Bildung für nachhaltige Entwicklung am Beispiel Biene

Bildung für nachhaltige Entwicklung am Beispiel Biene

„Kennst Du schon meine Freunde? Da unter dem Tisch haben wir es uns gemütlich gemacht. Wir spielen Bauernhof. Ich muss gleich los mit dem Traktor. Pipin und Esra sind gerade dabei, die Kühe zu füttern. Magst du uns helfen? Jemand muss den Stall sauber machen,“ fragt ein vierjähriges Kind und lugt unter dem Maltisch hervor. Die Wachsdecke angehoben und ein Blick auf den Boden zeigt, dass die Bäuerin allein auf dem Teppichboden sitzt. Um sie herum finden sich ein paar Holzwürfel, die an einen Zaun erinnern. Wo aber ist der Bauernhof?

Ob ausgedachte Freund*innen oder sprechende Tiere, Kinder haben häufig eine Fantasie, die vielen Erwachsenen verloren gegangen ist. Als pädagogische Fachkräfte können wir das jeden Tag beobachten und erleben selbst manchmal die Überforderung mit den großen Ideen der Kinder. Neue Ideen aber sind gefragt. Viel Fantasie – die braucht es auch bei aktuellen Fragen. Wie lösen wir die Klimakrise? Wie soll das Artensterben aufgehalten werden? Wie können wir gerechter und inklusiver zusammenleben?

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist eines der großen Querschnittsthemen. „Aufgabe der BNE ist es, den Menschen die nötige Kompetenzen und Einstellungen zu vermitteln, damit sie dafür sorgen, dass künftige Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden“ (Förderverein NaturGut Ophoven 2015, S. 7). Es ist eine der Herausforderung unserer Zeit. Bei der Breite des Themas ist es verständlich, dass hin und wieder Ratslosigkeit aufkommt, wie BNE in der Praxis aussehen kann. So enthalten etwa die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen 17 verschiedene Dimensionen: von hochwertiger Bildung über Geschlechtergerechtigkeit bis hin zu nachhaltigem Konsum. Riesige Aufgaben also, an denen Kindertagesstätten engagiert mitwirken können.

Wie kann BNE in Kindertagesstätten umgesetzt werden? Entscheidend ist hierbei, dass die Kinder nicht mit den von Erwachsenen verursachten Problemen überfrachtet werden. Es sollen auch nicht zu komplexe Sachverhalte und komplizierte Zusammenhänge vermittelt werden. Bei BNE in Kindertagesstätten geht es darum, einen eigenen Zugang zu wählen, der sich aus der Lebenswelt der Kinder ergibt und deren Motor die alltäglichen neugierigen Fragen der Kinder sind.

Der Ansatz der BNE ist damit praktisch und lebensnah und der Zugang wird über bewusst gewählte Schwerpunkte gesetzt. Beliebt ist zum Beispiel ein Zugang über Eisbären. Diese leben allerdings weit entfernt und können nur über Medien kennengelernt werden. Wäre da nicht ein Tier aus der Nachbarschaft ein mindestens ebenso guter Zugang? Ein kleines Tier, das immer wieder in den Köpfen der Kinder herumschwirrt? Welche Möglichkeiten bieten sich, wenn die Biene im Zusammenhang mit Bildung für nachhaltige Entwicklung gewählt wird?

Ein Finger zeigt auf Bienenwaben, auf denen Bienen arbeiten.
Die fleißigen Bienen lassen sich beim Arbeiten beobachten.

In der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und den für sie relevanten Fragen erwerben die Kinder Kompetenzen, die als notwendige Gestaltung- und Zukunftskompetenzen beschrieben sind wie „vorausschauendes Denken; interdisziplinäres Wissen, autonomes Handeln sowie Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung) oder in andere Worte gefasst „konkret handeln, Emotionen miteinbeziehen, mit Wissen bewusst umgehen, Visionen entwickeln, reflektieren, kritisch Denken, kommunizieren, partizipieren und kooperieren“ (Tebbich). Wie also können die Pläne und Konzepte im Kitaalltag umgesetzt werden?

Als Kita loslegen

Möchten sich Kinder in einer Kita in nachhaltiger Entwicklung bilden, dann ist es sinnvoll, das gesamte Kitajahr mit seinen vielen Geschichten, Feiern und Draußenzeiten in den Blick zu nehmen. Die Integration eines tierischen Motivs in das gesamte Kitajahr – als „Motto“ oder „Leitidee“ – wird so zur Grundlage für die Verwandlung der Vorstellungswelt von Kindern und Erwachsenen. In der pädagogischen Forschung wird dabei unter anderem vom Konzept der „Alltagsfantasien“ gesprochen. „Das didaktische Konzept […] zielt auf ein vertiefendes Verständnis der individuellen Aneignungs- und Bewertungsprozesse […]. Alltagsfantasien nehmen aufgrund ihrer Bedeutungstiefe […] Einfluss auf Werthaltungen, Interessen- und Verhaltensweisen“ (Combe/Gebhard 2012, S. 104f.). Die Autoren zielen darauf ab, die Lücke zwischen Wissen und Handeln bei Umweltthemen wie der Klimakrise zu schließen. Statt des Eisbären wählen wir also Zugänge, die uns emotional und räumlich näherliegen.

Neben diesem ganzheitlichen Blick auf das Kitajahr und das pädagogische Konzept kann ein Einstieg in BNE mit Bienen auch aus vielen kleinen Aktionen zusammengesetzt werden. Ideen finden sich in der proBiene Methodenbroschüre „Das Bienenjahr mit Kindern gestalten“ (https://probiene.de/bildung/). Wie wäre es mit einem ersten Besuch bei der Imker*in vor Ort oder einem Gartenprojekt im Frühjahr?

Bienenbesuch

Staunende Augen verfolgen, wie der Deckel einer Bienenbeute geöffnet wird. Das ist ein rechteckiger Holzkasten, in dem die Bienen leben. Zum Vorschein kommt ein lebendiges Bienenvolk, man riecht Honig und Wachs. Die Kinder, die sich ganz nah an die Bienenbeute herangetraut haben, können sogar die aus dem Brutraum entweichende Wärme spüren. Die Imkerin erklärt den Kindern und meist etwas nervöseren Fachkräften das Leben der Biene. Am Ende nehmen die Besucher*innen vom Bienenstand eine eindrückliche Begegnung mit den Bienen und ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse der Bienen mit.

Imkerinnen und Imker gibt es in den meisten Städten und Dörfern, häufig ganz unterwartet am Waldrand oder auf einem Dach mitten in der Stadt. Die Chancen, einer Imker*in zu begegnen, sind hoch. Und diese*r freut sich im kommenden Frühjahr oder Sommer über einen Besuch. In manchen Städten können Bienenführungen bei spezialisierten Anbietern gebucht werden, wie in Stuttgart bei proBiene.

Imker und Kinder schauen sich den Bienenstock genauer an.
Imker und Kinder schauen sich den Bienenstock genauer an.

Bienen und Wildbienen erleben

Neben den Honigbienen bieten sich auch die Wildbienen als Thema an. Von der flauschig aussehenden Verwandten, die durch ihren eher hektischen Flug auffällt, gibt es viele unterschiedliche Arten. Die meisten Wildbienen sind ruhig und stechen sehr selten. Sie können durch gezielte Bepflanzung oder ein Nistplatzangebot einfach im Garten angesiedelt werden. Wunderbar lassen sie sich in Projekten mit den Kindern beobachten. Unterschiede zwischen Honigbiene und Wildbiene können gemeinsam erkannt und thematisiert werden. Wie unterscheiden die Bienen sich im Aussehen? Welche Arten können wir in unserem Garten entdecken? Wie transportieren Wildbiene und Honigbiene den Pollen? In welchen Familienverbänden leben die Bienen? – sind dabei nur einige Fragen, sie man sich stellen kann.

Die Fantasie von Kindern beflügeln

Die Biene kann ein Leitmotiv für die Arbeit mit BNE im Kindergarten werden. Im ganzen Jahr kann sich intensiv mit verschieden Thematiken auseinandergesetzt werden, womit die Biene zum langfristigen Projekt wachsen kann. Immer wieder können neue Impuls von den Kindern und für die Kinder gestaltet werden.

Im Naturraum wenden sich Kinder aus intrinsischer Motivation immer wieder selbst der Beobachtung von Insekten und anderen Tieren zu. Sie gehen als aktiv Forschende auf Entdeckungstour. Alles, was krabbelt, fliegt, sich bewegt, wird unter die Lupe genommen. Marienkäfer, Schnecken, Ameisen und auch Bienen faszinieren die Kinder. Wie bewegen sich die Tiere? Wo leben sie? Mit diesen Fragen kommen Kinder während eines Ausflugs in den Naturraum oder bei der Gestaltung eines Gartens auf Sie als pädagogische Fachkraft zu. Kinder mit ihrer Umwelt vertraut zu machen ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe.

