Sie erinnern sich an das Beispiel aus dem Artikel des letzten Newsletters:
Julius und Marvin, beide zwischen 1,5 und 2 Jahren alt, sitzen zusammen im Nest. Die Kinder spielen mit mehreren Holzautos. Julius fährt gerade mit dem roten Feuerwehrauto auf der Rampe vor und zurück. Marvin scheint das Auto auch haben zu wollen und versucht, es Julius wegzunehmen. Julius wehrt sich und möchte Marvin mit dem Arm wegdrücken. Plötzlich beißt Marvin Julius in den Arm, der laut zu weinen beginnt. Pädagogin Nina kommt zu ihnen und geht mit Marvin in eine andere Ecke des Raumes, um mit ihm zu sprechen. Pädagoge Florian schaut nach Julius, versorgt die Bissstelle mit einem Kühlpad und fragt, ob er weiterspielen mag, was Julius dann auch tut. Im Tagesverlauf wirkt Julius ruhig und geht Marvin aus dem Weg. Marvin wird für den restlichen Tag eng von den Pädagog:innen begleitet, um eine erneute derartige Situation zu verhindern. Beide Elternteile erhalten beim Abholen jeweils eine Rückmeldung zu der Situation.
Es ging dabei um die Bedürfnisse der beiden in einem Beiß-Konflikt verwickelten Kinder und wie eine Fachkraft professionell handelt. Am Ende des Tages stellt sich spätestens die Frage: Wie sag ich’s den Eltern? Das ist möglicherweise die schwierigere Aufgabe für Fachkräfte. Es gilt dabei verschiedenste Perspektiven einzunehmen: Die der Eltern des beißenden Kindes, die der Eltern des gebissenen Kindes und die der unbeteiligten Eltern.
Vorab sollte bedacht werden, dass Eltern grundsätzlich mit anderen Gedanken an das Thema „Beißen“ heran gehen. Für sie ist dies ein Verhalten, das vermeidbar sein könnte, wenn rechtzeig eingegriffen wird und die Kinder nahezu lückenlos im Blick behalten werden. Entsprechend sind Feingefühligkeit und Responsivität den Eltern gegenüber geboten, um die Vorstellungen der Eltern und eventuelle Ängste ernst zu nehmen und adäquat darauf zu reagieren (vgl. Gutknecht 2015, S. 73).
Eltern des beißenden Kindes
Für das Gespräch mit den Eltern des Kindes, das gebissen hat, ist es relevant, die kindliche Perspektive anzuschauen: Das Kind ist mit Kita und Familie in mindestens zwei Settings verortet, die potentiell unterschiedlich auf verschiedene (stresshafte Situationen) reagieren. Das Kind verfügt entwicklungsbedingt noch nicht über ausreichend Regulationsmöglichkeiten, diese Unterschiede für sich auszugleichen. Also reagiert es entsprechend, zum Beispiel durch Beißen. Ziel sollte es daher sein, den Blick auf genau diese Unterschiede zu legen, mit den Eltern in einen wohlwollenden Austausch zu kommen und gemeinsame Handlungspläne zu entwickeln. Fragen, denen man gemeinsam auf den Grund gehen sollte, sind:
- Welche Situationen lösen bei dem Kind Stress aus?
- Wie baut es Stress am besten ab?
- Wie lässt sich die Stressbelastung zu Hause und wie in der Kita reduzieren?
Anhand dieser Fragen in einem gemeinsamen Gespräch lassen sich meist schon Handlungsoptionen ausmachen, die beide Seiten umsetzen sollten.
Wenn das eigene Kind beißt, spielen für die betroffenen Eltern starke Gefühle mit: Was ist mit meinem Kind los? Warum ist das so? Was mache ich verkehrt? Wie kann ich meinem Kind helfen? Hat es möglicherweise eine Verhaltensstörung o.ä.?
Besonders wenn das Beiß-Verhalten über einen längeren Zeitraum andauert, nehmen diese Eltern häufig an, dass Vorbehalte gegenüber ihrem Kind bestehen – besonders aus den Reihen der Elternschaft. Dies kann zu Rückzugsverhalten oder auch bewusster Provokation und Abgrenzung führen. Beides wirkt sich negativ auf das Klima in der Elternschaft aus und ist nicht wünschenswert (vgl. Gutknecht 2019, S. 31ff).
