Die politische Landschaft in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: der Ampelbruch und die vorgezogenen Bundestagswahlen Ende Februar werfen verstärkt Fragen nach Stabilität, Partizipation und demokratischem Bewusstsein auf. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? In einer, in der Populismus, Spaltung und Gegeneinander dominieren – angefacht durch Akteure wie den frisch vereidigten US-Präsidenten Trump, die AfD oder auch durch die Polarisierung in sozialen Medien unter dem Einfluss von Tech-Milliardären wie Elon Musk? Oder streben wir eine Gesellschaft an, die durch Dialog, Zusammenhalt und die konstruktive Nutzung unseres gemeinsamen Potentials geprägt ist? Der deutsche Soziologe Oskar Negt formulierte sehr treffend: „Ich glaube, dass Bildung unter unseren Verhältnissen deshalb eine existenzielle Notwendigkeit hat, weil Demokratie die einzige Staatsform ist, die gelernt werden muss“ (Negt 2004, S. 197).
Demokratiebildung in der Kita gewinnt vor diesem Hintergrund eine neue Dringlichkeit. Indem wir Kindern bereits in frühen Jahren die Möglichkeit geben, gemeinschaftliche Prozesse zu erleben und mitzugestalten, legen wir das Fundament für informierte und engagierte Persönlichkeiten, die sich solidarisch und verantwortungsvoll für andere einsetzen können. Die Kita ist damit ein entscheidender Ort, um die Resilienz unserer Demokratie zu stärken. Was können wir in den element-i Kinderhäusern zum demokratischen Miteinander beitragen? Welche Grundlagen benötigt der Mensch, um demokratiefähig zu sein?
Das soziale Miteinander als Grundlage für Demokratiebildung
In einer Demokratie wird davon ausgegangen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und jeder vor dem Gesetz gleich ist. Dabei organisieren festgelegte Regeln und Wahlen unser demokratisches Miteinander in der Gesellschaft. Der Einzelne hat aufgrund seiner persönlichen Haltungen, Werte und Meinungen keine Nachteile zu befürchten, denn unsere Demokratie lebt nicht davon, dass alle dasselbe denken, fühlen und wollen, sondern dass wir anerkennen, dass wir unterschiedlich und vielseitig sind: „Wenn ich lerne, den anderen zu verstehen, bringt dies Stabilität ins Miteinander. Wenn wir lernen, dass der andere eine andere Meinung vertritt, begegnen wir dem Du mit Respekt. Das ist der erste Schritt für ein besseres Miteinander und ein großer Schritt für die Demokratie“ (Eggers 2021, S. 30). Gehen wir also davon aus, dass demokratische Muster schon im kleinsten Miteinander beginnen, in unserem Falle in der Kita. Dann lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie wir den Kindern begegnen wollen, um ein respektvolles und offenes Umfeld zu schaffen. Dabei können folgende Aspekte einen guten Überblick bieten, was Kinder benötigen, um Demokratie von Anfang an spüren und erleben zu können.
Eine demokratische Kita sorgt dafür, dass
- die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder wertgeschätzt und mit Respekt behandelt werden,
- Kinder ein echtes Gefühl von Teilhabe erleben und wissen, dass ihre Ideen Einfluss haben,
- Kinder sich als Teil eines größeren Ganzen fühlen und so das Bewusstsein für Gemeinschaft und Zusammenhalt entwickeln,
- Kinder erfahren, dass sie etwas bewegen und durch ihr Handeln aktiv zur Gemeinschaft beitragen können.
In unseren element-i Kinderhäusern sind Partizipation, Demokratiebildung und -erziehung fester Bestandteil der pädagogischen Arbeit. Die element-i Konzeption basiert auf einer zutiefst humanistischen und demokratischen Weltanschauung. Ganz explizit wird dies sichtbar in den Bereichen des Alltags, in denen Kinder Entscheidungen treffen (Freispiel; Kinderkonferenz; Intensivphase mit Impulsen und Angeboten; u.v.m.) und mit zunehmendem Alter lernen, ihren Interessen Ausdruck zu verleihen und in Aushandlung mit anderen zu gehen. Dabei stoßen die persönlichen und individuellen Wünsche in der Gemeinschaft auf Grenzen. Mein Handeln löst bei meinem Gegenüber Reaktionen aus, die zu Konflikten führen können. In der kindlichen Entwicklung sind diese Handlungen immer mit Emotionen verknüpft. So lernen Kinder erst mit unserer Hilfe und durch echte Erfahrungen das denkende Handeln. Sich als Betreuungsperson von Kindern in der Haltung der Profession zu verstehen, bedeutet im Kontext von Demokratiebildung auch immer, sich selbst die „richtigen“ Fragen zu stellen und sein eigenes Handeln und Denken stetig reflektieren zu wollen, bereit zu sein, anderen zuzuhören, von anderen zu lernen und seine Sichtweisen anpassen und verändern zu können.
Die dialogische Haltung
Ein demokratieförderndes Erziehungsverhalten bedeutet, eine dialogische Haltung einzunehmen. Dies heißt, die Wirklichkeit als vielschichtig zu erkennen und bereit zu sein, die Perspektiven der Kinder und Kolleg:innen ernsthaft zu erfahren und wertzuschätzen. Im dialogischen Austausch geht es darum, die Weltsicht des Gegenübers zu verstehen und gleichzeitig eigene Ideen und Gedanken einzubringen.
Im dialogischen Prozess mit den Kindern orientieren wir uns an ihren Sichtweisen und bereichern unsere eigene Perspektive durch ihre. Zugleich teilen wir mit ihnen unsere Sicht auf die Welt, um ihnen alternative Einordnungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Diese Haltung fördert nicht nur das Miteinander, sondern schafft auch Raum für echte Partizipation und Selbstwirksamkeit.
Herausforderungen in der Teamzusammenarbeit
Eine dialogische Haltung in der Arbeit mit Kindern erfordert Offenheit, Geduld und Reflexion – im Team und in den Teamsitzungen. Konflikte oder unterschiedliche Ansichten können zur Herausforderung werden, wenn nicht alle Teammitglieder die dialogische Haltung in der Kommunikation anwenden. Dies kann dazu führen, dass die Grenzen des eigenen Wirkens spürbar werden. Wie kann ich sicherstellen, dass ich selbst dialogisch handle? Und wie gehe ich damit um, wenn andere dies nicht tun? Wie gelingt es mir, Konflikte als wichtigen Bestandteil einer demokratischen Form des Miteinanders anzuerkennen und in eine lösungsorientierte Haltung zu kommen?
Reflexionsfragen für dialogisches Handeln
- Lasse ich die Kinder zu Wort kommen, auch wenn ihre Sichtweisen von meiner Perspektive abweichen?
- Gelingt es mir, die Ideen und Gedanken der Kinder ernst zu nehmen und darauf einzugehen?
- Wie bereichert die Sichtweise der Kinder meine Sicht auf die Welt und mein eigenes Handeln?
- Wie offen bin ich für die Perspektiven meiner Kolleg:innen?
- Wie gehe ich mit Meinungsverschiedenheiten im Team um? Kann ich diese als Chance für Entwicklung begreifen?
- Trage ich aktiv dazu bei, einen Raum zu schaffen, in dem jede Stimme gehört und respektiert wird?
- Wie reagiere ich auf andere Meinungen und Sichtweisen? Gelingt es mir, offen zu bleiben und zuzuhören, oder tendiere ich dazu, Gespräche schnell beenden zu wollen, wenn es kontrovers wird?
Damit Kinder demokratiefähig werden können, ist es wichtig, dass sie kontinuierlich erfahren, dass demokratische Werte wie Teilhabe, Respekt und Dialog lohnend und sinnstiftend sind. Wenn wir als Erwachsene diesen Prinzipien folgen und sie in unserem Handeln sichtbar machen, entwickeln sich diese Haltungen nachhaltig weiter – bei Kindern und im Team. Die Bereitschaft, sich selbst und das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen und offen für Neues zu bleiben, ist dabei zentral. Nur durch kontinuierliche Reflexion und das Streben nach einem konstruktiven Miteinander schaffen wir eine Grundlage für eine von Vernunft geleitete Gesellschaft.
Übung macht den Meister: Setzen Sie sich das Ziel, in der nächsten Kinderkonferenz den Raum für echte Partizipation zu schaffen. Lassen Sie die Kinder ihre Sichtweisen ausdrücken, und üben Sie sich darin, wertfrei zuzuhören und anzuleiten. Ebenso können Teamsitzungen, insbesondere bei schwierigen Themen, als Chance genutzt werden, die Prinzipien des respektvollen Dialogs und der gemeinsamen Entscheidungsfindung zu erproben. So wird Demokratie nicht nur gelehrt, sondern vor allem gelebt.
Literatur
Eggers, Sina (2021): Autonome Ausdrucksmittel (Teil 4), in: Göb, Melanie (Hrsg.): Zukunftshandbuch Kindertageseinrichtungen. Ausgabe 1/21. Regensburg: Walhalla, 25-33
Kammerlander, Carola; Rehn; Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2024): element-i. Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart
Negt, Oskar (2004): Politische Bildung ist die Befreiung der Menschen. In: Hufer, Klaus-Peter; Pohl, Kerstin; Scheurich, Imke (Hrsg.): Positionen der politischen Bildung 2. Ein Interviewbuch zur außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Schwalbach: Wochenschau Verl., 196-213