Auch beim kreativen Gestalten ist die Vielfalt unserer Umwelt nützlich. Oder wenn wir in Geschichten von Menschen und Tieren erzählen. Beim Vorlesen entstehen wortwörtlich Bilder im Kopf, unsere Vorstellungen über Dinge können sich dabei bestätigen oder irritiert werden und sich verändern. Unser Alltag ist von diesen Vorstellungen geprägt. Stellen sich Kinder die Bienen als stechende gefährliche Insekten vor, dann ist eine Angst vor summenden Insekten eine natürliche Folge. Erkennen wir Bienen aus Geschichten und Bildern jedoch als Lebewesen, mit denen Menschen seit Jahrhunderten eng zusammenleben, dann sehen wir auch im Garten die Biene mit anderen Augen.

Das Erlernen von Gestaltungskompetenzen wie die Empathie für die Umwelt oder vorausschauendem Denken benötigt also beides, Naturraum und kreative Orte. Wird die Fantasie von Kindern ganzheitlich angereichert, dann können sie eine Beziehung zu ihrer Umwelt aufbauen, die ihnen erlaubt, die Welt nachhaltig zu gestalten.

Warum sind Bienen bedroht?

Die Bienen sind durch verschiedene Prozesse in ihrem Lebensraum bedroht. Die industrielle Landwirtschaft mit dem Ausbringen von Pestiziden und Monokulturen macht Bienen nicht nur die Futtersuche schwer. Durch einige Pestizide wird sie in ihrer Widerstandskraft gegen „natürliche“ Parasiten, wie die Varroamilbe, geschwächt. Auch der Klimawandel macht Bienen zu schaffen. Im trockenen Hochsommer geht das Angebot an blühenden Pflanzen im Allgemeinen zurück. Bienen, die auf bestimmte Pflanzen spezialisiert sind, sterben aus oder verlagern ihren Lebensraum. Ohne Honigbienen und andere Bestäuber könnte es viele Produkte im Supermarkt nicht mehr geben. Die Gummibärchen mit Wachsüberzug, Obstsorten wie Äpfel oder Erdbeeren, Gemüse wie Gurken oder Kürbisse und selbst einige Kräuter würden ohne Honigbienen deutlich seltener und teurer.

Interview mit Tobias Miltenberger

Bei den Bienen am Bienenstand, was bedeutet das?
Unsere Bienen stehen alle in Freiaufstellung in Stuttgart verteilt. Die Kinder besuchen uns in der Regel im Rohrer Weg, an einem Feldweg in Stuttgart-Möhringen. Der Roher Weg ist direkt in der Nähe der U-Bahn, der gleichnamigen Haltestelle.

Im Sommer sind Sie mit proBiene mit mehr als 100 Kindergruppen bei den Bienen, was macht die Bienen so interessant für Kinder?
Die Bienen faszinieren durch ihr Zusammenleben und die Vorgänge im Bienenvolk. Wenn der Bienenkasten geöffnet wird, kann man die Bienen mit allen Sinnen erleben: riechen, schmecken, sehen usw. Zudem lernen unsere kleinen Besucher*innen den Unterschied zwischen Angst und Respekt. Vor den Bienen muss man keine Angst haben, aber den Respekt, den man mit Ruhe und Sorgfalt vorlebt bei den Bienen, nehmen die Kinder wahr und achten selbst darauf.

Welche besonderen Momente gibt es für Sie mit Kindern am Bienenstand?
Wenn ich eine einzelne Biene auf dem Finger habe, die gerade Honig schleckt, beobachten die Kinder, wie sie mit ihrem Rüssel die Nahrung aufsaugt. Da finden die Kinder eine besondere Ruhe und sehen, dass Bienen schöne Lebewesen sind.

Tobias Miltenberger ist Gründer und Geschäftsführer von proBiene. Als Demeter-Imker ist er am liebsten draußen bei den Bienen. Daneben schreibt er Bücher, gibt Kurse zur ökologischen Bienenhaltung und mischt sich in agrarpolitische Themen ein.

Autoren

Marco Elischer hat Sozialpädagogik und Philosophie studiert. Als Bildungsreferent von proBiene leitet er Bildungsprojekte und entwickelt Materialien zur Bienenpädagogik und für BNE. Kontakt: marco.elischer@probiene.de

Literatur

Bundesministerium für Bildung und Forschung (o.J.) (Hg.): Was ist BNE? Das Ziel von guter Bildung. Online verfügbar unter: https://www.bne-portal.de/bne/de/einstieg/was-ist-bne/was-ist-bne (zuletzt geprüft am 15.11.2021).

Combe, Arno; Gebhard, Ulrich (2012) (Hg.): Verstehen im Unterricht. Die Rolle von Phantasie und Erfahrung. Wiesbaden: Springer VS.

Elischer, Marco: Das Bienenjahr mit Kindern gestalten. proBiene. Online verfügbar unter https://probiene.de/bildung/, zuletzt geprüft am 15.11.2021.

Förderverein NaturGut Ophoven (2015) (Hrsg.): Ein Königreich für die Zukunft – Energie erleben durch das Kindergartenjahr! 4. Aufl. Hannover: NZH Verlag.

Tebbich, Heide (o. J.) (Hg.): BNE-Kompetenzen. Das BNE-Modell des Forum Umweltbildung. BAOBAB-Globales Lernen. Online verfügbar unter: https://bildung2030.at/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/bne-kompetenzen (zuletzt geprüft am 15.11.2021).

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Vom Umwerfen eines Turms zum selbstgebauten Meisterwerk

Kleinkinder bauen. Kindergartenkinder bauen. Schulkinder bauen. Stellt man unbekanntes, spannendes Material zur Verfügung, beginnen sogar Jugendliche und Erwachsene zu bauen. Dabei kann es sich um die verschiedensten Arten von Bausteinen handeln: um Material für eine Murmelbahn, Alltagsmaterialien, Naturmaterialien oder auch um Dinge, die im ersten Moment gar nicht zum Bauen gedacht sind. Das richtige Material kann inspirieren, fesseln und immer wieder neu zu Wunderwerken anregen.

In der Bauecke, am Marktplatz, auf oder unter einem Tisch, auf einem Podest, im Garten, im Sandkasten, im Flur oder im Wald – überall wird gebaut. Beim Bauen und Konstruieren werden die Eigenschaften des Materials untersucht, ausprobiert, experimentiert. Ein Risiko wird eingegangen, Frust geübt.

Wie baut Alex?

Alex kommt in den Raum geht auf die Materialien zu und wählt ganz bewusst eine Bausteinart aus. Zuerst wird entschieden, wo genau gebaut werden soll: mittig, in der Nähe eines anderen Bauwerkes oder vielleicht nahe der Wand? Alex geht auf das Podest im Raum und beginnt mit dem Bau. Der erste Stein wird gelegt, ein zweiter, dann ein dritter. Das Bauwerk wächst rasch und nimmt Formen an. Alex baut vertikal und horizontal. Das Material scheint spannend zu sein und zu fesseln. Der gesamte Körper bewegt sich gezielt und vorsichtig. Trotzdem geht Alex ein größeres Risiko ein und setzt einen größeren Stein leicht schräg. Der Turm stürzt in sich zusammen. Nach kurzem Schreck, einem kurzen Blick zur pädagogischen Fachkraft wird wieder von vorn begonnen – nun verändert Alex eine kleine Variante. Das Fundament wird erweitert. Ansonsten baut Alex nach dem erneut gleichen Plan.

Von außen betrachtet ist Alex in der eigenen Welt – im Flow und völlig im Tun versunken. Ablenkung von außen scheint kaum möglich oder würde auf große Gegenwehr stoßen. Die Zeit verfliegt. Alex genießt und ruht in sich. Es gilt eine Aufgabe zu lösen, die nach den eigenen Regeln ausführt werden. Diese Aufgabe fesselt und motiviert. Mit dem breiteren Fundament wächst der Turm in die Höhe, ein Stuhl zum Stabilisieren wird geholt. Alex ist voller Selbstvertrauen und weiß, dass diese Aufgabe gelöst werden kann. Das Material ist aufgebraucht, aber das Ergebnis entspricht noch nicht den eigenen Vorstellungen. Das Gebaute wird wieder zerstört. Der Prozess wird weiter optimiert. Dieses Mal wird erneut eine Kleinigkeit in der Konstruktion des Bauwerks verändert. Alex legt bestimmte Teile bewusst beiseite und hebt sie für einen späteren Zeitpunkt auf. Die Bauteile haben nun einen festen Platz im Bauwerk.

