Gemeinschaft als Ausgangspunkt für Entwicklung bei Klein(st)kindern

„Bringt eure kleinen Kinder nicht in die Krippe – das schadet ihnen. Sie brauchen nur Mama und Papa.“ Der Beitrag zu diesem Thema und vor allem diese Behauptung haben mich bewogen, mich erneut inhaltlich mit der Betreuung der Kleinsten in unseren element-i Einrichtungen auseinanderzusetzen und die Frage zu stellen: Brauchen Kleinstkinder diese Gemeinschaft, bzw. profitieren sie davon?

Zunächst einmal ist wichtig zu sagen: Beziehung ist die Basis für Entwicklung und Lernen. Denn kleine Kinder haben vordergründig das Bedürfnis nach Geborgenheit, Sicherheit, Fürsorge. Ohne die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse durch uns Erwachsene sind sie verloren. Wenn wir ihnen diese Grundlage bieten, die Beziehung zur Pädagog*in aufgebaut und stabil ist, dann können und sollten wir die Peer-Kontakte – so zart sie am Anfang auch sind – in den Blick nehmen.

Peers – was ist damit denn gemeint?

Peers sind die Mitglieder einer Gruppe gleichaltriger Kinder. Sie haben die Besonderheit, eine symmetrische Bezugsform darzustellen. Das bedeutet, dass es nicht wie im Kontakt mit Erwachsenen oder älteren Kindern ein Machtgefälle aufgrund von kognitiver oder körperlicher Überlegenheit gibt. Ganz im Gegenteil: Peers befinden sich auf Augenhöhe. Es entsteht ein geschützter Rahmen, in dem das eigene Ausprobieren nahezu unbegrenzt von statten gehen kann (vgl. Schneider-Andrich 2011, S. 4).

Kontaktaufnahme von Babys und Kleinkindern

Sobald „[…] Handlungslernen in selbstgewählte Spielkonstellationen zu zweit, zu dritt oder in kleine Peer-Gruppen eingebettet […]“ (Wüstenberg 2017, S. 9) ist, können Bildungsprozesse mit Sicherheit erwartet werden. Dazu nutzen Babys bereits ab einem Alter von fünf Monaten hilfreiche Strategien, um mit ihren Peers Kontakt aufzunehmen – mit ihnen ins Spiel zu kommen. Zunächst setzen sie dafür das erforschende Tasten ein, um Gegenstände von Lebendigem zu unterscheiden. Die dadurch ausgelösten Reaktionen sind verschieden. Wenn sie ein anderes Kind berühren oder befühlen, lächeln sie und brabbeln vor sich hin. Sie haben die Erwartung, dass das Gegenüber reagiert. Dinge hingegen werden mit dem Mund, aber auch den anderen Sinnen spielerisch erkundet: Was kann ich damit machen? Wie hört es sich an, wenn ich den Stock auf den Boden schlage? Was passiert, wenn ich daran ziehe?

Zu einem späteren Zeitpunkt der Entwicklung kann beobachtet werden, dass Babys Anstrengungen leisten, um in die Nähe anderer zu gelangen. Es folgen Versuche der Kontaktaufnahme: Sie reichen sich Gegenstände, beobachten die Anderen, versuchen sich über Gesten, etwas zu zeigen, oder machen das andere Kind und sein Verhalten nach (vgl. ebd., S. 9f.). Letzteres ist die typischste Kommunikationsform von Kleinkindern: die Imitation. Einer fängt an, der andere macht nach. Das Ganze kann sowohl nach einer Interaktion wieder beendet oder aber auch über einen längeren Zeitraum wechselseitig aufgebaut werden (vgl. Schneider-Andrich 2011, S. 7): Nils holt sich einen Ball. Anton holt sich einen Ball. Anton beobachtet Nils und lässt den Ball fallen. Nils lässt daraufhin ebenfalls seinen Ball fallen. Dieses Spiel kann über mehrere Minuten beobachtet werden und entwickelt sich stetig weiter.

Die Welt gemeinsam erforschen

Nicht nur die Kontaktaufnahmen an sich bieten eine Erweiterung des Erfahrungsschatzes von Kindern an – sie ermöglichen noch etwas anderes: die Welt gemeinsam zu entdecken und untersuchen. Denn durch das Gemeinsame ergibt sich zum einen eine größere Vielfalt und zum anderen eine eigene Qualität.

Kinder auf annähernd gleichem Entwicklungsstand gehen ganz anders in den Austausch und den Aushandlungsprozess. Es entstehen Spiele, die Erwachsene nicht initiieren – beispielsweise Bausteine gegeneinander zu schlagen, um die Wette zu krabbeln oder auch mal einen Gummistiefel mit Wasser zu befüllen. Dadurch kommt es zu neuen Bildungssituationen. Darüber hinaus ergibt sich für die pädagogische Fachkraft die Möglichkeit, einen Einblick in die Art und Weise, wie Kinder denken, zu bekommen. Um was geht es dem Kind dabei? Welchen Zusammenhang versucht es gerade für sich zu erschließen? Welches Interesse, welches Bedürfnis steckt denn dahinter? Antworten für das weitere pädagogische Handeln können dann über die Sortierung zu den Leitlinien, aber auch Themen der Bildungsbereiche gefunden werden.

