Neues Ausbildungskonzept: Die Qualität der Ausbildung sichern

Die element-i Kinderhäuser und Schulen übernehmen gemeinsam mit der Freien Dualen Fachakademie für Pädagogik (FDFP) die Verantwortung für die Ausbildung unserer element-i Fachschüler:innen. Im Rahmen der engen Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen der Schule und den Fachberatungen der element-i Einrichtungen wurde in den letzten Monaten das gemeinsames element-i Ausbildungskonzept weiterentwickelt. Bevor ich die wichtigsten Änderungen des neuen Konzepts vorstelle, möchte ich einen Blick auf die Ausbildung werfen. 

Die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) zur/zum Erzieher:in erfolgt nach dem dualen Konzept: Theorie und Praxis wechseln sich im dreimonatigen Rhythmus ab. Dieser Wechsel der Theorie- und Praxisphasen im Blockmodell ermöglicht den Auszubildenden, theoretisch erlernte Inhalte mit ihrem pädagogischen Handeln in der Praxis zu verbinden. Denn Erzieher:innen benötigen nicht nur die Fähigkeit, theoretische Inhalte verstehen, reflektieren und präsentieren zu können, sondern müssen vor allem in der Lage sein, diese im Kita-Alltag umzusetzen. Damit ist die Verzahnung zwischen dem erlernten Wissen und alltäglichen Handeln im Kinderhaus der essenzielle Faktor einer gelingenden Qualifikation zur pädagogischen Fachkraft.  

Mit dem neuen Konzept zur Zusammenarbeit von element-i Einrichtungen und Freier Dualer Fachakademie für Pädagogik in der Ausbildung von Erzieher:innen wollen wir die Ausbildungsqualität weiter verbessern, indem wir den Auszubildenden verschiedene Bausteine zur Verfügung stellen: 

  1. Anleitungen: Je Team der element-i Einrichtung übernimmt eine erfahrene pädagogische Fachkraft die Anleitung für alle FDFP-Auszubildenden im Team. Die Rolle und Aufgabe als Anleitung kompetent zu füllen, ist für das Ausbildungsergebnis von zentraler Bedeutung. Deshalb setzen wir einen starken Fokus auf die Auswahl und Qualifizierung der Anleitungen.
  2. Bezugsdozent:innen: Im FDFP-Team übernimmt ein/e feste/r Bezugsdozent:in alle Fachschüler:innen in einer element-i Einrichtung. Dazu werden ein bis zwei Bezugsdozent:innen alle Praxisstellen an einem Standort (in einem Standort arbeiten die dazu gehörenden 6 – 10 element-i Kitas eng zusammen) oder ggf. feste bestimmte Praxisstellen innerhalb eines Standorts übernehmen.
  3. Einbindung in den Standort: Auszubildende werden nicht nur ins eigene Team eingebunden, sondern auch über den Standort angebunden. Dazu werden Praxislernkonferenzen (PraxisLK) eingeführt. Diese PraxisLK finden alle drei Wochen für 2 Stunden statt und werden von den zuständigen Teamleitungen am Standort betreut. An diesen Treffen wirken alle Auszubildenden mit, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Praxisphase befinden. Ebenso können Auszubildende, die gerade in der Schule sind, teilnehmen. Jeder Standort organisiert seine eigene Praxislernkonferenz. Ziel ist es, im gemeinsamen Austausch fachliche Themen zu erarbeiten und die Berufspraxis und Lernthemen zu reflektieren. Außerdem werden Lernsituationen eingebracht, Lernblicke bearbeitet, Themen vertieft. Und es findet Austausch, kollegiale Beratung und gegenseitige Unterstützung statt.
    Die Auszubildenden wachsen über die Dauer der Ausbildung zu einer jahrgangsübergreifenden Gruppe zusammen, die sich gegenseitig mit neuen Perspektiven bereichert. Dazu steuern die Auszubildenden die PraxisLK selbst. Unterstützt werden sie durch Student:innen der DHBW, welche ihre praktische Ausbildung in unseren Kinderhäusern absolvieren. Diese können mit wachsender Kompetenz eine koordinierende Rolle in den Praxislernkonferenzen übernehmen, inhaltlichen Anspruch einbringen und den Auszubildenden Orientierung geben.
  4. Praxisstellenwechsel: Die Auszubildenden wechseln während der Ausbildung die Praxisstelle innerhalb des Standortes. Durch den Wechsel haben die Auszubildenden die Chance, unterschiedliche Einrichtungen kennenzulernen. Sie erleben verschiedene Herangehensweisen in der Umsetzung der element-i Konzeption, Teams mit anderen Persönlichkeiten, Führungskräften, Zielgruppen und üben, sich neuen Herausforderungen zu stellen. 
  5. Ausbildungsplan: An dieser Stelle gibt es keine grundlegenden Änderungen. Jedoch entstehen durch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen der FDFP und den element-i Praxisstellen neue Sichtweisen auf alte Instrumente und Prozesse. So werden beispielsweise aktuell die Praxisaufgaben für die Auszubildenden in den einzelnen Ausbildungsjahren überarbeitet und aktualisiert.
  6. Monitoringprozess und Clearingverfahren: Ziel des Monitoringprozesses ist es, frühzeitig zu erkennen und zu intervenieren, wenn der Ausbildungserfolg in Frage steht. Durch das Clearing soll bezogen auf relevante Auszubildende der weitere Weg festgelegt und gemeinsam eingeschlagen werden. 

Die Gesamtheit dieser Bausteine sichert die Qualität des Ausbildungsrahmens. Grundlage dafür ist eine enge Zusammenarbeit innerhalb eines Standortes. Damit dies gut funktioniert, gibt es neben den Bausteinen für die Auszubildenen noch weitere Formen der Zusammenarbeit zwischen Schule und Praxisstellen: z.B. die Ausbildungsstandortteams. 