Dann verlässt Alex den Raum und sucht fehlendes Material – in der ganzen Kita. Alex kennt sich aus und weiß, welches Material zur Verfügung steht. Alles folgt dem Plan. Nachdem er das mitgebrachte Material eingebaut hat, hält Alex inne, betrachtet das Werk und beschließt, dass es nun fertiggestellt ist. „Was habe ich geschafft?“, mag er denken. Was bleibt ist Stolz. Zufriedenheit. Glück. Selbstbewusstsein. Ausgeglichenheit. Innere Ruhe.

element-i Magazin Turm Bärcheninsel
Abbildung 1: Der Turm (vielen Dank an das Team der element-i Kita Bärcheninsel)

Entwicklungsschritte des Bauens

Kinder erfahren von Anfang an, dass unterschiedliche Dinge mit unterschiedlichen Formen unterschiedliche Eigenschaften haben. Kinder probieren aus, wie sich eine Kugel, ein Würfel verhält und wie sich mehrere miteinander verhalten. Kann man Kugeln stapeln? Rollt ein Würfel? Eigene Erfahrungen macht damit jedes Kind und zieht seine Schlüsse daraus. Es wird mit der Zeit mehr und mehr zum Baumeister, da es die Gesetze der Dinge kennen und einsetzen lernt (Fthenakis 2014, S. 123).

Auch wenn Vieles in der kindlichen Entwicklung genetisch determiniert ist, so sind Entwicklungsverläufe von Kindern höchst individuell. Nach Beobachtungen von Largo jedoch vollziehen sich die Schritte hin zu einer bestimmten Fertigkeit in stets gleicher Reihenfolge (Largo 2016, S. 211). Welche Entwicklungsschritte durchläuft ein Kind beim Bauen und Konstruieren? Welche Fähigkeiten muss ein Kind erwerben, um später Meisterwerke zu erschaffen? Welche motorischen Schritte sind notwendig?

Beeindruckend und zugleich banal ist die einfache Erkenntnis: Jedes Mal, wenn wir Erwachsene beobachten, dass ein Kind etwas macht, das es zuvor noch nie gemacht hat, das es zuvor nicht konnte, dann hat es etwas gelernt (Hille et al. 2019, S. 20).

Es lassen sich bestimmte Entwicklungsschritte, die vor allem die Bereiche der Fein- und Handmotorik betreffen, bei Kindern beobachten. Als Handmotorik ist die Bewegung und Haltung der Hände, auch mit beiden Händen gemeinsam und vor allem auch in Kombination mit Handgelenken und Fingern zu verstehen. Als Handgeschicklichkeit bezeichnet man die Koordination der Bewegungen zur geschickten Manipulation von Gegenständen und zur Nutzung für den alltäglichen Objektgebrauch. Das Zusammenspiel der Koordination von Auge und Händen nennt man visuomotorische Koordination (Auge-Hand-Koordination).

Dabei entwickeln Kinder im Bildungsbereich Bauen und Konstruieren vor allem prozedurales Wissen: Wissen über das „wie“. Das Erlernen passiert implizit, nebenbei und beiläufig und intrinsisch motiviert. Während das Kind einen Turm baut, lernt es etwas über statische Gesetze. Wenn er einstürzt, lernt es etwas über Gravitation. Das Kind sucht sich unterschiedliche Gegenstände zum weiteren Bauen und lernt dabei etwas über den Zusammenhang von Gewichten und Größen.

Die ersten Monate

Neugeborene reagieren bereits nach der Geburt mit reflexartigem Greifen, welches um den vierten Monat verschwindet und sich dann als bewusste Handlung des Säuglings zu einem gezielten Greifen entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt können Kinder, sobald sie einen spannenden Gegenstand sehen, ihre Hände gezielt zu diesem Gegenstand steuern und diesen ergreifen. Der auf unterschiedliche Art und Weise ergriffene Gegenstand wird dann zum Mund geführt und kennengelernt – Größe, Gewicht, Form, Oberfläche und Konsistenz.

Mit der Zeit beginnen Kinder, Gegenstände bewusst zu manipulieren, um eine Bewegung auszulösen (z. B. am Mobile). Dies wird als Funktionsspiel bezeichnet. Besonders beeindruckend: Das vier Monate alte Kind greift nach unbewegten und bewegten Gegenständen – und dies zielsicher. Es besitzt so viel physikalisches Grundverständnis, dass es den Weg des Gegenstands voraussagen kann – egal ob der Gegenstand sich in einer Geraden oder in einer Kurve bewegt (Hille et al. 2019, S. 124).

Ab dem 9. Lebensmonat

Mit ca. 9 bis 12 Monaten erkennen Kinder, dass Objekte, die sich nicht mehr in ihrem Sichtfeld befinden, dennoch nicht gänzlich verschwinden, nur weil sie aus dem Blickfeld geraten sind. Diese Erkenntnis wird als Objektpermanenz beschrieben. Wie Stemme & Eickstedt (1998, S. 114) beschreiben, lernt das Kind nun Gegenstände zu identifizieren.

Kinder erkennen, dass ein Ding, das zu Boden fällt, das gleiche Ding ist, das es zuvor in den Händen gehalten hat. Kinder werfen nun immer wieder Dinge vom Hochstuhl und freuen sich, wenn man ihnen diese wieder anreicht. Am Spiel Fallenlassen und Aufheben haben sie großen Spaß. Auch sich selbst zu verstecken, macht mehr und mehr Freude. Kinder wissen nun, dass Dinge, die verschwinden, noch da sind und auch die gleichen bleiben. Das unermüdliche Wegwerfen und Verstecken hilft den Kindern, die Dimensionen des Raumen kennenzulernen. Die Erkenntnis, dass verschwundene Dinge weiterhin da sind, ist ein wichtiger Schritt zum Abstrahieren.

Sie krabbeln gezielt in andere Räume, um Spielgegenstände aufzusuchen. Die bewusste und selbstgesteuerte Bewegung im Raum ist ein weiterer Schritt im Kennenlernen der räumlichen Dimensionen.

Im nächsten Schritt beginnen Kinder auch Dinge umzuwerfen. Flaschen, Becher, Türme nichts ist mehr sicher und wird sofort umgeworfen. Dies kann zum Frust von älteren Kindern und Erwachsenen führen, wenn den jungen Kindern hier eine boshafte Absicht der Handlung unterstellt wird.

Mit 10 Monaten gelingt bereits der Pinzettengriff, mit denen Kinder selbst kleine Krümel vom Boden aufheben können. Was die Kinder plötzlich im Raum alles finden?

Im Alter von 9 bis 15 Monaten sind Schubladen und Kisten nicht mehr sicher – von uns Erwachsenen wird Geduld verlangt, denn es wird ausgeräumt. Alles wird ausgeräumt. Gebaut wird in dieser Phase noch nicht. Umschubsen, Runterschmeißen, Ausräumen bestimmen das Handeln des Kindes. Es erkennt, dass ein Gegenstand in einem anderen sein kann.

Die nächste Phase beginnt, wenn Kinder verschiedene Gegenstände ineinanderstecken. Was passt wo herein? Kleine Autos verschwinden in Löchern von Podesten, kleine Becher werden in große gesteckt. Passt die Schüssel in den Topf? Ebenso werden Dinge von A nach B transportiert – in Wägen, Taschen, Kisten.

Ab dem 15. Lebensmonat

Und dann plötzlich versuchen die Kinder, Dinge zu stapeln. Langsam und vorsichtig wird ausprobiert, was aufeinandergelegt werden kann – erst zwei Bausteine, dann drei. Aber auch alles andere, was sich stapeln lässt, wird gestapelt. Das Kind beginnt die vertikale Dimension beim Spiel auf verschiedene Art und Weise kennenzulernen (vgl. Largo 2016, S. 209ff.). Zuerst handelt es sich um eher kleinteiliges Bauen auf einer Stelle. Die meisten Kinder können im Alter von 18 Monaten zwei bis vier Bausteine aufeinander stapeln. Mit 24 Monaten widmet sich das Kind zunächst dem horizontalen Bauen. Gegenstände werden aneinandergereiht. Mit ungefähr 30 Monaten verbindet das Kind dann das vertikale und horizontalem Bauen. Acht Bausteine stapeln die meisten Kinder im Alter von 36 Monaten. Und dann geht es richtig los: Die Bauten werden höher, komplexer und nach Plan gebaut. Kindergartenkinder verbinden die Dimensionen äußerst geschickt miteinander, sodass mithilfe des entwickelten räumlichen Vorstellungsvermögens dreidimensionale Wunderwerke entstehen. Kinder bauen gemeinsam als Team und mehrere Tage an einem Bauwerk. Sie können Bauwerke nach eigenem Plan, oder nach Vorlage nachbauen. Nur der Raum und die Materialmenge beschränken die Komplexität des Bauwerkes.

