Die Natur als Freiraum

Im Sinne des Naturraumes und der Naturraumpädagogik widmen sich Gedanken aus Wissenschaft und Praxis der gelungenen Gestaltung von Außenbereichen in Kindertagesstätten. Es werden Sicherheitsrisiken abgewogen, die altersentsprechenden Kompetenzen der Kinder einbezogen, Bildungsbereiche verortet und bedürfnis- und interessensorientiert Spielmaterialien ausgewählt. Jeder dieser Aspekte ist richtig und wichtig. – Nicht allzu selten wird dabei aber der plausibelste Ansatz in den Hintergrund gestellt.

Das bekannte Kinderbuch „Frederick“ von Leo Lionni zeigt uns eine wahrhaftig schöne und achtsame Haltung im Sein mit der Natur. Hier können wir Erwachsene uns viel von den Mäusen aus der Geschichte oder auch aus der Beobachtung von Kindern abschauen.

Die fleißige Mäusefamilie bereitet den Sommer über die kalte Winterzeit vor: sammelt Körner, Heu und Nüsse. Frederick scheint derweil zu faulenzen. Doch auch er sammelt fleißig: Farben, Sonnenstrahlen und Worte. Der Mehrwert seines Sammelns für sich und die Mäusefamilie wird jedoch erst viel später bemerkbar, als Fredericks Worte und Bilder Trost und Freude spenden, während draußen der Schnee fällt und die Vorräte langsam zur Neige gehen.

Von Natur aus

Kinder brauchen Naturerfahrungen – im übertragenen Sinne brauchen sie die Möglichkeit zu „sammeln“. Die wohl angeborene Vorliebe der Kinder für Natur und die sich daraus ergebenden ästhetischen Präferenzen dienen dabei als Fundament (vgl. Haug-Schnabel/Bensel 2017, S. 164). Kinder bringen alles mit, was sie für die Auseinandersetzung mit der Natur brauchen: Neugier, Interesse und Lust am Entdecken und Ausprobieren. Vor allem in den jüngeren Jahren findet eine verstärkte Wahrnehmung über die Sinne statt. Das damit einhergehende Erfahren beschreibt Situationen, welche wir als Bildungssituationen charakterisieren. Kinder, die viel draußen sind, sich und die Welt in einer komplexen und wenig strukturierten Umwelt ausprobieren können, sind gesünder und weniger verletzungsanfällig (vgl. Renz-Polster/Hüther 2016, S. 164f.). Durch eigene Abenteuer gewinnen die Kinder gleichzeitig Sicherheit im Umgang mit sich selbst und der Natur und wachsen mit jedem Erlebnis über sich hinaus.

Jedes Kind findet seinen eigenen Zugang zu natürlichen Umgebungen und zeigt auf seine Art Faszination für Formen, Farben, sensorische Wahrnehmungen, Abhängig- und Regelmäßigkeiten. Die Natur oder auch der Garten bieten hier unzählige altersunspezifische Angebote. Spannend dabei ist, dass die Institutionalisierung von Erfahrungswelten der Kinder ausgehebelt scheint. Unabhängig vom Alter, der Herkunft, dem Entwicklungsstand und der aktuellen Situation des jeweiligen Kindes wird Bildung angeregt. Am besten ganz ohne unser vorbeugendes Zutun.

So förderlich pädagogisch geplante und vorbereitete Aktivitäten auch sein mögen, es bedarf einer individuellen und fokussierten Auseinandersetzung in der Natur. Der hierbei entstehende Erfahrungswert für jedes Kind zeigt sich als Mehrwert in der weiteren Entwicklung, wie oben beschrieben.

Wird eine Kindergruppe betrachtet, welche sich in einem Naturraum aufhält, so kann beobachtet werden, dass jedes Kind einen eigenen und für sich passenden Zugang findet. Die Natur schenkt pädagogischen Fachkräften ohne weitere Anstrengung eine exklusive Erfahrungswelt für jedes einzelne Kind. Unabhängig von der sensiblen Phase, in welcher sich ein Kind befindet, oder von den inhaltlichen Themen, die es bewegt, bietet die Natur viele Ansatzpunkte: das Erkennen von Geräuschen und Temperaturen, das Wahrnehmen von eigenen Empfindungen und Emotionen, das Ausprobieren der Sprache, das Erfahren von Mengen und Größenverhältnissen – alle Aspekte lassen sich dem jeweiligen Entwicklungsniveau entsprechend aus- und erleben. Impulse der Kinder können von der Kindergruppe oder begleitenden Mitarbeitenden spielerisch und authentisch aufgegriffen werden. Die Faszination und Freude der gemeinsamen Auseinandersetzung eröffnet weite Erfahrungswelten.

