Stress – Teufel oder Engel?

Wir kennen es alle: ein Vorstellungsgespräch, eine wichtige Terminarbeit oder ein Tag voller To Dos. Wie sich Stress anfühlt, empfinden wir – positiv wie negativ. Welche Arten von Stress gibt es und wie kann er sich auf unser Leben auswirken? Und wie entsteht er überhaupt? Eine aktuelle Stressstudie weist aus, dass 64% der Menschen in Deutschland sich mindestens manchmal gestresst fühlen, 26% sogar häufig (Techniker Krankenkasse 2021, S. 8. Doch der Reihe nach.

Was ist Stress?

Stress ist eine Reaktion auf Spannung, Druck oder gestellte Anforderungen. Diese Reaktion wird unterschiedlich aufgenommen. Es gibt den so genannten Eustress: eine Situation ist herausfordernd, stressreich und wird dabei positiv erlebt. Diese Form von Stress kann dafür sorgen, dass wir leistungsfähiger und motivierter sind. Die Belastung ist zwar vorhanden, spornt uns aber an. Solange wir uns sicher sind, eine Herausforderung zu meistern, aktivieren wir leicht unsere Ressourcen.  

Eine besondere Belastung dagegen, die wir nicht zu lösen vermögen, löst in unserem Körper ein Alarmsignal aus. Bleibt dieses Signal im Dauerzustand, weil Anforderungen nicht erfüllt werden können oder ein permanenter Druck vorhanden ist, wird diese Form von Stress als negativ empfunden. Es entsteht Distress, ein Zustand, in dem sich eine Person nicht vollständig an Stressfaktoren und dem daraus resultierenden Stress anpassen kann. Im Grunde können wir an dieser auch aufatmen: Denn es gibt (fast immer) einen Ausweg, damit die leibliche Existenz nicht in Gefahr gerät.

Wie entsteht Stress in Körper und Geist?

Stress beginnt im Kopf – immer dann, wenn wir eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen und unseren Bewältigungskompetenzen wahrnehmen. Oft sind wir in den eigenen Gedankenketten gefangen und nicht im Hier und Jetzt präsent. Wenn doch, dann unter subjektiv gefühltem Zeit- und Leistungsdruck – wir leiden mehr an unseren Gedanken als an der Realität. Jeder lässt sich unterschiedlich beeinflussen, geprägt durch seine Erfahrungen, Bewertungen und Einschätzungen. Zwei Menschen können in der gleichen Situation sein, ihr Stresslevel kann sich aber deutlich unterscheiden. Der Grund liegt darin, wie ein Stressor wahrgenommen wird und welche Gedanken und Schlussfolgerungen er auslöst.  

Wenn wir einem Stressor ausgesetzt sind, reagiert eine Region in unserem Gehirn – die Amygdala: sie verarbeitet Emotionen, vorrangig Angst und Stress. Um aus dem Kreislauf aus hoher Anforderung einerseits und gefühltem Unvermögen andererseits auszubrechen, kann es helfen, gedanklich einen Schritt zurückzutreten und zu reflektieren: Was hat Priorität? Was ist (mir) wichtig? Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung? 

In Stresssituationen werden Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgestoßen. Diese machen uns vorübergehend leistungsfähiger, damit wir schnellstmöglich aus der Situation durch die Handlungsoptionen „Flucht“, „Kampf“ oder „Tot-stellen“ entkommen können. Unser Nervensystem ist schnell: es erhöht den Blutdruck, verstärkt den Stoffwechsel und baut Kohlenhydrate ab. Das Gehirn und die Muskeln sind besser versorgt, Körperfunktionen wie z.B. die Verdauung werden heruntergeregelt. Ein weiteres Stresshormon – das Cortisol – wird in der Nebennierenrinde gebildet und kann bei dauerhaftem Verbleib sowohl zu körperlichen als auch psychisch langfristigen Folgen, wie z.B. Wundheilungsstörungen oder Depressionen, führen. 

Wie erkenne ich meine Stressmuster?

Um herauszufinden, wann ich mich gestresst fühle, sind folgende Fragen hilfreich: 

  • Wie/wann erlebe ich Stresssituationen?  
  • Was war der Auslöser?  
  • Wie sind in diesem Stressmoment meine Gefühle, mein Verhalten, meine Wahrnehmung? 
  • Mit welcher Erfahrung stimmt dies überein?  
  • Was lerne ich daraus?
  • Wie werde ich mich beim nächsten Mal verhalten? 
  • Wie werde ich mich (voraussichtlich) fühlen?

Welche Symptome zeigen sich durch Stress im (Arbeits-)alltag? 

Laut Studie der TK leidet ein Großteil der Gestressten unter Erschöpfung (80%), Schlafstörungen (52%), Kopfschmerzen und Migräne (40%) oder Niedergeschlagenheit bzw. Depressionen (34%). Diese Symptome können ständige Unruhe, Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, Flucht in Suchtverhalten, Unzufriedenheit im Job sowie die Einschränkung persönlicher Interaktionen zur Folge haben. Allein die Angst vor Stress und den möglichen Auswirkungen belastet die Psyche enorm. In der Regel ist unser menschlicher Organismus in der Lage, den Stressor zu bewältigen, indem er die eigenen Kräfte mobilisiert, um die Spannungen abzubauen und die Gründe für den erlebten Stress zu beseitigen. Der Körper kann seine Funktionen wieder in den Normalzustand zurückfahren. Chronischer Stress dagegen kann langfristig zu einem Burnout führen.  

Wir sollten den Fokus auf die Reduzierung von Stress mit all seinen Risiken legen: Stress manifestiert sich, wenn Erholungszeiten fehlen. Ein Zurückgreifen auf die eigenen Ressourcen kann helfen. Besonders in Phasen großer Belastung ist es wichtig, der Aufarbeitung, Ablenkung, Entspannung sowie Ruhe und Schlaf Zeit zu schenken, wie z.B. durch Sport, Gartenarbeit, Saunabesuch, soziale Kontakte, Aufenthalte in der Natur, etc.

Tipps zur Stressreduktion

Es gibt keine Patentrezepte für die effektive Bewältigung von Stresssituationen. Es ist jedoch förderlich, sich der eigenen Schwächen und Stärken bewusst zu sein und zu lernen, manche Situation – so wie sie ist – zu akzeptieren. Wer seinen eigenen Stärken vertraut, wird bei Misserfolgen nicht sofort resignieren und nach einer neuen Lösung suchen.  

Manchmal mag es sich so anfühlen, als renne man gegen eine Wand. Würde man nur einen Schritt zurücktreten, wäre die Tür sichtbar, die eine Lösung darstellt und die man leicht durchschreitet. Es kann auch hilfreich sein, eine Herausforderung in kleinere Teile zu zerlegen und sich Zwischenziele zu setzen. Es lohnt sich in jedem Fall, das eigene Selbstmanagement zu überprüfen und sich mentalen Ausgleich zu suchen. Stress kann bewältigt werden, indem die persönliche Situation und das Problem analysiert, Methoden zur aktiven Entspannung und Stressbewältigung erlernt und langfristig Strategien zur Stressbewältigung erworben werden. Es ist dienlich, sich vor Schwarz-Weiß-Denken zu schützen und Schwierigkeiten als zu bewältigende Herausforderungen zu sehen: „Welche Herausforderungen habe ich in meinem Leben schon gemeistert?“ oder „Wo war ich erfolgreich?“. 

Um kurzfristig den Stress zu reduzieren, hilft es, 

  • durchzuatmen, 
  • anzunehmen, was unabänderlich ist, 
  • sich an Situationen des Gelingens zu erinnern, 
  • den eigenen Tagesplan loszulassen, 
  • einen gemeinsam gut bewältigten Tag, der möglicherweise stressarm war, als wertvolle, persönliche und pädagogische Leistung mit den Kolleg:innen und Kindern anzuerkennen, 
  • die Wahrnehmung umzulenken, wie z.B. Aufräumen, Spazierengehen, sich mit anderen Dingen beschäftigen, Sport treiben Musik hören, lesen, essen, trinken, ein Bad nehmen. 

Wichtig ist, sich realistisch mit der gegenwärtigen Situation auseinanderzusetzen und den Ist-Stand zu analysieren. Um den Stress zu bewältigen, können die folgenden langfristige Strategien hilfreich sein: 

  • Autogenes Training, 
  • Yoga oder Thai-Chi, 
  • eine Veränderung der Grundeinstellung wie z.B. positives Denken, 
  • Selbstmanagement mit eingeplanten Puffern, 
  • Zeit für soziale Kontakte, 
  • Zufriedenheitserlebnisse schaffen, 
  • Problemlösungsstrategien anwenden. 

Um z.B. den Arbeitsalltag hinter sich zu lassen, eignet sich der Heimweg bestens für eine kurze Gehmeditation. So kann man mit frischer Energie in den Feierabend starten. Die wesentlichen Bestandteile der Gehmeditation sind Achtsamkeit: Gehen, Atmen und Lächeln. In der Regel gehen wir automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken. Ziel ist es, die Bewegungen beim Gehen bewusst wahrzunehmen und alles andere auszublenden, den Atem den Schritten anzupassen. Das Lächeln dabei nicht vergessen! Denn selbst wenn uns nicht danach ist, werden durch die Mimik positive Botenstoffe ausgeschüttet.  

