine Übersicht über Bilderbücher zu unterschiedlichen Konfliktthemen und auch Konfliktlösungsstrategien, wie Konflikte zwischen Kindern, Ausgrenzung durch Anderssein, familiäre Konflikte, sich entschuldigen und vertragen oder das Gespräch suchen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.  

Durch dialogische Bilderbuchbetrachtung können Kinder so Konflikte kennenlernen, aufdecken, bearbeiten oder / und vielfältige Lösungsstrategien kennenlernen (vgl. ajs 2018, S. 7). Den Link finden Sie im Literaturverzeichnis. 

Konfliktfähigkeit bei Kindern fördern

Um Kinder in ihrer Konfliktfähigkeit zu fördern, gilt es ihre Wahrnehmung zu sensibilisieren: sie müssen lernen, zwischen Absicht und Versehen zu unterscheiden, Handlungsabläufe differenziert zu erfassen, die eigenen Gefühle in der jeweiligen Situation zu erkennen und auch den damit verbundenen Handlungsimpuls wahrzunehmen – wobei Wahrnehmung immer interessengeleitet und demnach subjektiv ist. Wie bereits erwähnt, ist Kommunikationsfähigkeit ebenfalls eine Schlüsselkompetenz, um Konflikte eigenständig bearbeiten zu können (vgl. Gugel 2014, S. 215). 

Weiterhin müssen Kinder lernen, mit ihren eigenen, aber auch den Emotionen anderer umgehen zu können. Empathie und Mitgefühl empfinden zu können ist ein neuronaler Prozess. Dazu werden Gefühle rekonstruiert, die wir bei unserem Gegenüber wahrnehmen. Die sogenannten Spiegelneuronen, die dafür zuständig sind, sind menschliche Grundausstattung. Sie werden aber nur durch zwischenmenschliche Beziehungen aktiviert. Das bedeutet: nur wenn ein Kind selbst Wertschätzung erfährt, kann es andere wertschätzend behandeln. Auch verfügbare Coping-Strategien in Stresssituationen sind in Konflikten unentbehrlich. Wie kann ich mit schwierigen Gefühlen wie Trauer, Hass und Wut umgehen (vgl. Gugel 2014, S. 217)? 

Förderlich ist es auch, Lösungsschritte zu kennen. Das bedeutet den Kindern muss klar sein, welche einzelnen Schritte zur Lösung eines Konfliktes führen und was eine gute Lösung ist (vgl. Gugel 2014, S. 218). Dafür gibt es unterschiedliche Rituale, die eingeführt werden können: Mediation mit Kindern, das Palaverzelt oder auch auf die Kindergruppe angepasste bzw. mit ihr entwickelte, immer wiederkehrende Abläufe. 

Literatur:
Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Hamburg e.V. (ajs) (2018): Konfliktlösungen in Bilderbüchern für Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter. 5. Auflage. https://www.ajs-hamburg.de/images/KloG/pdfsundso/Konfliktloesungen.pdf (zuletzt aufgerufen am 18.9.2020) 

Gugel, G. (2014): Handbuch Gewaltprävention III. Für den Vorschulbereich und die Arbeit mit Kindern. Grundlagen – Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten. Tübingen. 

Haug-Schnabel, G. (2012): Professionelle Beantwortung von Konfliktanlässen. Neue Konfliktbegleitung in Kitas. Theorie und Praxis in der Sozialpädagogik (TPS) 6, S. 10-13. 

Tries, J. / Reinhardt, R. (2008): Konflikt- und Verhandlungsmanagement. Konflikte konstruktiv nutzen. Berlin. Heidelberg. 

Weltzien, D. / Fröhlich-Gildhoff, K. / Rönnau-Böse, M. / Wünsche, M. (2016): Gefühl und Mitgefühl von Kindern begleiten und fördern. Eine Handreichung zur Umsetzung des Orientierungsplans für Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg. Freiburg im Breisgau. 