Frederick zeigt uns (s)einen Zugang zur Natur und verdeutlicht damit eine Möglichkeit, wie Kinder ohne „Zutun“ fleißig Fragen stellen.

„Wer streut die Schneeflocken? Wer schmilzt das Eis?
Wer macht lautes Wetter? Wer macht es leis?
Wer bringt den Glücksklee im Juni heran?
Wer verdunkelt den Tag? Wer zündet die Mondlampe an? (…)“ (Lionni 2003)

Die Natur als solches und der dahinterstehende Kreislauf von Tages- und Jahreszeiten, Wachstum und Rückgang beschert jeder Kindertageseinrichtung ein großes Geschenk, welches es anzunehmen gilt. Kinder brauchen Zeit – Zeit wahrzunehmen, Zeit auszuprobieren und Zeit, um Fragen zu stellen und Zeit für die gemeinsame Auseinandersetzung mit der Natur und all ihren großen und kleinen Wundern.

Literatur:

Haug-Schnabel, Gabriele; Bensel, Joachim (2017): Grundlagen der Entwicklungspsychologie. Die ersten 10 Lebensjahre. 17. Auflage. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.

Lionni, Leo (2003): Frederick. Weinheim: Beltz.

Renz-Polster, Herbert; Hüther, Gerald (2016): Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. 4. Auflage. Weinheim: Beltz.

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Wie der Stammgruppenprozess das kindliche Streben nach Autonomie unterstützt

Die Stammgruppe in den element-i Kinderhäusern wird für die Kinder gebildet, deren Interesse über den angebotenen Rahmen des Nests hinausgeht. Im ersten Lebensjahr des Kindes steht die Beantwortung des Bindungsbedürfnis des Säuglings im Vordergrund – der Autonomieanspruch des Kindes ist hier gering. Das Kind ist auf zuverlässige Bindungspersonen wie seine Eltern und/ oder außerfamiliäre Betreuungspersonen angewiesen und benötigt viel Unterstützung bei der Erfüllung primärer Grundbedürfnisse, wie Essen, Schlafen oder Nähe. Werden die Kinder älter, verändern sich auch die Anforderungen an die Lebenswelt Kita. Je älter ein Kind wird, desto mehr geht es um das Zutrauen von Entwicklungsschritten sowie die Annahme und Regulierung des kindlichen Autonomiebedürfnis. Etwa zwischen 1,5 und 2,5 Jahren entsteht bei den Kindern der Drang, die Welt um sich herum entdecken zu wollen. In dieser Altersspanne wachsen nahezu alle Kinder in den element-i Einrichtungen vom Nestbereich in die Stammgruppe und von dort flexibel in den offenen Kitabereich. Ein nach Autonomie (Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit, Selbstständigkeit) strebendes Kleinkind kann eine Herausforderung sein. Umso bedeutsamer ist es, sich immer wieder in die kindliche Perspektive hineinzuversetzen, um das eigene pädagogische Handeln an die jeweilige Entwicklungsphase anpassen und Verständnis für das kindliche Verhalten entwickeln zu können. Um den Stammgruppenprozess bestmöglich umsetzen zu können, ist das Wissen um die kindlichen Bedürfnisse während der Autonomiephase unabdingbar.

Autonomiephase in der kindlichen Entwicklung

„Bindung stärkt die kindliche Autonomie: der Gedanke, dass man ein kleines Kind durch Nähe und Geborgenheit verwöhnen könnte und dessen Unselbstständigkeit befördere, ist grundsätzlich falsch“ (Bongertz/ Retz 2021, S. 47).