Bewegung ist das A und O, um die Gehirnzellen am Laufen zu halten. Durch Bewegung wird unser Gehirn mit Sauerstoff durchflutet. Wir bauen durch die körperliche Anstrengung Stress ab und katapultieren den Körper direkt in eine gesunde mentale wie physische Ruhephase. Schön wäre es, Spaß dabei zu haben. So können wir abschalten und anschließend gut schlafen. Studien empfehlen, dass es mindestens sieben Stunden pro Tag sein sollten, damit sich Körper und Geist wieder regenerieren können. Nur mit ausreichend Schlaf kann das Gehirn am nächsten Tag wieder auf Hochtouren arbeiten. 

Teufel oder Engel?: Wenn wir uns von der Vorstellung trennen können, dass die Dinge immer so laufen, wie wir sie erwarten, dann nutzen wir unsere Fähigkeit, einen Gedanken dem anderen vorzuziehen.

Mehr von Barbara Schmieder 

Literatur 

Krause, Christina; Mayer, Claude-Hélène (2012): Gesundheitsressourcen erkennen und fördern. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 

Kypta, Gabriele (2020): Burnout erkennen, überwinden, vermeiden.‎ 2. Auflage. Carl Auer: Heidelberg 

Schütz, Astrid; Köppe, Christina; Andresen, Maike (2020): Was Führungskräfte über Psychologie wissen sollten. Hogrefe: Göttingen 

Techniker Krankenkasse (2021) (Hrsg.): Entspann dich, Deutschland! TK-Stress-Studie 2021. Abrufbar unter: https://www.tk.de/resource/blob/2116464/d16a9c0de0dc83509e9cf12a503609c0/2021-stressstudie-data.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.3.23) 

Schneewind, Julia (2011): Persönlichkeit stärken – gesund bleiben. Bildungsverlag EINS: Köln 

Die Zeit im Griff – den Arbeitsalltag
effektiv gestalten

Fühlen Sie sich an manchen Tagen wie im Hamsterrad? Der Berg an Aufgaben will nicht kleiner werden. Ständig kommt Neues hinzu, und Sie wissen gar nicht mehr, was Sie zuerst anpacken sollen. An anderen Tagen kommen Sie mit ihrer Zeit gut zurecht. Wie kommt das? Wie können Sie Ihren Arbeitsalltag effektiv gestalten?

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die meisten Menschen etwa 10% ihrer Arbeitszeit für falsche Priorisierung verschwenden. Es mangelt oft nicht an Zeit, wir Menschen teilen sie falsch ein. Es gibt Methoden, die entscheidend weiterhelfen und geeignet sind, dem Hamsterrad zu entkommen. Wer im Arbeitsalltag gelassen bleibt, weil er alle Aufgaben im Blick behält, wird dies an seiner Arbeitsmotivation spüren und wesentlich entspannter durch den Tag kommen. Darüber hinaus freut sich jeder Mensch, wenn er Zeit gewinnt. Wer sein Arbeitspensum zügig erledigt, ist zufrieden und schöpft neue Kraft. Motivation für Neues kann entstehen.

Mit wenigen, kleinen Veränderungen können Sie die Zeit für Ihre beruflichen Aufgaben besser einteilen. Und somit entsteht Freiraum für echte Pausen, gesundheitsfördernde Aktivitäten, Fortbildung usw. Mit diesen Vorschlägen lässt sich der Tag klarer strukturieren:

Den Tag beginnen

Richten Sie ihren Arbeitsplatz mit allen benötigten Materialien ein. Stellen Sie sich Getränke bereit und aktualisieren Ihre To-do-Liste. Erst dann beginnen Sie mit ihrer Arbeit. Wenn Sie mit einer beliebigen Aufgabe anfangen, besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich durch den Alltag jagen lassen. Sie wissen nämlich nicht genau, was noch auf Sie wartet. Sie stecken im Hamsterrad, sind getrieben, anstatt zu steuern.

Aufgaben auf einer To-do-Liste mit der ABC-Methode (nach H. Ford Dickie) festhalten

Mit dieser Methode können Sie Ihr Gehirn entlasten. Denn alles, was Sie sich nicht merken müssen, kostet weniger Energie und reduziert das Gefühl, die Arbeit nicht im Griff zu haben. Wenn Sie auf einer Liste Ihren Arbeitsalltag etwa 10 Minuten vorbereiten und anschließend konsequent abarbeiten, können Sie täglich bis zu einer Stunde für das Wesentliche gewinnen. Mit der ABC-Methode, die auf dem Pareto-Prinzip basiert (siehe Kasten), kann die To-do-Liste effektiv erstellt werden. Die Buchstaben stehen für bestimmte Kategorien. Unter A finden sich Aufgaben, die wichtig und dringend zugleich sind. Zu B gehören Aufgaben, die wichtig, aber nicht dringend sind. Unter C jene, welche dringend, aber nicht wichtig sind. Eine Priorisierung sollten Sie auch für Ihre Zeiteinteilung durchführen: rund 65 % der Zeit für die Aufgaben der Kategorie A, 20 % sollten den Aufgaben der Kategorie B vorbehalten sein. Die restlichen 15 % reichen für Routine-Aufgaben aus, die möglicherweise an andere delegiert werden können.

Ungeliebtes zuerst

Erledigen Sie unliebsame Aufgaben möglichst zuerst – z.B. eine lästige Dokumentation, ein unangenehmes Telefonat. Identifizieren Sie diese „Jobs“ auf ihrer To-do-Liste und nehmen Sie sich Ihrer an. Es handelt sich beispielsweise um Aufgaben, die ein ungutes Gefühl verursachen, aber wenig Zeit benötigen. Oder es handelt sich um unklare Aufgaben, bei denen Recherchen nötig sind und die Sie deshalb vor sich herschieben. Sie werden bemerken, wie gut sie sich nach der Erledigung dieser Aufgaben fühlen.

Wichtig vor dringlich

Lassen Sie sich nicht von anderen unnötig antreiben. Nur weil andere eine Aufgabe dringlich machen, ist sie es noch lange nicht. Klären Sie, was bis wann erledigt werden muss und ob es überhaupt auf ihre To-do-Liste gehört. Es lohnt sich, sich hier Klarheit zu verschaffen. Denn wenn eine Aufgabe nicht in Ihren Verantwortungsbereich gehört, geben Sie sie zurück. Man spricht hierbei auch vom so genannten monkey-business oder no monkey business. Lassen Sie sich nicht die Affen anderer auf Ihre Schulter setzen.

Rituale einführen

Nehmen Sie sich am Ende eines (Arbeits)-Tages einige Minuten Zeit, um ein Fazit zu ziehen. Streichen Sie alle erledigten Aufgaben aus ihrer To-do-Liste und würdigen Sie Ihre Leistung. Sie können sich auch sprichwörtlich für all das auf die Schulter klopfen, was sie abgeschlossen oder vorangetrieben haben.

Ungeteilte Aufmerksamkeit

Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belegen, dass Arbeitnehmer sehr oft am Tag in ihrer augenblicklichen Arbeit unterbrochen werden. Immer wenn dies geschieht, benötigen Sie nach der Unterbrechung etwa zwei Minuten, um wieder in die Aufgabe hineinzufinden. Das ist nicht effizient. Bleiben Sie bei einer Sache. Die Bearbeitungszeit verkürzt sich dadurch erheblich. Sie selbst kennen Ihren Tag am besten und können sich Zeiten blocken, in denen Sie konzentriert sein müssen, wollen und auch können. Störenfriede verweisen Sie bitte freundlich in ihre Schranken. Auch das Mobiltelefon darf aus dem Sichtfeld verschwinden und kann Sie nicht vom Wesentlichen abhalten. Sie werden überrascht sein, wie viel mehr Sie schaffen.

So funktioniert die Umsetzung

Suchen Sie sich ein bis zwei Tipps heraus, deren Umsetzung Ihnen einfach erscheinen und setzen diese über einen längeren Zeitraum um. Es dauert ein bis zwei Monate, bevor etwas neu Erlerntes zur Gewohnheit wird. Haben Sie den ersten Erfolg verbucht, können Sie sich weitere Veränderungen vornehmen. Verschwenden Sie keine weitere Zeit mit Unnötigem oder Belastendem. Ihre Gesundheit wird es Ihnen danken.

Das Pareto Prinzip, auch bekannt unter „Pareto-Effekt“ oder „80/20-Regel“, ist nach Vilfredo Pareto (1848–1923) benannt. Dieses Prinzip besagt, dass mit 20% des Gesamtaufwandes 80% der Ergebnisse erreicht werden. Die verbleibenden 80% werden für 20% eines Ergebnisses aufgewendet. Der Nutzen des Pareto-Prinzips besteht darin, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die den größten Einfluss haben. Hierdurch können Produktivität und Effizienz gesteigert werden. So lassen sich mit 20% der richtig und sinnvoll eingesetzten Zeit 80% der Aufgaben erledigen.

