Vom Sinn des Ausräumens und Aufräumens in der Krippe

Gehen wir den einen Abend zufrieden aus den aufgeräumten und ruhigen Räumen des Kinderhauses und genießen die Ordnung und die Stille nach einem langen Tag, finden wir uns am nächsten schon wieder zwischen all dem Spielzeug und wuseligen Kindern wieder. Die Räume sind belebt und bespielt, die Materialien werden auf unterschiedlichste Art und Weise genutzt. Von einem Stillleben wie am Abend zuvor ist nichts mehr zu erahnen. Doch wieviel in diesem wundervollen Gegensatz der Ordnung und Unordnung steckt, vergessen wir im Alltag allzu häufig.

Das Ausräumen

Kaum sind die Kinder in der Einrichtung unterwegs, werden Kisten von ihrem Inhalt befreit, Schubladen oder Schranktüren geöffnet und das Material erkundet. Manchmal scheint das Tun der Kinder einer absichtlichen und willkürlichen Zerstörung der doch absichtlich hergestellten Ordnung durch uns Erwachsene zu gleichen. Wechseln wir jedoch einmal die Perspektive: durch das Ausräumen schaffen sich die Kinder einen systematischen Überblick über den Raum und die vorhandenen und für sie zuerst nicht ersichtlichen Materialien. Sie finden heraus, was sich in den Kisten und Boxen versteckt und welche Materialien sich unter den anderen liegend befinden (vgl. Bostelmann 2010, S. 46). Durch das Herausnehmen von Spielzeug aus den Kisten, das Auseinanderfalten von zusammengelegter Kleidung oder das Zerlegen von Steckspielen stellen die jungen Kinder eine eigene Ordnung, einen gewissen Urzustand der Leere her. Der „künstliche“ Zustand unserer mechanischen und logischen Ordnung wird aufgelöst und in einen sehr ordentlichen und für die Kinder übersichtlichen Rahmen überführt (vgl. ebd. S. 46).

Dabei sind vor allem beim Aus- und Umräumen viele der uns bekannten Spielhandlungen der Kinder zu beobachten. Das Verbinden und Trennen von Dingen findet sich hier als eine elementare Spielhandlung wieder: Aus einer vollen Kiste mit vielen Materialien werden viele Einzelspielzeuge, das zusammengesteckte Puzzle trennt sich in mehrere Stücke. Aus eins macht zwei und aus zwei macht wieder eins. Dinge, die sich verbinden lassen, lassen sich auch wieder trennen (vgl. Bostelmann & Fink 2015, S. 92f.). Auch ein schönes und immer wieder zu beobachtendes Spiel der Kinder mit dem Material ist das Verstecken. Dinge, die andere überlagern, lassen das darunter liegende Ding verschwinden. Es taucht jedoch wieder auf, wenn das darüber liegende entfernt wird (vgl. Bostelmann 2010, S. 43). Die hier angesprochene Objektpermanenz wird beim Ausräumen auf vielfältige Art und Weise erlebt. Auch beim Aufräumen spielt sie eine zentrale Rolle.

Das Aufräumen

Die Begriffsdefinition im Duden (2022) lautet: Aufräumen: „[wieder]Ordnung in etwas bringen“ und wird ergänzt durch die der Ordnung: „Durch Ordnen hergestellter Zustand, das Geordnetsein, ordentlicher, übersichtlicher Zustand.“ – Wenn wir die Kinder im Alltag beobachten, erkennen wir viele Situationen, in denen die Kinder ordnen, sortieren und strukturieren: Erbsen werden aus dem Reis gepickt, nebeneinandergelegt und separat gegessen, Bauklötze werden nach Farbe, Größe oder Form sortiert. Konzentriert beschäftigen sich die Kinder mit der Schaffung von Ordnung und Übersichtlichkeit. Es steckt aber noch viel mehr dahinter: Mengenverhältnisse werden erfahren und mathematische Grunderfahrungen gemacht, motorische Herausforderungen werden gemeistert und auch ästhetische und sinnliche Erfahrungen mit den Materialien gesammelt (vgl. Lill 2010, S. 31).

Diese Aspekte wie auch die Spielhandlungen der Kinder können Mitarbeitende in den Einrichtungen nutzen: Aufräumsituationen im Alltag sind dann keine lästigen Arbeiten, sondern natürliche und sinnvolle Vorgänge für Kinder, um Ordnung aktiv herzustellen (vgl. Lill 2010, S. 31). Das Verbinden und Trennen, der Transport und das Leeren und Befüllen ergeben sich praktisch automatisch aus den für das Aufräumen notwendige Handlungen. Wie bereits genannt, spielt auch die Objektpermanenz beim Aufräumen eine bedeutende Rolle. Dinge verschwinden, indem man sie wegräumt, und sie tauchen wieder auf, wenn man den Schrank am nächsten Tag wieder öffnet (vgl. Bostelmann 2010, S. 47).

Um den Übergang aus der Spielsituation hin zum Aufräumen gut zu gestalten, bieten sich wiederkehrende Aufräumlieder oder Signale an. Das intuitive Handeln der Kinder wird unterstützt und Barrieren des Übergangs abgebaut. Die Gestaltung der Situation als ein Gemeinschaftserlebnis, bei dem jedes Kind in seinem Rahmen soziale Verantwortung übernimmt, motiviert und erleichtert den Übergang und die Bewältigung der Situation zusätzlich. Vor allem junge Kinder erleben eine starke Selbstwirksamkeit durch die Aufgabe, Ordnung zu schaffen (vgl. Lill 2010, S. 31f.).

Fazit

Ein durchdachtes Raumkonzept bietet nicht nur die Möglichkeit einer Auseinandersetzung in den vielfältigen Bildungs- und Entwicklungsfeldern der Kinder. Im Sinne einer strukturierten Umgebung bietet der Raum den Kindern Sicherheit und Vertrauen durch Transparenz. Eine klare Gliederung der Räume und Ordnung durch Abgrenzung bieten Orientierung und stärken die Kinder in ihrem explorativen Verhalten.

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Literatur

Bostelmann, Antje (2010): Krippenarbeit Live! Grundlagenbuch zum Leben und Lernen mit Kindern unter 3. Mülheim: Verlag an der Ruhr

Bostelmann, Antje & Fink, Michael (2015): Elementare Spielhandlungen von Kindern unter 3. Erkennen, Begleiten, Fördern. Berlin: Bananenblau

Duden (2022): aufräumen. Online abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/aufraeumen. (letzter Aufruf am 29.08.22)

Duden (2022): Ordnung. Online abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Ordnung. (letzter Aufruf am 29.08.22)

Lill, Gerlinde (2010): Das Krippenlexikon von Abenteuer bis Zuversicht. Weimar/Berlin: verlag das netz, S. 31-33