Die Autonomiephase beginnt mit ungefähr 18 Monaten. Das kleine Kind erkennt sich erstmals selbst im Spiegel. Diese Selbsterkenntnis kann als Ausgangspunkt für das menschliche Streben nach Autonomie angesehen werden. Kinder entwickeln zunehmend einen eigenen Willen, äußern Wünsche und Vorstellungen. Das Streben nach Autonomie endet niemals und somit gibt es auch keine Altersspanne, die das Ende dieser Entwicklungsphase markiert. Ab dem Vor- und Grundschulalter reift das kindliche Gehirn schubweise und viele Kinder werden ab diesem Alter „vernünftiger“ und können mögliche Folgen ihres Verhaltens besser abschätzen. Zudem haben ältere Kinder Erfahrungen gesammelt, die das eigene Kompetenzerleben bestärkt haben, während ein Kind zwischen 1 bis 3 Jahren noch häufig die frustrierende Erfahrung macht „ich will das unbedingt allein schaffen, aber es gelingt mir einfach nicht“ (vgl. Bongertz/ Retz 2021).

Die Bedeutung der Autonomiephase für das pädagogische Handeln

Häufig geht die Autonomiephase mit intensiven und wechselhaften Gefühlen des Kindes einher. Dies ist nachvollziehbar, da vieles zum ersten Mal erlebt wird und auch die damit verbundenen Reize sehr intensiv sind. So hat beispielsweise ein zweijähriges Kind einen hohen Autonomieanspruch und ist gleichzeitig auf liebevolle und zuverlässige Bezugs- und Bindungspersonen angewiesen, die bereit dazu sind, regulierend und unterstützend die Gefühlsstürme auszuhalten und zu begleiten. Viele Kleinkinder neigen zu Wutausbrüchen. Einerseits entstehen diese, weil das Kind auf verbaler Ebene noch nicht so gut ausdrücken kann, was es möchte oder wie es ihm gerade geht. Das vermeintliche kindliche „Trotzen“ lässt sich vor allem auf die kindliche Gehirnentwicklung zurückführen. Um unsere Emotionen regulieren zu können, benötigen wir Menschen den präfrontalen Kortex. Das ist das kognitive Gehirn (Neokortex) und vor allem der Bereich, der im Stirnbereich oberhalb der Augenhöhle angesiedelt ist. Mit diesem können wir unter anderem aggressive Impulse beherrschen. Ausgerechnet dieser Bereich ist bei Babys und Kleinkindern rudimentär entwickelt und muss erst durch Übungen und wiederholte Erlebnisse zum Funktionieren gebracht werden. Bei einem für das Kleinkind erlebten Stresserlebnis, wie ein unangekündigter Spielabbruch oder ein ausgesprochenes Verbot durch einen Erwachsenen, übernimmt das emotionale Gehirn die Kontrolle und lässt daher das Kind instinktiv und impulsartig reagieren. Es wirft sich z.B. auf den Boden, schreit, spuckt, haut – ist emotional völlig außer sich zu sein. Somit trotzt das Kind in solchen Situationen nicht, sondern reagiert auf das Stresserlebnis aufgrund seines kognitiven Entwicklungsstandes altersentsprechend. Zwischen einem und vier Jahren benötigen Kinder die zuverlässige Unterstützung von außen. Autonomie und Bindung hängen zusammen: Nur durch Maßnahmen wie die empathische Fremdregulation durch Bindungspersonen kann Eigenregulation entstehen und sich zunehmend entwickeln (vgl. Graf / Seide 2021, S. 20ff.).

Autonomie im Kinderhaus fördern – aber wie?

Durch das individuelle Anerkennen des kindlichen Wunsches nach Autonomie kann das Kind wachsen und bleibt nicht abhängig und unselbstständig. Prozesse, wie das Rauswachsen aus dem Nestbereich in die Stammgruppe, müssen in einem ersten Schritt das kindliche Bedürfnis nach Verbundenheit in Form von verlässlichen Beziehungen und einem klar strukturierten, verstehbaren und wertvollen Alltag erfüllen, wie es auch die konzeptionelle Beschreibung der Leitlinie (verbundene) Autonomie vorsieht (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 7). Mit dem Wissen um die Entwicklungsphasen, in denen sich die Kinder befinden, sollten die Bedürfnisse nach Autonomie und Verbundenheit für die Ausgestaltung der Stammgruppe gleichermaßen im Fokus stehen.

Im Nest erhalten die Kinder durch ihren fest zugeordneten Raum und die verantwortlichen Bezugspersonen einen stabilen, gleichbleibenden Rahmen. Haben die Kinder die Sicherheit gefunden, die sie brauchen, werden bereits im Nest entsprechende und raumerweiternde Impulse angeboten. Häufig bildet sich aus mehreren Kindern des Nestbereichs eine “neue” Stammgruppe, oder sie ergänzen eine bereits bestehende Stammgruppe. Dabei kann entweder eine vertraute Betreuungsperson aus dem Nestbereich die Hauptverantwortung für die Stammgruppe übernehmen, indem sie gemeinsam mit den Kindern rauswächst, oder eine Betreuungsperson aus dem offenen Kitabereich.