Zum Ausbildungsstandortteam gehören jeweils die für den Standort zuständige Pädagogische Leitung (Fachberatung), die Teamleitungen der element-i Einrichtungen an einem Standort sowie die Bezugsdozent:innen, die für die Auszubildenden an diesem Standort verantwortlich sind. Nach Bedarf können zu diesen Treffen auch Anleitungen aus einzelnen oder allen element-i Einrichtungen am Standort eingeladen werden.
Durch die regelmäßige Zusammenarbeit im Ausbildungsstandortteam entsteht und wächst das gemeinsame Verständnis für die Ausbildung. Außerdem werden im Rahmen dieses Treffens wesentliche Entscheidungen im Ausbildungsverlauf getroffen, z.B. Bestehen der Probezeit oder Übernahme als päd. Fachkraft. Grundlage dafür ist der gemeinsame Blick aller für die Ausbildung relevanten Personen aus Theorie und Praxis.  

Neben den Ausbildungsstandortteams gibt es die sogenannten Anleitungstreffen. Dazu werden die Anleitungen aller Praxisstellen einer Klasse regelmäßig zum Informations- und Erfahrungsaustausch eingeladen. Ausbildungsrelevante Themen werden platziert, die gemeinsame Anleitungsverantwortung reflektiert, um die Anleitungsqualität über die einzelnen Standorte hinweg ständig zu verbessern. 

All diese Bausteine nehmen die Auszubildenden, aufgrund des gemeinsamen Blickes aller Beteiligten aus der theoretischen und praktischen Ausbildung, individuell und ganzheitlich in den Blick. Und dennoch kann sich die Ausbildungsqualität über das gesamte Netzwerk nur weiter verbessern, wenn es ein übergeordnetes gemeinsames Verständnis im Hinblick auf die pädagogische Berufsausbildung beim Träger-Netzwerk, bei Konzept-e, gibt. Unsere gemeinsame Grundhaltung: Es kommt auf mich an! bezieht sich dabei nicht nur auf die Rahmengebenden und Verantwortlichen für die Auszubildenden, sondern in erster Linie auf unsere Auszubildenden selbst: Denn wir gehen davon aus, dass die Lernenden „ihren Ausbildungsprozess aktiv mitgestalten [wollen]. element-i bedeutet zu seiner freien Entscheidung zu stehen und für diese Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen Verantwortung zu übernehmen. Wir nehmen Menschen darin ernst, sich für ihre Ausbildung in einem Rahmen von Selbstständigkeit, Mitverantwortung, Selbststeuerung entschieden zu haben. Wir sind uns bewusst, dass das Verständnis der element-i Haltung zu Beginn der Ausbildung bei Auszubildenden unterschiedlich vorhanden ist. Entsprechend individuell richtet sich die Begleitung aus, behält jedoch stets das Ziel im Blick: [nämlich] element-i Pädagog:innen, die leben, dass es auf sie ankommt“.

Darauf bezog sich mein eingangs geschriebener Satz: „die element-i Kinderhäuser und Schulen übernehmen gemeinsam mit der Freien Dualen Fachakademie für Pädagogik die Verantwortung für die Ausbildung“. Das betrifft uns alle – ob wir Teil eines element-i Kinderhauses sind, eine Rolle in der schulischen Ausbildung übernommen haben oder selbst Auszubildende:r sind. Es kommt auf jeden an! 

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Umgang mit Bildschirmmedien wie YouTube – was ist erlaubt, was nicht?

Immer wieder werde ich von pädagogischen Fachkräften gefragt, ob sie und wie Sie Bildungsinhalte über YouTube an die Kinder vermitteln können: „Darf ich ein YouTube-Video in der Kinderkonferenz zeigen?“, „Mit dem Playback kann ich den Singkreis viel leichter gestalten.“ Gleichzeitig stellen Sie die Frage, ob die Nutzung von YouTube überhaupt erlaubt ist. Wie entscheiden Sie das bisher? Was spricht dafür, den Einsatz von YouTube oder vergleichbaren Bildschirmmedien zu erwägen, was dagegen?

Pro und Contra: Die Debatte um den Einsatz von Bildschirmmedien in der Kita

Derzeit herrscht viel Unsicherheit, wenn es um den Einsatz von Bildschirmmedien wie YouTube geht. Sowohl Fachkräfte als auch Eltern sind oft im Zwiespalt, inwiefern solchen Medien ein Platz in der Kita eingeräumt werden sollte. Diese Pro- und Contra-Positionen spiegeln den öffentlichen Diskurs zum Thema wider. So gibt es einen regelrechten „Early-High-Tech-Hype“, welcher durch die Marketinginteressen der Großkonzerne in der Medienbranche, aber auch durch medieninteressierte Erwachsene entstanden ist. Dabei gilt und wird auch von den Bildungsministerien einiger Bundesländer vertreten: Je früher unsere Kinder in Berührung mit modernen Medien kommen, desto besser lernen sie den Umgang damit!

Dass unsere Kinder immer früher mit Medien in Kontakt kommen, belegen statistische Daten, wie Abbildung 1 (Mediennutzung im Elementarbereich, Quelle: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2021, S. 15). zeigt. Pädagogische Fachkräfte können die Statistik durch tägliche Erfahrungen nur bestätigen.

Ein Großteil der Zweijährigen kann in Grundzügen ein Smartphone bedienen, schaut YouTube oder Fernsehen und weiß, dass es das Internet gibt. Moderne Bildschirmmedien sind also ein präsenter Bestandteil des Erlebens von Kindern. Der „Early-High-Tech-Hype“ hat dabei sicher einen bedeutenden Einfluss geleistet.

Diesem Hype stellen sich Experten kindlicher Entwicklung allerdings entschieden entgegen. So zeigen Forschungsergebnisse zum Medienumgang 2- bis 5-Jähriger, die Medienwirkungsforschung und die medienpädagogische Theorie, dass sich der Einsatz moderner Bildschirmmedien an den kindlichen Entwicklungsphasen und den entsprechend gegebenen entwicklungsphysiologischen Voraussetzungen der Kinder ausrichten sollte (vgl. Beckmann 2014, S. 4). Mit Blick auf die pädagogische Praxis leitet sich daraus folgender Trend ab: Je stärker die Expert*innen sich an den Entwicklungsbedürfnissen von Kindern orientieren, desto später empfehlen sie den Einstieg in die Arbeit mit Bildschirmmedien und desto kürzer sollten ihrer Auffassung nach Bildschirmmedien genutzt werden (vgl. Beckmann 2014, S. 9).