Mehr von Denise Samuel

Resilienz (Teil 3): Resilienzfaktoren – ich habe, ich bin, ich kann!

Nachdem wir in den vergangenen Wochen die Grundlagen zur Resilienz (Teil 1) erarbeitet und die Risiko- und Schutzfaktoren (Teil 2) in den Blick genommen haben, möchte ich heute mit Ihnen gemeinsam genauer auf die Resilienzfaktoren schauen. Das sind die personalen Ressourcen, die den Kindern aber auch Ihnen helfen können, Entwicklungsaufgaben, aktuelle Anforderungen und Krisen zu bewältigen. Denn vergessen Sie nicht: Resilienz ist ein lebenslanger und dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess!

Wir alle sind in den letzten Tagen und Wochen mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert und wissen gar nicht, welches wir zuerst angehen sollen oder überhaupt angehen können – viele stecken persönlich in einer Krise, die es zu bewältigen gilt. Welche Ressourcen habe ich dafür zur Verfügung? Hier mal ein paar Sätze über die es sich lohnt nachzudenken:

ICH HABE…

Menschen, denen ich traue und die mich immer lieben,

Menschen, die mir Leitlinien setzen, so dass ich weiß, was ich einhalten muss, bevor Gefahr oder Ärger drohen,

Menschen, die mir durch die Art, wie sie sich verhalten, zeigen, wie man es richtig macht,

Menschen, die möchten, dass ich lerne, selbständig zu werden,

Menschen, die mir helfen, wenn ich krank bin, in Gefahr schwebe oder etwas lernen muss.

ICH BIN…

jemand, den man mögen und lieben kann,

gern bereit, zu anderen freundlich zu sein und zu zeigen, dass sie mir wichtig sind mir und anderen gegenüber rücksichtsvoll,

bereit für das, was ich tue, Verantwortung zu übernehmen,

sicher, dass alles gut werden wird.

ICH KANN…

mit anderen über Dinge reden, die mich ängstigen oder bekümmern,

Lösungen für die Probleme finden, die ich habe,

mich zurückhalten, wenn ich das Gefühl habe, ich mache etwas falsch oder bringe mich in Gefahr,

gut einschätzen, wann ich mit jemandem reden soll oder etwas tun muss,

dann, wenn ich es brauche, jemanden finden, der mir hilft.

Sie haben bestimmt eine Vielzahl an Schutzfaktoren, Kompetenzen und Ressourcen, die Ihnen in den nächsten Wochen helfen, die eigenen Herausforderungen zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen!

Wenn die Kitas Schritt für Schritt wieder eröffnen, brauchen wir Sie. Den Übergang von zu Hause in die Kita zu begleiten, der wird sich in einer außergewöhnlichen, noch nie dagewesenen Art und Weise vollziehen. Was brauchen die Kinder, um wieder gut anzukommen? Vor allem starke und positiv denkende Pädagoginnen und Pädagogen. #Es kommt auf mich an!

Quellen:
Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2014): Resilienz. Ernst Reinhardt: München/Basel

Mehr von Denise Samuel

Resilienz (Teil 2): Risiko- und Schutzfaktoren

Anknüpfend an den ersten Teil, möchte ich in diesem Artikel mit Ihnen gemeinsam auf die Bedeutung von Risiko- und Schutzfaktoren schauen. Zur Erinnerung: Die risikoerhöhenden Bedingungen führen zu einer Verwundbarkeit und die risikomildernden fördern und unterstützen die Resilienz des Kindes. Beide stehen selbstverständlich in Wechselwirkung und werden nicht nur durch die Arbeit der Pädagogen in den Einrichtungen beeinflusst.

In diesem Zusammenhang wird ganz allgemein zwischen Risikofaktoren unterschieden,

  • die von Geburt an die Resilienz negativ beeinflussen, wie eine Frühgeburt oder chronische Erkrankung,
  • die durch die Interaktion mit der Umwelt entscheidend werden, wie eine unsichere Bindungsorganisation,
  • und die durch Stressoren aus der psychosozialen Umwelt des Kindes bedingt sind, wie Armut oder ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern.