Dem Nest entwachsen

Um autonom explorieren zu können, benötigt es diese sichere Basis für die Kinder. Entscheidend dabei sollte sein, ob ein Kind, individuell betrachtet, zufrieden und glücklich wirkt. Der Explorationsradius und Mut des Kindes werden dabei vom Temperament beeinflusst. So wird es Kinder geben, die für sich zufrieden im Sand spielen. Ein extrovertiertes Kind hingegen ist gerne mit anderen zusammen, blüht durch diese soziale Interaktion auf und stürmt bspw. mit anderen zur Rutsche. Wie eng die Stammgruppe im Kitaaltag begleitet werden sollte, hängt also stets von den Kindern ab. Einzelne Kinder brauchen eine kürzere Orientierungsphase in der Stammgruppe und können und wollen sich nach wenigen Wochen frei im Kinderhaus und nach ihren Interessen bewegen. Andere Kinder brauchen einen für sie überschaubaren und Sicherheit gebenden Kitaalltag über mehrere Monate hinweg, um sich sicher und selbständig im Kitaaltag zu fühlen. So ist zentrale Aufgabe der Betreuungspersonen, das einzelne Kind intensiv zu beobachten und aufgrund der Verhaltensweisen und Signale des Kindes individuell zu entscheiden, welcher Rahmen der geeignete ist. Um Beziehungen und Erfahrungen über die Stammgruppe hinaus aufbauen und sammeln zu können, empfiehlt es sich, dass einzelne Kinder allein an einer Intensivphase in einem Raum oder mit einer Pädagog*in ihrer Wahl teilnehmen können und sich so zunehmend als selbstwirksam erfahren.

Weitere Entwicklungsschritte ermöglichen

Wichtig ist, dass die Kinder der Stammgruppe von Beginn an die Möglichkeit haben, alle Funktionsbereiche der Kita flexibel und autonom zu erkunden und nicht als starre und feste Gruppe definiert werden. Um Kindern autonome Erfahrungen und Teilhabe zu ermöglichen, sollten sie daher selbstständig und individuell entscheiden dürfen, wie und wann sie sich flexibel aus der Stammgruppe herauslösen. Die Kinder wollen oft „allein“ die Welt erobern, brauchen aber in bestimmten Situationen die liebevolle und verlässliche Begleitung von Bezugspersonen. Die verbalen und nonverbalen Signale des Kindes sind durch die Betreuungspersonen stets zu beobachten, um das pädagogische Handeln responsiv danach ausrichten zu können. Unerlässlich dafür ist, dass alle Betreuungspersonen im Kinderhaus über den Stammgruppenprozess informiert sind und die Erwachsenen die Verantwortung für den Beziehungs- und Bindungsaufbau zu den Kindern übernehmen, so dass diese flexibel und frei aus der Stammgruppe in den offenen Bereich hineinwachsen können.

Nutzen Sie hierfür regelmäßig Settings wie Teamsitzungen, die Bildungsmatrix, Kindbesprechungen, um einen ganzheitlichen Blick auf ein Kind zu bekommen und das ganze Team über die Entwicklungsschritte der jeweiligen Kinder zu informieren. In Bezug auf die Entwicklungsthemen der jüngeren Kinder in der Einrichtung ist es hilfreich, Raumgestaltung, Materialauswahl und Impulsthemen aus kindlicher Perspektive zu bewerten und mit Blick auf das kindliche Bedürfnis nach Autonomie entsprechend anzupassen – besonders wenn für die Stammgruppenkinder bisher wenige Möglichkeiten zur Teilhabe vorhanden gewesen ist.

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Literatur
Bongertz, Christiane; Retz, Eliane (2021): Wild Child. Entwicklung verstehen, Kleinkinder gelassen erziehen, Konflikte lösen. München: Piper
Graf, Danielle; Seide, Katja (2021): Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Der entspannte Weg durch die Trotzphase. Weinheim: Beltz
Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart.