Ich habe vor einiger Zeit mit meinen Nichten mein Lieblingsbaumaterial vom Dachboden geholt. Zum Glück hat meine Mutter es nicht übers Herz gebracht, dieses zu entsorgen: Meine Holzeisenbahn und meine geliebte Murmelbahn. Beim Bau kamen Erinnerungen zurück, ich fühlte mich zurückversetzt in diese Zeit. Womit haben Sie als Kind am liebsten gebaut? Mit welchem Bauwerk haben die Kinder Ihrer Kohorte Sie das letzte Mal zum Staunen gebracht? Gern können Sie mir Fotos der Bauwerke zukommen lassen – vielleicht schaffen Sie es in meinen nächsten Artikel.

Literaturverzeichnis

Fthenakis, W. E. (2014): Natur-Wissen schaffen 2. Frühe mathematische Bildung. Essen: LOGO Lern-Spiel-Verlag.

Hille, K.; Evanschitzky, P.; Bauer, A. (2019): Das Kind – Die Entwicklung zwischen drei und sechs Jahren. Psychologie für pädagogische Fachkräfte. Hamburg: Verlag Handwerk und Technik.

Largo, R. H. (2016): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. 31. Aufl. München: Piper Verlag.

Stemme, G.; von Eickstedt D. (1998): Die frühkindliche Bewegungsentwicklung. Vielfalt und Besonderheiten. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.​

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Neuer „alter“ Fokus für Kitas: Naturpädagogik

Gehe ich an einem Montag in eine Kindertageseinrichtung, kommt es immer wieder vor, dass mir Kolleg*innen Folgendes berichten: Am Verhalten der Kinder könne man erkennen, dass sie das Wochenende nur zu Hause und viel Zeit vor dem Fernsehen verbracht hätten. Die Kinder seien unruhiger, lauter und hätten einen erkennbar größeren Bewegungsdrang als an anderen Wochentagen. Entsprechend dem Verhalten und den Bedürfnissen der Kinder würde sich der Tagesablauf montags anders gestalten. Wenn ich diese Schilderungen weiterdenke, stelle ich mir eine Frage: Ist es nur der Montag, den wir verändern müssen?

Mediennutzung und motorische Fähigkeiten

Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir die Mediennutzung und die motorische Entwicklung von Kindern etwas näher angeschaut. Kinder verbringen laut der Studie miniKIM viel Zeit mit digitalen Medien. Im Jahr 2014 verbrachten Kinder im Alter von zwei und drei Jahren bereits 34 Minuten und Kinder zwischen vier und fünf Jahren 52 Minuten täglich vor dem Fernseher – nicht einberechnet sind hier weitere digitale Endgeräte und passives Fernsehschauen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2014, S. 31). Zum Vergleich: bereits in diesem Alter ist die vor dem Fernseher verbrachte Zeit minimal höher als die Zeit, die ein Kind täglich mit Bilderbuchbetrachtungen verbringt. Bestätigung für die geschilderte Beobachtung von Pädagog*innen konnte ich ebenso finden. Im Vergleich der Wochentage verbringen Kinder am Sonntag die meiste Zeit mit und vor digitalen Medien (Feierabend/ Scolari 2019, S. 157).

Bezüglich der motorischen Entwicklung von Kindern beschreiben Studien, dass die motorischen Fähigkeiten im Vergleich zu früheren Generationen rückläufig sind. Ein Grund könnte sein, dass Kinder sich durch die gesteigerte Mediennutzung und die zunehmenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit weniger bewegen und zudem die motorischen Herausforderungen abnehmen. Die Kinder leben in einer zunehmend „geschützten“ und „sicheren“ Umwelt. „Für Kindergartenkinder soll insgesamt eine Bewegungszeit von 180 Minuten/Tag und mehr erreicht werden, die aus angeleiteter und nichtangeleiteter Bewegung bestehen kann“ (Schwarz 2020, S. 353). Was denken Sie: Wie viele Kinder aus Ihren Einrichtungen erreichen diese 180 Minuten je Tag?

Beschäftigungen von Kindern am Nachmittag

Kindheit passt sich immer entsprechend der Lebensumstände, die den Kindern von den Erwachsenen gegeben werden, an. Dies hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Erfahrungen, die Kinder sammeln. Nachvollziehbar wird dies, wenn wir die Kindheit heute mit unserer eigenen Kindheit vergleichen. Wie sind Sie selbst aufgewachsen? Wie haben Sie die Zeit in Ihrer Kindheit verbracht? Wie viel Stunden pro Tag waren Sie selbst in der Kita und wie haben Sie den Tag dort verbracht?

Haben wir früher noch die meiste Zeit am Nachmittag im Freien in selbstorganisierten Gruppen verbracht und die Nachbarschaft (vor allem ohne Beaufsichtigung durch Erwachsene) erkundet, schauen Kinder heute auf einen vollen, von den Eltern für sie strukturierten Stundenplan. Kinder halten sich heutzutage häufiger drinnen auf als früher (Renz-Polster/Hüther 2019, 100). War der Kindergarten früher – vereinfacht gesagt – zum „Basteln“ gedacht, da die notwendigen Materialien zu Hause nicht vorhanden waren und Eltern diesem Bildungsfeld wenig nachgekommen sind, erledigen Eltern heutzutage diese Aufgabe selbst. Oder sie organisieren ein zusätzliches Bildungsangebot am Nachmittag. Welche Schlüsse können wir aus diesen Veränderungen der Kindheit im Zusammenhang mit Mediennutzung und motorischer Entwicklung von Kindern ziehen?

Um auf meinen Anfangsgedanken zurück zu kommen: Es ist keineswegs nur der Montag, den wir – entsprechend den Bedürfnissen der Kinder und einer veränderten Kindheit – anpassen sollten. Es bleibt uns beinahe keine andere Wahl, als mit Kindern und für sie mehr „Wege ins Freie“ zu finden. Dies wird auch in der element-i Konzeption beschrieben: „Gerade in den zumeist städtischen Lagen der element-i Kinderhäuser ist es uns ein wichtiges Anliegen, Natur auch innerhalb der Einrichtung erfahr- und erlebbar zu machen. Der Aufenthalt im Freien bietet vielfältige Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, fördert Bewegung, Umweltverständnis und Naturverbundenheit und stärkt das Immunsystem und damit insgesamt die physische und psychische Gesundheit der Kinder“ (Kammerlander/Rehn 2018, S. 18).

Naturpädagogik und Schulfähigkeit

Nun werden Kritiker*innen vielleicht äußern, dass Kinder, die viel Kita-Zeit im Freien verbringen, nicht genügend auf die Schule vorbereitet würden. Dazu hat Häfner im Jahr 2002 eine entsprechende Studie durchgeführt. Er befragte Lehrer*innen und bat sie, Kinder, die eine Waldkita besucht haben, mit denen, die eine Regel-Kita besucht haben, zu vergleichen. Die Ergebnisse, die er beschreibt, sind eindeutig. Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, werden von Lehrer*innen bei der Einschulung als leistungsfähiger beschrieben als die Vergleichsgruppen aus Regelkindergärten. Sie könnten länger sitzen, sich besser konzentrieren und zeigen im sozialen Verhalten eine höhere Kompetenz (Häfner 2002). Die Studie legt den Schluss sehr nahe, dass wir uns wenig Sorgen um die Schulfähigkeit der Kinder machen müssen, wenn wir ihnen mehr Erfahrungen im Freien ermöglichen.

Das Fazit meines Artikels liegt klar auf der Hand. Ich gehe sogar davon aus, dass sie die Antwort beim Lesen der ersten Zeilen dieses Artikels bereits kannten: Wir müssen mehr mit den Kindern nach draußen gehen. Und es bleibt nur eine einzige Frage offen. Warum tun wir es nicht? Dazu möchte ich einen nachdenklich machenden Gedanken zitieren, dessen provozierende Aussage Sie selbst für sich prüfen können: „Warum unsere Kinder nicht mehr draußen sind, hat tiefere Gründe – und sie haben etwas mit uns selbst zu tun. Mit uns Großen“ (Renz-Polster/ Hüther 2019, S. 96).

Ich freue mich über Ihre Kommentare, Gedanken und Antworten zu meinen Fragen.

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Naturraumpädagogik und Bildung für nachhaltige Entwicklung  

Was ist diese Bildung für nachhaltige Entwicklung? Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) schon in der Elementarpädagogik – ist das notwendig und überhaupt möglich? Was sind die Global Goals und in welchem Zusammenhang stehen sie mit der BNE? Wir können wir die Global Goals erreichen? Und jetzt auch noch Naturraumpädagogik (NRP)? Was bedeutet das eigentlich alles? Was ist der Unterschied und welche Gemeinsamkeiten gibt es?   