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Literatur

Clear, James (2020): Die 1%-Methode – Minimale Veränderung, maximale Wirkung: Mit kleinen Gewohnheiten jedes Ziel erreichen. Goldmann: München

Seiwert, Lothar J.; Tracy, Brian (2001): Life-Leadership. So bekommen Sie Ihr Leben in Balance. Gabal: Offenbach
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2019): Arbeitsunterbrechungen und Multitasking täglich meistern. Abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A78.html
(zuletzt aufgerufen am 02.06.2022)

Mai, Jochen (2020): Pareto Prinzip: So einfach funktioniert die 80-20-Regel.
Abrufbar unter: https://karrierebibel.de/pareto-prinzip/ (zuletzt aufgerufen am 02.06.2022)

Was ist Hochsensibilität?

Der Begriff „high sensitive person“ (kurz: HSP) wurde in den 1990er Jahren von der amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron geprägt. Sie beschrieb Grundstrukturen der Hochsensibilität, die heute (in den USA) als eigenständiges Persönlichkeitsmerkmal wissenschaftlich anerkannt sind. Sie fand heraus, dass die Wahrnehmungen der HSP detailreicher sind als die anderer Personen und eine tiefere Verarbeitung der Eindrücke stattfindet. Auch der natürliche Wahrnehmungsfilter ist – laut Aron – bei hochsensiblen Personen weniger ausgeprägt.

Hochsensibilität ist eine Veranlagung, die etwa 20% der Bevölkerung betrifft. Sie ist nach heutigem Wissensstand überwiegend angeboren, wird meist vererbt oder kann laut Persönlichkeitspsychologie durch traumatische Erlebnisse erworben werden. Hochsensibilität äußert sich von Geburt an und kann nicht willentlich geändert werden. Eine allgemeingültige Definition der Hochsensibilität gibt es zurzeit nicht. Sicher ist nur, dass es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine Wahrnehmungsbegabung handelt.

Die Tendenz zur Überstimulation mit unterschiedlichen körperlichen und psychologischen Symptomen (z.B. Überreiztheit, Nervosität oder erhöhter Puls) kann als die allgemeingültigste Gemeinsamkeit aller HSP benannt werden. Neben Elaine N. Aron erforschten auch andere Wissenschaftler die Hochsensibilität: der Psychoanalytiker C. G. Jung (1875–1961), der Neurologe und Physiologe Ivan Pawlow (1849–1936) sowie der Psychologe Jerome Kagan (1929–2021).

Merkmale hochsensibler Menschen

Hochsensible Menschen können eine Auswahl der untenstehenden Merkmale auf sich vereinen, die nicht alle gleichermaßen auftreten müssen. Dabei ist die folgende Liste an sich nicht vollständig: 

  • sehr feine, detaillierte Wahrnehmung (z.B. Geräusche, Luftqualität, optische Eindrücke) 
  • lebhafte Vorstellungskraft 
  • das Streben nach Vollkommenheit 
  • erhöhte körperliche Empfindlichkeit
  • subtile Wahrnehmung der inneren Welt (eigene und der der anderen), manchmal außersinnliche Wahrnehmungen
  • Lernfähigkeit bis ins hohe Alter
  • gute Fähigkeit zum Zuhören
  • Empfindlichkeit bei Druck, Hitze, Kälte
  • verstärkte Reaktion auf Substanzen wie Medikamente und Alkohol
  • ausgeprägte Intuition
  • enorme Gewissenhaftigkeit
  • ausgeprägter Ethik- und Gerechtigkeitssinn
  • Reflexion der eigenen Gedanken (Sie denken über das Denken nach)

Typologie hochsensibler Personen

Hochsensibilität ist nur ein Oberbegriff über die zu differenzierende Typologie der HSP, denn nicht alle HSP sind gleich. Es gibt Unterscheidungen der Charaktere sowohl in den Vorlieben als auch in den Stärken, im Arbeitsstil und in der Stressverarbeitung. Die Charakter-Typologie geht auf den Psychologen C. G. Jung zurück. Jung war der Ansicht, menschliches Verhalten sei nichts Zufälliges und ist somit klassifizierbar. Unterschiedliches Verhalten resultiere aus verschiedenen Präferenzen der Menschen, die schon früh im Leben festgelegt werden bzw. teilweise angeboren sind. Sie bilden die Grundlage unserer Persönlichkeit. Nach Jung gibt es acht Präferenzmodelle, d. h. acht verschiedene psychologische Typen, deren Kombination den Charakter des Menschen prägt und über wissenschaftlich fundierte Persönlichkeitstests ermittelbar ist.

Hochsensibilität im sozialen Umfeld

Jeder Mensch ist anders, aber wir gehen sehr oft davon aus, dass alle anderen auf die gleiche Weise empfinden und wahrnehmen wie wir selbst. Wir wundern uns darüber, dass die Mitmenschen dann doch ganz anders „ticken“. HSP stoßen oft auf Unverständnis – für ihr Handeln und ihr „So-Sein“ – und stellen ihre Wesensart sehr häufig infrage. Aussagen wie: „Stell´ dich nicht so an!“, „Sei nicht so empfindlich!“ oder „Was du wieder hast!“ sind ihnen äußerst vertraut. Nicht-HSP haben dafür hingegen wenig Anlass, sich in Frage zu stellen, weil sie sich als konform mit der Mehrheit der Menschen empfinden. Demzufolge halten sie sich für normal. Im Umkehrschluss wird die HSP häufig als „unnormal“ wahrgenommen. Doch Hochsensibilität ist nicht gleichzusetzen mit introvertiert, ängstlich oder wenig sozialisiert zu sein.  

Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der Hochsensibilität. Z.B. gibt es die High Sensation Seeker (HSS), die hochsensiblen Abenteurer. Sie suchen Herausforderungen und kommen kaum zur Ruhe. Sie zeigen wenig Angst, sind unternehmungslustig und aufgeschlossen gegenüber Neuem. Ihr extrovertiertes, aktives Verhalten lässt sie schnell die eigenen Grenzen überschreiten. Sie werden müde und spüren eher spät oder zu spät, dass sie sich in Gefahr bringen können, weil sie erschöpft sind. Die Folge kann sein, dass sie sich unverstanden fühlen, jedoch nicht mit Rückzug reagieren. Sie sind auf der Suche nach dem nächsten Kick und wollen alles Neue unbedingt ausprobieren.

Hochsensibel im Beruf

Auch HSP haben die gleiche Arbeitsumgebung wie ihre Nicht-HSP-Kollegen. Sie erleben diese nur mit erheblich mehr Reizen. HSP gehen perfektionistisch an ihre Aufgaben heran und stellen an sich selbst sehr hohe oder überhöhte Ansprüche. Sie wollen die (vermeintlichen) Erwartungen anderer unbedingt erfüllen, tun sich schwer mit Nein-Sagen und Sich-Abgrenzen und wollen unbedingt mit anderen Schritt halten. Dabei nehmen sie Eindrücke intensiver wahr und verarbeiten diese länger. Während des Noch-Verarbeitens nehmen sie neue Eindrücke auf, die wiederum verarbeitet werden müssen. Dadurch geraten HSP früher in einen Ermüdungszustand, was häufig am Übergang von Kurzzeit- zu Langzeitstress sowie an den entsprechenden hormonellen Reaktionen (Adrenalin, Cortisol) liegt. Hochsensible Menschen sollten unbedingt auf sich Acht geben und auf ihr sensibles Wesen Rücksicht nehmen. Das heißt jedoch nicht, dass sie Herausforderungen vermeiden sollten, denn ihr Talent ist wertvoll.

Was bedeutet Hochsensibilität in der pädagogischen Arbeit?

Hochsensible Kinder (HSK) kämpfen im Alltag häufig mit besonderen Herausforderungen. Das Erkennen von Signalen und Verhalten, wie z.B. die Empfindlichkeit auf bestimmte Textilien oder Geräusche, kann der erzieherischen Person helfen, dem Kind eine passende Umgebung zu ermöglichen. HSK benötigen meist mehr Zeit für die Verarbeitung ihrer Lernimpulse. Rückzugsorte, in denen auch Ruhephasen möglich sind, wirken einer Überstimulation entgegen. Die größten Stärken von HSK sind ihr Mitgefühl, ihre hohe Intuition und das Erkennen von Stimmungen. Aufgrund ihrer Empathie haben sie eine Abneigung gegen Gewalt und setzen sich oft für Schwächere ein.  

Nicht nur Laien verwechseln Hochsensibilität leider häufig mit den Krankheitsbildern AD(H)S oder dem Asperger-Syndrom. Eine HSP kann Emotionen fühlen, tiefe Gefühle entwickeln und eine starke Empathie zeigen. Eine Person mit der Diagnose AD(H)S besitzt ein intensives, impulsives Gefühlsleben, fühlt sich schnell verletzt, ungerecht behandelt und erträgt keine Langeweile. Personen mit dem Asperger-Syndrom besitzen eine mangelnde Empathie, sind emotional verletzbarer und wirken eher rational. Wer Hochsensibilität erkennt, kann seinem Gegenüber eine gewinnbringende Unterstützung in der Entwicklung und im Alltag sein.  