 

Jede:r ist irgendwie anders – Vielfalt leben: Eine inklusive Umgebung für Kinder fördern

„Vielfalt leben“ ist ein Grundsatz der pädagogischen Arbeit und Teil der element-i Organisationskultur. In den Teams der element-i Einrichtungen arbeiten Menschen zusammen, die durch unterschiedliche Erfahrungen und Lebensrealitäten geprägt sind, sowie in der täglichen Interaktion mit den Kindern ihre individuellen Stärken und Kompetenzen sichtbar werden lassen.

Vielfalt heißt auch Multiprofessionalität

All diese Menschen sind unterschiedlich ausgebildet und arbeiten bei element-i in gemeinsam in multiprofessionellen Teams. Es gibt staatlich anerkannte Erzieher:innen, Diplom-Pädagog:innen, ausländische Fachkräfte (mit im Ausland erworbenen frühpädagogischen Qualifikationen), Quereinsteiger:innen mit künstlerischem, handwerklich-technischem oder geistes- und naturwissenschaftlichem Background, Köche und Köchinnen, Azubis sowie Schulpraktikant:innen und viele mehr. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung, macht die Arbeit mit den Kindern so wertvoll und die Zusammenarbeit spannend, aufregend und lebenswert.

Was die Kolleg:innen in den Einrichtungen auf der anderen Seite verbindet, sind Motivation und die Bereitschaft, empathische und feinfühlige Beziehungen mit den Kindern einzugehen. Um an den konkreten Lebensrealitäten der Familien bestmöglich ansetzen zu können, ist für element-i eine hohe Sozialraumorientierung in den Einrichtungen ein wichtiger Anspruch. Die Erzieher:innen unterstützen die Kinder bei der Eroberung ihrer Nahräume durch sinnvolle Kooperationen im Stadtteil/Quartier und durch alltägliche Dinge, wie Einkaufen gehen, die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder das Besuchen von nahegelegenen Spielplätzen. Das bedeutet: Die Kinder werden dabei unterstützt, ihre Welt zu erkunden, indem sie aufmerksam und vorurteilsfrei soziale, natürliche und kulturelle Bezüge aufgezeigt bekommen. Die element-i Kinderhäuser sind ein familienergänzender Teil der Lebenswelt der Kinder. So berücksichtigen die Erzieher:innen im pädagogischen Handeln die individuelle Familiensituation. Denn wie jedes einzelne Kind sich in der Lebenswelt Kita/Schule verhält, hängt maßgeblich von den individuellen Erfahrungen ab, die es in seiner Familie sammelt.

Was bedeutet Inklusion in der Kita?

Alle Kinder werden in den element-i Kinderhäusern gemeinsam betreut und erfahren in ihrer Vielfalt Akzeptanz und Wertschätzung. Die Fachkräfte üben und lernen mit den Kindern, sich gegenseitig zu achten. Wichtig sind Barrierefreiheit und der Abbau nicht-baulicher, sprachlicher, kultureller, vorurteilsbezogener und sozialer Hindernisse.

(Selbst-)Reflektion als entscheidender Faktor

Damit so viele unterschiedliche Menschen gut miteinander arbeiten können, gilt es, dass jede:r Einzelne sich immer wieder in der eigenen Haltung, im eigenen Handeln selbstkritisch reflektiert und alle Beteiligten sich gegenseitig respektvoll unterstützen. Dafür ist jedes einzelne Teammitglied gefordert: Wenn völlig unterschiedliche Perspektiven und Lebenserfahrungen zusammentreffen, braucht es Toleranz, Akzeptanz und Einfühlungsvermögen. So laufen in Spanien Arbeitsprozesse möglicherweise anders ab als in Deutschland. Ein 55-Jähriger wird anders an Aufgaben herangehen als eine 25-Jährige.

Die enge Zusammenarbeit im Kinderhaus berührt immer verschiedene Aspekte der Lebensrealitäten jedes Einzelnen. Die Teams sind ein Spiegel der Gesellschaft. So lernen die Kinder tagtäglich von Anfang an, mit unterschiedlichen Charakteren und Arbeitsweisen umzugehen. Sie lernen, Vielfalt zu leben.

„Vielfalt leben“ bietet allen die Chance, Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten kennen und schätzen zu lernen. „Vielfalt leben“ fordert auf, Konflikte und Bedürfnisse anzusprechen und konstruktiv an ihrer Bearbeitung mitzuwirken. „Vielfalt leben“ bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für eine chancen- und bildungsgerechte Gesellschaft von morgen.