Die pädagogische Praxis in element-i Kinderhäusern: Themen und Interessen als Ausgangspunkt

Wie gestalten wir in den element-i Kinderhäusern unseren pädagogischen Alltag, wenn wir beim Entwicklungsstand und den anstehenden Entwicklungsaufgaben unserer Kinder ansetzen wollen? Dazu ein Blick in unsere Konzeption:

„Die kindlichen Themen und Interessen, die sich auch aus diesen [mit Bildschirmmedien wie YouTube gemachten] Erfahrungen speisen, sind Ausgangspunkt unseres pädagogischen Handelns. Zugleich ist es unser essenzieller Auftrag, Kindern entwicklungsangemessen und reflektiert die Welt zugänglich zu machen und sie zu einem mündigen, nutzbringenden Umgang mit ihren Möglichkeiten, aber auch Risiken zu befähigen.“ (Kammerlander et al. 2018, S. 17f.)

Der letzte Teil des Zitates beschreibt klar unseren Auftrag, Kinder zu einem mündigen Umgang zu befähigen. In Bezug auf den Umgang mit Bildschirmmedien spricht man dabei von Medienmündigkeit.

Medienmündigkeit – was steckt dahinter?

Unser Ziel ist es, die Kinder in unseren Einrichtungen auf dem Weg zu Medienmündigkeit ein Stück des Wegs zu begleiten. Sie sollen im besten Falle lernen, die Medien, die sie nutzen, zu beherrschen und nicht umgekehrt. Sie sollen aktiv, dosiert und reflektierend Medien nutzen können. Für eine solch souveräne Selbstbestimmung im Umgang mit Medien, was deutlich mehr ist als nur der technische Umgang damit, braucht es komplexe kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten stellen dabei die sechs Stufen in Abbildung 2 dar.

 


Abbildung 2: Der Medienmündigkeitsturm – Schritt für Schritt aufgebaut (Beckmann 2014, S. 11).

Der Turm veranschaulicht mit seinen einzelnen Stockwerken die Schritte der kindlichen Entwicklungsphasen, welche nacheinander gegangen werden müssen. Die Schritte gelten genauso für den Weg zur Medienmündigkeit (vgl. Beckmann 2014, S. 11). Das Erreichen der Spitze des Turms dauert dabei bis ins frühe Erwachsenenleben hinein.

Vorläufererfahrungen als Basis

An dieser Stelle wird klar, dass bei uns im Elementarbereich ein kleiner, aber dafür sehr grundlegender Teil dazu geleistet werden kann und muss. Wir können unseren Kindern eben diese grundlegenden Schritte durch die einzelnen Stockwerke in Form von Vorläufererfahrungen ermöglichen,

„durch die sie sich die Kompetenzen erarbeiten, die wiederum zu Medienmündigkeit führen. [Diese Vorläufererfahrungen] sind entwicklungspsychologisch unwiederbringlich in der frühen Kindheit angesiedelt und ausschließlich über alle Sinne erfahrbar“ (Kammerlander et al. 2018, S. 17f.).

Für unsere Arbeit bedeutet das, dass wir den Kindern Zeit und Spielräume mit Material und Medien bieten müssen, welche ihrer psychosozialen Reife angemessen sind und für sie versteh- und handhabbar.

Die Chance des Analogen: Mit allen Sinnen wahrnehmen

An dieser Stelle bieten analoge Medien bzw. analoge Anregungen, Angebote und Impulse große Chancen. Im Kita-Alltag genutzt, bieten sie den Kindern reale Erfahrungen, in denen Handlungen mit natürlichen Konsequenzen verknüpft werden (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 18).

FAZIT: Streichen wir die Aussage „Früh übt sich“ und fragen uns stattdessen: Welche grundlegenden Erfahrungen braucht das Kind? Und wie können wir ihnen diese zugänglich machen? Daneben müssen wir anerkennen, dass Bildschirmmedien, wie beispielsweise YouTube, mehr und mehr Einzug in die Lebenswelt der Kinder halten. Wenn Kinder in ihrer Zeit außerhalb der Kita zunehmend mehr Zeit mit modernen Medien haben, dann sollten wir bewusst die Kita zu einem bildschirmmedienfreien Entwicklungs- und Begegnungsraum machen.

Wir kommen unserem Auftrag durch eine bewusste Auswahl von geeigneten analogen Medien am nächsten. Damit stellt sich insgesamt nicht die Frage, ob man YouTube in der Arbeit mit den Kindern benutzen darf oder nicht. Vielmehr stellen sich die Fragen: Was ist sinnvoll, mit den Kindern zu tun, und welches Material oder Medium ist dafür geeignet?

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P.S.: Wieso fragt eigentlich niemand, ob Fernsehschauen im Kitaalltag verboten ist? 😉

Literatur:
Bleckmann, Paula (2014): Kleine Kinder und Bildschirmmedien. Aufrufbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen//KiTaFT_Bleckmann_2014.pdf (letzter Zugriff 14.06.22).
Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2021): miniKIM-Studie 2020. Kleinkinder und Medien. Stuttgart: mpfs. Aufrufbar unter: http://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/miniKIM/2020/lfk_miniKIM_2020_211020_WEB_barrierefrei.pdf (letzter Zugriff:14.06.22).

Philosophieren mit Kindern – Ideen für die Praxis

„Wer nie Philosophie, richtige Philosophie, mit einem Kind oder einer Gruppe von Kindern betrieben hat, hat eine der schönsten Gaben, die das Leben zu bieten hat, verpasst. Ich schlage allen vor, diesem Mangel so schnell wie möglich abzuhelfen.“ (Matthews 1995, S. 5)

