Das Leben ist geprägt durch unterschiedliche Rhythmen, wie beispielsweise den Tagesrhythmus, den Wochenrhythmus und den Jahresrhythmus. Diese lassen das Leben „handhabbar“ werden, Phasen der Produktivität (Anspannung) und Phasen der Erholung (Entspannung) lösen einander ab. All diese Rhythmen werden durch markante Punkte, also Zäsuren, unterteilt und strukturiert. So ist der Tagesrhythmus durch den Wechsel von Tag und Nacht, durch Mahlzeiten sowie Schaf- und Wachzeiten natürlich bestimmt. Im Wochenrhythmus schafft das Wochenende für die meisten Menschen den Wechsel zwischen Arbeits- und Privatleben. Das Jahr erfährt seine Gliederung durch Jahreszeiten und Fixpunkte, die wir häufig in Festen, Feiern und Ritualen begehen. Der eigene Geburtstag als Feier, Weihnachten als Fest oder Fasching als Ritual sind nur einige Beispiele hierfür. Diese immer wiederkehrenden Fixpunkte strukturieren den Jahresverlauf und machen ihn so überschaubar und handhabbar.
Diese rhythmisch wiederkehrenden Fixpunkte stellen besondere, eben nicht alltägliche Situationen für die Menschen dar. Und oft haben Menschen eine genaue Vorstellung davon, wie sie ein Fest verbringen wollen, wie dieses gestaltet sein soll, was Teil des Festes sein soll und was nicht. Wir denken nicht jedes Jahr aufs Neue darüber nach, was ein Weihnachtsfest als solches ausmacht. Wir haben Weihnachten mehr oder weniger ritualisiert. Ich weiß bereits heute, dass zu jedem Weihnachtsfest meine Familie zusammenkommen wird, wir Lieder singen und nach dem Abendessen die Bescherung folgt. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern.
Für sich klar zu haben, dass es am Ende jeden Jahres dieses Fest gibt und zu wissen, wie die klare Abfolge der Ereignisse sein wird, gibt mir Sicherheit. Denn ich weiß, was in diesem, dem nächsten und übernächsten Jahr auf mich zukommt. Man könnte sagen, darauf bin ich mental vorbereitet. Und ich freue mich jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit wieder darauf, dass Weihnachten bald kommt – mit allem was dazu gehört!
Der ritualisierende Charakter von Festen und Feiern kann Menschen eine Struktur geben, und diese Struktur wiederum ist mit einem individuell zugesprochenen Sinn aufgeladen. So kann für die Einen Weihnachten ein Fest der inneren Einkehr, der Besinnlichkeit und Ruhe sein, wo andere im regen Treiben der Großfamilie das Weihnachtsfest zusammen verbringen.
Für uns alle haben diese besonderen Punkte im Jahr eine eigene Bedeutung. Sie bringen uns Struktur und Normalität in der Handhabung des täglichen Lebens und unterstützen dabei, den Alltag zu überschauen und ihn für sich einzuordnen. Umso wichtiger ist es in der aktuellen Situation, sich diese Funktionsweise vor Augen zu führen: Seit Februar 2020 ist Corona ein alltagsprägendes Thema. Feste und Feiern können an dieser Stelle helfen „normal“ weiter zu machen. Sie können als trostspendendes oder einfach stärkendes Ereignis innerhalb eines Jahres Orientierung geben und somit Sicherheit sowohl in unsicheren als auch in normalen Zeiten schenken.
Feste und Feiern im Rahmen kindlicher Entwicklung – Aufbau eines Kulturbegriffs
Wir Menschen sind individuelle und soziale Wesen und wollen in Gemeinschaft leben. Damit dies gelingen kann, braucht es Verabredungen miteinander. Wir brauchen also eine Vorstellung darüber, wie wir miteinander umgehen wollen, welche Werte wir miteinander leben wollen oder auch, wie wir unsere Kräfte gemeinsam ausrichten wollen. Diese grundlegenden ausgehandelten Vorstellungen darüber, wie wir unser Leben in Gemeinschaft leben wollen, beschreiben unsere Kultur.
Kindern stehen nun vor der großen Aufgabe, sich genau eine solche Vorstellung aufzubauen, also zu erfahren, wie wir in unserer Gemeinschaft zusammenleben. Der Aufbau eines Kulturverständnisses erfolgt dadurch, dass das Kind Kulturmomente in Gemeinschaft erlebt. So erfahren Kinder ähnliche Werte und bauen zusammen eine ähnliche Vorstellung unseres Zusammenlebens auf. Dies macht sie gemeinschaftsfähig.
