Umgang mit schwierigen Eingewöhnungen

Nicht jede Eingewöhnung verläuft nach dem zuletzt vorgestellten Schema von Eingewöhnungsmodellen. Jedes Kind ist anders und bringt eigene Bindungserfahrungen mit, die entscheidend für den Aufbau der Bindung zu anderen Menschen sind. Daher gelingt auch nicht jede Eingewöhnung oder sie benötigt sehr viel mehr Zeit, bzw. eine andere Vorgehensweisen. Ansätze zur Bewältigung solcher schwierigen Eingewöhnungen werden heute vorgestellt. Zuvor möchte ich auf zwei Personengruppen eingehen, die zum Gelingen der Eingewöhnung betragen (können): die pädagogische Fachkraft und die Eltern.

Bindungserfahrung der Eltern

Im Artikel zur Bindungstheorie wurde angedeutet, dass die Bindungserfahrungen der Eltern eine bedeutende Rolle auf die Bindungserfahrungen des eigenen Kindes haben. Man spricht hierbei von internalen Arbeitsmodellen von Bindung, die sich auf das eigene Verhalten zum Kind auswirken. Dies sind meist rekonstruierte Erinnerungen zu Beziehungen, der eigenen Lebenszufriedenheit und der Persönlichkeit. Diese Faktoren wirken sich nicht direkt auf die Bindungsqualität zum eigenen Kind aus, können sie aber beeinflussen. Entscheidend ist hierbei, wie man das eigene Kind betrachtet und welche Haltung man zu ihm hat.

Weitere Faktoren, die Einfluss auf die Bindungsqualität nehmen können, sind die Beziehung zwischen den Elternteilen, Stressoren außerhalb der Familie und soziale Unterstützungsmöglichkeit im Umfeld. Weiter bringt die Eingewöhnung in eine Kindertagesstätte nicht nur für das Kind einen Wandel seiner Lebensumstände mit sich. Folgt man der Transitionstheorie, geht mit der Eingewöhnung auch für die betroffenen Elternteile eine Umstellung einher. Die Eltern müssen sich darauf einstellen, ihr Kind, mit dem sie viel Zeit verbracht haben, zur Betreuung in fremde Hände zu übergeben, was nicht selten Schuldgefühle bei den Eltern auslöst. Gleichwohl können Eltern auch Ängste entwickeln, ihr Kind mit der neuen Umgebung zu überfordern oder auch die Bindung zu ihm zu schwächen oder zu verlieren. Oft ist die Eingewöhnung in die Kita mit dem Wiedereinstieg (meist der Mutter) ins Berufsleben verbunden. Studien belegen, dass die Einstellung der Eltern zu diesen beiden Parametern signifikant entscheidend für das Gelingen der Eingewöhnung ist: Eltern, die die gleichzeitige Eltern- und Arbeitnehmerrolle als stressreich empfinden, sich gezwungen fühlen, wieder arbeiten gehen zu müssen (z.B. aus finanziellen Gründen) und ihr Kind noch nicht in fremde Betreuung geben wollen, gelingt die Trennung vom Kind im Rahmen der Eingewöhnung meist am schlechtesten.

Können beide Elternteile sich in der Situation gut zurechtfinden und die Doppelrolle als Elternteil und Arbeitnehmer akzeptieren, zeigen sich wiederum meist sehr hohe Werte in der Bindungssicherheit zwischen Kind und Eltern. Der Eintritt in die Kita und die Wiederaufnahme der Arbeit bringt zudem veränderte innerfamiliäre Abläufe mit sich, an die sich sowohl das Kind als auch die Eltern gewöhnen müssen. Gleichzeitig sollte es den Eltern gelingen, eine Identität als Kita-Eltern aufzubauen, wozu ein Austausch über die Erwartungen der Einrichtung an die Eltern hilfreich ist.