Wir sehen unsere Kinder als spielende und lernende Forscher und Entdecker. Sie beschäftigen sich mit allem, was sie umgibt, ergreifen so spielerisch ihre Welt, um sie zu begreifen und sich lernend in ihr zurechtzufinden. Mit jedem neuen Tag erobern sie sich die Welt Stück für Stück. Dabei stellen Kinder viele Fragen, die ihnen dabei helfen können, in dieser Welt Orientierung zu finden, Haltungen und Wertvorstellungen zu entwickeln und sich Meinungen zu bilden. Orientierung bekommen sie, in dem sie Sinn hinter ihrem Handeln und ihrem Dasein entdecken. Dafür sind (philosophische) Gespräche über die Fragen und Vorstellungen der Kinder unersetzlich. Genau darin liegen eine große Chance und Aufgabe des Philosophierens: Kinder dabei zu unterstützen, sich mit Argumenten und Urteilen über Entscheidungsfragen auseinanderzusetzen (vgl. Sinhart-Pallin/Ralla 2015, S. 5). Außerdem macht Philosophieren einfach Spaß! Man kann sich mit kleinen und großen Fragen des Lebens beschäftigen und dabei gemeinsam auf neue Antworten stoßen. Kinder erfahren so neben einer Orientierung auch eine Erweiterung des eigenen Horizontes und eine Förderung der Kreativität. Schauen wir uns an, wie Philosophieren im Alltag gelingen kann. Dazu möchte ich im Folgenden wichtige Aspekte zusammentragen, die für philosophische Gespräche im Kitalltag zu beachten sind:

Die Kita als Ort des Philosophierens

Kinder stellen Fragen zu Glauben und Gott, Tod und Leben, Zeit, Freundschaft, Mut, zum Ich oder dazu, was Glück ist. Wenn pädagogische Fachkräfte diese Fragen aufgreifen und als Anlass für Gespräche nutzen, ohne vorgefertigte Antworten zu geben, so kann die Kita zu einem Ort des Philosophierens werden. Denn so bietet sich für alle die Möglichkeit, weiter über ihre Fragen nachzudenken, eben zu philosophieren. Dazu sollte der Tagesablauf so angelegt sein, dass spontan geäußerte Fragen und Gedanken der Kinder aufgegriffen und zu gegebener Zeit vertieft werden können (vgl. Sinhart-Pallin/Ralla 2015, S. 31).

Am Anfang des Philosophierens steht eine Frage. So ist „die Frage […] das Eingangstor zum Reich der Kenntnis und Erkenntnis“ (ebd., S. 17). Aber wie wird aus einer Frage ein Thema? Eine Möglichkeit besteht darin, die Frage eines Kindes aus dem Alltag heraus aufzugreifen. Die zweite Möglichkeit besteht darin, den Kindern eine eigene Beobachtung/Erfahrung oder Frage anzubieten. Die Fragen sollten stets am Stand bzw. Verständnis der Kinder ansetzen oder durch die Brille der Kinder gestellt werden. Das heißt besonders, eigene Wissensvorsprünge nicht preiszugeben. Haben sich Fragen ergeben, über die philosophiert werden kann, geht es darum, bewusst Räume und Zeiten für die Auseinandersetzung mit den Fragen zu suchen. Das kann beispielsweise in einem Erzählkreis oder einem Impuls geschehen.

In der Literatur werden Gruppenstärken von maximal 6-8 Kinder empfohlen, sodass alle Kinder hinreichend intensiv einbezogen werden und zu Wort kommen können. In der Regel kann man mit Kindern ab dem vierten bzw. fünften Lebensjahr philosophieren. Die Teilnahme ist abhängig von der Aufgeschlossenheit gegenüber den Fragen und Themen und schließlich der Reflexionsfähigkeit des Kindes (vgl. ebd., S. 42).

Gespräche auf Augenhöhe führen

„Muss ich Philosoph sein, um mit Kindern philosophieren zu können?“, mag manche/r fragen. Um sich mit den Kindern dem Prozess, über etwas zu philosophieren, zu öffnen, braucht der Erwachsene ein echtes eigenes Interesse, zusammen mit den Kindern an dem Thema weiterzudenken und sich gleichzeitig in die Ideen der Kinder zum Thema einzudenken (vgl. ebd., S. 41ff).

Beim Philosophieren bestimmen die Kinder den Gesprächsverlauf. Der pädagogischen Fachkraft fällt eine begleitende, moderierende Rolle zu. Dabei ist es wichtig, die Kinder im Gesprächsverlauf inhaltlich nicht in eine bestimmte Richtung oder zu einer Lösung zu drängen, sondern ihre Gedankengänge mit Impulsfragen wie „Warum könnte das so sein?“ oder „Gibt es da auch Ausnahmen?“ zu unterstützen. Auch hilft es, Bezüge zwischen einzelnen Aussagen „Was hat das miteinander zu tun?“ herzustellen oder Positionen zu erfragen „Sind alle derselben Meinung?“. Herrscht zu große Einigkeit, kann man eine andere Perspektive einbringen oder die Kinder – altersangemessen – mit Überspitzungen irritieren. Wichtig ist es, dabei jederzeit ergebnisoffen zu bleiben (vgl. Zeitler 2010, S. 13).

Der Prozess des Philosophierens endet nicht unbedingt mit einer vermeintlich richtigen Lösung. Es steht der Prozess des gemeinsamen Auseinandersetzens in der Gruppe, mit all den Ideen der Kinder, im Vordergrund. Das eigene Interesse am Thema, der eigene Gesprächsanteil ist somit gerahmt durch die Bereitschaft, den Kindern den notwendigen Freiraum für ihre Gedanken zu lassen. Zeitler drückt dies so aus: „Ich versuche nicht mehr die Themen mundgerecht zu servieren, sondern bin neugierig auf die Gedanken der Kinder“ (2010, S. 19). Grundlegend stellt sich das Philosophieren mit Kindern als ein interaktives Verhältnis dar, in dem der Erwachsene den Kindern zur Seite steht – als Begleiter im Prozess des Verstehens der Welt. Fertige Lösungen und unser erwachsener Wissensstand haben hier keinen Platz. Wir wenden uns ergebnisoffen den Fragen und den darauffolgenden Antworten der Kinder zu.

