Wann sind sich Kinder ihrer Sprachen bewusst?

Im Gespräch mit Moussa (5 Jahre; Name geändert) habe ich gelernt, dass er zwar zu wissen schien, dass er zu Hause eine andere Sprache spricht als in der Kita, und im jeweiligen Kontext die passende Sprache zu verwenden imstande ist. Das abstrakte Wissen jedoch, wie seine Muttersprache heißt, fehlte ihm. Auch konnte er nicht übersetzen, als ich ihn z.B. fragte: „Was heißt denn „fünf“ auf Arabisch?“ Die Unterhaltung mit dem Jungen blieb mir in Erinnerung und ich fragte mich, wann Kinder, die sich in zwei Sprachen bewegen, ein Bewusstsein über die Sprachen entwickeln. Wissen Sie es?

Gegen Ende des zweiten Lebensjahres verfügen Kinder über einen Wortschatz von etwa 50 Wörtern. Die Kinder können aber noch mehr: Sie rufen die gespeicherten Verknüpfungen von Gegenstand, Handlung und Wort ab und erproben diese. Im Lehrbuch findet sich dazu das Beispiel eines mehrsprachig aufwachsenden Mädchens: Cristina (schaut ihre deutschsprachige Mutter an, zeigt auf den Tisch und sagt): „Papá mesa.“ Sie möchte der Mutter sagen, dass der Vater den Tisch als „mesa“ bezeichnet (vgl. Scharff-Rethfeldt, S. 108). Ein gewisses Verständnis dafür, dass die Eltern in ihren jeweiligen Sprachen andere Wörter für die Dinge benutzen und wem die Wörter zugeordnet werden, ist also bereits vorhanden.

Die abstrakte Beschreibung einer Sprache als Englisch oder Spanisch oder Deutsch gelingt den Kindern unterschiedlich, wie weitere Beispiele aus der Forschungsliteratur zeigen. Da wird eine Beobachtung von Lita (3;6) angeführt, die in diesem Alter bereits ausdrücken kann, dass sie viel Englisch und viel Spanisch kann. Sie mag beide Sprachen und antwortet in der jeweils passenden Sprache zu den Fragen. Pascual (3;7) hingegen kann zwar die Mutter rügen, weil sie Deutsch mit einem Spanisch sprechenden Kind spricht: „Mami, nicht so mit Carmen sprechen!“ – Mutter: „Wie denn?“ – Pascual: „So, hola! ¿Como estás?, nicht hallo!“ Die Bezeichnung der Sprachen als Deutsch oder Spanisch kennt der Junge noch nicht. Der Dialog zeigt, dass Pascual allerdings klar differenzieren kann, mit wem welche Formulierungen genutzt werden und passend sind.

Wie bei so vielen Kompetenzen, so verhält es sich letztlich auch bei der Kompetenz mehrsprachiger Kinder in Bezug auf das Bewusstsein über die eigenen Sprachen und die Differenzierung derselben. Der Zeitpunkt, an dem Kindern dies gelingt, variiert stark. Abhängig ist diese Kompetenz von der Quantität und Qualität des sprachlichen Inputs, der Art der Interaktionen und der Gelegenheiten zu Interaktionen in unterschiedlichen Kontexten.

Ich möchte zu meinem Dialog mit Moussa zurückkommen. Als ich merkte, dass meine Frage ihn verwirrte, wollte ich einfach wissen, wie er zu Hause zählt. Moussa nutzte seine Finger und zählte mir auf Arabisch die Zahlen von 1 bis 5 vor. Und dann konnte er mir sagen, dass das arabische Wort für „fünf“ einfach „khamsah“ ist. Möglicherweise ist es zweitrangig zu wissen, wann genau ein Kind welches Wissen über seine Sprachen hat. Wichtig ist, dass wir als Begleiter uns bewusst machen, was wir den Kindern im Kita-Alltag als sprachliches Vorbild anbieten und wie wir Fragen stellen.

Literatur:

Scharff-Rethfeldt (2013): Kindliche Mehrsprachigkeit. Grundlagen und Praxis der sprachtherapeutischen Intervention. Thieme, Stuttgart

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