Aufgabe der pädagogischen Fachkraft

An diesem Punkt kommen wir zur zweiten Personengruppe für eine gelingende Eingewöhnung: Die eingewöhnende Erzieherin (wie in der allgemeinen Literatur wird in der Folge zur Vereinfachung die weibliche Form genutzt). Hier ist zum einen das Wissen über Bindungsentwicklung und die Bedeutung von Bindung für die kindliche Entwicklung und auch den Übergang von Familie in die Einrichtung relevant. Mit diesem Wissen gelingt es meist zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Eingewöhnung, Bindungsmuster zu erkennen und ggf. entsprechend zu reagieren und alle beeinflussenden Faktoren zu berücksichtigen. Eng zusammen hängt hiermit auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexion der Pädagogin. Die Erkenntnisse daraus sind zusammen mit den Kind-Beobachtungen Grundlage für das pädagogische Handeln. Hierzu gehört auch die Erkenntnis, dass es sich im Institutionskontext vor allem um eine enge und stabile Beziehung handelt, die zwischen Kind und Fachkraft aufgebaut wird und nicht um eine den lang andauernde Bindung wie die zwischen Eltern und Kind.

Das erzieherische Handeln sollte dem Kind gegenüber empathisch und zugewandt sein, die Pädagogin bietet zunehmend Geborgenheit, Sicherheit und Rückhalt und bereitet eine emotional (und auch räumlich) warme Atmosphäre. Dies wird allgemein als Feinfühligkeit der Erzieherin beschrieben und hat einen hohen Stellenwert für das Gelingen der Eingewöhnung, besonders bei Kindern mit unsicheren Bindungen zum Elternteil. Weiter sollte die Fachkraft die Möglichkeit zur Stressreduktion bieten, um Emotionen regulieren zu können. Vor allem aber übernimmt sie die Rolle der Explorationspartnerin und muss die Balance zwischen Erkundung und Rückversicherung des Kindes finden. Hierfür ist die aufgebaute Beziehung die Grundlage. Gleichzeitig bietet sie eine Art Assistenz und Unterstützung, wenn das Kind an seine eigenen Grenzen kommt.

Zur Aufgabe der Pädagogin gehört auch das Gespräch mit den Eltern, sowohl im Erstgespräch vor Beginn der Eingewöhnung als auch während der Eingewöhnung. Hier sollte man versuchen herauszufinden, wie die Zeit zu Hause mit dem Kind in den ersten Lebensmonaten war: Welche Gelegenheiten hatte das Kind, andere Bindungen aufzubauen, und wie ist dies gelungen? Welche persönlichen Bedürfnisse hat das Kind und wie äußert es diese? Wie reagieren die Eltern normalerweise darauf (weinen bedeutet zum Beispiel nicht immer, getragen werden zu wollen)? Wie geht es den Eltern mit der Situation der außerhäuslichen Betreuung? Selbstverständlich heißt es auch hierbei feinfühlig vorzugehen und sich bewusst zu machen, dass man ggf. in den sogenannten Tanzbereich der Eltern eintritt. Einige Eltern empfinden sogar Konkurrenzgefühle den Erzieherinnen gegenüber. Wenn die Eltern Grenzen aufzeigen, muss dies akzeptiert werden, da es sonst zum Bruch des möglicherweise beginnenden Vertrauens führen kann. Feinfühliges Vorgehen begleitet die Kommunikation mit den Eltern bzw. dem eingewöhnenden Elternteil auch weiterhin.

Sicher hat man im Erstgespräch, zu dem möglichst immer eine Hausbesichtigung gehören sollte, schon den Verlauf der Eingewöhnung besprochen, doch in der hohen Emotionalität, die Eltern meist während der Eingewöhnung begleitet, muss Vieles nochmal aufgegriffen werden. Es ist ratsam, den Eltern Stück für Stück die nächsten Schritte zu erklären und zu besprechen, warum die Zeit für den nächsten Schritt gekommen ist, an welchen Zeichen und Reaktionen des Kindes man festmacht, ob die nächsten Phase eingeläutet werden kann. Gerade bei Schwierigkeiten während der Eingewöhnung sollte die Pädagogin als einfühlsame Gesprächspartnerin fungieren, die den Eltern eventuell aufkommende Schuldgefühle nimmt. Hierzu ist ein täglicher Bericht zum Tun und den Entwicklungen des Kindes gewinnbringend.

