Herausforderndes Verhalten bei Kindern: Wie Ihr Handeln als Fachkraft den Unterschied macht

Wer kennt sie nicht, die Geschichten von Michel aus Lönneberga. Ein eigensinniger Junge mit vielen Flausen im Kopf. Ständig fielen ihm neue Streiche ein, die seinen Vater provozierten und wütend hinter ihm herrennen ließen. Am liebsten wollte Michel über seine Eltern, den Hof oder ganz Lönneberga bestimmen. Doch alle waren sich einig, dass aus Michel sowieso nie was werden wird. Konnte ja keiner ahnen, dass er ein sehr angesehener Mann und Vorsitzender im Gemeinderat wurde. 

Haben Sie in Ihrer Kita auch ein Kind, das über alles und jeden bestimmen möchte oder es durch sein Verhalten sogar tut? Das eigensinnig ist? Ein Kind, bei dem sie nicht wissen, was werden soll? Sicher haben Sie bisher viel Zeit, Gedanken und Anstrengungen unternommen, um dieses Kind zu begleiten. Doch was, wenn die Situation mit dem Kind über längere Zeit schwierig bleibt?  

Zurück zu Michel. Kennen Sie diese Figur noch aus Ihrer Kindheit? Vielleicht haben Sie damals mit ihm gelitten, wenn er, aus seiner Sicht, wieder einmal grundlos in seinen Schuppen eingesperrt wurde. Schließlich hat er es in den meisten Fällen nur gut gemeint. Heute sehen Sie vielleicht auch die Sicht des Vaters, welcher ihm wütend und schreiend hinterherrennt. Stellen Sie sich Michel heute in Ihrer Kita vor. Würden Sie bei ihm der Aussage „Michel ist verhaltensauffällig.“ zustimmen? 

Häufig ist ein Urteil schnell gefällt, und das Kind bekommt den Stempel „verhaltensauffällig“ aufgedrückt. Bei der Aussage: „Michel ist verhaltensauffällig“ handelt es sich um eine Verdichtung, eine feste Zuschreibung, welche nicht veränderbar scheint. Sprechen wir jedoch von einem Kind, welches herausforderndes Verhalten zeigt, stellen sich Fragen wie: Wann zeigt das Kind dieses Verhalten denn? Was ist vorgefallen? Wie sieht das Verhalten genau aus? Und schon befinden wir uns mitten im Prozess, die Situation von Michel besser verstehen zu können. 

Der Blick auf Michel zeigt, wie unterschiedlich die Perspektiven und Wahrnehmungen sein können. Und genau hier liegt der Beginn der Veränderung. Solange Sie als Fachkraft nur die eigene Perspektive auf die Situation sehen, werden Sie die Absichten des Kindes vermutlich nicht verstehen können. Wie soll es dann möglich sein, die passenden Maßnahmen für das Kind abzuleiten? 

Ein Perspektivwechsel muss her

Reden wir von Kindern mit herausforderndem Verhalten, stellt sich zuerst die Frage, wer ist denn da herausgefordert? Sind Sie diejenige/ derjenige, die/der durch das Kind an die Grenzen seiner/ihrer Professionalität gebracht wird? Zeigt ein Kind ein Verhalten, das Sie triggert und emotional aufbrausend werden lässt? Vermutlich erlebt das Kind die herausfordernden Situationen am Tag ebenfalls als solche. Demnach ist es ratsam, alle Parteien in den Blick zu nehmen und nicht nur auf das Kind allein zu blicken. Wenn ein Kind mit herausfordernden Verhaltensweisen Ihre Kita besucht, haben Sie sich vermutlich schon intensiv mit dem Kind auseinandergesetzt. Haben Sie sich jedoch die Zeit genommen, den Blick auf Ihre Person, Ihre Rolle und Handeln zu richten? 

Eine Erzieherin und ein Kind welches sich durch Lupen gegenseitig anschauen.

Die Selbstreflexion

Sie sind es, die/der die Situationen und Verhaltensweisen beobachtet und wahrnimmt. Bereits hier wird das tatsächlich Beobachtete mit den eigenen Werten und Prägungen abgeglichen, bewertet und danach gehandelt. Für den professionellen Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen ist somit die Selbstreflexion der eigenen Erfahrungen und die sich daraus geprägten Wert- und Normvorstellungen unerlässlich. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, hilft zu verstehen, warum genau dieses Verhalten als herausfordernd wahrgenommen wird und ermöglicht dadurch einen bewussten Umgang im Alltag. Folgende Fragestellungen können dabei hilfreich sein: 

  • Welche Werte und Normen sind Ihnen persönlich wichtig und wie haben sich diese entwickelt?  
  • Wie reagieren Sie, wenn Ihr Gegenüber von diesen Normen abweicht? 
  • Fällt Ihnen ein Beispiel ein, in dem Sie ein Verhalten aufgrund Ihrer Normvorstellung herausgefordert hat?