Naturraumpädagogik (NRP)

Mit dem Begriff der Naturraumpädagogik wird ein pädagogischer Ansatz formuliert, der sich in Waldkindergärten entwickelte und inzwischen Transferchancen für weitere Bildungseinrichtungen ermöglicht. Mit der Zunahme an pädagogischen Konzepten in der Natur von reinen Waldkindergärten zu Mischformen dieser Ausrichtung gelingt es möglichst vielen Kindern, die Türe nach Draußen zu öffnen(Wolfram 2008). 

Wir haben im pädagogischen Leitungskreis bei element-i entschieden, den Begriff der Naturraumpädagogik (NRP) zu verwenden. Dieser Begriff beschreibt deutlich, wen wir im Zentrum sehen: Das Kind aktiv und selbstbestimmt im Naturraum. Es geht nicht darum, das Kind zu erziehen oder gar zu moralisieren, sondern dem Kind wertfrei und ohne Zieldefinition vielfältige Erfahrungen im Naturraum zu ermöglichen. Es geht ums „Sein“ in und ums „Erleben der Natur. Aus diesem Grund bedeutet NRP nicht per se Naturwissenschaft und auch nicht zugleich BNE, wie sie im weiteren Verlauf des Artikels erkennen werden. NRP bietet vielmehr Anknüpfungspunkte für alle Bildungsbereiche. 

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

„Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), wie sie auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 begründet wurde, soll zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigen. BNE als normatives Konzept fußt dabei auf den ethischen Prinzipien ‚Menschenwürde‘, ‚Demokratie‘, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen‘ und ‚Gerechtigkeit im Zugang zu Ressourcen‘“ (Müller et al. 2019, S. 18)Einfach gesagt: Leben soll gesund, gerecht, friedlich und im Einklang mit der Natur geschehen. 

BNE strebt dabei stets die Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung an (Englisch: Global Goals oder auch SDG – Sustainable Development Goals)  

Abb. 1: Die 17 Globalen Ziele der UN

BNE ist kein rein wissensbasiert-kognitiver Ansatz, sondern hat eine sehr praktische und lebensweltlich erfahrbare Dimension, weshalb sie auch im frühpädagogischen Bereich ihren Platz gefunden hat. In der Kita ist es das Ziel, Kinder handlungsfähig zu machen. Sie sollen in ihrem Lebensumfeld altersangemessen Verantwortung übernehmen und sich an der Gestaltung des Alltags beteiligen. „Den Mädchen und Jungen darf dabei weder die Verantwortung der Erwachsenen aufgebürdet werden, noch dürfen ihnen Probleme übertragen werden, die die Politik oder Wirtschaftsunternehmen zu lösen haben. Vielmehr sollen Kinder Erfahrungen mit der Welt machen können, Werte und Haltung entwickeln, Zusammenhänge erkennen, unterschiedliche Perspektiven einnehmen, ihre Interessen formulieren und gegebenenfalls Alternativen suchen und finden“ (Rathgeber 2019, S. 84). 

Folgende thematische Schwerpunkte können im Bereich BNE in der Frühpädagogik umgesetzt werden: Partizipation, Umgang mit Ressourcen und Müllvermeidung, Klimaschutz (Erde, Feuer, Wasser, Luft), Arterhaltung (alles rund um Tiere & Pflanzen), Kinderrechte/Menschenrecht fairer Handel, und vieles mehr 

BNE kann im Naturraum sowie in der Kita geschehen. Erfahrungen in der Natur sind hierbei nicht grundsätzlich Voraussetzung zur Entwicklung dieser Haltung. Der Unterschied zum Ansatz zur NRP ist klar, es geht hierbei nicht nur um das Sammeln von Erfahrungen und darum, selbst aktiv zu sein – die Fragen, die das Denken und Handeln leiten, sind entscheidend.  

Am Ende des Artikels habe ich Ihnen Internetseiten zusammengestellt, auf denen Sie weitere Informationen zu BNE und spannende Praxisanregungen finden können. 

Der Regenwurm und die Bildungsbereiche

Stellen Sie sich vor, Sie machen mit den Kindern einen Ausflug in den Wald. Die Kinder buddeln und graben und spielen. Nach einiger Zeit kommen Kinder mit einem Regenwurm zu Ihnen und zeigen stolz ihr Fundstück. Wie gehen Sie auf diesen Fund der Kinder ein? Wie reagieren Sie? Ich hoffe sehr, dass Sie nicht vor Ekel geschüttelt die Kinder auffordern, den Regenwurm unkommentiert schnellstmöglich zurückzusetzen, sondern dass Sie die große Chance und die unendlichen Möglichkeiten erkennen, die dieser kleine, einfache Fund bietet.   

Wissen Sie, wie viele Arten von Regenwürmern es gibt? Wie groß können Regenwürmer werden? Wie leben Regenwürmer? Können wir Regenwürmern in der Kita ein Zuhause bieten? Mit diesen Fragen können Sie sich auf unterschiedlicher Weise dem Thema zuwenden. Welchen Bildungsbereich verantworten Sie selbst in Ihrem Kinderhaus? Welchen Impuls könnten Sie den Kindern in Bezug zu Ihrem Bildungsbereich geben? Gehen Sie kurz alle unsere Bildungsbereiche durch und überlegen Sie. Nicht nur zu Forschen & Entdecken wird Ihnen ein Impuls einfallen. Ich bin mir sicher, dass in jedem anderen Bildungsbereich auf der Grundlage dieses Fundstückes Impulse entwickelt werden können 

Mit bewusst gewähltem Fokus, angeregt durch die begleitende Fachkraft, entstanden durch eine Entdeckung der Kinder, können in der NRP alle Bildungsbereiche angesprochen werden. So betrachtet, sind NRP und BNE Querschnittsthemen über alle Bildungsbereiche hinweg. Und kurzerhand kann aus einem kleinen Regenwurm durch Sie ein umfassendes Projekt in gesamten Kinderhaus entstehen. Es hängt davon ab, wie Sie als Fachkraft auf den Impuls der Kinder reagieren. Welche Fragen Sie sich und den Kindern stellen und selbstverständlich, wie Sie die Kinder sowie das gewählte Thema begleiten. #eskommtaufmichan 

Welche Fragen würden Sie den Kindern im Regenwurmimpuls stellen, um den Gedanken der BNE zu integrieren? Im Schaubild sehen Sie den Zusammenhang zwischen NRP, BNE und unserer element-i Konzeption sowie den Global Goals. 

Abb. 2: Darstellung nach L. Reuß 

Reflexionsfragen zum Weiterdenken:

  • Wo in unserer Konzeption können Sie BNE entdecken?  
  • Beobachten Sie die Kinder im Naturraum. Was begeistert die Kinder?  Mit welchen Themen beschäftigen sich die Kinder? Mit welchen Fragen kommen die Kinder zu Ihnen? 
  • Welches Experiment haben Sie zuletzt mit den Kindern gemacht? Welche Bildungsbereiche könnte dieses Experiment noch ansprechen? Wie können Sie in diesem Impuls den Fokus auf BNE und/oder NRP setzen? 

Weitere Informationen zu BNE:

Kennen Sie Ihren ökologischen Fußabdruck? Ermitteln Sie ihn: www.fussabdruck.de 

Lexikon

Im Rahmen der Recherche für diesen Artikel sind mir weitere Begriffe begegnet, die Ihnen, wenn Sie sich auf den Weg der BNE machen, auch begegnen werden. 

Erneuerbare Energien/ Regenerative Energie: Energiequellen, die unerschöpflich sind und sich selbstständig wiederherstellen (u.a. Windkraft, Wasserkraft, Sonnenstrahlung). Durch ihre Nutzung zerstört der Mensch die Welt nicht. Im Gegensatz dazu gibt es die fossilen Energiequellen, die endlich sind und deren Nutzung zum Klimawandel beitragen. 

Fridays For Future: Globale Jugendbewegung, die sich für den Klimaschutz einsetzt.  

Global Goals ist der englische Begriff für die 17 globalen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. In Abbildung 1 können Sie diese entdecken.  

Globales Lernen ist ein Teilbereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung und betrachtet die Zusammenhänge zwischen der lokalen und globalen Ebene. Es geht hierbei um eine vernetzte Welt und den damit verbundenen Gefahren und den Ungleichheiten. Ziel ist es, globale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, Solidarität und Partizipation zu erreichen. 

Klimaschutz: Sammelbegriff für Maßnahmen, die der durch den Menschen verursachten Erderwärmung entgegenwirken und die Folgen der globalen Erwärmung abschwächen oder gar verhindern sollen (Stichwort: ZweiGradGrenze).  