Sind Sie oder Menschen in Ihrem beruflichen oder privaten Umfeld vielleicht hochsensibel? Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Sie Hochsensibilität erkennen und damit umgehen können? Dann besuchen Sie das Seminar „Hochsensibilität – ein hochsensibles Thema“ am 21.06.2023. Weitere Informationen und die Anmeldung finden Sie auf der Homepage der Freie Duale Fachakademie für Pädagogik: 

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Literatur 

Aron, Elaine N. (2019): Das hochsensible Kind – Wie Sie auf die besonderen Schwächen und Bedürfnisse Ihres Kindes eingehen. 9. Auflage. mvg: München 

Aron, Elaine N. (2021): Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen. 15. Auflage. mvg: München

Wertschätzung als Quelle der Kraft

In unserem KiTa-Alltag wünschen wir uns einen wertschätzenden Umgang miteinander. Wir wollen mit dem, was wir sind, was wir machen und geleistet haben, gesehen und anerkannt – wertgeschätzt – werden. Oder wie es Marie von Ebner-Eschenbach (*1830/ †1916) ausdrückt: „Nicht was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.“ Was aber ist Wertschätzung? Was verstehe ich selbst als Person darunter, was mein Gegenüber? Wann empfinde ich etwas als wertschätzend? Was muss mein Gegenüber dafür über mich wissen? Wie kann ich meine Wertschätzung zeigen?

Der Begriff „Wertschätzung“ wird oft mit Lob und Anerkennung einer bestimmten Leistung oder Fähigkeit verbundendas ist eine Perspektive. Wertschätzung jedoch ist mehr: Es ist eine Herzens- und Geisteshaltung, die den Menschen als Ganzes sieht, unabhängig von seinen Leistungen oder Taten. Solch eine aufrichtige Wertschätzung basiert auf Achtung und Respekt gegenüber jedem Menschen und darauf, seine Einzigartigkeit zu erkennen und zu würdigen. Auch die Stärke, anderen Menschen ihre Fehler zu verzeihen, ist eine Form der Wertschätzung.

Selbstwertschätzung – sich selbst als wertvoll erachten

„Ich bin wertvoll, unabhängig von meinem Verhalten oder persönlichen Fehlern.“ In einem solchen Glaubenssatz drückt sich ein positiver Selbstwert aus, der eine wertschätzende Haltung anderen gegenüber beinhalten kann. Gelingt es Menschen, diesen Glaubenssatz in angemessener Form sprachlich oder nonverbal auszudrücken, so lässt sich Kraft daraus schöpfen. Gegebene und entgegengenommene Wertschätzung vergrößern das Selbstwertgefühl – sowohl bei der Geber*in als auch bei der Empfänger*in.

Wer anderen Menschen Wertschätzung schenkt, schafft gleichzeitig die Basis für gute Beziehungen. Und gute Beziehungen können uns im besten Sinne antreiben und motivieren. Und sie sorgen für eine gutes Klima – am Arbeitsplatz oder anderswo. Wenn wir von Menschen umgeben sind, die uns wertschätzen und respektieren, fühlen wir uns wohl, sind locker und belastbar. Das hängt mit der Ausschüttung von Hormonen zusammen, die uns glücklich machen, unsere Konzentration und Beziehungen stärken sowie unsere Leistung steigern. Man kann also behaupten, dass Wertschätzung einen positiven Effekt auf unsere Gesundheit hat.

Wie schätze ich andere wert?

Wertschätzung benennt konkret, was sie schätzt. Es muss klar werden, womit sie „verdient“ wurde. Ein Schulterklopfen im Vorbeigehen ist nicht unbedingt eine Wertschätzung. Dazu wird die Geste erst, wenn der- oder diejenige auch weiß, was der Auslöser für das Schulterklopfen war. Angemessen wertschätzen heißt auch, bei den Fakten zu bleiben, also weder zu übertreiben noch herunterspielen. Niemand möchte für Belanglosigkeiten übermäßig herausgehoben werden. Gleiches gilt für unkonkrete Allgemeinplätze, für das Lob nach dem Gießkannenprinzip. Anerkennende Worte und Gesten sollten an die Person adressiert sein, die es betrifft. Der Empfänger muss spüren: „Ich bin ganz persönlich gemeint.“ Man könnte auch sagen, dass der Wertschätzende dem anderen so auf Augenhöhe begegnet.

Wie kann ich konkret Wertschätzung zeigen?

Begrüßung: Bei der Begrüßung kann man einander viel Respekt entgegenbringen und zugleich die Distanz zwischen sich und dem Gegenüber reduzieren. Ein freundliches Wort nimmt nicht viel Zeit in Anspruch, sollte der Person zeigen, dass sie einem wichtig ist.

Bedürfnisse erkennen: Einen anderen Menschen wert zu schätzen, bedeutet auch, dessen Bedürfnisse zu erkennen und ernst zu nehmen. Auch darin drückt sich ein aufrichtiges Interesse aus. Das Erkennen und Ernstnehmen von Bedürfnissen bedeuten nicht zwingend, sie erfüllen zu müssen oder erfüllen zu können.

Ungeteilte Aufmerksamkeit: In der Kommunikation mit anderen Menschen ist es wesentlich, bei der Sache zu sein. Wer sich auf den Augenblick konzentriert, lässt sich auf sein Gegenüber ein. Dazu gehört es, genau zuzuhören und das Anliegen der Mitmenschen zu erfassen und darauf einzugehen.

Lächeln: Ein Lächeln vermittelt Sympathie und Zuneigung. Es ist ein einfacher Weg, jemanden Anerkennung und Wertschätzung zu vermitteln. Ein Sprichwort aus China besagt, dass der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ein Lächeln ist.

Auf Augenhöhe: Seinen Mitmenschen zeigt man Wertschätzung, indem man sich mit ihnen auf Augenhöhe (psychisch und physisch) begibt und sich selbst zurücknehmen kann. Wenn man bereit ist, Fähigkeiten oder Eigenschaften von anderen zu schätzen, die man selbst vielleicht (noch) nicht entwickelt hat oder entwickeln möchte, ist das eine gute Basis. Man könnte es auch so ausdrücken: „Begegne deinen Mitmenschen mit dem gleichen Respekt, den du dir selbst auch wünschst.“

Respektvoll kommunizieren: Spätestens an diesem Punkt erkennen wir, ob die Wertschätzung wirklich eine Haltung oder nur ein Lippenbekenntnis ist. Am Umgang mit Fehler lässt sich der Gedanke gut erläutern. Fehler gehören zu unserem Alltag. Und sie müssen benannt werden, damit die Chance, daraus zu lernen, nicht vergeben wird. Leicht sagen sich Sätze wie: „Frau/Herr Maier, das geht so gar nicht, was haben Sie sich bloß dabei gedacht?“ Ein Vertrauen in die Kompetenz des anderen drückt sich aus in einer Rückmeldung wie dieser: „Frau/Herr Maier, Ihre Idee hat aus diesen Gründen … nicht funktioniert. Wie kann es beim nächsten Mal gelingen?“

Dankbarkeit: Was passiert, wenn man sich angewöhnt, bei jedem Menschen Dinge zu finden, die er oder sie gut macht? Erkenne ich auch Kleinigkeiten im Alltag an? Ein aufrichtiges „Danke“ zeigt, dass man es schätzt, was die Person geleistet hat. Wenn man also versucht, stets die guten Seiten der Mitmenschen in den Fokus zu rücken, drückt man damit Dankbarkeit aus.

Um Rat bitten: Kaum jemand wird sich weigern, sein Können und Wissen weiterzugeben, wenn er darum gebeten wird. Zum einen wird die Kompetenz des anderen anerkannt, zum anderen hat diese Kompetenz eine Chance, von anderen übernommen zu werden. Das kann zu besseren Leistungen einer Gruppe führen. Es ist ein sehr erhebendes Gefühl, der Welt etwas Gutes von sich hinterlassen zu haben.

Bitte beachten: Oft wird Wertschätzung nicht verbalisiert. Ein schwäbisches Sprichwort zeugt davon: „Ed bruddelt isch globt gnug.“ Das spürt die Empfänger*in. Wertschätzung sollte gezeigt, ausgesprochen und vermittelt werden – in geeigneten Kontexten. Wer glaubt, dass das Gegenüber von selbst weiß, dass es wertgeschätzt wird, sitzt einem Irrglauben auf. Wir alle wollen hören, sehen, fühlen und nicht bloß ahnen, dass wir wertgeschätzt werden!

Fazit

Einer anderen Person wertschätzend gegenüberzutreten ist durch verbale, aber auch nonverbale Kommunikation möglich. Wie und was wir kommunizieren, wie wir uns verhalten und wie wir handeln, ist auch von unserem Charakter und unserer Persönlichkeit abhängig. Inwieweit Menschen anderen Wertschätzung und Respekt zeigen, ist somit auch eine „Charaktersache“. Ein wertschätzender Umgang mit anderen Menschen macht sich bezahlt, denn die Freundlichkeit und Anerkennung, mit der man andere behandelt, wird oft genug zurückgegeben. Wer andere mit Respekt behandelt, wird in den meisten Fällen ebenfalls mit Respekt behandelt. Die Wertschätzung eines anderen Menschen hat also wiederum eine Rückwirkung auf die eigene Persönlichkeit – und damit auch den eigenen Selbstwert.