Die eigene Biografie auf dem Prüfstand

Was sehen Sie auf dem Bild? Sehen Sie ein Kind, welches das andere zu Boden geworfen hat? Die Situation könnte als Kampf, verbunden mit Aggressionen, gedeutet werden. Eine andere Perspektive auf denselben Bildausschnitt könnte das Kräftemessen der Kinder aufzeigen, welche dynamisch und mit viel Energie erlebt wird. Je nach Perspektive werden andere Handlungsstrategien in derselben Situation gewählt. Für die professionelle Rolle bedeutet dies, die eigenen Beobachtungen vor dem Hintergrund der biografischen Erfahrungen, Werte und Normen zu reflektieren. Stellen Sie sich in der nächsten Situation, in der Sie sich herausgefordert fühlen, mal die folgenden Fragen: 

  • Weshalb ist Ihnen das Verhalten aufgefallen? 
  • Was hat das erlebte herausfordernde Verhalten mit Ihnen zu tun? 

Haben Sie sich bereits mit Kolleg:innen über das Verhalten eines Kindes ausgetauscht? Sind Ihre Wahrnehmungen ähnlich? Häufig wird das Verhalten eines Kindes von mehreren Personen eines Kita-Teams als herausfordernd eingeschätzt. Neben der Strukturierung der Welt durch den Abgleich mit eigenen Werten und Normen dienen auch Einschätzungen von anderen Personen dazu. Wie erlebt mein Gegenüber das Verhalten des Kindes? Welche Rückmeldung erhalten Sie häufig? Neben der Strukturierung und Kategorisierung gehen damit auch Zuschreibungen auf den Charakter einer Person einher (Mensch im Anzug oder Kostüm (optische Wahrnehmung) wird als strebsam wahrgenommen (Zuschreibung). Eine solche Kategorienbildung haben wir bereits seit unserer Kindheit aufgebaut. So können uns gewisse Eigenschaften, das Aussehen oder Verhaltensweisen an unseren jüngeren Bruder erinnern, den wir als großer Bruder/ große Schwester fürsorglich versorgt haben oder von dem wir genervt waren. Unbewusst beeinflussen uns solche Kategorien in unserem pädagogischen Handeln. Aufgedeckt können Sie gezielt damit umgehen. 

Die nachfolgenden Reflexionsfragen können hilfreich sein, solche Wahrnehmungsphänomene zu erkennen. Denken Sie an ein Kind, welches Sie durch sein Verhalten herausgefordert hat: 

  • Welches Gefühl hat die Situation bei Ihnen ausgelöst? 
  • Was war Ihr erster und letzter Eindruck von diesem Kind, und wodurch kam eine Verschiebung der Eindrücke zustande?  
  • Welche Eigenschaften des Kindes (positiv als auch negativ) überstrahlen andere Merkmale und prägen Ihr Bild von ihm? 
  • Welche Erwartungshaltungen haben Sie an das Kind? 

(Un-)erfüllte Erwartungen

Haben Sie die letzte Frage nach den Erwartungen für sich beantwortet? Sind das tatsächlich die Erwartungen, die Sie an das Kind haben? Oder erwarten Sie bei der Begegnung mit dem Kind – geprägt durch Ihre bisherigen Erfahrungen – bereits unterbewusst, dass es im nächsten Moment wieder zuschlagen wird? Oder innerhalb der nächsten 10 Minuten dem anderen Kind das Spielzeug entreißt, obwohl sie bisher friedlich miteinander spielen? Diese Gedanken sind es, welche unsere Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimme in der Begegnung mit dem Kind beeinflussen. Das Kind kommt mit seinen herausfordernden Verhaltensweisen demnach häufig auch unseren Erwartungen nach und erfüllt diese. Reflektieren Sie Ihre Erwartungshaltungen erneut und ergänzen Sie bei Bedarf. Versuchen Sie negative in positive Erwartungen umzuwandeln. Gelingt es Ihnen, in der nächsten Interaktion mit einer positiven Perspektive auf das Kind zuzugehen, wird sich Ihre Mimik und Körperhaltung verändern. Bereits solche Veränderungen können dazu beitragen, dass sich die Situation verändert und das Kind bemüht sein wird, ihre veränderten Erwartungen zu erfüllen. 

Positiv Denken verändert!

Suchen Sie im Alltag bewusst Situationen, in denen Sie wertvolle Interaktionssequenzen mit dem Kind wahrnehmen. Spiegeln Sie Ihre Gefühle und Wahrnehmungen in solchen Momenten an das Kind zurück. Dadurch kann sich sowohl bei Ihnen als auch bei dem Kind eine positive Grundhaltung aufbauen. Ihr Blick auf das Kind wird geweitet. Das Kind erhält positives Feedback. Die wechselseitige Beziehung wird gestärkt – eine wichtige Basis für die weitere Begleitung des Kindes und dessen Familie. 

Von Vanessa Maurer

Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * gekennzeichnet.