Über den Wert des Philosophierens

Im Austausch mit den anderen Kindern über unterschiedlichste Dinge und im Präzisieren, Begründen und Hinterfragen der eigenen Ansichten lernen Kinder zu erkennen, was ihnen wichtig und wertvoll ist und warum das so ist. So lernen Kinder nicht nur sich selbst, sondern auch andere und deren Blick auf die Welt besser kennen. Sie erfahren, wie andere Kinder denken und fühlen (vgl. Zeitler 2010, S. 17f.). Die Kinder werden mit einer Kultur der Nachdenklichkeit vertraut gemacht, indem sie Raum und Zeit für ihre kindliche, spontane Nachdenklichkeit und den dazugehörigen Austausch in der Gruppe bekommen (vgl. Sinhart-Pallin/Ralla 2015, S. 13). Philosophieren ist dabei keine zusätzliche Aufgabe im Alltag, sondern eine bewusste Herangehensweise im Umgang mit Themen. Gleichzeitig werden sprachliche und soziale-emotionale Kompetenzen verfeinert. Und nicht zuletzt findet mit dem Philosophieren ein Stück Demokratieerziehung und Wertebildung statt (vgl. Zeitler 2010, S. 19).

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Literatur

Matthews, G. B. (1995): Die Philosophie der Kindheit. Berlin: Quadriga.

Sinhart-Pallin, D.; Ralla, M. (2015): Handbuch zum Philosophieren mit Kindern. Kindergarten, Grundschule, freie Träger. 2. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Zeitler, K. (2010): Siehst du die Welt auch so wie ich? Philosophieren in der Kita. Freiburg im Breisgau: Herder.

Kindsein in der Welt der Corona-Pandemie

COVID-19 und die damit verbundenen Themen sind weiterhin präsent in unser aller Welt: Man hört (fast) täglich von Maßnahmen und Entscheidungen der Politik, sieht – scheinbar egal, wohin man schaut – Auswirkungen der Pandemie. Die meisten Erwachsenen haben gelernt, mit diesen Themen (mehr oder weniger) umzugehen – der Umgang mit dem Virus ist Teil vom Menschsein in dieser Welt geworden. Geht es Kindern ebenso?

Uns als Wegbereiter*innen und Begleiter*innen der Kinder beim Entdecken dieser Welt fällt eine besondere Verantwortung zu. Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Kleine Forscher

“Wir haben hier einen Dinosaurier und wir untersuchen seine Kacka, da sind Coronaviren drin. Diese minikleinen Glitzerpunkte… Zum Glück haben wir Handschuhe an.”

Kinder sind wahre Forscher, natürlich auch die in unseren element-i Kinderhäusern. Sie haben von Geburt an das beständige Bedürfnis Neues, Unbekanntes zu entdecken und zu lernen (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 8). So erfahren die Kinder auch Themen über COVID-19 und entwickeln ihre ganz eigenen Hypothesen: „Die Coronavirus haben es leider geschafft rauszugehen, und wir gucken mal, warum die böse sind …”.

Für Kinder ergeben sich aus dem, was sie in ihrem Alltag entdecken und erfahren, viele Forschungsfragen. Sie sind dankbar darüber, die Dinge entdecken zu dürfen. Dabei nehmen Kinder die Welt, in der sie leben, ganzheitlich mit all ihren Sinnen und durch ihre individuelle Bedeutungsbeimessung wahr. Umso wichtiger ist es für sie auf eine reflektierte, vorbereitete Umgebung zu treffen. Denn sie sind auf Erfahrungen angewiesen, „die sich ihnen bedeutungsvoll präsentieren bzw. die an bekannte Sachbezüge und den bereits bestehenden Sinnhorizont anknüpfen oder auch neuen Sinn entstehen lassen“ (Kammerlander et al. 2018, S. 8). Aus dem Forschen entstehen Hypothesen über die Welt, über andere und sich selbst.

Maßgeblich für die „eigensinnige“ Einordnung der Kinder sind die Erwachsenen und die Umwelt der Kinder, die zum Großteil durch uns Erwachsenen gestaltet wird. So bezieht eine reflektierte und vorbereitete Umgebung unser eigenes Verhalten und alle Mittel mit ein, die wir entwickelt haben, um den Kindern unsere eigenen Bilder oder Vorstellungen über die Welt zu vermitteln (vgl. SFBB 2021, S. 11f.). Vorbereitete Tagespunkte wie unsere Impulse aber auch unsere Kinderkonferenz, Gesprächskreise, Spielmaterial, Bücher, Plakate etc. bedingen, wie Kinder die ihnen begegnenden Themen einordnen. Gleichfalls wird jeder Kommentar und jeder noch so kleine (emotionale) Ausdruck von uns Bezugspersonen bei der Verortung des Wahrgenommenen der Kinder mit einfließen.

Wie COVID-19 die Welt der Kinder berührt

Jeden Tag sammeln Kinder mannigfaltige Eindrücke zur aktuellen Situation: Gespräche der Eltern zu Hause, Unterhaltungen vor der Kita, auf dem Spielplatz, beim Einkaufen oder beim Arztbesuch und Medien, Plakate, TV-Sendungen oder das Radio sind Quellen, aus denen Kinder Informationen ziehen. Bei einem meiner Vororttermine kam ein Kind auf mich zu und erzählte mir: “Patrick hat heute Geburtstag! Mama sagt aber, wir dürfen nicht zur Geburtstagsfeier. [Denn] dann werden wir vielleicht krank und müssen zum Doktor.” Begleitet wurde diese Aussage durch ein aufgeregtes, aber auch trauriges und ängstliches Gefühl. Für das Kind war der neue Umstand, es darf jetzt plötzlich nicht mehr auf einen Kindergeburtstag, eine Ausnahmesituation.

So bringt der Alltag der Kinder große Veränderungen mit sich. Die Zeiten, die Kinder in unseren Einrichtungen verbringen, variieren, Räume wurden umdefiniert, gewohnte Freiräume der Kinder haben sich verändert, wurden eingeschränkt, dann wieder erweitert und vieles mehr … Manchmal darf man selbst oder dürfen die besten Freunde vom einen auf den anderen Tag nicht mehr in die Kita. Es gibt so viel Neues und Ungewohntes! So stellt die Zeit der Pandemie auch die Kinder bisweilen vor Ausnahmesituationen, die für uns Erwachsene mittlerweile normal sind. Wir haben uns an die Notwendigkeiten im Umgang mit Corona gewöhnt, können damit umgehen und verstehen den Sinn dahinter.