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Vielfalt leben: Rassismuskritische Erziehung und Bildung von Anfang an

„Du kannst nicht mit uns spielen. Deine Haut sieht aus wie Kacka! So sieht Elsa nicht aus, geh weg.“ Greta (4 Jahre) bleibt enttäuscht und traurig im Türrahmen des Rollenspielzimmers stehen. Sie hätte so gerne mit Tim (5) und Lea (4) gespielt. Wieso kann sie nicht aussehen wie ihre Freunde oder Elsa? Eine Pädagogin hat die Situation beobachtet und wendet sich hilflos ab. Greta weint schließlich nicht, und die zwei anderen Kinder haben es ja sicher nicht so gemeint. Kinder sind doch nicht rassistisch, oder?

Es ist ein Zeichen normaler und gesunder Entwicklung, dass Kinder Unterschiede zwischen Menschen wahrnehmen und diese benennen. Durch die kindliche Unvoreingenommenheit, Themen direkt und unverfälscht anzusprechen, entstehen für die pädagogischen Fachkräfte vielfältige Möglichkeiten im Alltag, über ungewohnte Sachverhalte mit Kindern zu sprechen und sich darüber einem Themenfeld intensiv widmen zu können. Doch wie geht eine Pädagog*in mit kindlichen Aussagen um, die – wie im Beispiel – verdeutlichen, dass bereits Kinder mit Rassismus konfrontiert werden oder diesen reproduzieren? Wie lässt sich ein Anfang finden, um in solch einer Situation handlungsfähig zu bleiben und vor allem sich aktiv für die ausgegrenzten Kinder einsetzen zu können?

Hier sehe ich zwei zentrale Schwerpunkte:

1. Wenn man mit Kindern über Rassismuserfahrungen sprechen möchte, muss man im ersten Schritt wissen, was Rassismus ist. Ob und wie Rassismus wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, ob man selbst davon betroffen ist oder ob man sich Fachwissen darüber angeeignet hat.
2. Die natürliche und selbstverständliche Darstellung von Diversität als normalen Bestandteil des Alltags zu integrieren.

1. Was ist Rassismus?

Der vor allem durch die Rassenlehre legitimierte Kolonialismus hat dazu beigetragen, dass heute das Geburtsland eines Menschen und seine Hautfarbe maßgeblich entscheiden, welche Chancen dieser im Leben erhält (vgl. El-Mafaalani 2021, S. 37). Das lehrt uns die Geschichte des Rassismus. Ausschließlich weiße Wissenschaftler teilten im 18. und 19. Jahrhundert die Menschen nach Kriterien wie Hautfarbe, Schädelform und Haarfarbe in „Rassen“ ein und verknüpften diese mit negativen bzw. positiven Eigenschaften. Dieses Konstrukt setzte die Weißen an die Spitze der Menschheit und wertete andere ab (vgl. Apraku 2021, S. 14).

Aus heutiger Sicht ist die Erfindung der sogenannten „Rassen“ als machtpolitisches Instrument wissenschaftlich klar belegt. Dennoch ist die Rassifizierung von Menschen ein fortwährendes Konstrukt, das vor allem in Nordamerika, aber auch in Deutschland eine Grundlage für Diskriminierung und Ausgrenzung darstellt. In Deutschland erfahren Menschen zudem Rassismus aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Religion, ihrer Abstammung bzw. geografischen Herkunft und weiterer wahrnehmbarer Differenzen, wie etwa einem sprachlichen Akzent (vgl. El-Mafalaani 2021, S. 19).

Besonders wirksam ist Rassismus auf diesen drei Ebenen (siehe die Begriffserklärungen dazu im Kasten):

• Individuelle Ebene: rassistische Witze, die BIPoC erfahren, aber auch entgegengebrachte Antipathien oder gewalttätige Übergriffe
• Institutionelle Ebene: Regeln, Gesetzgebungen, die für BIPoC eine Benachteiligung zur Folge haben
• Strukturelle Ebene: ungleicher Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, zu Bildung oder zur Gesundheitsversorgung

Ob und wie wir Rassismus wahrnehmen, hängt also davon ab, ob er uns Vor- bzw. Nachteile verschafft.

