Das seelische Immunsystem stärken: Resilienz als Ressource für Pädagog:innen

Kennen Sie das? Ein Kind in Ihrer Gruppe hat gerade einen heftigen Streit mit einem Spielkameraden gehabt und steht nun völlig aufgelöst vor Ihnen. Sie selbst haben einen anstrengenden Tag hinter sich, an dem nichts so richtig funktionieren wollte. Eine Kolleg:in hat sie zu allem Überfluss deutlich auf eines der Missgeschicke hingewiesen. Eine Mutter beschwert sich ausführlich bei Ihnen, weil die Jacke ihres Kindes zerrissen ist. Solche Situationen sind im Kita-Alltag keine Seltenheit. Wie gehen wir damit um? Wie können wir sowohl den Kindern als auch uns selbst helfen, mit solchen Herausforderungen umzugehen und sogar gestärkt daraus hervorzugehen?

Ist Resilienz erlernbar?

Das Konzept der Resilienz bietet hierfür vielfältige Möglichkeiten an, sich als Lernende Person zu begreifen und den eigenen Werkzeugkoffer stetig zu erweitern. Resilienz, oft als die psychische Widerstandsfähigkeit oder das „seelische Immunsystem“ übersetzt, ist die Fähigkeit, trotz widriger Umstände und Belastungen psychisch stabil und gesund zu bleiben. Diese innere Stärke ermöglicht es uns, Krisen aktiv und angemessen zu bewältigen und im besten Fall gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Resilienz ist nicht angeboren, sondern kann im Laufe des Lebens erlernt und trainiert werden. Diese Ressource ist von großer Bedeutung: sie hilft uns Menschen, mit den unvermeidlichen Herausforderungen und Stressoren des Lebens umzugehen, fördert die psychische Gesundheit und kann das Risiko, psychisch zu erkranken, verringern. In der Arbeitswelt trägt Resilienz dazu bei, dass Mitarbeitende zufriedener und produktiver sind, da sie besser mit Stress und mit Veränderungen umgehen können als weniger widerstandsfähige Personen.

Was Sie in der Arbeit mit sich und Kindern bewirken können

In unseren Einrichtungen ist die Förderung von Resilienz von entscheidender Bedeutung. Kinder sind täglich verschiedenen Herausforderungen ausgesetzt, sei es durch soziale Interaktionen, Lernanforderungen oder persönliche Erlebnisse. Durch gezielte Maßnahmen und eine unterstützende Umgebung können Erziehende die Resilienz der Kinder stärken und gleichzeitig ihre eigene Widerstandskraft entwickeln. Dies schafft eine stabile und förderliche Umgebung, in der sowohl Kinder als auch Erwachsene ihre Fähigkeiten zur Bewältigung von Stress und Krisen kontinuierlich ausbauen können. Bei der Arbeit mit Kindern können Sie …

  • verlässliche Beziehungen aufbauen: Kinder brauchen stabile und verlässliche Bezugspersonen. Erzieherinnen und Erzieher sollten eine vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern aufbauen, indem sie ihnen Aufmerksamkeit und Zuneigung schenken.
  • emotionale Unterstützung bieten: Kinder sollten ermutigt werden, ihre Gefühle auszudrücken und zu reflektieren. Dies kann durch Gespräche, Rollenspiele oder kreative Aktivitäten wie das Malen von Gefühlen unterstützt werden.
  • Selbstwirksamkeit fördern: Kinder sollten die Möglichkeit haben, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Dies kann durch kleine Aufgaben im Kita-Alltag, wie das Decken des Tisches oder das Pflegen eines Gartens, geschehen.
  • positive Erfahrungen schaffen: Erfolgserlebnisse stärken das Selbstbewusstsein der Kinder. Aktivitäten, bei denen Kinder ihre Stärken zeigen können, wie Bastelprojekte oder sportliche Spiele, sind hierbei hilfreich.