Auch das Symbolspiel – in Gemeinschaft ausgeübt – hilft den Kindern, mit der dinglichen und personalen Welt zu experimentieren und dadurch neue Erfahrungen zu sammeln und Alltagssituationen zu erweitern (vgl. Wüstenberg 2017, S. 10f.). Der Baustein wird zum Telefon, die Decke zum Kleid, der Stock zum Flugzeug.

In der Interaktion entstehen selbstverständlich auch Konflikte und damit Möglichkeiten, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, Räume und Gegenstände zu erkunden. Denn Kleinkinder streiten sich vor allem um Platz, die Ausführung einer Spielidee mit den vorhandenen Gegenständen oder die ungeteilte Aufmerksamkeit einer Person für sich. Eine Vielzahl an Konflikten entstehen in der Mitte des Spiels, sind nach weniger als dreißig Sekunden vorbei und führen nicht selten zu neuen Spielimpulsen, die wiederum neue Aktionen auslösen und ein anderes Erfahrungsfeld öffnen (vgl. ebd., S. 11). Demnach bieten auch Konflikte ein Lernfeld, das durch Gemeinschaft entsteht.

Kleinkinder entwickeln in Gruppen einen einzigartigen Interaktionsstil. Dieser wächst im Laufe des Spiels durch die gegenseitigen Reaktionen und verändert sich. Die Kinder verstehen sich scheinbar blind und fühlen sich voneinander angezogen. Die Motivation sehr junger Kinder, gemeinsam zu spielen, ist vermutlich der Wunsch, Spaß zu haben. Das Quatsch-Machen und zusammen Fröhlich-Sein bietet Kindern neue Erfahrungsfelder im Bereich Bewegung, Körpererleben, humorvolle Reaktion und Interaktion (vgl. Wüstenberg 2017, S. 12). Häufig beobachtet wird die Situation am Ende des Mittagessens: Ein Kind beginnt mit einem Laut, alle anderen stimmen vergnügt mit ein, bis sich ein wundervoller Chor durch das ganze Kinderhaus ausbreitet.

Besonderheiten bei Kontaktaufnahmen von Kleinkindern

Wichtig ist im Blick zu behalten, dass die jungen Kinder sich selbst als Ausgangspunkt für ihr Handeln nehmen. Dieser Egozentrismus ist geprägt von einem starken Erkundungstrieb. Das hat zur Folge, dass Begegnungen unter Kleinstkindern in der Regel von sehr kurzer Dauer sind und schnell wechseln bzw. sich wieder auflösen.

Die jüngeren Kleinkinder im Alter von 0 bis ca. 1 Jahr spielen meist allein, teilweise auch in altershomogenen Gruppen. Meistens nutzen sie dafür das sogenannte Parallelspiel. Sie finden jedoch auch die Älteren faszinierend und interessieren sich für ihr Spiel. Kleinkinder im Alter von 2 bis 3 Jahren hingegen kontaktieren bevorzugt Gleichaltrige – ältere und jüngere Kinder stehen bei ihnen in der Regel nicht im Fokus. Trotzdem profitieren alle Kinder von einer Altersmischung. Denn die Interaktion ereignet sich dann innerhalb eines höheren Niveaus: die Älteren üben sich in der Vorbild-Rolle, die Jüngeren bekommen neue Impulse (vgl. Schneider-Andrich 2011, S. 5).

Die Form der Kontaktaufnahme im Kleinkindalter zu anderen ist vor allem motorisch-affektiv geprägt. Das bedeutet, dass für sie die non-verbale Kommunikation im Vordergrund steht. Dazu gehört eben auch, dass ein Kind das andere schubst, ihm ein Spielzeug wegnimmt oder sie sich gegenseitig mit Sand überschütten (vgl. ebd., S. 6).

Abschließend lässt sich klar belegen: alle Kinder – auch die Jüngsten – profitieren, wenn sie regelmäßig auf andere Kinder in ihrem Alter, aber auch auf ältere treffen. Die Neugier und Strategien haben Kinder von allein. Sie brauchen Gelegenheiten im Tagesablauf und eine bedürfnisorientierte und reflektierte Begleitung durch die pädagogische Fachkraft.

Mehr von Denise Samuel

Literatur

Schneider-Andrich, Petra (2011): Entwicklung und Themen von Peerbeziehungen. Verfügbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/FT_schneider_andrich_2011.pdf (letzter Zugriff am 05.05.2022).

Wüstenberg, Wiebke (2017): Bildungsprozesse im gemeinsamen Spiel von Babys und Kleinkindern. frühe Kindheit. Die ersten sechs Jahre (02), S. 6 -13

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