Wichtige Fragen, um den persönlichen Umgang mit Unterschieden zu erkennen, wären beispielsweise:

• Wie bewerte ich Hautfarben?
• Welche Begrifflichkeiten kenne ich und darf ich verwenden?
• Wie gehe ich mit Rassismus im Allgemeinen um?
• Welche Position vertrete ich? Bin ich selbst von Rassismus betroffen?
• Bin ich bereit für die Perspektiven derer, die von Rassismus betroffen sind und meine bisherigen Ansichten in Frage zu stellen?

Sich einzugestehen, dass man selbst (meistens ungewollt) Rassismus reproduziert oder diesen gar nicht erst bemerkt hat (beispielsweise in Kinderbüchern oder Kinderliedern), ist eine wichtige Erkenntnis und kann der Ausgangspunkt für Lernprozesse sein. Der persönliche Umgang mit Rassismus lässt sich verändern und kann zu einer Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders führen: „Viele Menschen hören bei Rassismus nur Verbote, aber eigentlich geht es um die große Chance, diese Welt gemeinsam besser zu machen“ (Tupoka Ogette 2022).

2. Wie erleben Kinder die Gestaltung von Diversität im Kinderhaus?

Bis zum dritten Geburtstag haben Kinder ein Bewusstsein davon, dass sich Menschen in ihrer Hautfarbe unterscheiden. Bereits in diesem Alter verknüpfen weiße Kinder und auch BIPoC-Kinder die weiße Hautfarbe vorrangig mit positiven Eigenschaften (vgl. Wagner 2017, S. 89). Fakt ist auch, dass Braune/ Schwarze (sic!) Kinder bereits ab dem frühkindlichen Alter erste Rassismuserfahrungen machen.

Wie reagieren die Erwachsenen auf die vom Kind benannten Unterschiede und auf die damit verbundenen Zuschreibungen? Ein erster grundlegender Aspekt, wie Kinder rassistisches Denken und Handeln lernen, ist das Verhalten der erwachsenen Bezugspersonen, der Eltern und anderer Betreuungspersonen. Durch sie erfahren und lernen Kinder, welche äußeren Merkmale in unserer Gesellschaft anerkannt und privilegiert sind. Wie im ersten Teil bereits beschrieben, ist es daher umso wichtiger, die verinnerlichten Vorurteile zu identifizieren und die eigene Haltung dazu zu überprüfen und ggf. zu verändern. Ganz zentral ist dabei die Verwendung einer diskriminierungssensiblen Sprache, um nicht unwissentlich Rassismus zu reproduzieren (siehe hierzu den Lesetipp im Kasten) und um aktiv auf Ungerechtigkeiten hinweisen und dazu Stellung beziehen zu können.

Zwischen 4 bis 6 Jahren entwickeln Kinder einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. In dieser Entwicklungsphase sollten rassistische Ungerechtigkeiten nicht übergangen, sondern benannt werden. Zu den Äußerungen des Kindes aus dem Anfangsbeispiel kann sich die Fachkraft klar positionieren und den Begriff Rassismus verwenden, wie etwa: „Ich wäre jetzt ganz schön traurig, wenn ich nicht mitspielen dürfte. Mir ist es echt wichtig, fair behandelt zu werden. Wisst ihr, dafür gibt es ein Wort, das nennt man Rassismus. Und das ist nie okay. Außerdem gibt es doch Schwarze Prinzessinnen, oder?“. Spätestens hier zeigt sich konkret, wieso eine diskriminierungssensible Sprache wichtig ist, wie in diesem Fall die korrekte Bezeichnung der Hautfarbe. Eine Erklärung, wieso eine bewusste Großschreibung des Begriffs zu einer zusätzlichen Wertschätzung beiträgt, findet sich im Kasten.

Um gesellschaftlich vorherrschende Narrative zu durchbrechen, benötigt es eine ehrliche und schonungslose Auseinandersetzung mit Projektinhalten, die an die Kinder vermittelt werden. Was wird transportiert, wenn z.B. Afrika als ausschließlich armer und hilfsbedürftiger Kontinent beschrieben wird oder als Kontinent mit Löwen, Elefanten in der Savanne? Kinder benötigen eine vielfältige und diverse Umgebung, damit eine rassismuskritische Bildung und Erziehung gelingen kann. In diesem Falle wäre zu fragen, wie Afrika als heterogener Kontinent dargestellt werden kann, vor allem seine Bevölkerung. Hilfreich kann es sein, im Team darüber zu reflektieren, wie ein vielfältiges, realitätsgetreueres Bild Afrikas vermittelt werden kann, und bereit dazu zu sein, sein Wissen weiterentwickeln zu wollen (vgl. Behmanesh 2021).