Auch im Bezug auf die Schutzfaktoren gibt es Unterscheidungen. Sie sind zurückzuführen auf:

  • individuelle Eigenschaften des Kindes, wie intellektuelle Fähigkeiten,
  • mikrosoziale Faktoren in der direkten Umwelt des Kindes, wie der Zusammenhalt, die Stabilität und konstruktive Kommunikation innerhalb der Familie,
  • Faktoren innerhalb des Makrosystems, wie klare, transparente und konsistente Regeln in den Bildungsinstitutionen.

Faktoren in der Kita

Da unsere element-i Einrichtungen zum Makrosystem der Kinder zählen, ist das der Ansatzpunkt unserer pädagogischen Arbeit. Es folgen einige Beispiele, wie unsere Pädagogen die Resilienz bei Kindern fördern können. Gleichzeitig möchte ich zur Reflektion unserer Arbeit anregen.

Es braucht ein wertschätzendes Klima in der Kita, gekennzeichnet durch Respekt, Wärme und Akzeptanz gegenüber dem Kind. Wichtig sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auch fürsorgliche und kompetente Erwachsene außerhalb der Familie, die Sicherheit vermitteln, Vertrauen fördern und als positive Rollenmodelle fungieren. In welchen Situationen schaffe ich das gut und wann fällt mir das schwer (z.B. durch (Körper-)Sprache, Partizipation, (Selbst- und Fremd-)Reflektion eigener Arbeit, etc.)?

Außerdem benötigt das Kind passgenaue Bildungsangebote und -impulse. Dazu braucht es einen Überblick über folgende Fragen: Welche Zone der nächsten Entwicklung liegt vor dem Kind und welches pädagogische Handeln folgt daraus (z.B. durch element-i Bögen in allen Bildungsbereichen und Reisepässe)?

Faktoren außerhalb der Kita

Darüber hinaus ist eine gute Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und anderen sozialen Institutionen förderlich. Wie gut und oft ist der Austausch mit den Eltern in meiner Einrichtung (z.B. durch Tür- und Angelgespräche, regelmäßige Gespräche zum Entwicklungsstand, Elternveranstaltungen, etc.)?

Weiterhin braucht das Kind positive Freundschaftsbeziehungen. Letztlich können durch sie Basiskompetenzen und damit Resilienzfaktoren der Kinder gefördert werden. Dazu zählen unter anderem Selbstwahrnehmung, Empathie, kreatives und kritisches Denken, Selbstwirksamkeit, Kommunikationsfähigkeit, Selbststeuerung, Soziale Kompetenz, Umgang mit Stress und Problemlösefähigkeit. Wie fördere ich diese Kompetenzen in meinem Bildungsbereich? Neben den naheliegenden Bildungsbereichen, wie Sprache und Sozialem Miteinander, zählen dazu beispielsweise auch Bewegung, Spiel und Sport in Bezug auf Körpersprache oder Konstruktion und Mechanik in Bezug auf das Unterstützen von Problemlösefähigkeit.

Bestimmt haben Sie gerade festgestellt, wieviel Sie davon im Alltag bereits umsetzen. Und doch ist Ihnen vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch eine neue Idee gekommen. Oder es ist Ihnen nun klarer, warum die element-i Bögen oder die Elterngespräche auch unter dem Blickwinkel der Resilienz so wichtig sind.

Literatur

Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2014): Resilienz. Ernst Reinhardt: München/Basel

Mehr von Denise Samuel

Soziale Entwicklung von Kindern

Jeder von uns hat sich innerhalb seiner Ausbildung oder seines Studiums mit der sozialen Entwicklung von Kindern auseinander gesetzt. Doch beim ein oder anderen ist das nun schon eine Weile her oder aus anderen Gründen nicht mehr ganz so präsent. Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Grundlagen der sozialen Entwicklung in Erinnerung rufen und die daraus resultierenden Aufgaben darstellen.