Eltern des gebissenen Kindes
Die Eltern des Kindes, das (regelmäßig) gebissen wird, sorgen sich um die Sicherheit und das Wohlergehen ihres Kindes. Daher spielen auch hier starke Emotionen eine Rolle. Wie schon beschrieben, überschreitet das Beißen eine sprichwörtliche (Haut-)Grenze. Sich als Elternteil da schützend vor das eigene, noch wenig wehrhafte Kind zu stellen, liegt in der Natur des Elternsein. Daraus ergeben sich nahezu automatisch einige Fragen: Ist das eigene Kind in der Einrichtung sicher? Wie kann man als Eltern darauf vertrauen, dass die Fachkräfte das eigene Kind schützen? Wie lässt sich dem eigenen Kind am besten helfen, mit diesen potentiell traumatischen Erfahrungen umzugehen? Je häufiger das Kind gebissen wird, umso mehr denken Eltern über einen Wechsel der Einrichtung nach. Dieser Schritt kann je nach Lage, Rahmenbedingungen und Bedarfen der Eltern ein immenser Schritt, auch mit elterlichen Einschränkungen, sein (vgl. Gutknecht 2019, S. 32).
Die unbeteiligten Eltern
Die unbeteiligten Eltern sind meist mehr oder weniger informiert – sei es, weil das eigene Kind davon erzählt hat, sei es, weil man die Situation zufällig selbst beobachtet oder über Erzählungen Dritter in der gut vernetzten Nachbarschaft oder auf dem Spielplatz davon erfahren hat.
Auch die unbeteiligten Eltern treibt die Frage um, ob die Kinder in der Einrichtung sicher aufgehoben sind, sie dem Team vertrauen können und was die Kita unternimmt, um die Kinder zu schützen (vgl. Gutknecht 2019, S. 32). Daraus kann eine Dynamik entstehen, die nicht unterschätzt werden darf. Es kann sein, dass Eltern parteiisch werden und sich auf die eine oder andere der beiden betroffenen Elternseiten schlagen. Es kann auch vorkommen, dass das Kind, das beißt, kriminalisiert wird.
Umgang mit der Elternschaft
Wie greift man die Perspektiven und vor allem die Befürchtungen der verschiedenen Eltern als Einrichtung gut auf? Grundsätzlich ist ein aktiver Umgang verbunden mit einer transparenten Informationskultur an die verschiedenen Eltern sinnhaft. Gerade in der unbeteiligten Elternmasse könnte Gerüchten und Spekulationen, die der Sache nicht zuträglich sind, vorgebeugt werden. Eltern formulieren auch recht schnell den Wunsch nach transparenter Information. Erhalten sie diese nicht, suchen sie sich selbst – zum Beispiel über das Internet. Im weltweiten Netz finden sich ausgewogene Informationen, aber auch Fehlinformationen. Und letztere können unpassende Erwartungen nach sich ziehen. Zeitpunkt, Umfang und Inhalt geeigneter Informationen aus der Einrichtung sollten am Ende situationsangemessen sein, um nicht Ängste zu schüren.
In der Kommunikation mit den Eltern können folgende Gedanken zur Beschreibung der ergriffenen Maßnahmen hilfreich sein:
- Welchen Handlungsplan im Umgang mit dem beißenden Kind besteht? Was wird getan, damit sich die Wahrscheinlichkeit für das Beißverhalten grundsätzlich senkt? Welche Maßnahmen werden präventiv ergriffen, um mögliche Stressoren für das Kind oder die Kinder zu minimieren?
- Wie genau wird das gebissene Kind geschützt? Wie werden die anderen Kinder davor geschützt? Welche Strategien werden den Kindern vermittelt, um sich selbst zu schützen (bspw. Stopp-Gesten)? Wie gelingt eine vorausschauende Begleitung des Spiels und der Alltagssituationen?
- Informationsbriefe zum Beißverhalten von Kleinkindern verfassen. Da lohnt es sich bei Trägern mit mehreren Einrichtungen, grundsätzliche Informationen bereit zu stellen, die jedes Team auf die Bedingungen vor Ort hin anpassen kann.
- Durchführung von Elternabenden, ggf. mit Experten, zum Beißverhalten von Kindern (vgl. Gutknecht 2019, S. 33).
In der Kommunikation mit den Eltern gilt es, besonders feinfühlig zu sein und auf die Ängste und Gedanken fachlich kompetent zu reagieren. Oft hilft es den Eltern, ihre Gedanken platzieren zu dürfen. Der Fachkraft kommt zunächst die Rolle des aktiven Zuhörens zu. Und gleichzeitig werden die Eltern einen Teil der oben angenommen Fragen stellen. Entsprechend erwarten sie eine individuelle Antwort – bezogen auf die konkrete Situation im Kinderhaus. Eine gute Vorbereitung für ein solches Gespräch ist daher unerlässlich. Nutzen Sie neben den genannten Gedanken auch den Austausch mit Kolleg:innen.
Literatur
Gutknecht, D. (2015): Wenn kleine Kinder beißen. Freiburg: Herder.
Gutknecht, D. (2019): Wenn junge Kinder beißen. In: Kleinstkinder in Kita und Tagespflege. Themenheft: Schwierige Situationen im pädagogischen Alltag. S. 28-33.