Wann gilt eine Eingewöhnung als erfolgreich abgeschlossen? Das Kind zeigt sich gut integriert, es erkundet den Raum und tritt zunehmend mit anderen Kindern oder auch Erwachsenen in Interaktion. Es darf bei der Verabschiedung durchaus weinen, das starke Äußern seiner Emotionen dient der erfolgreichen Übergangsbewältigung. Wichtig ist jedoch, dass es sich zeitnah nach der Trennung wieder beruhigen lässt und wieder ins Spiel findet.

Hilfestellungen

Welche Möglichkeiten hat man nun, wenn die Eingewöhnung nicht voranschreitet und das Kind lange weint und großen Trennungsschmerz zeigt? Die folgende Liste gibt überblicksartig einige Hinweis zum Vorgehen:

  • Geduld mit sich: Wie beschrieben, müssen Kinder lernen, eine Beziehung zu anderen Personen aufzubauen. Geben Sie dem Kind die Gelegenheit und die Zeit dafür. Verzweifeln sie nicht gleich an sich, wenn die ersten Trennungen mit vielen Tränen verbunden sind.
  • Zeit für die Eingewöhnung: Nehmen Sie sich Zeit für die Eingewöhnung. Im Idealfall können Kolleginnen Ihnen diese Freiräume verschaffen. Gleichzeitig sollten auch die Eltern Zeit für die Eingewöhnung ihres Kindes mitbringen – besprechen Sie dies ausführlich. Haben die Eltern zeitlichen Druck, merken dies die Kinder oft.
  • Situation zu Hause: Versuchen Sie im Gespräch mit den Eltern etwas über die momentane Situation zu Hause zu erfahren: Wie verhält sich das Kind dort seit der Eingewöhnung? Wie reagieren die Eltern auf Signale des Kindes? Gibt es neue, besondere Situationen (Geburt eines Geschwisterchens o.ä.)? Wie reagiert das Kind auf andere Personen und bei Trennung im bisher bekannten Rahmen, fremdelt es?
  • Abläufe zu Hause: Versuchen Sie in Erfahrung zu bringen, was sich durch den Einrichtungsbesuch ändert oder auch geändert hat. Erörtern sie gemeinsam, ob es die Möglichkeit für eine gewisse Routine zu Hause gibt.
  • Gefühle zulassen: Kinder, die ihre Emotionen zum Ausdruck bringen dürfen, sind letztlich emotional stabiler. Lassen Sie also Weinen oder andere Gefühlsäußerungen wie Zorn durchaus zu, und legitimieren Sie dies auch vor den Eltern. Wichtig ist, dass sich das Kind in einer angemessenen Zeit von Ihnen beruhigen lässt.
  • Physische Bedürfnisse des Kindes: Ist die Terminierung der Eingewöhnung passend, oder liegt sie möglicherweise in eine Schlaf- oder Essensphase des Kindes? In dem Falle bietet es sich an, die Eingewöhnung zum Beispiel auf den Nachmittag zu legen, sofern das Kind am Nachmittag eine „fittere“ Phase hat. Möglicherweise kann das Elternhaus seine Abläufe langfristig an die Zeiten in der Einrichtung anpassen. So lässt sich (vielleicht schon vor Beginn der Eingewöhnung) eine gemeinsame Routine entwickeln.
  • Übergangsobjekt: Das Lieblingskuscheltier wird meist im Erstgespräch angesprochen, fragen Sie ggf. hier nochmal nach. Auch wenn Kinder bisher keins hatten, im Rahmen der Eingewöhnung entwickelt sich der ein oder andere Gegenstand zum unterstützenden Übergangsobjekt.