Die Forschung geht heute davon aus, dass der Mensch von Geburt an ein soziales Wesen ist und eine aktive Rolle hat. Die soziale Entwicklung kann als Aufnahme, Veränderung und Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen beschrieben werden. Aus der biologisch und psychologischen Ausrichtung auf zwischenmenschlichen Kontakt ergibt sich, dass Kinder soziale und emotionale Wesen sind: Kinder haben eine menschliche Stimm- und Gesichtspräferenz und keinerlei passive Haltung bei der Beziehungsgestaltung. Es ist beispielsweise beobachtbar, dass Kinder sich Stimmen und Gesichter von Menschen bevorzugt zuwenden und durch Strampeln Aufmerksamkeit erregen.

Die Wichtigkeit der Peer-Beziehungen

Die Entwicklung verläuft, wie in den anderen Bereichen auch, mit individuellen Unterschieden. Dabei werden intra- und interindividuelle Unterschiede sichtbar: also einerseits innerhalb der Stabilität des Individuums und auf der anderen Seite die Niveauunterschiede zu Gleichaltrigen. Entscheidend für die soziale Entwicklung sind verschiedene soziale Beziehungen. Sowohl die Eltern-Kind-Beziehung und die daraus resultierende Bindungsqualität, aber auch die Geschwisterbeziehung oder Beziehung zu Gleichaltrigen tragen zur sozialen Entwicklung bei. Im Folgenden sehen wir uns letztere noch einmal genauer an. Durch den Kontakt mit Gleichaltrigen wird ein eigenständiges soziales System hergestellt, welches einzigartige soziale Lernerfahrungen bietet. Dabei sind Kooperationen, Gleichberechtigung und Symmetrie kennzeichnend für die Beziehung zwischen Gleichaltrigen. Auch die Peer-Beziehungen, wie die Beziehungen zu Gleichaltrigen mit ähnlichem Entwicklungsstand auch genannt werden, haben eine große Bedeutung für die kindliche Entwicklung und geben entscheidende Entwicklungsimpulse. Diese sind unter anderem eine bestimmte Kommunikationsstruktur, Aushandlungsprozesse, aber auch eine Überwindung des kindlichen Egozentrismus.

Freundschaften nach Selman unter Kindern

Enge positive Beziehungen, die auf Gegenseitigkeit angewiesen sind, sind Freundschaften. Ab sechs bis acht Monaten wird die Aufmerksamkeit der Kinder verstärkt auf Gleichaltrige gerichtet. Da die Begegnungen mit jenen aber nicht von Regeln bestimmt sind, sind diese Momente lediglich von kurzer Dauer. Das kooperative oder soziale Spiel beginnt ab einem Alter von ungefähr drei Jahren. Freundschaften entstehen nach Selman in fünf Stufen. Zunächst ist sie eine augenblicksbezogene Interaktion (Stufe 1), dann eine einseitige Hilfeleistung (Stufe 2), gefolgt von einer Schönwetterkooperation (Stufe 3). Anschließend gilt die Freundschaft als eine intime, gegenseitig gestützte Beziehung (Stufe 4) und zum Schluss als autonome Interdependenz (Stufe 5). Bei kleinen Kindern fehlt dabei oft noch das Kriterium der Stabilität und somit erreichen Kinder im Kindergartenalter höchstens Stufe zwei.

Soziale Entwicklung ist darüber hinaus sehr eng mit anderen Entwicklungsbereichen verbunden. Dazu zählt die emotionale Entwicklung, die Sprachentwicklung, die Identitätsentwicklung bzw. Entwicklung des Selbstkonzepts, die moralische Entwicklung und auch die kognitive Entwicklung.