Feste und Feiern bieten an dieser Stelle diese Kulturmomente. Sie bringen den Kindern unsere Lebenswelt näher und machen das, was uns im Zusammenleben ausmacht, erfahrbar. Sie können Kinder also dabei unterstützen, einen eigenen Kulturbegriff auf- und auszubauen, indem sie erfahren können, wie wir zusammenleben und miteinander umgehen.
Erarbeiten der Zeitdimensionen
Unsere Kinder in unseren Kitas wollen deutlich mehr als nur verstehen, wie wir zusammenleben. Sie wollen verstehen, wie das funktioniert, was sie umgibt, verstehen, was Raum und Zeit sind. Daraus ergibt sich eine weitere Entwicklungsaufgabe des Kindes: sich Zeitdimensionen zu erarbeiten. Dies beginnt im Hier und Jetzt und hat zunächst keinen Bezug zu Stunden und Tagen oder zum Vergangenen oder Zukünftigen. Vorstellungen über Zeit erarbeitet sich das Kind durch einen rhythmisierten Tagesablauf oder wiederkehrende strukturierende Elemente im Tag und kann dies nach und nach ausdifferenzieren sowie ins Gestern oder Morgen übertragen. Am Ende seiner Kitazeit hat das Kind durch die erlebten Vorläufererfahrungen eine ganz eigene Vorstellung davon, was ein Jahr sein könnte. Diese dafür nötigen Vorläufererfahrungen können die Kinder unserer Kinderhäuser in stattfindenden Festen und Feiern machen. So haben sie auch ohne eine Vorstellung über einen konkreten Jahresrhythmus grobe Orientierungspunkte und somit, wie bereits gesagt, eine ganz eigene Vorstellung über das Konstrukt Jahr.
Welt ästhetisch wahrnehmen
„Bildung beruht immer auf „ästhetischen Erfahrungen“. Diese sind sinnliche Wahrnehmungen und deren innere (Ein-)Ordnung auf Grundlage persönlicher Bedeutungsbeimessung.“
Wenn Bildung immer auf „ästhetischen Erfahrungen“ beruht, dann schließt sich eine weitere Entwicklungsaufgabe des Kindes an, die es in Bezug auf Feste, Feiern und Rituale in ihrer pädagogischen Arbeit in der Kita zu handhaben gilt. Es ist die Entwicklungsaufgabe, die Welt ästhetisch wahrzunehmen. Dazu zwei weitere Auszüge aus der Konzeption:
„Bildung geschieht also immer nur dann, wenn Menschen beginnen, sich mit den Eindrücken, die sie erreichen, auseinanderzusetzen, weil diese für sie individuell bedeutend sind.“
„Kinder sind in ihrer Bildungsarbeit also angewiesen auf Erfahrungen, die sich ihnen bedeutungsvoll präsentieren bzw. die an bekannte Sachbezüge und den bereits bestehenden Sinnhorizont anknüpfen oder auch neuen Sinn entstehen lassen.“
Kinder nehmen die Welt also sinnlich und durch ihre individuelle Bedeutungsbeimessung wahr, wobei für sie das von Bedeutung ist, was sie „bewegt”. Also all das, was an ihrem Sinnhorizont anknüpft. Anders gesagt all das, was für sie relevant oder sinnstiftend ist.
Feiern, Feste und Rituale ermöglichen es den Kindern, nötige Vorläufererfahrungen zu machen, um eine Vorstellung vom Zusammenleben in Gemeinschaft aufbauen zu können. Gleichwohl werden die Kinder durch Feste und Feiern darin unterstützt, die Rhythmen des Lebens kennenzulernen, sich Zeitdimensionen zu erarbeiten. Feste und Feiern geben somit Orientierung und erzeugen Normalität. Gerade in unseren besonderen Zeiten im Umgang mit Covid-19 braucht es mehr Normalität und Sicherheit, für ein gesundes Leben.
Anhand der erarbeiteten Perspektiven und der angesprochenen anstehenden Entwicklungsaufgaben der Kinder stellt sich mir abschließend die Frage, wie Sie in Ihrer Einrichtung, mit Blick auf kommende Feste gestalten werden? Was sind für sie Schlüsselfaktoren in der Umsetzung?
Ich freue mich auf Ihre Gedanken dazu.
Literatur
Carola Kammerlander, Marcus Rehn, Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser.