Ein hochroter Kopf, die Augen zusammengekniffen, die Fäuste geballt. So steht Samira in der Mitte des Bauzimmers und starrt auf das Chaos zu ihren Füßen. Ihre Atmung wird schneller, sie blinzelt Tränen weg und reibt ihre schwitzenden Hände an der Hose. Mindestens 100 Stunden hat sie dagesessen und den KAPLA-Turm immer höher und höher werden lassen. Für die Kuppe des Turms musste sie sich einen Stuhl zur Hilfe holen und die letzten Bausteine konnte sie, die Zunge zwischen den Zähnen, die Augen weit aufgerissen, nur auf den Zehenspitzen platzieren.
Wäre sie nur nicht aufs Klo gegangen! Jetzt ist alles dahin.
Was passiert im Körper, wenn wir wütend sind?
Was in Samira brodelt, ist ein Gefühl, das nicht nur Kindern bekannt ist. Denn Wut gehört zum menschlichen Körper, ebenso wie die Emotionen Freude, Scham oder Liebe. Wenn wir wütend sind, schüttet unser Körper die Stresshormone Kortisol, Noradrenalin und Adrenalin aus, die den Blutdruck und den Blutzuckerspiegel steigen lassen. Unser Puls erhöht sich und wir fühlen uns wach und energiegeladen. Sowohl unser Herz als auch unsere Lunge, das Gehirn und unsere Muskeln werden mit zusätzlichem Blut versorgt. Der Körper macht sich bereit, um auf eine Gefahr zu reagieren und sich ggf. zu verteidigen. (vgl. Kienle & Witte. 2016)
Während Samira wutschnaubend nach einer verdächtigen Person Ausschau hält, fällt ihr Blick auf Cleo, die versucht einen roten KAPLA-Stein unter den Teppich zu schieben. Den einzigen roten KAPLA-Stein, den es gibt, weiß Samira und der war Teil des Fundaments ihres Turms – der nun in Schutt und Asche liegt. „DU hast meinen Turm kaputt gemacht“, zischt sie und starrt Cleo mit zornigen Augen an. Als die ihr jedoch vorwirft, den einzigen roten KAPLA-Stein immer schon morgens an sich zu reißen, droht der Vulkan in Samira zu explodieren.
Die Auslöser für Wut haben sich, Experten nach, in den letzten Jahrzehntausenden kaum geändert. Vor allem Kränkungen und ungerechte Behandlung lösen das brodelnde Gefühl in uns aus. Mehr als die Hälfte unserer Wutanfälle werden übrigens von Personen ausgelöst, mit denen wir in einer Beziehung stehen. Weisen uns diese zurück, sind unehrlich, respektlos oder halten ihre Versprechen nicht, ist Wut vorprogrammiert.
Wut als Teil der menschlichen Evolution
Doch wird der Wut eine faszinierende Doppelwirkung zugeschrieben: Neben Aggression und Kampfbereitschaft sollen die von außen sichtbaren Zeichen des Zorns andere Personen einschüchtern, sodass es gar nicht zu einem Kräfte zehrenden Kampf kommen muss. Laut Anthropologen ein Mechanismus der Evolution, der körperliche Konflikte zwischen unseren Vorfahren reduzierte und ihr Zusammenleben in Gemeinschaften mitbedingte. (vgl. Kienle & Witte. 2016)
Was Samiras Wut und Cleos Anschuldigung folgen wird, liegt auf der Hand: Es kommt zum Konflikt. Auch wenn Kita-Kinder ab ca. 3,5 Jahren bereits echte Empathie entwickeln, sich und ihre Emotionen immer differenzierter kommunizieren können und das parasoziale Verhalten steigt (vgl. Weltzien et al. 2016, S. 24f), braucht es häufig die Begleitung durch das pädagogische Fachpersonal. Und sind wir mal ehrlich: Was Konflikte angeht, lernen wir wohl nie aus. Denn wenn die Wut mit uns durchgeht, ist es trotz des nötigen Know-hows über Ich-Botschaften und Co. nicht immer einfach, sich im Zaum zu halten, um unser Gegenüber nicht zu verletzen.
Mit diesem spannenden Thema beschäftigt sich auch die kommende „Mitmachausstellung ZOFF!“ des Kindermuseums Junges Schloss in Stuttgart. Die Kurator:innen und Kulturvermittler:innen haben sich angeschaut, was uns so richtig in Rage bringt, wie wir am besten damit umgehen und wie wir uns auch wieder vertragen. Im Rahmen der großen Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“ wird die „Mitmachausstellung ZOFF!“ am 27.10.24 eröffnet.
Für (werdende) Pädagog:innen aus Kitas im Raum Stuttgart bietet die element-i Bildungsstiftung ein gemeinsames Projekt: An sieben Vorortterminen befassen sich die Teilnehmer:innen mit dem großen Thema Streit, bekommen einen Blick hinter die Kulissen einer renommierten Kulturinstitution und arbeiten gemeinsam an ihren individuellen Projekten. Diese setzen sie in ihren jeweiligen Kitas um und verknüpfen so die Ausstellungsthematik mit den Themen und Interessen der Kinder.
Wir haben Sie neugierig gemacht? Melden Sie sich hier für das Kooperationsprojekt der element-i Bildungsstiftung und des Jungen Schloss an oder setzen Sie sich bei Fragen mit der Projektkoordinatorin Jana Dengler in Kontakt. Wir freuen uns auf Sie!
Quellen:
Kienle, Dela & Witte, Sebastian (2016): Heilsamer Zorn: Über die Wut und ihre positiven Wirkungen. Abrufbar unter Die Wut und ihre positiven Wirkungen – [GEO] (zuletzt aufgerufen am 23.09.2024)
Weltzien, D. / Fröhlich-Gildhoff, K. / Rönnau-Böse, M. / Wünsche, M. (2016): Gefühl und Mitgefühl von Kindern begleiten und fördern. Eine Handreichung zur Umsetzung des Orientierungsplans für Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg
von Jana Dengler