Die Aufgabe des pädagogischen Fachpersonals ist in Bezug auf die soziale Entwicklung die individuelle Begleitung und Bewältigung wichtiger Entwicklungsaufgaben, wie

  • Kontakte mit Gleichaltrigen zu knüpfen und auszugestalten,
  • Konflikte zu bewältigen,
  • ein Bild von sich selbst und der Welt zu haben,
  • seinen Platz in der Gruppe zu finden,
  • Trennung von Eltern auszuhalten,
  • mit Emotionen umzugehen,
  • Kompetenzen zu erweitern,
  • den Handlungsraum zu vergrößern.

Des Weiteren ist die Erzieher*innen-Kind-Bindung entscheidend für die soziale Entwicklung des Kindes. Diese zeichnet sich durch Vorbildfunktion und Rollenmodell aus, durch die sichere Vertrauensbasis, Zuwendung und Sicherheit, Stressreduktion, Explorationsunterstützung, Assistenz und Prozessqualität.

Literatur:
Frank, Angela (2013): Kinder in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung fördern. In: Kindergarten heute. Wissen kompakt. Herder: Freiburg

Mehr von Denise Samuel

Körperkontakt zu Kindern – um wessen Bedürfnis geht es hier überhaupt?

Diese Woche möchten wir, als Kinderschutzbeauftragte und Ansprechpartnerinnen für Gewaltprävention, Ihnen ein paar Fragen mit auf den Weg geben. Es geht um das ganz basale Bedürfnis von Kindern nach Körperkontakt. Kinder brauchen Körperkontakt, um sich sicher und geborgen zu fühlen – gerade in Momenten des Schmerzes. Auch für eine gesunde Entwicklung ist Kuscheln, zum Beispiel für den Aufbau eines intakten Immunsystems, unabdingbar.

Manches Mal brauchen aber auch wir Erwachsene tröstliche Gesten, doch im professionellen Kontext sollten wir immer wieder hinterfragen, was angemessen ist und was nicht. Für Ihre professionelle Rolle haben wir Ihnen folgende Reflexionsfragen zusammengestellt:

Wann und warum brauchen Kinder Körperkontakt?

Wenn ich ein Kind mit mir herumtrage, beim Spielen über den Kopf streiche oder auf dem Schoß habe, stelle ich mir dann auch mal die Frage: Wessen Bedürfnis ist das denn gerade? Meines oder das des Kindes?

Häufig ist spontaner Körperkontakt unreflektiert, geschieht fast schon aus einem Reflex. Allerdings sollten wir uns genau in diesen Sequenzen weitere Fragen stellen wie:
Was möchte ich dem Kind in diesem Moment vermitteln? Wie ginge es mir dabei, wenn mir jemand im Vorbeigehen über das Haar streicht? Welche alternativen Handlungen könnten dem Kind ein ähnliches oder gar gleiches Signal vermitteln?

Machen Sie sich Notizen, welche Beispiele Ihnen aus den vergangenen Wochen zu Ihrem eigenen Verhalten einfallen und wie Sie es schaffen, zukünftig bewusster mit dem Thema umzugehen.
Wenn Ihnen auch Verhaltensweisen bei Ihren Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht in der Vergangenheit sehr unbewusst mit Berührungen umgegangen sind, auffallen, möchten wir Sie hiermit ermutigen, ein Feedback zu geben.

Kinderrechte bei element-i

Mehr von Franziska Pranghofer & Denise Samuel

Resilienz (Teil 1): Definition und Merkmale

Die Resilienz – sie ist eines unserer fünf Leitziele und ihre Förderung ist unsere grundlegende präventive Aufgabe. Um sich einmal im Detail damit zu beschäftigen, werde ich zunächst die Wurzeln des Konzepts der Resilienz beleuchten und anschließend die Bedeutung in den Blick nehmen. Zum Schluss möchte ich auf die Bedeutung der Umsetzung im pädagogischen Handeln eingehen.

