Resilienz stärken – durch das Erleben des Naturraums

In der Kita steht ein Waldtag an, und die Kinder freuen sich, dass es los geht. Im Wald angekommen, rennen sie zu dem kleinen Strauch, der beim letzten Waldtag noch geblüht hat. Sie entdecken Tierspuren in ihrem Lager, bei dem das Dach eingestürzt ist. Sie sehen, dass der Boden trocken ist, und entdecken einen neuen Baumstamm, auf den sie heute klettern könnten. Nach und nach gestaltet sich ein Tag mit vielen Fragen, Möglichkeiten und Herausforderungen, aus dem die Kinder gestärkt hervorgehen können. Dabei hat jedes Kind Chancen, sich eigene Herausforderungen zu suchen, seinem aktuellen Interesse zu folgen und sich, dem eigenen Entwicklungsstand entsprechend, seine Umwelt zu erschließen.

Kinder sind neugierig, frei und motiviert, Neues zu erfahren. Sie sind interessiert und wollen selbst entdecken, was in ihrer Umwelt passiert und es im Naturraum zu erforschen gibt. Das „Lernen im Naturraum wird als Konstruktionsprozess verstanden, der sowohl aus innerer Motivation heraus als auch durch die Interaktion mit anderen gelingt“ (Wolfram 2021, S. 16). Als pädagogische Fachkräfte begleiten wir hierbei die Kinder und stoßen Bildungs- und Entwicklungsprozesse an. Wir können Kindern einen Rahmen geben, in dem sie eine wichtige Basiskompetenz – die Resilienz – ausbauen können. Mit Blick auf das Modell der 7 Säulen der Resilienz werden Grundhaltungen beschrieben, die dazu beitragen, resilienter zu werden. Diese werden wiederum durch individuelle Schutzfaktoren beeinflusst und gestützt (vgl. Morel 2021). Im Naturraum können diese Grundhaltungen gefördert werden. Und Sie als pädagogische Fachkraft können die Kinder dabei unterstützen.

Selbstwirksamkeit – Selbstbewusstsein

Um sich als selbstwirksam zu erleben, müssen Herausforderungen aus eigener Kraft gemeistert werden. Dies beinhaltet die innere Überzeugung, die notwendigen Fähigkeiten zu besitzen und einsetzen zu können. Nur durch Erfahrung und das eigene Tun erleben sich Kinder als selbstwirksam und entdecken zunehmend neue Kompetenzen und Fähigkeiten, die sie weiter ausbilden (vgl. Morel 2021). Kinder im Naturraum erleben sich in hohem Maße als selbstwirksam, indem sie aktiv ihren Tag mitgestalten, forschende Fragen stellen und vor körperliche und psychische Herausforderungen gestellt sind. Sie erleben Erfolge, wenn sie beispielsweise von einem Baumstamm springen, selbständig balancieren oder es schaffen, einen Hügel zu erklimmen. Sie können ihrer Kreativität freien Lauf lassen, mit Naturmaterialien etwas erschaffen und gestalten. Dabei setzen sie sich gleichzeitig mit anderen Kindern auseinander und erleben durch Kommunikation, Interaktion und Aushandlungsprozesse ihre Selbstwirksamkeit. Wir können die Kinder unterstützen, indem wir sie motivieren und ihnen Dinge zutrauen. Um die Kinder nicht zu über- oder unterfordern, sollten wir mit den Kindern in einen Dialog gehen, sowie die individuellen Fähigkeiten und Interessen in den Blick nehmen. Durch das Setzen von Impulsen können die Kinder darin unterstützt werden, Lösungsmöglichkeiten zu finden und Neues zu versuchen.