Naturpädagogik/ Naturerziehung: Weitere Begriffe für Naturraumpädagogik, häufig mit moralischer Erwartung gepaart. Wir nutzen diese Begriffe nicht, da für uns die Erfahrung im Naturraum besondere Bedeutung hat und diese Idee mit dem Begriff der Naturraumpädagogik treffender beschrieben wird.  

Tiergestützte Pädagogik: Pädagogikrichtung, in welcher Tiere in der Arbeit mit Kindern eingesetzt werden. Sie nutzt die einmalige positive und besondere Wirkung der Tiere. Die Kinder lernen den richtigen Umgang mit den Tieren, pflegen diese, um ebenso die Natur schätzen und schützen zu lernen. Sie kann auch als Teilbereich der BNE gesehen werden. 

Umweltpädagogik: In den 1970er Jahren stand im Rahmen der Umweltbewegung die damalige Entwicklung der Umwelterziehung unter ganz anderen Vorzeichen. Nicht das Kind und seine Bedürfnisse standen im Mittelpunkt, sondern die bedrohte und schützenswerte Natur. Viele gut gemeinte Ansätze wollten in erster Linie den Kindern Naturerfahrungen vermitteln, damit diese dann später die Natur schützen und erhalten sollten. Hierin liegt eine gefährliche Moralisierung, und die Auswirkungen sind gerade heute im Naturverständnis der Kinder und Jugendlichen spürbar(Brodbeck 2008). Der Begriff wird heute nur noch selten verwendet, da er durch BNE abgelöst und somit der Fokus geändert wurde. 

Waldpädagogik: zunächst vor allem geprägt durch Waldkindergärten, ist die Waldpädagogik mittlerweile ein Bestandteil der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Heute wird sie noch häufig im Bereich der Fortwirtschaft und der damit verbundenen Umweltbildung verwendet – nicht mehr ausschließlich an Kitas verknüpft. 

Quellen:
Brodbeck, Erika (2008): Die Bedeutung von Naturerleben für Kinder. Online verfügbar unter https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/naturwissenschaftliche-und-technische-bildung-umweltbildung/1740, zuletzt geprüft am 09.10.2020.
Geisler, Jasmin (2020): Die faire Kita. Nachhaltige Projekte, die Kinder begeistern. Freiburg: Herder.
Müller, Gabriele; Müller, Martina; Guilleaume, Christine von; Fass, Stefan (2019): Leitfaden. Bildung für nachhaltige Enticklung (BNE) in Kindertageseinrichtungen gestalten: ÖkoMedia GmbH.
Rathgeber, Meike (2019): Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kita. In: Stiftung Haus der kleinen Forscher (Hg.): KiTa aktuell spezial. Bildung für nachhaltige Entwicklung. Köln: Wolters Kluwer Deutschland GmbH.
Wolfram, Anke (2008): Naturraumpädagogik. Online verfügbar unter https://www.naturraumpaedagogik.de/#wrap, zuletzt geprüft am 09.10.2020.​

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Wenn kleine Kinder beißen

In jeder Krippe und auch in der Kita gibt es von Zeit zu Zeit Kinder, die andere Kinder aus unterschiedlichsten Gründen beißen. Die Thematik ist für Fachkräfte häufig pädagogisch herausfordernd. Besonders kritisch wird es, wenn es Kinder gibt, die wiederholt beißen. Die Gründe der Kinder sind vielfältig, es bedarf einer sehr genauen Analyse der Situation und stets responsiver und achtsamer Reaktionen von Fachkräften.

Das Stigma von Kindern, die beißen

Beißen gilt in unserer Gesellschaft, obwohl es als Verhalten aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht unüblich ist, als besonders grausam im Vergleich zu zum Beispiel Hauen. Das Beißen soll schnellstmöglich abgestellt werden. Kinder, die beißen, werden nicht selten ausgeschlossen und haben einen besonderen Ruf, den sie nicht mehr leicht ablegen können. Dazu möchte ich Ihnen kurz ein Beispiel aus meinen eigenen Erinnerungen beschreiben. Ich kann mich gut erinnern, welches Kind in meiner Spielgruppe das „Beiß-Kind“ war und auch, wie wir Kinder uns von diesem Kind ferngehalten haben. Das taten wir ohne Rücksicht diesem Kind gegenüber. Wir haben uns versteckt, das Kind beschimpft und uns gegen dieses Kind zusammengetan und abgesprochen, wie wir das Spiel mit ihm vermeiden. Einfach grausam von uns. Ebenso berichtet meine Mutter heut noch, wenn es um das Thema Beißen geht, wie schlimm meine Schwester von diesem Kind gebissen wurde. Geschichten darüber, wer von uns von einem anderen Kind gehauen oder gekratzt wurde, gibt es hingegen nicht. Fragen Sie in Ihrem Umfeld einmal Personen, was Sie über das Beißen und beißende Kinder denken.

Diese Beiß-Situationen können Ihnen begegnen

Die Tragweite und Folgen für ein Kind, das beißt, sind entsprechend schwerwiegend. Ihnen als Fachkraft obliegt aus diesem Grund eine besondere Verantwortung im Umgang mit dem Thema Beißen. In Ihrem pädagogischen Alltag werden Ihnen Situationen wie die Folgenden begegnen:

  1. Vertieft spielen alle Kinder im Freispiel. Ein Schrei ist zu hören. Sie drehen sich um und sehen, dass Jan in den Arm von Tim beißt.
  2. Wütend kommt die Mutter von Anna auf mich zu. Anna sei nun schon wieder gebissen worden. Sie sieht den Abdruck auf der Haut ihres Kindes. Sie möchte unbedingt wissen, welches Kind ihre Tochter immer wieder beißt. Sie möchte das Thema privat mit der Mutter klären. Außerdem äußert sie, dass sie, wenn ihre Tochter weiter gebissen würde, sie aus der Kita nimmt. Sie als Fachkraft scheinen die Sicherheit des Kinders nicht gewährleisten zu können.
  3. Paula und Mathilda streiten sich in der Bauecke. Mathilda wirft absichtlich Paulas Turm um. Sie sehen, wie Paula wütend wird. Sie kennen Paula. Sie hat in letzter Zeit immer wieder gebissen, wenn sie sich mit Kindern gestritten hat.
  4. Meine Kollegin Sabine kommt zu mir und spricht mich auf ein Kind an, dass in letzter Zeit häufiger gebissen hat. „Wir machen hier in der Kita doch alles richtig. Wir haben uns alle Situationen im Alltag angeschaut. Der Grund, warum Tim beißt, kann nicht in der Kita liegen. Die Eltern kümmern sich nicht genug um ihn. Auf meine Gesprächsanfragen reagieren sie auch nicht.“
  5. „Ich bin ein Löwe“, ruft Paco und rennt freudestrahlend auf mich zu. Ein Schmerz und verblüfft stelle ich fest, dass Paco seine Löwenzähne in meine rechte Schuler gehauen hat.
  6. „Vielleicht sollte man das Kind, das beißt, einfach zurück beißen. So merkt es, wie schmerzhaft es ist und dann hört es damit auf“, überlegt ein Kollege in der Teamsitzung.
  7. „Kinder, die beißen, haben in einer Krippe nichts verloren“, fordert der Elternbeirat in einem Gespräch mit Ihnen.
  8. „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich bin am Ende,“ äußert Paulas Mutter im Gespräch. „Ich mache mir wirklich Sorgen um ihre Zukunft. Ich verstehe nicht, warum sie beißt.“

Nützliche Fragen für Sie als Fachkraft

Als Fachkraft sollten Sie sich Gedanken gemacht haben, wie sie mit verschiedenen Situationen umgehen. Auch im Team sollten Sie sich über Ihre Reaktion und Haltung zum Thema austauschen. Folgende Fragen können Ihnen helfen, weiter über das Thema nachzudenken:

  • Wie würden Sie als Fachkraft in einer dieser geschilderten Situationen spontan reagieren?
  • Welchem Kind wenden Sie sich nach einem Beiß-Vorfall zuerst zu und wie tun Sie das?
  • Stellen Sie sich eine der Situationen vor. Wie fühlen Sie sich: kompetent oder überfordert?
  • Welche Ursachen kann Beißen haben?
  • Welche Strategien haben Sie, um die Ursachen des Kindes für das „Beißen“ herauszufinden?
  • Wie denken Sie über Kinder, die beißen?
  • Wie besprechen Sie mit den Eltern die Thematik?
  • Welche Eltern sprechen Sie überhaupt an?
  • In welchem Setting sprechen Sie mit Eltern?

Über Ihre Gedanken und Kommentare zum Thema freue ich mich.