Die Entstehung des Konzeptes der Resilienz

Sowohl in der Psychologie, den Gesundheitswissenschaften als auch in der Pädagogik geht es seit den 1990er Jahren nicht mehr nur darum, Ursachen und Bedingungen für Störungen und Verhaltensauffälligkeiten zu betrachten, sondern neben den Risiko-, auch die Schutzfaktoren in den Blick zu nehmen, die für die Entwicklung und den Erhalt seelischer und körperlicher Gesundheit entscheidend sind. Durch diesen Blickrichtungswechsel der Wissenschaft entstand auch das Konzept der Resilienz. Angestoßen wurde er durch die Langzeitstudien von Emmy Werner auf der Hawaii-Insel Kauai und durch das Salutogenese-Konzept von Aaron Antonovsky. Deshalb hier eine ganz kurze Erläuterung zu beiden:

Salutogenese-Konzept von Antonovsky: Er hat den Fokus auf die Ressourcen und Schutzfaktoren zur Erhaltung der Gesundheit gelegt und sich die Frage gestellt: Was hilft Menschen bei einer erfolgreichen Bewältigung von Herausforderungen oder Krisen? Als personelle Ressource bei der Resilienzforschung wird der durch ihn geprägte Begriff der Kohärenz (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit) verstanden.

Kauai-Studie von Emmy Werner: Sie gilt als die Pionierin der Resilienzforschung und hat in ihrer Studie über 40 Jahre einen ganzen Geburtsjahrgang begleitet, zu bestimmten Erhebungszeitpunkten Interviews geführt und andere Daten zur Lebens- und Gesundheitssituation der Proband*innen gesammelt. Dabei stellte Werner fest, dass sich ein Drittel der beobachteten Menschen trotz hoher Risikobelastung positiv entwickelte und im Alter von 40 Jahren einem geregelten Beruf nachging, eine Familie gegründet und ein zufriedenes Leben führte. Sie konnte in diesem Zusammenhang protektive Faktoren identifizieren, die dazu führten, dass sich die Menschen trotz der schwierigen Bedingungen positiv entwickelten.
Danach folgten einige weitere Studien zur Resilienz, die aber an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden. Für uns ist jedoch entscheidend, wie Resilienz verstanden wird und was sie genau bedeutet.

Das Verständnis von Resilienz bei element-i

In unserer element-i Konzeption steht Resilienz folgendermaßen erklärt: „Unter Resilienz verstehen wir die psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber Entwicklungsrisiken. Diese Widerstandsfähigkeit ermöglicht es ihnen, sich an akut oder chronisch belastenden Lebenssituationen effektiv anzupassen. Diese Basiskompetenz verbessert die Möglichkeiten der Kinder, die auf sie zukommende Veränderungen und Krisen erfolgreich zu bewältigen. Sie können sich somit zu selbstsicheren, gesunden und kompetenten Persönlichkeiten entwickeln.“ (Seite 8)

Die Grundlagen für die Fähigkeit zur Resilienz werden bereits in der Kindheit gelegt und sie entwickelt sich dann über die gesamte Lebenszeit. Für die Arbeit mit den Kindern heißt das, dass eine element-i Pädagog*in sich in diesem kompetenz- bzw. ressourcenorientierten Ansatz immer danach fragt, was Kinder in sich selbst stärkt und wie sie ihre individuellen Fähigkeiten für einen zeitlebens andauernden dynamischen Anpassungs- und Entwicklungsprozess hinsichtlich ihrer Lebenssituation fördern können.

Fortsetzung folgt

Im nächsten Teil möchte ich mit Ihnen weiter an dem Thema bleiben und die Risiko- und Schutzfaktoren in den Blick nehmen. Welche konkreten wissenschaftlich belegten Merkmale hemmen oder gefährden die Entwicklung der Kinder und welche erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung? Wie kann ich also Resilienz fördern und damit (Gewalt)präventiv wirken?

Literatur:
Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2014): Resilienz. Ernst Reinhardt: München, Basel
Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis (2018): element-i – Pädagogische Konzeption der element-i-Kinderhäuser. Stuttgart

Mehr von Denise Samuel