Die Erzieher*in als professionelle Erwachsene in der Begleitung der Kinder

Anders ist es bei den Kindern. Sie brauchen uns als Erzieher oder Erzieherin, als Begleiter*innen in ihrer Wahrnehmung der Welt und folglich in der Entwicklung und Entfaltung ihres Selbst. Erst durch unser pädagogisches Handeln werden Situationen, besonders die angesprochenen Ausnahmesituationen, für die Kinder verstehbar, handhabbar und mit Sinn gefüllt. In der Rolle einer verlässlichen und verständnisvollen Partner*in greifen wir die Fragen oder Hypothesen der Kinder auf und schaffen gezielt Gelegenheiten, die weitere Fragen aufwerfen und neue Antworten suchen (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 10). So werden aus den Ausnahmesituationen, auf die Kinder treffen, entwicklungsangemessene kohärente Erfahrungen. Ein solches durch die Erzieher*innen begleitetes und gerahmtes Setting ermöglicht es, unseren Kindern ein gesundes, also ein von Vertrauen und Zuversicht geprägtes Bild ihrer Zukunft aufbauen zu können. Gleichzeitig entstehen durch die gemeinsame Auseinandersetzung Umgangsformen mit COVID-19-Themen, welche durch Einfühlsamkeit und Respekt geprägt sind. Im Ergebnis entwickelt sich so in Ihrer Einrichtung eine gemeinsame Kultur im Umgang mit COVID-19. Diese lässt Kinder erleben, dass die Welt (mit all ihren Themen) etwas mit ihnen zu tun hat – ganz im Sinne: “Es kommt auf mich an”.

Gern können Sie sich mit Ihren Fragen oder Anregungen an mich wenden. Ihre Fachberatung für den Themenbereich „Menschsein in der Welt“

Literatur

Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart

Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) (2021): Mit Kindern über ihre Erfahrungen in der Pandemie sprechen. Ein Gesprächsleitfaden für pädagogische Fachkräfte der frühen Bildung. Berlin. Abrufbar unter:
https://sfbb.berlin-brandenburg.de/sixcms/media.php/bb2.a.6742.de/SFBB_Gespr%C3%A4chsleitfaden_Mit_Kindern_%C3%BCber_die_Pandemie_reden_1.Auflage.pdf (berlin-brandenburg.de) (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)

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Naturraumpädagogik im Themenfeld „Menschsein in der Welt“

Jede*r von Ihnen war mit den Kindern der Einrichtung oder den eigenen Kindern schon einmal auf Entdeckungsreise – ob im Wald, auf dem Feldauf dem Gehweg oder im Garten. Überall gibt es Spannendes zu entdecken. Sie machen sich dabei mit den Kindern nicht nur zum gemeinsamen Forschen auf, sondern geben den Kindern die Möglichkeit, sich als Teil eines großen Ganzen, als Teil der Welt zu fühlen, die sie umgibt. Ich möchte Ihnen die Möglichkeit geben, die Welt da draußen gemeinsam mit den Kindern (neu) zu entdecken und nehme sie mit in die Themenwelt von Menschsein in der Welt.  

Auf meinen Wegen durch die Häuser erlebe ich wiederholt Situationen, in denen Kinder eine Spinne, Ameise oder Biene tot oder lebendig aufgefunden haben. Oft wird der Fund gemeinsam mit anderen genaustens untersucht. Es ist spannend zu entdecken, was so ein kleines Lebewesen in seiner Anatomie ausmacht, wie es aussieht oder wie es sich verhält. Und doch bringt so ein Moment noch viel mehr mit sich. Wenn über das Leben des Tieres gesprochen wird oder über sein Ableben, beginnen die Kinder, eine Vorstellung über den Kreislauf des Lebens zu entwickeln. Unter dieser „Menschsein-in-der-Welt-Brille“ die Umgebung zu entdecken, bringt neue Fragen mit sich, berücksichtigt andere Dimensionen vom Menschwerden in dieser Welt. Lassen Sie uns bei der Hinwendung zu Naturraumpädagogik einen Blick durch diese Brille wagen 

Der Naturraum gibt viele Anlässe, die Welt, in der wir leben, zu entdecken. Wenn es unser Ziel ist, Kindern die Möglichkeit zu geben, zu verstehen, wie die Dinge um uns herum funktionieren, dann ist der Naturraum dafür ideal (siehe Kron 2020, S. 5f.). Wenn wir im Naturraum unterwegs sind und suchen, was die Welt ausmacht, dann begegnen uns Themen wie Leben und Tod, wir sehen eine Menge anderer Lebewesen, sehen, wie sie leben, können sie mit anderen vergleichen, in Beziehung setzen und auch selbst ein eigenes Gefühl zu den Dingen, auf die wir treffen, aufbauen. 

An einem einzelnen Tag in der Natur erleben wir, dass sich die Welt um uns herum ändert, es wird heller oder dunkler als vorher, es wird wärmer oder auch kälter als zuvor. Sind wir häufiger da draußen, beobachten wir, wie sich Bäume und deren Blätter verändernWir beobachten, dass auch Tiere sehr verschiedenen Tätigkeiten nachgehen, oder finden sogar ganz andere (saisonale) Tiere.   

Expert*innenCheckHören Sie an dieser Stelle in sich hinein. Was für weitere Themen von Menschsein in der Welt fallen Ihnen einauf die Sie in der Natur treffen? 

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was uns die Natur für Gelegenheiten und gleichzeitig Anknüpfungspunkte bietet und welche Dimensionen für Kinder an dieser Stelle wichtig sind, betrachten wir den Kontext. Beginnen wir im Kleinen:  

element-i Impulse in der Natur werden begleitet oder gerahmt durch den Sonnenstand, von den Lichtverhältnissen, der Temperatur, dem Erscheinungsbild – also dem Zustand, wie es da draußen aussieht. Für Kinder sind das zunächst Sinneseindrücke, losgelöst von einem Gesamtzusammenhangden wir Erwachsene diesem Sinneseindruck zuschreiben; häufig auch losgelöst von einem eigentlichen gesetzten Thema im Rahmen eines Impulses.  