Lösungsorientierung

Die Lösungsorientierung beschreibt eine innere Haltung, Problemen und Herausforderungen mit Blick auf den Zielzustand zu begegnen und zu überlegen, wie ich dieses Ziel erreichen kann. Um ein Ziel im Blick zu haben und sich auf den Weg zu machen, gehört auch ein gewisses Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, den Zielzustand zu erreichen (vgl. Morel 2021). Wenn Kinder vor einer neuen Herausforderung stehen, haben sie eine intrinsische Motivation, eine Lösung zu finden. Nach dem Motto „geht nicht, gibt’s nicht“ beginnen Kinder aktiv zu werden und probieren unterschiedliche Wege aus, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist, wobei ihre Frustrationstoleranz gefördert wird. Kinder sind kreativ und kommen auf Lösungen, auf welche wir selbst nie gekommen wären. Durch ihre gemachten Erfahrungen haben sie bei weiterer Herausforderung bereits Erfahrungswerte, auf die sie aufbauen können. Wir als Fachkräfte können die Kinder wiederrum durch Impulse unterstützen und sie durch Fragen zu weiteren Lösungsmöglichkeiten anregen. Begeben Sie sich mit den Kindern in einen ko-konstruktiven Prozess ohne vorgefertigte Lösungen vorzugeben.

Netzwerkarbeit

Kinder brauchen andere Kinder, um gemeinsam Lösungen zu finden, miteinander zu kommunizieren und ihre sozialen Kompetenzen auszubauen. Für die frühkindliche Entwicklung ist es außerdem wichtig, dass Kinder feste Bezugspersonen haben, zu denen sie eine Bindung aufbauen. Wenn sie diesen Rückhalt erfahren, können sie explorieren und sich entfalten. Im Naturraum erfahren Kinder auch, dass es für bestimmte Prozesse weitere Personen braucht, um ein Ziel zu erreichen. So gibt es bei gemeinschaftlichen Projekten, wie beispielsweise eine Ast-Hütte zu bauen, verschiedene Aufgaben, die erledigt werden müssen. Jeder kann sich mit seinen individuellen Fähigkeiten einbringen und seinen Teil zum Gelingen des Ganzen beitragen. Ein gutes Netzwerk und die Sicherheit, sich auf andere verlassen zu können, tragen dazu bei, resilienter zu werden. Durch frühe Erfahrungen im Naturraum verinnerlichen Kinder, dass man gemeinsam etwas erreichen kann, Hilfe annehmen und einfordern darf. Ob sich Kinder im Naturraum gegenseitig unterstützen oder ob wir als Erwachsene unserer Fähigkeiten einsetzen ist dabei unwichtig. Wichtig ist, dass die Kinder erleben, dass jeder mit seinen Fähigkeiten wertvoll ist und wirken kann.

Akzeptanz

Die Natur zeigt uns deutlich, dass es Dinge gibt, auf die wir keinen Einfluss haben. Nehmen wir beispielsweise das Wetter. Ein Kind freut sich darauf, heute im Wald auf Bäume zu klettern. Da es viel geregnet hat, sind die Stämme rutschig und Klettern nicht möglich. Das Kind versucht es mehrmals, rutscht jedoch immer wieder ab. Das Kind könnte nun für den Rest des Ausflugs schmollen oder sich eine andere Beschäftigung sich. Es geht also darum, die Situation zu akzeptieren, wie sie ist, und das Beste daraus zu machen. Gerade im Naturraum sind viele Situationen unveränderbar und müssen akzeptiert werden. Kindern lernen so mit eventuellem Frust umzugehen, ihre Gefühle wahrzunehmen und einen Weg raus aus der Frustration zu finden. Wir können die Kinder dabei unterstützen, indem wir ihre Gefühle ernst nehmen und mit ihnen darüber sprechen, wie sie mit ihrem Frust umgehen können. Hier lernen Kinder auch Verantwortung zu übernehmen, indem sie einen guten Umgang mit der Situation finden.