Literaturempfehlung: Gutknecht, D. (2015): Wenn kleine Kinder beißen. Achtsame und konkrete Handlungsmöglichkeiten. Freiburg: Herder.

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Zertifizierung zum „Haus der kleinen Forscher“

Interview zur Zertifizierung zum „Haus der kleinen Forscher“ mit Christoph Lammert (CL) vom „Haus der kleinen Forscher“ in Berlin. Interview wurde geführt durch Lisa Reuß (LR) 

LR: Guten Tag Herr Lammert. Vielen Dank, dass Sie heute bereit sind, für die Kolleg*innen aus den element-i Einrichtungen ein paar Fragen zu beantworten. Wir starten auch gleich mit den Fragen. Was ist das Haus der kleinen Forscher?  

CL: Die gemeinnützige Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ engagiert sich seit 2006 bundesweit für gute frühe Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) – mit dem Ziel, Kinder stark für die Zukunft zu machen und zu selbstbestimmtem und nachhaltigem Handeln zu befähigen.  

Gemeinsam mit ihren über 200 Netzwerkpartnern bietet die Stiftung bundesweit ein Bildungsprogramm an, das pädagogische Fach- und Lehrkräfte fortlaufend dabei unterstützt, Kinder im Kita- und Grundschulalter beim Entdecken, Forschen und Lernen zu begleiten. Die Bildungsinitiative „Haus der kleinen Forscher“ verbessert auf diese Weise Bildungschancen, fördert das Interesse am MINT-Bereich und professionalisiert das pädagogische Personal. Allen Kitas und Grundschulen des Landes soll so die alltägliche Begegnung mit MINT sowie mit Fragen der Nachhaltigkeit ermöglicht werden.  

LR: Was ist Ihre Aufgabe beim Haus der kleine Forscher?  

CL: Als Referent für Zertifizierung unterstütze ich pädagogische Fach- und Lehrkräfte in Kitas, Horten und Grundschulen darin, Selbstevaluationsprozesse in ihren Einrichtungen zu initiieren und durchzuführen.  

LR: Wieviele Häuser sind bisher bundesweit zum Haus der kleinen Forscher zertifiziert worden?  

CL: Schon über 5.500 Einrichtungen sind als „Haus der kleinen Forscher“ zertifiziert. Da wir den Kitas, Horten und Grundschulen alle zwei Jahre eine Folgezertifizierung empfehlen, sind viele von ihnen bereits mehrfach zertifiziert. Insgesamt haben wir seit 2012 mehr als 12.000 erfolgreiche Zertifizierungen begleitet.  

LR: Warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, seine Kita zum Haus der kleinen Forscher zu zertifizieren?  

CL: Eine Zertifizierung lohnt sich in vielerlei Hinsicht. Kitas, Horte und Grundschulen können mit der Zertifizierungsplakette nach außen zeigen, dass in ihrer Einrichtung gute frühe Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik geboten wird und Kinder ihren eigenen Fragen nachgehen können. Das hat häufig den positiven Effekt der Vernetzung mit anderen Bildungspartnern zur Folge. Darüber hinaus leitet das Zertifizierungsverfahren einen Selbstevaluations- und Reflexionsprozess an und trägt somit zur Qualitätsentwicklung der Einrichtungen bei. Da pädagogische Fach- und Lehrkräfte mit ihrer täglichen Bildungsarbeit wichtige Grundlagen in den Bildungsbiografien der Kinder schaffen, soll die Zertifizierung vor allem auch ihre Arbeit hervorheben und wertschätzen. Deshalb steht am Ende des Zertifizierungsprozess in der Regel auch eine Feier. Bei der wird neben der erfolgreichen Zertifizierung auch immer das Engagement des pädagogischen Fachpersonals zelebriert.  

In einem kleinen Film berichten pädagogische Fach- und Lehrkräfte aus zertifizierten Einrichtungen, was sich bei ihnen seit der Zertifizierung verändert hat und warum sich eine Zertifizierung für Kitas, Horte und Grundschulen lohnt.  

LR: Sogar auch in Corona-Zeiten? 

CL: Klar! Eine Zertifizierung ist natürlich auch jetzt, während der Corona-Krise, möglich und sinnvoll. Es gibt bei uns derzeit eine deutliche Zunahme von Anrufen in der Zertifizierungshotline. Trotz oder gerade wegen der bundesweiten Schließung von Kitas und Schulen, scheint das pädagogische Personal Ressourcen für Aufgaben zu haben, die sonst im pädagogischen Alltag häufig nicht da sind. Der Zertifizierungsfragebogen ist ein Online-Instrument und kann so auch ohne persönlichen Kontakt ausgefüllt werden. Und das Projekt, das bei der Zertifizierung beschrieben wird, darf durchaus ein paar Monate in der Vergangenheit liegen. Also kann jetzt sehr gern losgelegt werden. Wir freuen uns über jede Bewerbung. Falls Fragen auftauchen, stehen wir den Pädagog*innen natürlich in der Servicehotline oder per Mail mit Rat und Tat zur Seite.  

LR: Was muss ich grob tun, damit mein Haus zum Haus der kleinen Forscher wird? 

CL: Um als „Haus der kleinen Forscher“ zertifiziert zu werden, muss in jedem Fall der Online-Fragebogen ausgefüllt werden. Dazu ist eine unverbindliche Registrierung auf der Webseite vom „Haus der kleinen Forscher“ notwendig Die Teilnahme am gesamten Zertifizierungsprozess ist für Kitas, Horte und Grundschulen kostenfrei.   

Einrichtungen, die sich zertifizieren lassen möchten, sollten das Entdecken und Forschen in den pädagogischen Alltag integriert haben, (kleine) Projekte durchführen und diese auch dokumentieren. Es muss nicht eigens für die Zertifizierung eine zusätzliche Dokumentation anfertigt werden. Es reicht aus, dass im Rahmen der Bewerbung Fragen zum Thema „Dokumentation“ beantwortet werden. Als Hilfe beim Ausfüllen können pädagogische Fach- und Lehrkräfte gern auf Dokumentationsformen zurückgreifen, die Ihrer Einrichtung bereits verankert sind, wie etwa auf Forschungsmappen, Lerngeschichten, Wandzeitungen, Portfolios, Fotocollagen o. Ä.. 

Darüber hinaus sollte das pädagogische Fachpersonal regelmäßig an Fortbildungen aus dem MINT-Bereich oder der Bildung für nachhaltige Entwicklung teilnehmen. Dabei ist es den pädagogischen Fach- und Lehrkräften selbst überlassen, ob sie sich für eine Präsenzfortbildung, ein Online-Lernangebot oder eine Fachtagung mit Bildungscharakter entscheiden. Auch das ist ein Vorteil während der Epidemie, weil auch Online-Fortbildungen eingebracht und diese von zu Hause besucht werden können. Hier erhalten  Sie eine Übersicht über unsere derzeitig angebotenen Onlineangebote. Generell gilt, dass die Fortbildungen sowohl beim „Haus der kleinen Forscher“ als auch bei anderen Anbietern durchgeführt werden dürfen – solange es dabei um MINT oder BNE geht. Die Anzahl der zu besuchenden Fortbildungen hängt von der Größe der Einrichtung ab. Hat die Einrichtung mehr als 50 Kinder, müssen in den letzten 24 Monaten vier Fortbildungen besucht worden sein. Dabei ist es ist es gleichwertig, ob eine Person vier Fortbildungen oder vier Personen jeweils eine Fortbildung oder zwei Personen jeweils zwei Fortbildungen besucht haben. Wichtig ist, dass in der Summe an mindestens vier Fortbildungen teilgenommen wurde. Bei kleineren Einrichtungen, die von bis zu 50 Kindern besucht werden, sollten insgesamt zwei Fortbildungen besucht worden sein.  

Auf unserer Webseite sind alle Zertifizierungsvoraussetzungen noch einmal ganz genau beschrieben.  

LR: Wie lange dauert es den Online-Fragebogen auszufüllen? 

CL: Abhängig von Erfahrungsstand und den personellen Kapazitäten kann die Bearbeitungsdauer des Fragebogens stark variieren. Insgesamt werden ca. drei bis zwölf Stunden benötigen, um die Fragen zu beantworten und im Team zu besprechen. Der Fragebogen kann selbstverständlich zu jeder Zeit gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.  

LR: Wieso ist das Zertifikat nur 2 Jahre gültig?  

CL: Für die langfristige Verankerung der MINT-Bildungsinhalte ist eine Folgezertifizierung alle zwei Jahre möglich und sinnvoll. Auch durch auftretende Personalwechsel wird so sichergestellt, dass die aktuelle Belegschaft am Zertifizierungsprozess beteiligt ist. Sollte die Zertifizierung verspätet oder gar nicht erneuert werden, darf die Plakette weiterhin an der Hauswand der Einrichtung hängen. Allerdings steht das Zertifizierungsdatum auf der Plakette und weist damit auf die Aktualität und Gültigkeit hin. 