In ihrem Streben, die Welt verinnerlichen zu wollenmüssen die Kinder erst ein System innerer Ordnung herstellen. Grundlegend für den Aufbau dieser Ordnung sind sog. Vorläufererfahrungen: Um zu verstehen, was das Konstrukt Tag ist, brauche ich erst einmal eine Idee von ZeitZeit erlebt schon der Säugling: Zeiten, in denen Berührungen stattfinden, Zeiten, in denen keine Berührungen stattfinden. Zeiten, in denen Bewegung stattfindet, Zeiten, in denen es nicht so ist. Zeiten, in denen Geräusche hörbar sind oder jemand spricht, und Zeiten, in denen es ruhig ist. Nur hat der Säugling dafür noch keine Begriffe und nicht die Zuschreibungen der Erwachsenen. Sicherlich empfindet der Säugling eine Unterscheidung zwischen Wohlsein oder Unwohlsein.  

Durch das Ausdifferenzieren des inneren Systems, also zu verstehen, wie die Dinge um mich herum funktionieren, gelange ich irgendwann an den Punkt, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was, um bei dem Beispiel zu bleiben, ein Tag an Zeiträumen mit sich bringt, worin sich diese unterscheiden bzw. dass es einen Tageskreislauf gibt und Tage sich in ihrer Form wiederholen. Dafür langt es nicht einfach, in der Natur zu sein, es langt nicht das „bloße“ Erfahren von Sinneseindrücken. Denn eine innere Ordnung entsteht auf der Grundlage persönlicher Bedeutungsbeimessung. „Die Welt wird erfahren und in einen mit (Bezugs-) Personen abgeglichenen Bedeutungskontext eingebunden“ (Kammerlander et al. 2018, S. 14f.). Es ist also ein Abgleich der Sinneseindrücke über Kommunikation nötig. An dieser Stelle sind Sie nicht nur Gesprächspartner*innen, sondern Impulsgeber*innen. Und für die richtigen Impulse braucht es die richtige Brille.  

Der Naturraum liefert Ihnen dafür unendlich viele Gesprächsanlässe, um mit den Kindern die Welt ganz grundlegend zu erfahren. So können sich die Kinder mit Ihnen zusammen nicht nur auf den Weg machen, zu erfahren, was ein Tag ist, sondern sie können Erfahrungen machen, die dabei helfen, sich erste zaghafte Vorstellungen von Zeit aufzubauenNach und nach entwickelt jedes Kind weitere Vorstellungen darüber, was eine Woche, was ein Monat oder ein Jahr ist. Nach der Kita-Zeit sollte jedes Kind eine Idee von Zeit haben, ohne dass diese völlig ausgereift oder korrekt sein muss. Sie als Pädagoge können genau an dieser Stelle auch die Naturraumpädagogik nutzen. Denn „Natur stellt für Kinder einen maßgeschneiderteEntwicklungsraum dar. Eine Erfahrungswelt, die genau auf die Bedürfnisse von Weltentdeckern zugeschnitten ist. Hier können sie Segel setzen. Hier bläst der Wind, den sie für ihr Gedeihen brauchen. […] Hier können sie an ihrem Fundament bauen. Zeit in der Natur ist Entwicklungszeit! (Renz-Polster und Hüther, 2019, S. 35). 

Viel Spaß da draußen wünscht Ihnen 

Yves Wilhelm 

Literatur 

Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart. 

Kron, Anna-Lena (2020): Natur(raum) erfahren! Fach-Newsletter des Pädagogischen Leitungskreises, Ausgabe 12, Stuttgart, S. 5-6. 

Renz-Polster, Herbert; Hüther, Gerald (2019): Wie Kinder heute wachsen: Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen und Denken. Beltz: Weinheim. 

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Ich möchte feiern – ich brauch das! Der Wert von Festen, Feiern und Ritualen

Das Leben ist geprägt durch unterschiedliche Rhythmen, wie beispielsweise den Tagesrhythmus, den Wochenrhythmus und den Jahresrhythmus. Diese lassen das Leben „handhabbar“ werden, Phasen der Produktivität (Anspannung) und Phasen der Erholung (Entspannung) lösen einander ab. All diese Rhythmen werden durch markante Punkte, also Zäsuren, unterteilt und strukturiert. So ist der Tagesrhythmus durch den Wechsel von Tag und Nacht, durch Mahlzeiten sowie Schaf- und Wachzeiten natürlich bestimmt. Im Wochenrhythmus schafft das Wochenende für die meisten Menschen den Wechsel zwischen Arbeits- und Privatleben. Das Jahr erfährt seine Gliederung durch Jahreszeiten und Fixpunkte, die wir häufig in Festen, Feiern und Ritualen begehen. Der eigene Geburtstag als Feier, Weihnachten als Fest oder Fasching als Ritual sind nur einige Beispiele hierfür. Diese immer wiederkehrenden Fixpunkte strukturieren den Jahresverlauf und machen ihn so überschaubar und handhabbar.

Diese rhythmisch wiederkehrenden Fixpunkte stellen besondere, eben nicht alltägliche Situationen für die Menschen dar. Und oft haben Menschen eine genaue Vorstellung davon, wie sie ein Fest verbringen wollen, wie dieses gestaltet sein soll, was Teil des Festes sein soll und was nicht. Wir denken nicht jedes Jahr aufs Neue darüber nach, was ein Weihnachtsfest als solches ausmacht. Wir haben Weihnachten mehr oder weniger ritualisiert. Ich weiß bereits heute, dass zu jedem Weihnachtsfest meine Familie zusammenkommen wird, wir Lieder singen und nach dem Abendessen die Bescherung folgt. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern.
Für sich klar zu haben, dass es am Ende jeden Jahres dieses Fest gibt und zu wissen, wie die klare Abfolge der Ereignisse sein wird, gibt mir Sicherheit. Denn ich weiß, was in diesem, dem nächsten und übernächsten Jahr auf mich zukommt. Man könnte sagen, darauf bin ich mental vorbereitet. Und ich freue mich jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit wieder darauf, dass Weihnachten bald kommt – mit allem was dazu gehört!