  • Lieblingstätigkeiten: Was tut das Kind momentan zu Hause gern? Lässt sich diese Tätigkeit in der Einrichtung aufgreifen? Für den Beginn kann es hilfreich sein, das entsprechende Spielmaterial, ähnlich dem Übergangsobjekt, mit in die Einrichtung zu bringen. Darüber hinaus können Klassiker wie Aktivitäten mit Wasser, Matsch oder Schaum eine intensive Beschäftigung und Entspannung bieten. Für manche Kinder kann ein gänzlich fremdes Spielmaterial spannend und hilfreich für den Eingewöhnungsprozess wirken. Gleiches gilt für einen neuen Raum, der möglicherweise attraktiver ist.
  • Andere Personen: Im Konzept-e-Netzwerk sprechen wir seit längerem von Dokumentations-Pädagogen, die sicher die Eingewöhnung übernehmen. Dennoch ist die Person nicht gleichzeitig die, zu der sich die engste Beziehung tatsächlich aufbaut. Überprüfen Sie, ob dem Kind eine andere Person in der Einrichtung lieber ist. Seien Sie hierbei flexibel und gönnen Sie dem Kind dieses Bedürfnis. Es mag sein, dass der eingewöhnende Elternteil nicht die ideale Person für das Kind ist. Sprechen Sie bei Bedarf an, ob eine andere Person (Partner*in, Großeltern) eingewöhnen kann und sich besser lösen kann. Hier gilt zu bedenken, dass in dem Falle schon zu Hause eine nötige Verabschiedung von der offensichtlichen Hauptbindungsperson manchmal auch eher zum Gegenteil führt. In Anlehnung an das Münchner Eingewöhnungsmodell schauen Sie bitte auf die Kindergruppe: Gibt es in der Gruppe ungünstige Konstellationen, und wie kann man damit umgehen?
  • Elterngespräche: Den Leitfragebogen zur Eingewöhnung kennen Sie. Wichtig ist, den Eltern so Verständnis zur Bindungstheorie und -entwicklung mitzugeben, auch in Gesprächen während der Eingewöhnung. Machen Sie deutlich, warum Sie so agieren und nicht anders, und bleiben Sie im Gespräch mit den Eltern. Auch zwischen Ihnen muss sich Vertrauen aufbauen. Versuchen Sie, die Fortschritte zu kommunizieren und die Zeit des Kindes in der Kita zu verbildlichen: ein frühes Portfolio oder auch ein ICH-Buch sind für Eltern und Kind eine gute erste Verbindung zur Einrichtung.

Ich wünsche Ihnen für Ihre künftigen Eingewöhnungen viel Erfolg. Bedenken Sie die genannten Punkte auch für die Wieder-Eingewöhnungen nach der aktuellen Schließung. Für einige Kinder wird dies relevant sein. Gehen Sie dafür rechtzeitig mit den Eltern ins Gespräch, erfragen Sie, wie die vergangenen Wochen verliefen und weisen Sie auf ausreichend Zeit für die Re-Eingewöhnung hin. Bei Fragen oder Anregungen und Ideen dazu, freuen wir uns über Rückmeldungen von Ihnen!

Quellen:
Bauer, M.; Klamer, K. & Veit, M.: „So gelingt der Start in die Kita“ – Bindungsorientierte Eingewöhnung. In: Textor, M. R. & Bostelmann, A. (Hrsg.): Das Kita-Handbuch. https://www.kindergartenpaedagogik.de/images/PDF/1985.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.4.2020)
Berk, L. E. (32005): Entwicklungspsychologie. München: Pearson. Kap. 6.4.
Hédevári-Heller, E: Eingewöhnung. In: Weegmann, W. & Kammerlander, C. (2010): Die Jüngsten in der Kita. Stuttgart: Kohlhammer.

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