Verantwortungsbewusstsein – Selbstverantwortung

In der Säule des Verantwortungsbewusstseins wird deutlich, dass jeder für sich selbst und seine Entscheidungen verantwortlich ist und die Folgen seines Handels abschätzen muss. Wenn jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, wird er gleichzeitig dazu befähigt, eigenverantwortlich zu handeln. Die Kinder kennen beispielsweise die Regel, sich nicht von der Gruppe, aus Sichtweite der Fachkräfte, begeben zu dürfen. Jedoch liegt es in ihrer Verantwortung, diese Regel einzuhalten. Indem die Kinder Regeln einhalten und sie verstehbar sind, bilden sie ihre Selbstverantwortung weiter aus. Wir Erwachsenen sind hier Vorbilder für die Kinder und haben die Aufgabe, ihnen Regeln nahe zu bringen und verstehbar zu machen. Im Dialog mit uns und im Erleben von gemeinschaftlichen Projekten, erlernen die Kinder die Notwendigkeit, Verantwortung im Naturraum zu übernehmen und somit selbstverantwortlich zu handeln. Indem sie eine persönliche Verbindung zur Natur herstellen, erleben sie sich gleichzeitig als Gast und entwickeln ein Verantwortungsbewusstsein der Natur gegenüber. Sie erfahren mit Unterstützung von uns, welche Folgen ihr eigenes Handeln haben kann und werden dadurch sensibilisiert und motiviert, sich mit ökonomischen und ökologischen Folgen auseinanderzusetzen (vgl. Wolfram 2021, S. 22).

Zukunftsorientierung

Mit Blick auf die Verantwortung für die Natur kann eine Brücke in die Zukunftsorientierung geschlagen werden. Es geht um die innere Haltung, die eigene Zukunft aktiv mitgestalten zu wollen. Im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung – ein Grundgedanke der Naturraumpädagogik (vgl. Wolfram 2021, S. 18) – können sich Kinder im Naturraum als aktive Gestalter ihrer Umwelt erleben. Indem wir die Interessen der Kinder wahrnehmen, können Projekte entstehen, wie die Natur geschützt werden kann. Wir können den Kindern als Vorbilder dienen und mit ihnen entdecken, wo wir im Alltag achtsam und nachhaltig mit der Natur umgehen können. Indem wir mit den Kindern aktive Gestalter werden, können wir einer positiven Entwicklung des Naturraums optimistisch entgegenblicken.

Optimismus

Optimistisches Denken und Handeln entwickelt sich aufgrund von Erfahrungen, Herausforderungen meistern zu können und in allem etwas Gutes zu sehen. Indem sich Kinder als selbstwirksam im Naturraum erleben, lernen, Lösungen zu finden, und viele Möglichkeiten bekommen, ihren Tag zu gestalten, können sie eine optimistische Einstellung entwickeln, welche sie in ihrem Alltag prägen wird. Wir können zur Entwicklung eines gesunden Optimismus beitragen, indem wir Vorbild für die Kinder sind, mit ihnen in einen Dialog gehen, Gefühle ernst nehmen und selbst optimistisch sind. Wir können uns hierbei selbst hinterfragen, wie optimistisch wir einem Tag entgegenblicken – besonders wenn wir mit den Kindern im Naturraum unterwegs sind und keinen Einfluss auf das Wetter oder die Herausforderungen haben, die auf uns zukommen. Bei schlechtem Wetter können wir sicher noch viel von den Kindern lernen, auch im Regen Vorteile zu sehen und offen dafür zu sein, Neues zu entdecken, was für uns sonst im Verborgenen bleibt. Mit einem gesunden Optimismus kann jeder Tag ein guter Tag sein.

Insgesamt gibt es unzählige Situationen, in denen Kinder im Naturraum in ihrer Resilienz gefördert werden und sie durch das eigene Tun erfahren, was sie alles bewirken können. Zum Naturraum gehört natürlich nicht nur der Wald, sondern auch der Garten in der Kita, die Felder und Wiesen um sie herum. Kinder brauchen nicht viel, um sich zu entfalten. In der Kita jedoch brauchen sie uns, um rauszukommen, den Naturraum zu entdecken und jeden Tag ein bisschen stärker zu werden.

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Literatur:
Wolfram, Anke (2021): Handbuch Naturraumpädagogik. Überarbeitete Neuauflage. Freiburg: Herder
Morel, Emilia & Books-World (2021): Die 7 Säulen der Resilienz. Independently published

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