Auch für uns Erwachsenen ist Resilienz von großer Bedeutung. Der Alltag in den Einrichtungen kann fordernd sein, und ein hoher Grad an Resilienz hilft den Erziehenden, mit Stress und Belastungen besser umzugehen und ihre eigene psychische Gesundheit zu bewahren. Sie können …

  • Selbstfürsorge praktizieren: Erziehende sollten auf ihre eigene Gesundheit achten, indem sie regelmäßige Pausen einlegen, sich gesund ernähren und ausreichend schlafen. Entspannungstechniken wie Meditation oder Yoga können ebenfalls hilfreich sein.
  • kollegiale Unterstützung nutzen: Ein starkes Netzwerk innerhalb des Teams kann die Resilienz fördern. Regelmäßige Teambesprechungen und der Austausch über Herausforderungen und Erfolge stärken den Zusammenhalt und bieten emotionale Unterstützung.
  • Fortbildungen buchen und Reflexionsrunden einberufen: Regelmäßige Fortbildungen zum Thema Resilienz und Reflexionen können den Erziehenden helfen, ihre eigenen Fähigkeiten in Bezug auf Resilienz zu stärken und neue Strategien für den Umgang mit ungewohnten und großen Aufgaben zu erlernen.
  • eine positive Arbeitsumgebung schaffen: Eine wertschätzende und unterstützende Arbeitsatmosphäre trägt zur Resilienz der Mitarbeitenden bei. Anerkennung für gute Arbeit sowie ein offenes Ohr für die Anliegen der Mitarbeitenden sind hierbei entscheidend.

Die sieben Säulen der Resilienz

Um diese Widerstandskraft systematisch zu fördern, bieten die sieben Säulen der Resilienz – nach einem Modell von Ursula Nuber – eine wertvolle Orientierung. Es zeigt eine klar strukturierte und übersichtliche Herangehensweise zur Förderung der psychischen Widerstandsfähigkeit. Jede dieser Säulen repräsentiert eine spezifische Fähigkeit oder Haltung, die sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen entwickelt und gefördert werden kann. Die folgenden zentralen Aspekte tragen zur Stärkung der Resilienz bei:

  1. Optimismus: Optimismus bedeutet, eine positive Grundhaltung zu bewahren und daran zu glauben, dass Krisen und Probleme überwunden werden können. Diese Haltung hilft Kindern und Erwachsenen, Herausforderungen mit Zuversicht zu begegnen und nach vorne zu schauen.
  2. Akzeptanz: Akzeptanz bedeutet, die Realität anzuerkennen und zu akzeptieren, auch wenn sie unangenehm ist. Kinder und Erwachsene lernen, dass es Situationen gibt, die sie nicht ändern können, und entwickeln Strategien, damit umzugehen.
  3. Lösungsorientierung: Lösungsorientierung bedeutet, den Fokus auf die Lösung von Problemen zu richten, anstatt sich auf die Probleme selbst zu konzentrieren. Diese Fähigkeit fördert kreatives und flexibles Denken bei der Bewältigung von Herausforderungen.
  4. Die Opferrolle verlassen: Die Opferrolle zu verlassen bedeutet, sich nicht als Opfer der Umstände zu sehen, sondern aktiv zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Dies stärkt das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung.
  5. Verantwortung übernehmen: Verantwortung zu übernehmen bedeutet, für das eigene Handeln und die eigenen Entscheidungen einzustehen. Kinder und Erwachsene lernen, die Konsequenzen ihres Handelns zu verstehen und Verantwortung dafür zu übernehmen.
  6. Netzwerkorientierung: Netzwerkorientierung bedeutet, soziale Beziehungen und Unterstützungssysteme zu pflegen. Ein starkes soziales Netzwerk bietet emotionale Unterstützung und hilft, Belastungen besser zu bewältigen.
  7. Zukunftsplanung: Zukunftsplanung bedeutet, sich Ziele zu setzen und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Diese Fähigkeit hilft, eine positive Einstellung zur Zukunft zu entwickeln und sich auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten.

Resilienz ist eine essenzielle Fähigkeit, die sowohl für Kinder als auch für Erwachsene von großer Bedeutung ist. Durch gezielte Maßnahmen und eine unterstützende Umgebung können Erziehende die Resilienz der Kinder fördern und gleichzeitig ihre eigene Widerstandskraft stärken. Dies trägt zu einem positiven und gesunden Arbeits-Alltag bei, in dem sowohl Kinder als auch Erwachsene gut mit den täglichen Herausforderungen umgehen können.