LR: Was möchten Sie unseren Mitarbeiter*innen zum Abschluss noch mitgeben? 

CL: Falls bei Ihnen gerade zeitliche Kapazitäten bestehen, ist das der perfekte Zeitpunkt für eine Bewerbung und den Besuch von Online-Fortbildungen. Registrieren Sie sich einfach für die Zertifizierung und wagen Sie einen Blick in den Fragebogen. Das ist unverbindlich, kostenfrei und ermöglicht Ihnen einen guten Einblick in den Zertifizierungsprozess. Eine Zertifizierung ist auf jeden Fall machbar. Wenn Sie Fragen haben, melden Sie sich gern bei uns.  

LR: Und falls ich Fragen habe, an wen kann ich mich wenden? 

CL: Das Team „Zertifizierung“ unterstützt und berät Sie gern rund um Ihre Bewerbung. Ganz gleich, welche Fragen Sie zum Thema haben, melden Sie sich gern jederzeit telefonisch oder per E-Mail. 

LR: Oder melden Sie sich gern natürlich auch bei Ihrer NetzwerkKoordinatorin. Vielen Dank für das interessante Gespräch Herr Lammert. Ich hoffe, dass sich viele element-i Einrichtungen auf den Weg zur Zertifizierung machen.

Sie sind neugierig geworden? Registrieren Sie sich auf der Webseite vom „Haus der kleinen Forscher“.

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Nutzung von Spielmaterialien zur Auseinandersetzung mit mathematischen Thematiken

Großes Potenzial in den Einrichtungen

In den element-i Einrichtungen finden sich vielfältige Spiele und Alltagsmaterialien, die Potenzial für eine Auseinandersetzung mit mathematischen Thematiken bergen. In einigen Einrichtungen werden diese Spiele gemeinsam mit Erwachsenen gespielt, in manchen Einrichtungen spielen Kinder allein und zum Teil nach eigenen Regeln, in anderen liegen Spiele zum Teil auf dem Marktplatz und wirken unbenutzt. Welche Auswirkungen hat der Umgang mit diesen Materialien auf die Kinder und die Entwicklung ihrer mathematischen Vorläuferfähigkeiten? Dazu habe ich eine spannende Studie von Stephanie Schuler gefunden.

Interaktion mit Erwachsenen ist der Schlüssel

Nach Schuler (2013, 164) ist nicht das Potenzial der Spielmaterialien und Spielregeln entscheidend, sondern die gestaltete Spielsituation und verbale Interaktion zwischen den Mitspieler*innen und Erzieher*innen. Spielmaterialien, die nur im Raum liegen, lösen dementsprechend keine Auseinandersetzung mit mathematischen Thematiken bei Kindern aus. Ebenso führt das Spielen unter Kindern selten zur Auseinandersetzung mit für die Kinder noch unbekannten mathematischen Thematiken. Mathematisches Potenzial wird vor allem in Interaktion mit Erwachsenen vertieft und ausgeschöpft. Welche Fragen sich ein Kindergartenkind während eines Spiels stellt und wie vielfältig das mathematische Potenzial eines Spiels genutzt wird, kann dadurch sehr unterschiedlich sein. Schuler hat Regelspiel-Situationen in Kindergärten gefilmt, transkribiert und codiert, um herauszufinden, welche mathematischen Lerngelegenheiten in verbal begleiteten Spielsituationen überhaupt entstehen können. Schuler konnte in ihrer Spielanalyse folgende zahlbezogene und allgemein mathematische Aktivitäten erkennen:

  • Zahlbezogene mathematische Aktivitäten: verbales Zählen, Anzahlbestimmung durch Zählen und Erfassen, Mengen bzw. Zahlen vergleichen und ordnen, Mengen zerlegen
  • Allgemeine mathematische Aktivitäten: Vergleichen, Ordnen, Sortieren, Strukturieren, Beschreiben, Vermuten/Behaupten, Prüfen, Begründen (Schuler 2013, S. 235).

Vergleichbar mit dem Erwerb der Sprache ist auch der Erwerb mathematischer Fähigkeiten abhängig vom Gegenüber, also von Ihnen. Nur in Interaktion im Spiel und im Alltag können Kinder zum Beispiel Zählen lernen. Ein eigenständiges Erschließen und Erlernen der Zahlwortreihe ist nicht möglich. Um meine zu Anfang gestellte Frage zu beantworten: Die unterschiedliche Nutzung von Spielmaterialien in element-i Einrichtungen hat erhebliche Auswirkung auf die Ausbildung von mathematischen Vorläuferfähigkeiten bei den Kindern. Das Kind braucht Sie als Gegenüber und nach Schuler tragen Sie einen erheblichen Teil zum Aufbau und Erwerb mathematischer Vorläuferfähigkeiten bei Kindern bei.

Quelle: Schuler, S. (2013): Mathematische Bildung im Kindergarten in formal offenen Situationen. Eine Untersuchung am Beispiel von Spielen zum Erwerb des Zahlbegriffs. Münster: Waxmann.

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Und was ist, wenn das Kind „Mama“ zu mir als pädagogische Fachkraft sagt?

In der letzten Qualitätswerkstatt Kleinstkinder haben wir uns über das Thema „Nähe und Distanz“ zwischen Fachkräften und Kindern unterhalten. An diese Gespräche wurde ich durch den Artikel „Wandel der Sprache“ erinnert. Auch in der pädagogischen Arbeit werden wir mit dem Wort „Mama“ konfrontiert und dies gar nicht so selten. Kolleg*innen berichten mir immer wieder, dass Kinder sie mit „Mama“ ansprechen und dass diese Ansprache sie herausfordert. Was löst diese Bezeichnung durch ein Kind bei Ihnen aus? Warum sagt das Kind „Mama“ zu Ihnen?

Die Frage ist hierbei eigentlich, was bedeutet das Wort „Mama“ für ein Kleinkind? In welchem Zusammenhang und warum nutzt das Kind dieses Wort? Es bedeutet sicherlich nicht: „Hallo du, die mich geboren hat“. Diese Bedeutung wird ein Kleinkind dem Wort noch nicht geben. Unsere Erwachsenendefinition von „Mama“ ist eine andere als die Bedeutung, die das Kind diesem Wort gibt. „Mama“ bedeutet für das Kind vielleicht: „Hallo du, die sich gut um mich kümmert“, oder „Hallo du, ich brauche dich gerade“. Dass das Kind Sie als sein gegenüber in der Kita mit „Mama“ anspricht, bedeutet ganz sicher, dass das Kind Sie als Bezugsperson ansieht und Ihnen vertraut. Es weiß, dass es, wenn es Sie anspricht, seine Bedürfnisse erfüllt bekommt. Das Kind nutzt das Wort „Mama“ ganz klar, um mit Ihnen zu kommunizieren.

Das Wort „Mama“ im Kontext Kita zeigt vor allem, dass das Kind eine Ansprache für Sie nutzt, die es bereits gelernt hat. Denn „um das 1. Lebensjahr herum werden die ersten Laute gezielt gebildet. Das sind diejenigen, die sich vom Mund leicht ablesen lassen, die fast in allen Sprachen vorkommen und die vom Kind selbst leicht zu imitieren sind (…)“ (Wendlandt, 2006, S. 16). Wendlandt beschreibt weiter, dass diese Laute weltweit zu den ersten Wörtern von Kindern verbunden werden. Die ersten Wörter, die Kinder auf der ganzen Welt als erstes sprechen können, sind „Mama“ und „Papa“. Zu diesem Zeitpunkt kann es den Namen der Fachpersonen in der Kita natürlich noch nicht aussprechen. Es hat allerdings verstanden, wie es mit seiner Umwelt kommunizieren kann. Das Kind bedient sich der Wörter, die es zu diesem Zeitpunkt produzieren kann. Aus diesem Grund bezeichnet das Kind Sie zu dieser Zeit klugerweise auch als „Mama“ oder „Papa“.

Sie können sich stets sicher sein, dass das Kind zwischen Ihnen als Fachperson und der eigenen Mutter unterscheiden kann, auch wenn es in einer Phase seines Lebens das gleiche Wort für Sie und die eigenen Mutter benutzt.

Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit habe ich darauf verzichtet, auch immer „Papa“ zu formulieren. Genau diese Bezeichnung gegenüber männlichen Fachpersonen gibt es selbstverständlich ebenso im pädagogischen Alltag.

Literatur
Wendlandt, Wolfgang (2006): Sprachstörungen im Kindesalter. 5., vollst. überarb. Aufl. Stuttgart: Thieme

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