Der ritualisierende Charakter von Festen und Feiern kann Menschen eine Struktur geben, und diese Struktur wiederum ist mit einem individuell zugesprochenen Sinn aufgeladen. So kann für die Einen Weihnachten ein Fest der inneren Einkehr, der Besinnlichkeit und Ruhe sein, wo andere im regen Treiben der Großfamilie das Weihnachtsfest zusammen verbringen.
Für uns alle haben diese besonderen Punkte im Jahr eine eigene Bedeutung. Sie bringen uns Struktur und Normalität in der Handhabung des täglichen Lebens und unterstützen dabei, den Alltag zu überschauen und ihn für sich einzuordnen. Umso wichtiger ist es in der aktuellen Situation, sich diese Funktionsweise vor Augen zu führen: Seit Februar 2020 ist Corona ein alltagsprägendes Thema. Feste und Feiern können an dieser Stelle helfen „normal“ weiter zu machen. Sie können als trostspendendes oder einfach stärkendes Ereignis innerhalb eines Jahres Orientierung geben und somit Sicherheit sowohl in unsicheren als auch in normalen Zeiten schenken.

Feste und Feiern im Rahmen kindlicher Entwicklung – Aufbau eines Kulturbegriffs

Wir Menschen sind individuelle und soziale Wesen und wollen in Gemeinschaft leben. Damit dies gelingen kann, braucht es Verabredungen miteinander. Wir brauchen also eine Vorstellung darüber, wie wir miteinander umgehen wollen, welche Werte wir miteinander leben wollen oder auch, wie wir unsere Kräfte gemeinsam ausrichten wollen. Diese grundlegenden ausgehandelten Vorstellungen darüber, wie wir unser Leben in Gemeinschaft leben wollen, beschreiben unsere Kultur.

Kindern stehen nun vor der großen Aufgabe, sich genau eine solche Vorstellung aufzubauen, also zu erfahren, wie wir in unserer Gemeinschaft zusammenleben. Der Aufbau eines Kulturverständnisses erfolgt dadurch, dass das Kind Kulturmomente in Gemeinschaft erlebt. So erfahren Kinder ähnliche Werte und bauen zusammen eine ähnliche Vorstellung unseres Zusammenlebens auf. Dies macht sie gemeinschaftsfähig.

Feste und Feiern bieten an dieser Stelle diese Kulturmomente. Sie bringen den Kindern unsere Lebenswelt näher und machen das, was uns im Zusammenleben ausmacht, erfahrbar. Sie können Kinder also dabei unterstützen, einen eigenen Kulturbegriff auf- und auszubauen, indem sie erfahren können, wie wir zusammenleben und miteinander umgehen.

Erarbeiten der Zeitdimensionen

Unsere Kinder in unseren Kitas wollen deutlich mehr als nur verstehen, wie wir zusammenleben. Sie wollen verstehen, wie das funktioniert, was sie umgibt, verstehen, was Raum und Zeit sind. Daraus ergibt sich eine weitere Entwicklungsaufgabe des Kindes: sich Zeitdimensionen zu erarbeiten. Dies beginnt im Hier und Jetzt und hat zunächst keinen Bezug zu Stunden und Tagen oder zum Vergangenen oder Zukünftigen. Vorstellungen über Zeit erarbeitet sich das Kind durch einen rhythmisierten Tagesablauf oder wiederkehrende strukturierende Elemente im Tag und kann dies nach und nach ausdifferenzieren sowie ins Gestern oder Morgen übertragen. Am Ende seiner Kitazeit hat das Kind durch die erlebten Vorläufererfahrungen eine ganz eigene Vorstellung davon, was ein Jahr sein könnte. Diese dafür nötigen Vorläufererfahrungen können die Kinder unserer Kinderhäuser in stattfindenden Festen und Feiern machen. So haben sie auch ohne eine Vorstellung über einen konkreten Jahresrhythmus grobe Orientierungspunkte und somit, wie bereits gesagt, eine ganz eigene Vorstellung über das Konstrukt Jahr.

Welt ästhetisch wahrnehmen

„Bildung beruht immer auf „ästhetischen Erfahrungen“. Diese sind sinnliche Wahrnehmungen und deren innere (Ein-)Ordnung auf Grundlage persönlicher Bedeutungsbeimessung.“

Wenn Bildung immer auf „ästhetischen Erfahrungen“ beruht, dann schließt sich eine weitere Entwicklungsaufgabe des Kindes an, die es in Bezug auf Feste, Feiern und Rituale in ihrer pädagogischen Arbeit in der Kita zu handhaben gilt. Es ist die Entwicklungsaufgabe, die Welt ästhetisch wahrzunehmen. Dazu zwei weitere Auszüge aus der Konzeption:

„Bildung geschieht also immer nur dann, wenn Menschen beginnen, sich mit den Eindrücken, die sie erreichen, auseinanderzusetzen, weil diese für sie individuell bedeutend sind.“

„Kinder sind in ihrer Bildungsarbeit also angewiesen auf Erfahrungen, die sich ihnen bedeutungsvoll präsentieren bzw. die an bekannte Sachbezüge und den bereits bestehenden Sinnhorizont anknüpfen oder auch neuen Sinn entstehen lassen.“

Kinder nehmen die Welt also sinnlich und durch ihre individuelle Bedeutungsbeimessung wahr, wobei für sie das von Bedeutung ist, was sie „bewegt”. Also all das, was an ihrem Sinnhorizont anknüpft. Anders gesagt all das, was für sie relevant oder sinnstiftend ist.

Feiern, Feste und Rituale ermöglichen es den Kindern, nötige Vorläufererfahrungen zu machen, um eine Vorstellung vom Zusammenleben in Gemeinschaft aufbauen zu können. Gleichwohl werden die Kinder durch Feste und Feiern darin unterstützt, die Rhythmen des Lebens kennenzulernen, sich Zeitdimensionen zu erarbeiten. Feste und Feiern geben somit Orientierung und erzeugen Normalität. Gerade in unseren besonderen Zeiten im Umgang mit Covid-19 braucht es mehr Normalität und Sicherheit, für ein gesundes Leben.

Anhand der erarbeiteten Perspektiven und der angesprochenen anstehenden Entwicklungsaufgaben der Kinder stellt sich mir abschließend die Frage, wie Sie in Ihrer Einrichtung, mit Blick auf kommende Feste gestalten werden? Was sind für sie Schlüsselfaktoren in der Umsetzung?

Ich freue mich auf Ihre Gedanken dazu.

Literatur

Carola Kammerlander, Marcus Rehn, Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser.

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