Somit meint ein Erleben von Diversität im Kindesalter eben erst im zweiten Schritt eine bewusste Entscheidung für vielfältige Spielmaterialien. Vielmehr geht es zunächst um die persönliche Kompetenz Erwachsener, sich mit seinen eigenen rassistischen Denkmustern auseinander zu setzen und diese aufzubrechen. Daraus kann dann die Selbstverständlichkeit resultieren, die Vorherrschaft weißer Puppen beenden zu wollen oder für eine diverse Kinderbuchauswahl zu sorgen.

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Welcher Begriff ist wann angemessen?

Black, Indigenous and People of Colour (BIPoC) ist eine Selbstbezeichnung von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Sie bezieht unterschiedlichste Personen ein, die sich als nicht-weiß in einer weißen Mehrheitsgesellschaft definieren.

Der Begriff „weiß“ wird kursiv geschrieben, da er keine biologischen Eigenschaften und auch keine tatsächliche Hautfarbe bezeichnet. Er steht für ein gesellschaftliches Konstrukt, das weiße Menschen mit mehr Privilegien und Ressourcen ausstattet (vgl. Apraku 2021, S. 14).

Der Begriff Schwarz wird als Selbstbezeichnung von BIPoC bewusst so gewählt, auch mit dem großgeschriebenen “S”. Dies gilt als emanzipatorische Widerstandspraxis, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich als weiß gelesenen Gesellschaft zu markieren. Der Begriff grenzt sich bewusst auch von der sprachlichen Verwendung “nicht-weiß” sein ab, da hier das sogenannte Weißsein die Norm definiert und alles andere damit eine Abweichung der Normalität darstellt.

Tipps zum Weiterlesen

Antidiskriminierungsbüro u.a.: Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch (zum Downloaden bspw hier: Rassismuskritischer Sprachgebrauch – M – Menschen Machen Medien (ver.di) (verdi.de)

Josephine Apraku zeigt in ihren Büchern konkrete Zugänge und aktuelle Impulse auf, um Kinder antirassistisch begleiten zu können. Sie bietet Fachkräften und Eltern eine Basis, sich Grundlagenwissen und viele praktische Umsetzungstipps anzueignen, um BIPoC-Kinder zu empowern und weiße Kinder zu sensibilisieren:

Kinderbücher, die Erwachsenen Impulse geben, die eigenen Positionen zu überprüfen, sowie deutliche Argumente herausarbeiten, die man parat haben sollte, wenn einem Rassismus begegnet und um Kinder zu stärken, sind bspw.:

Antirassismus, Aufklärung und Empowerment von Saskia Hödl und Pia Amofa-Antwi.

Von Sonja Eismann und Naira Estevez. Empfohlen ist dieses Buch ab 10 Jahren, in gemeinsamer Betrachtung geht es aber schon ab dem Vorschulalter bzw. für Fachkräfte zur Vorbereitung von Impulsen oder Projektideen empfehlenswert.

Literatur

Apraku, Josephine (2021): Wie erkläre ich Kindern Rassismus? Rassismussensible Begleitung und Empowerment von klein auf. Berlin: Familiar Faces.

Behmanesh, Sorah (2021): Wie wir rassismuskritische Kinder “erziehen”. URL: Wie wir rassismuskritische Kinder „erziehen“ – TofuFamily (letzter Zugriff 28.8.22)

Boldaz-Hahn, Stefani (2017): Weil ich dunkle Haut habe … – Rassismuserfahrungen im Kindergarten. In: Wagner, Petra (Hrsgin.): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilbewusster Bildung und Erziehung. 4. Auflage. Freiburg: Herder.

El-Mafalaani, Aladin (2021): Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrechte bis zum rassismuskritischen Widerstand. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Fajembola, Olaolu; Niminidé-Dundadengar, Tebogo (2021): Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen. Weinheim Basel: Beltz.

Wagner, Petra (2017): Wie erleben junge Kinder Vielfalt? In: Wagner, Petra (Hrsgin.): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilbewusster Bildung und Erziehung. 4. Auflage. Freiburg: Herder.