In der nächsten Ausgabe unserer Artikelserie werden wir uns intensiv mit der ersten Säule beschäftigen: dem Optimismus. Optimismus ist eine grundlegende Haltung, die es ermöglicht, auch in schwierigen Zeiten das Positive zu sehen und an eine bessere Zukunft zu glauben. Ich werde erläutern, wie Optimismus im Alltag der Kindertagesstätte gefördert werden kann, welche Rolle er für die psychische Gesundheit spielt und wie sowohl Kinder als auch Erwachsene von einer optimistischen Grundhaltung profitieren können. Freuen Sie sich auf praxisnahe Tipps und inspirierende Beispiele, die Ihnen helfen, Optimismus in Ihrer Kita zu verankern und zu leben.

Wissen kompakt

Pionierin der Resilienzforschung ist Emmy Werner (1929-2017). Mit der Veröffentlichung ihrer Kauai-Langzeitstudie (1955-1999) erlangte sie internationale Bekanntheit. Im Rahmen dieser Studie wurden alle Kinder (698) des Geburtsjahrganges 1955 der Insel Kauai über 40 Jahre in ihrem persönlichen Entwicklungsprozess begleitet.

Sie beobachtete deren Entwicklung über mehrere Jahrzehnte hinweg. Obwohl etwa ein Drittel der Kinder unter sehr schwierigen Bedingungen wie Armut, Scheidung der Eltern oder psychischen Erkrankungen der Eltern aufwuchs, entwickelte sich überraschenderweise ein Drittel dieser Risikokinder zu kompetenten Erwachsenen ohne Verhaltensstörungen. Werner identifizierte Schutzfaktoren auf individueller, familiärer und Umgebungsebene, die zur Resilienz dieser Kinder beitrugen, wie aktives Temperament, enge Bindung zu einer Bezugsperson und externe Unterstützungssysteme. Ihre Studie zeigte erstmals, dass ungünstige Startbedingungen nicht zwangsläufig zu Fehlentwicklungen führen müssen – eine bahnbrechende Erkenntnis, die den Weg für die Resilienzforschung ebnete.

Die Resilienzforschung hat sich im Laufe der Zeit unter verschiedenen Fragestellungen und Blickwinkeln mit der Thematik auseinandergesetzt. Zu Beginn standen Fragen wie: „Was ist Resilienz?“, „Wie kann man sie messen?“ im Vordergrund. In der zweiten Welle wurden Prozesse untersucht: „Wie kommt es zu Resilienz?“, „Welche Einflüsse wirken sich schützend aus?“ Die dritte Phase befasste sich mit den Möglichkeiten der Präventionsmaßnahmen zur Förderung von Resilienz. Die vierte Stufe der Resilienzforschung nutzt moderne Methoden aus Genetik, Neurowissenschaften und Neuroimaging, um die biologischen und neuronalen Grundlagen von Resilienz aufzudecken. Dabei werden genetische Faktoren, neurobiologische Mechanismen und Hirnaktivitätsmuster untersucht, die eine erfolgreiche Anpassung an Stress und Belastungen ermöglichen. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen genetischen Voraussetzungen, neuronalen Netzwerken und psychologischen Prozessen bei der Entwicklung von Resilienz zu erlangen.

Mehr von Barbara Schmieder

Literatur

Mauritz, Sebastian (2022): Sieben Säulen der Resilienz nach Ursula Nuber. Abrufbar unter: https://www.resilienz-akademie.com/nuber-sieben-saeulen/ (zuletzt aufgerufen am 28.05.2024)

Mauritz, Sebastian (2023): Resilienzmodelle im Vergleich. Abrufbar unter: https://www.resilienz-akademie.com/resilienzmodelle-im-vergleich/ (zuletzt aufgerufen am 28.05.2024)

Rönnau-Böse, Maike; Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2024): Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne. 3. Auflage. Kohlhammer: Stuttgart.

Wellensiek, Sylvia Kéré (2020): Logbuch Resilienz. Beltz: Weinheim/Basel.

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