Mehr von Barbara Schmieder

 

Literatur

Wlodarek, Eva (2019): Die Kraft der Wertschätzung – Sich selbst und anderen positiv begegnen. dtv

 

Lösungsorientiertes Arbeiten im Team – Schritt für Schritt

Nach über einem Jahr mit Änderungen im Alltag – was eine hohe Flexibilität und Weitsicht benötigte und weiterhin benötigt – ist die aktuelle Situation fast „normal“. An der einen oder anderen Stelle resignieren wir und lassen Dinge laufen, weil die Energie fehlt. Ideen gehen aus, wie ein problembehaftetes Thema bearbeitet werden kann. Stille Konflikte werden nicht ausgesprochen und wirken sich trotzdem vielfältig aus – auf die Kommunikation, auf die Stimmung im Team. Auch körperliche Reaktionen sind nicht auszuschließen. Wie geht es Ihnen im Moment in Ihrem Team? Was vermissen Sie? Was hat sich verbessert? Zu welcher Kolleg*in haben sie den Kontakt verloren? …

Jedes Handeln ist in gewisser Weise eine Reise ins Ungewisse: Denn kein Mensch kann voraussehen, wie sein Gegenüber auf eine Frage oder Bitte reagiert. Dieselbe Frage, an verschiedene Personen gerichtet, wird sehr wahrscheinlich unterschiedliche Antworten hervorbringen. Sonja Radatz erklärt das sehr treffend: „Alles, was wir tun oder nicht tun, hat Auswirkungen – wir wissen nur nicht welche: Beispielsweise können wir davon ausgehen, dass die Ankündigung: „Ab nächstem Jahr muss der Umsatz verdoppelt werden“, in jedem Fall eine aktive Veränderung hervorruft. Das Teuflische ist nur: Wir wissen nie im Voraus welche. Denn wir haben es mit nichttrivialen Lebewesen (…) zu tun, viel mehr noch: mit denkenden und fühlenden Menschen, die Antworten welcher Art auch immer geben können und sich in jedem Augenblick ihres Lebens (…) neu für bestimmte Antworten oder Reaktionen entscheiden“ (Radatz 2015, S. 43). Ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte nimmt Einfluss auf ein Team, durch Fragen, Vorgaben oder Informationen. Jedoch kann er/sie nicht annehmen, dass die Reaktionen der Menschen so ausfallen, wie sie/er sich das wünscht.

Teams berichten, dass der lückenlose Austausch mit allen Kolleg*innen im Alltag derzeit fehlt, Unstimmigkeiten nicht besprochen werden und wichtige, pädagogische Themen nur noch in den Teamsitzungen online diskutiert werden. Hier ist jede/r gefordert; es benötigt mehr Energie und Einfallsreichtum, um den Kontakt aufrecht zu erhalten. Hier und da wird der Wunsch nach einem Teamcoaching geäußert. Aber wie kann das funktionieren, wenn das Team nicht in Präsenz zusammenarbeiten darf?

Eine Variante, im Team lösungsorientiert an Themen zu arbeiten, ist der so genannte SolutionCircle von Daniel Meier (2005, S. 61 ff), welcher in acht Schritten durchgeführt wird.

  1. Rahmen klären: Wie lange sitzen wir heute zusammen? Welches Thema bearbeiten wir heute? Wer hat welche Rolle? Welche Kommunikationsregeln sollen eingehalten werden, damit alle gut mitarbeiten können? Es geht weniger darum Probleme zu analysieren, sondern Lösungen zu entwickeln.
  2. Ziele: Hier definieren alle, wann für sie die gemeinsame Arbeit heute erfolgreich ist. Fragen wie: Was soll heute passieren, damit es sich für alle gelohnt hat, dabei zu sein? Was soll am Schluss anders sein als vorher?
  3. Brennpunkte: Alle Teilnehmenden schreiben Stichworte von unbefriedigenden Erlebnissen oder Situationen auf. Verständnisfragen zu den einzelnen Themen können gestellt werden. Anschließend werden die Stichworte nach Themen angeordnet und sortiert. Nachdem Oberthemen formuliert sind, kann jedes Teammitglied entscheiden, welches der Themen oberste Priorität für ihn hat. Dadurch ergeben sich verschiedene Interessengruppen, die an diversen Themen arbeiten. Somit kann jede/r an dem Thema arbeiten, an dem die Bereitschaft, Energie zu investieren und Veränderungen herbeizuführen, groß ist.
  4. Sternstunden: In diesem Schritt machen sich die Interessengruppen auf die Suche nach Situationen, in denen das Problem weniger oder gar nicht aufgetreten ist. Hilfreiche Fragen können sein: Welche Begebenheiten gab es in den letzten Wochen, die bezüglich der Fragestellung wie eine kleine Sternstunde erschienen? Was war dabei genau anders? Was könnten wir aus den Sternstunden für die Lösung des Problems lernen?
  5. Future Perfect: Nun entwirft die Interessengruppe eine möglichst präzise Vorstellung einer Zukunft, in der das jeweilige Problem gelöst ist. Sie können hierfür diese Fragen nutzen: Wenn wir zusammen wirklich sehr erfolgreich wären und sich unser Team dabei genau nach unseren Wünschen entwickeln würde, wo würden wir dann in zwei Jahren stehen? Was wird dann genau anders sein? Was werde ich anderes machen?
    In der anschließenden Präsentation ist es wichtig, dass jede Idee oder Vorstellung anerkannt wird. Beiträge wie „das geht aber nicht, weil…“ haben hier keinen Platz. Es geht darum, Vorstellungen und Ideen auszutauschen.
  6. Scaling Dance: In diesem Schritt schätzen die einzelnen Teammitglieder mit Hilfe einer Skala von 1 bis 10 (wobei 10 besonders fortgeschritten bedeutet) die heutige Situation ein: Wo stehe ich heute bezüglich des Themas X? Wie habe ich es geschafft, auf diese Position zu kommen? Was macht den Unterschied zwischen der 1 und meiner Position aus? Bei der Anwendung der Skala geht es darum zu erfahren, wie es zu der jeweiligen Einschätzung gekommen ist. Verbunden damit ist die Fragestellung: Was ist bereits gelungen? Welche Ressourcen wurden eingesetzt?
  7. Maßnahmen: Nun werden konkrete Maßnahmen formuliert, die das Team in nächster Zukunft umsetzen kann – am besten schon morgen! 😉
    Dies geschieht auf Basis des vorangegangenen Schrittes; es wird festgehalten, was getan werden muss, um einen kleinen Schritt in Richtung 10 zu gehen. Welche Abmachungen werden getroffen, um im Alltag an den besprochenen Lösungen zu arbeiten und die Fortschritte zu reflektieren? Was kann ich dazu beitragen, dass etwas vorwärts geht? In welcher Art werden wir die ersten kleinen Erfolge feiern?
  8. Persönlicher Auftrag: Jedes Teammitglied überlegt und notiert sich, was er/sie in der Folge zu einem gelingenden Teamprozess, bei dem alle gut zusammenarbeiten und sich entfalten können, beitragen könnte. Dies muss nicht zwingend im Plenum veröffentlicht werden. Einen Fortschritt können Sie auch spielerisch sichtbar machen: Stellen Sie ein Bonbonglas und eine Schüssel mit Bonbons auf. In das Glas wird immer dann ein Bonbon gelegt, wenn zieldienliches Verhalten im Team beobachtet wird. In den Teamsitzungen sollte zum Thema gemacht werden, wie die Bonbons ins Glas gekommen sind. Danach können sie vernascht werden.

Online-Tools

Um den SolutionCircle oder auch andere Aufgaben online und Gewinn bringend durchzuführen, können verschiedene Tools benutzt werden.

Ein Whiteboard wie z. B. conceptboard finden Sie hier. Hier können Sie Ihre Ideen festhalten und gemeinsam Ideen entwickeln – von überall.

Eine weitere Variante ist das so genannte Padlet. Der Schwerpunkt der App liegt auf der Zusammenarbeit untereinander. Es können Inhalte erstellt, geteilt, in Echtzeit aktualisiert und diskutiert werden. Diese digitale Pinnwand bietet die Möglichkeit, Bilder, Texte, Zeichnungen, Links und vieles mehr zu erstellen. Durch Live-Chats und das Kommentieren von Einträgen können die Benutzer miteinander kommunizieren.

Skalierungen können mit dem Mentimeter sichtbar gemacht werden. Dies ist ein Abstimmungs- sowie Brainstorming-Tool, welches eine Vielzahl an interaktiven Möglichkeiten bietet.

Steve de Shazer, ein amerikanischer Psychotherapeut, hat einmal gesagt: „Problem talk creates problems. Solution talk creates solutions.” Dieses Zitat fasst den Nutzen des SolutionCircle hervorragend zusammen. In schwierigen Situationen – das kennen wir alle – wird oft nach dem „Warum?“ und „Weshalb?“ gefragt. In der Regel wird viel Zeit für die Problemanalyse aufgewendet, Personen bleiben mitunter bei der Analyse stecken. Der Blick auf eine Lösung und die Zukunft wird nicht gesucht. Im SolutionCircle hingegen geht es um das „Wohin?“. Bei diesem Ansatz konzentrieren wir uns auf Erfolgserlebnisse aus der Vergangenheit, die für neue Lösungen nützlich sein können. Die Ressourcen, vergangene Erfolge heranzuziehen, besitzen Sie alle. Oft liefern bekannte Lösungen bereits erste Hinweise, wie eine neue Herausforderung gemeistert werden kann. Nutzen Sie Ihre Zeit, um Visionen zu entwickeln und gemeinsam mit viel Energie, Engagement und Spaß in die Zukunft zu gehen. Bei Fragen zu der Methode kommen Sie gerne auf mich zu.

Literatur

Radatz, Sonja (2015): Beratung ohne Ratschlag – Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. 9. Auflage. literatur-vsm, Wolkersdorf

Meier, Daniel (2005): Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung – Mit dem SolutionCircle Turbulenzen im Team als Chance nutzen. Überarbeitete Neuauflage. solutionsurfers, Basel

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Weshalb streiten wir uns? 

Diese Frage haben Sie sich bestimmt auch schon einmal gestellt. Streite ich mich mit jemandem, weil ich die Welt meines Gegenübers nicht kenne und meine Erfahrungswerte mitteilen und verteidigen möchte? Geht es mir darum, dass ich „recht“ bekomme? Möchte ich mein Gegenüber von meinem Standpunkt überzeugen? Was steckt dahinter, wenn wir uns streiten? 

Wirklichkeit vs. Wahrheit

An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen, die beiden Begriffe „Wirklichkeit“ und Wahrheit voneinander zu unterscheiden. Denn die Unterscheidung dieser beiden Begriffe kann dabei helfen, ganz neu auf Konflikte zu schauen quasi aus einem anderen Blickwinkel. In der Antike hat bereits Platon ein Bild gefunden, um das, was ein Mensch als wahr erachtet, von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Im so genannten Höhlengleichnis wird die Höhle (und was der Mensch darin als Schatten an einer Wand wahrnehmen kann) den eigenen Sinneswahrnehmungen gleichgesetzt. Das würde ich vereinfacht als die persönliche und vielleicht begrenzte Wahrheit beschreiben, die durchaus trügerisch sein kann. Denn können wir wirklich wissen, ob das, was wir sehen, wahr ist? Hingegen steht die Welt außerhalb der Höhle bei Platon eher für die Gesamtheit all dessen, was existiert. Auch wenn das stark vereinfacht ist, so wäre hiermit die überprüfbare Wirklichkeit näher beschrieben. Die Gedanken von Platon sind wesentlich komplexer, als ich es darstellen kann, und werden weiter zu einer Theorie der Erkenntnis ausgeführt (Höhlengleichnis 2012; Kytzler 2009, S. 183ff.).  

Ich möchte an dieser Stelle ein schlichtes Bild nutzen, um die Unterscheidung der beiden Begriffe für Sie zu verdeutlichen: Stellen Sie sich bitte vor, wir stehen uns gegenüber. Zwischen uns liegt ein Pfeil am Boden, welcher aus meiner Sicht nach links zeigt. Sie sagen, er zeigt nach rechts. Wer hat recht?  

Wenn ich nun an Platon zurückdenke, wird bei dem Beispiel des Pfeils mit dem Begriff „Wirklichkeit“ all das beschrieben, was objektiv überprüfbar ist. Es ist überprüfbar, dass es den Pfeil gibt, seine Spitze zeigt in eine Richtung, die Farbe des Pfeils und seine Länge lassen sich gut beschreiben. Diese Wirklichkeit ist feststehend und unabhängig vom inneren Empfinden der beiden beteiligten Personen. 

Die „Wahrheit“ hingegen beschreibt eine Schnittmenge von Überzeugungen, Meinungen oder Äußerungen, die sich auf jeden möglichen (Wissens)bereich beziehen können. In unserem Beispiel wäre Ihre Wahrheit, dass der Pfeil nach rechts zeigt und so die eine Realität widerspiegelt. Aus Ihrer Sicht ist es wahr, dass der Pfeil nach rechts zeigt. Aus meiner Perspektive stellt sich die Lage anders dar: Der Pfeil zeigt nach links, mit allem, was damit für mich verbunden ist 

Dialogische Haltung

Gehen wir nun miteinander ins Gespräch, könnten wir herausfinden, dass wir beide aus unserer jeweiligen Sicht betrachtet – „recht“ haben. Damit diese erweitere Sicht gelingt, muss ich mir die Mühe machen, mir Ihre Sicht der Dinge anzuhören. Und es gehört zu einem gelungenen Austausch dazu, dass ich bereit bin, Sie und Ihre Perspektive verstehen zu wollen. Genauso machen Sie sich als mein Gegenüber auf den Weg, meine Wahrheit hören zu wollen und eine Bereitschaft aufbringen zu wollen, diese Wahrheit zu verstehen. Es geht an dieser Stelle nicht darum, Sie als mein Gegenüber zu überzeugen, sondern zunächst darum, unsere Sichtweisen nebeneinander zu legen. Diese dialogische Haltung wird in unserer element-i-Konzeption auch zugrunde gelegt (Kammerlander et al. 2018, S. 10).  

Jeder Mensch nimmt seine Umwelt anders wahr, lebt in gewisser Weise in seiner Welt und schafft sich seine Wahrheit. Wenn wir erfolgreich miteinander kommunizieren wollen, ist es mehr als hilfreich, diese Welt oder Realität der Gesprächspartner*in zu erfassen, um ihre Gedanken und Handlungen verstehen zu können und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Begeben sich nun beide auf den Weg, die Wahrheit des Gegenübers verstehen zu wollen, kann ein reichhaltigeres Bild entstehen, das vielleicht näher an die so genannte Wirklichkeit rückt. Denn meine Sicht auf die Dinge habe ich durch die Perspektive einer anderen Person erweitert und neue Erkenntnisse gewonnen. Für das Thema, um das ich mit der anderen Person ringe, ergeben sich möglicherweise neue Lösungen – auf jeden Fall jedoch die Grundlage für erfolgreiche Kommunikation. 

Mein Fazit?

Schlüpfen Sie in die Schuhe des Gegenübers und lernen Sie die Welt mit seinen Augen zu sehen. Mein Gegenüber ist nicht nur Kolleg*in, Pädagog*in, Vorgesetzte*r etc., sondern auch Köch*in, Tennisspieler*in, Kinogänger*in … Und häufig steht etwas, das mir völlig „klar“ zu sein scheint, für mein Gegenüber in einem völlig anderen Zusammenhang.  

Nicht selten meint der Mensch, dass das wahr ist, was er oder sie für wahr hält. Und ist derselbe Mensch davon überzeugt, dass seine Sicht die einzig richtige sei, so ist bei einer Begegnung mit einem anderen Menschen, der seine Sicht ebenso als die einzig wahre annimmt, ein Konflikt wahrscheinlich. Durch Fragen, Zuhören und echtes Interesse haben wir die Möglichkeit, unser Gegenüber besser zu verstehen und somit einem Streit entgegen zu wirken. Mit Interesse, Feingefühl und Geduld lerne ich die Welt des Anderen kennen und kann mir überlegen, ob ich die Sicht des Anderen auf die Dinge übernehmen möchte. Reicher bin ich auf jeden Fall geworden, weil ich eine neue Perspektive gewonnen habe. 

Quelle:
Höhlengleichnis (2012). Abrufbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6hlengleichnis (zuletzt aufgerufen am 7.12.2020)
Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart
Kytzler, Berhard (2009) (Hrsg.): Das Höhlengleichnis: Sämtliche Mythen und Gleichnisse. Insel: München

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Wie wichtig ist Feedback?

„Ob ich verstanden worden bin – so, wie ich es beabsichtigt habe – kann ich erst durch das Feedback meines Gegenübers erfahren.“ Paul Watzlawik

Beim Feedback-Geben ist es wichtig darauf zu achten, Menschen zu stärken und zu motivieren. Bei einem positiven Feedback ist dies leicht zu bewerkstelligen. Ein negatives Feedback anzubringen, kann hingegen eine Hürde darstellen. In jedem Fall ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass der andere aus Ihrem Feedback lernen kann. Und wenn Sie bemerken, dass die andere Person ihr Verhalten – vielleicht aufgrund Ihres Feedbacks – verändert hat, so ist eine Wertschätzung sicherlich angebracht. Beschreiben Sie die positive Veränderung, die Sie wahrnehmen, und nehmen Sie sie nicht als gegeben hin.

Lassen Sie Ihrem Gegenüber die Wahl, Ihre Kritik zu akzeptieren oder auch abzulehnen. Geben Sie sowohl positives wie auch negatives Feedback. Konstruktive Kritik zu üben, kostet ein wenig Überwindung. Trauen Sie sich. Dadurch bieten Sie dem Gegenüber eine andere Sicht auf die Situation oder das Verhalten an. Eine zweite Sicht kann dabei helfen, objektiver zu sein, und verhilft Ihrem Gegenüber zu einem differenzierten Selbstbild. Bitte bedenken Sie dabei, dass Sie das Feedback konstruktiv formulieren. Überlegen Sie, wie Sie selbst das Feedback am besten annehmen würden. Eventuell hilft Ihnen diese Formulierung: „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die passende Formulierung finde, aber ich will es trotzdem einmal so ausdrücken …“. Probieren Sie es einfach aus – seien Sie mutig! Es ist leichter, als Sie denken.

Wenn Sie gelernt haben, Ihr Feedback konstruktiv zu formulieren, werden Sie früher oder später bemerken, dass man sich für Ihr wertschätzendes, konstruktives Feedback bei Ihnen bedankt. Es kann sogar sein, dass Sie um ein Feedback gebeten werden.

In jedem Team treffen wir Persönlichkeiten an, die verschieden reagieren. Was für den einen klar und richtig zu sein scheint, löst beim Anderen Bedenken aus. Manche Menschen sind aufgrund ihrer Vorerfahrungen eher verunsichert als andere. Manche sehen bei einer Aufgabe eher die Probleme, andere eher die Lösungen. Manche sind belastbar und können mit Arbeitsdruck besser umgehen als andere. Manche setzen sich unter hohen Erwartungsdruck. Dann gibt es Menschen, die Probleme offen ansprechen. Andere versuchen Probleme zu ertragen. Dies alles beeinflusst das Kommunikationsverhalten – denken Sie an den Eisberg! Kurzum: ein klarer, sachlicher und wertschätzender Umgang mit dem Gegenüber wird die Kommunikation im Team fördern. Es benötigt nur ein bisschen Mut.

Berufliche Ausbildung, Erfahrung und Arbeitsschwerpunkte können das Kommunikationsverhalten beeinflussen. Vor allem in unseren multiprofessionellen Teams basiert die Kommunikation häufig auf dem Blickwinkel der eigenen Profession. Dieser Standpunkt wird häufig vehement vertreten und als der wichtigste und einzig richtige erachtet. So kann das gegenseitige Sich-Verstehen leiden, manchmal reden die Menschen aneinander vorbei. Oft hilft es nachzufragen: „Habe ich Dich richtig verstanden, dass …?“

Folgende Vorschläge können ein Feedbackgespräch (ob face to face oder in größeren Gruppen) erleichtern:

  1. Sprechen sie klare, deutliche Sätze, und vermeiden Sie Wörter wie: „hätte, könnte, sollte, würde“.
  2. Hören sie aktiv zu.
  3. Schauen Sie ihren Gesprächspartner*in an.
  4. Nehmen Sie sich Zeit.
  5. Fragen Sie nach.
  6. Stellen Sie offene Fragen (W-Fragen).
  7. Achten Sie auf die Mimik und Körpersprache Ihres Gegenübers und seien sie sich ihrer bewusst.
  8. Sprechen Sie in „Ich-Botschaften“ – verbannen sie „man“ aus ihrem Wortschatz.
  9. Fassen Sie das Ergebnis des Gespräches zusammen und fragen Ihren Gesprächspartner*in, ob sie mit der Zusammenfassung einverstanden ist.

Ich freue mich, wenn Sie Ihre Erfahrungen, Ängste, Erfolge, Änderungen oder andere Gedanken zum Thema mit mir teilen und diesen Artikel kommentieren.

Quelle: Erger, Raimund (2012): Teamarbeit und Teamentwicklung in sozialen Berufen. 1. Auflage. Berlin: Cornelsen

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Wie gelingt Kommunikation in Zeiten der Kohorten?

In unserem KiTa-Alltag hat sich einiges verändert. Wir arbeiten nicht mehr so nah an unseren Kolleg*innen wie vor der Corona-Zeit. Dies stellt uns alle vor Herausforderungen, die es zu bewältigen gibt. Wie erleben Sie diese veränderte Teamarbeit? Wie läuft die Kommunikation, wenn Sie sich nicht täglich austauschen können?

Für die Kommunikation in Teams ist es nicht nur entscheidend, welche Sachaussagen mitgeteilt werden; es ist maßgeblich, auf welcher emotionalen Basis sie getroffen werden. Doch wie stellt man sich auf die emotionale Basis jedes Einzelnen im Team ein?

Im Schiffsverkehr wissen wir spätestens seit dem Unglück der Titanic, zu welchen Katastrophen es führen kann, wenn einem die Größe des Eisberges nicht bekannt ist. Das Problem ist, dass man nur einen kleinen Teil – etwa 20% – des Eisberges über Wasser sieht. 80% seiner Größe und Ausmaße sind unter Wasser und daher nicht sichtbar.

Was für uns nicht sichtbar ist, können wir nicht einschätzen. Für unsere Kommunikation im Team bedeutet das: Nur sachliche Inhalte wie Zahlen, Daten, Fakten sind auf der rationalen Ebene für alle gleich. Das macht aber nur 20% unserer Kommunikation aus. Ob Inhalte von allen gleich verstanden, akzeptiert und angenommen werden, wird zu 80% auf der emotionalen Ebene entschieden. Diesen hohen Anteil in der Kommunikation zu ignorieren, würde bedeuten, dass der Hintergrund, auf dem die Kommunikation gestaltet wird, verdrängt wird. Dies wäre analog dazu, dass ein Kapitän eines Schiffes sagen würde, es gäbe keine Eisberge, weil keine zu sehen sind.

Für die Kommunikation bedeutet dies, dass unser Gegenüber auch bei Sachfragen und /-informationen immer zu einem Anteil emotional reagiert. Deshalb ist es wichtig, dies in unserem Kommunikationsverhalten zu berücksichtigen.

Was bedeutet dies für unsere Kommunikation?

Wir sollten lernen, die Emotionen unserer Teammitglieder einzuschätzen und unser Kommunikationsverhalten konstruktiv darauf auszurichten. Es macht keinen Sinn, eine verunsicherte Kolleg*in weiter zu verunsichern, sondern ihr durch mein eigenes Kommunikationsverhalten wieder Sicherheit zu geben.

Das Modell des Eisbergs zeigt uns, welche Vorteile ein erfolgreiches Kommunikationsverhalten hat, wenn emotionale Anteile in der Kommunikation beachtet werden. Ob ich verstanden worden bin – so, wie ich es beabsichtigt habe – kann ich erst durch das Feedback meines Gegenübers erfahren.

„Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, bevor ich nicht mein Gegenüber gehört habe.“ Paul Watzlawik

Literatur:

Erger, R. (2012): Teamarbeit und Teamentwicklung in sozialen Berufen. 1. Auflage. Berlin: Cornelsen

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Was ist das Kohärenzgefühl?

Der Begriff Kohärenzgefühl oder Kohärenzempfinden geht auf den Mediziner Aaron Antonovsky zurück. Er fasst den sense of coherence als ein tief sitzende Gefühl oder als Lebensorientierung zusammen, die darüber Auskunft gibt, wie man mit dem Leben oder mit Herausforderungen klarkommt – auch wenn es schwierig wird. Je ausgeprägter diese Überzeugungen sind, umso besser kommt ein Mensch mit Aufgaben zurecht.

Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen

  1. Verstehbarkeit meint, dass man sowohl versteht, was mit einem selbst los ist, als auch, was um einen herum vorgeht. Sowohl die Botschaften des eigenen Körpers als auch die eigenen Gedanken und Gefühle sind einem nicht unverständlich, fremd, Angst machend, sondern man kann sie einordnen, erklären und in gewisser Weise auch voraussehen. Ebenso sind die Informationen aus der Umwelt und von anderen Menschen nicht ein sinnloses Rauschen, ein Chaos, sondern man versteht, was um einen herum passiert und kann es sich erklären. Natürlich passieren Dinge, und man kommt in Situationen, in denen man nicht sofort versteht, was los ist. Jedoch gelingt es Menschen mit einem hohen Kohärenzempfinden in solchen zunächst unverständlichen Situationen, sich wieder zu orientieren, Informationen einzuholen, Erklärungen zu finden. Menschen mit einem niedrigen Ausmaß an Verstehbarkeit hingegen haben umso mehr Schwierigkeiten, je weniger strukturiert und ungewohnter eine Situation oder ein Erlebnis aus ihrer Sicht ist.
  1. Handhabbarkeit bedeutet, dass man Mittel und Wege hat, um Aufgaben und Anforderungen zu lösen. Es ist sozusagen der praktische Teil des Kohärenzgefühls: Man weiß, was man tun kann und kennt seine Resso. Und sollte man selbst nicht weiter wissen, so weiß man, wie man sich Unterstützung bei anderen holt. Menschen mit einem hohen Kohärenzempfinden fühlen sich vom Leben und den Ereignissen nicht in eine Opferrolle gedrängt oder ständig benachteiligt. Wenn unangenehme Dinge passieren, sind die Menschen in der Lage, sich darauf einzustellen und neu zu orientieren, statt mit dem Schicksal zu hadern.
  1. Bedeutsamkeit kennzeichnet, dass eine Person das Leben oder ein bestimmtes Thema als sinnvoll empfindet und dass es Menschen, Dinge und Lebensbereiche gibt, die ihr wichtig sind und für die es sich lohnt, sich anzustrengen. Bedeutsamkeit ist der wichtigste Teilaspekt des Kohärenzgefühls, denn wenn es nichts gibt, was einem wichtig ist, nichts und niemanden, für das oder den es sich einzusetzen lohnt, dann ergeben auch Handhabbarkeit und Verstehbarkeit wenig Sinn. Natürlich ist klar, dass man sich nicht für alles in der Welt einsetzen kann. Wichtig ist vielmehr, dass man Schwerpunkte setzt, dass man sich über die eigenen Werte klar wird und dass man Entscheidungen trifft, wofür und für wen man sich engagiert. Dabei ist es auch wichtig, dass man Grenzen setzt, d.h. dass man sich nicht für alles und jeden zuständig fühlt. Dies ist unbedingt notwendig, um Überlastung zu vermeiden.

Wie kann ich nun mein Kohärenzgefühl steigern?

Es ist prinzipiell möglich zu lernen, Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit (also ein Kohärenzgefühl) im Alltag und in belastenden Situationen herzustellen.

Verstehbarkeit erlernt man z.B., wenn eine Person im Umfeld ein gewisses Maß an Regelhaftigkeit erfährt, Beziehungen in sich stimmig und ohne Widersprüche sind; Zusammenhänge bestehen und Widersprüche erkannt werden. Verstehbarkeit stellt sich dann ein, wenn man seinen Alltag so gestaltet, dass Abläufe und Dinge geordnet sind, man sich Routinen schafft, die sich dann wiederholen und zusammenpassen. Es passiert immer wieder, dass unvorhergesehene Dinge geschehen; hier können folgende Fragen helfen:

  • Was möchte ich erreichen? Was ist mein Ziel?
  • Wofür trage ich die Verantwortung?
  • Was tue ich, und welche Konsequenzen wird mein Verhalten haben?

Es ist auch nie falsch, andere um Rat zu fragen.

Für die Handhabbarkeit ist es hilfreich, das eigene Handlungsspektrum zu erweitern und neue Bewältigungsmöglichkeiten für Stresssituationen kennen zu lernen und auszuprobieren. Dazu gehört u.a. wie man seine Interessen in einer selbstsicheren Art ausdrückt, Forderungen stellt oder unberechtigt gestellte Forderungen zurückweist. Verfügt man über unterschiedliche Varianten, um auf belastende Situationen zu reagieren, so fühlt man sich selten überfordert.

Das Gefühl der Handhabbarkeit stellt sich dauerhaft nur ein, wenn man sich den Aufgaben des Lebens gewachsen fühlt. Das schließt nicht aus, dass es immer mal wieder Phasen gibt, in denen man sich überfordert fühlt und einem alles über den Kopf zu wachsen scheint. Wichtig ist, dass es in diesen Phasen zu einer Balance zwischen Anspannung und Entlastung kommt. Um die Bedeutsamkeit im Leben zu stärken ist es zentral, die Bereiche im Leben zu bestimmen, die einem wichtig sind und bei denen man mit ganzem Herzen dabei ist. Diese Fragen können dabei helfen:

  • Was möchte ich erleben? (Legen sie sich eine sog. Löffel-Liste an)
  • Wo kann ich Energie sparen?
  • Wo kommt es auf mich an?
  • Wo erlebe ich Freude?
  • Bei welchen Ereignissen bin ich glücklich?

Es ist wichtig, dass Menschen in den wichtigsten Lebensbereichen (meist sind dies Familie und der Arbeitsplatz) erfahren, dass sie wichtig sind, dass sie teilhaben. Es macht einen Unterschied, ob man da ist oder nicht.

Wir alle erleben aktuell Herausforderungen in dieser besonderen Zeit. Egal, wo unsere Aufgaben gerade liegen – wir lernen alle etwas dazu. So kann auch jeder von uns lernen, ein Kohärenzgefühl für sich herzustellen.

Deine Gedanken und Anregungen kannst du gerne unten kommentieren.

Quelle
Franke, Alexa; Witte, Maibritt (2009): Das HEDE-Training – Manual zur Gesundheitsförderung auf Basis der Salutogenese. Huber: Bern

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Was sind Widerstandsressourcen?

Bezugnehmend auf den Beitrag „Was ist Gesundheit?“  nehmen wir heute das Thema „Widerstandsressourcen“ unter die Lupe: Was sind diese Ressourcen? Besitze ich diese? Kann ich diese „erlernen“?

Energie ist ständig erforderlich

Nach Sichtweise der Salutogenese machen Belastungen und Stress ein Teil unseres Lebens aus. Ein Leben ohne Hürden gibt es nicht. Das können Sorgen um die Familie sein, Ärger im Beruf, Schwierigkeiten mit anstehenden Herausforderungen, Aufregungen über unvorhergesehene Vorfälle etc. In der Literatur wird oft die Metapher eines Flusses gewählt, um die Idee der Salutogenese zu erläutern. So wie der Fluss sich durch die Landschaft schlängelt, seinen Lauf bei einem im Weg befindlichen Fels ändert, so passen auch wir Menschen uns an Veränderungen an. Wir kommen nicht „einfach so“ gesund durch den Fluss oder an seinem Ufer entlang. Der Mensch muss Energie aufwenden, um den Kopf über Wasser zu halten, und lernen, gut in den unwägbaren Fluten zu schwimmen. Da mag es Flussabschnitte geben, in denen das Schwimmen nur wenig Mühe erfordert, und solche, in denen man sich abstrampelt, Hindernisse beseitigen oder umschwimmen muss. Oder solche Abschnitte, in denen man neue Techniken braucht, um nicht zu ertrinken, und so schwierige, unvorhersehbare und unbekannte Situationen meistern kann. Ganz ohne Bewegungen und Mühe jedoch wird es nicht gehen. Es muss also ständig Energie aufgebracht werden.

Widerstandsressorcen machen uns resistent

Menschen – so die Annahme des Konzepts – „bleiben nicht von selbst in einem gleich bleibenden Zustand von Gesundheit, der nur von gelegentlichen Störungen unterbrochen wird, sondern sie sind fortdauernd mit neuen Anforderungen konfrontiert, die Anpassungsleistungen und aktive Bewältigung erfordern. Die Mittel und Wege zur Bewältigung von Anforderungen und Stress werden im salutogenetischen Konzept Widerstandsressourcen genannt. Je mehr Widerstandsressourcen einer Person zur Verfügung stehen, desto weniger kann der Stress der Gesundheit schaden, weil diese Person immer wieder die Erfahrung macht, dass sie den Stress meistern kann und ihm nicht hilflos ausgeliefert ist.“ (Franke/Witte 2009, S. xx)

Jeder Mensch kann Einfluss nehmen

Widerstandsressourcen sind in jedem Einzelnen, wie auch in dessen Umfeld und in der Gesellschaft zu finden. Um im Bild des Flusses zu bleiben: Sowohl der Lauf des Flusses mit seinen Stromschnellen oder ruhigen Passagen als auch die individuellen Schwimmfertigkeiten entscheiden darüber, wie eine Strecke bewältigt wird. Die individuellen Widerstandsressourcen sind von entscheidender Bedeutung – dies sind z.B. Wissen, Selbstsicherheit, Problemlösefähigkeit, Humor, Gelassenheit, Willensstärke. Und auf diese Eigenschaften kann jeder Mensch einen gewissen Einfluss nehmen. Nicht wenige Menschen erleben darüber hinaus ihren Glauben als eine wichtige Ressource, andere schöpfen Kraft aus ihren sozialen Beziehungen, dem Zusammensein mit ihren Freund*innen oder der Familie. Auch Hobbys, Urlaub, Zeit für sich, Spaziergänge in der Natur, der Besuch eines Museums, der Beruf als Berufung oder ausreichender Schlaf können als Widerstandsressource wirken.

Welche dieser Ressourcen stehen Ihnen zur Verfügung und wie tragen Ihre persönlichen Ressourcen dazu bei, dass Sie sich stark oder schwach, gesund oder krank fühlen? Machen Sie sich Gedanken, wo Sie sich in einem Kontinuum von gesund bis krank momentan befinden. Was müsste geschehen, dass Sie sich gesünder fühlen und sich Ihre Einschätzung verbessern würde? Welche Ressourcen können Ihnen dabei helfen? Gibt es Ressourcen, die Sie bei Ihren Mitmenschen schätzen und von denen Sie lernen können? Ich freue mich auf Ihre Gedanken, Ideen, Rückmeldungen in den Kommentaren.

Literatur

Franke, Alexa; Witte, Maibritt (2009): Das HEDE-Training – Manual zur Gesundheitsförderung auf Basis der Salutogenese. Huber: Bern

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