Dieses Jahr schon in die Schule? Oder doch erst im nächsten? Diese Fragen stellen sich vor allem Eltern sogenannter Kann-Kinder. Kann-Kinder sind solche, deren sechster Geburtstag innerhalb einer bestimmten Frist nach dem gesetzlich festgelegten Stichtag für einschulungspflichtige Kinder liegt. Das heißt: Eltern von Kann-Kindern können ihre Kinder bereits als Fünfjährige in die Schule schicken. Bevor Eltern eine Entscheidung treffen, sollten sie sich Rat holen – und wissen, dass nicht nur intellektuelle Fähigkeiten für einen erfolgreichen Schulbesuch wichtig sind.
In den meisten Bundesländern gilt: Wer bis zum 30. Juni eines Jahres sechs Jahre alt wird, geht nach den Sommerferien in die Schule – klarer Fall, oder? Im Prinzip schon, wenn es da nicht die Kann-Kinder-Regelung gäbe. Beispiel Baden-Württemberg: Im hiesigen Schulgesetz heißt es in § 73 in Bezug auf die Schulpflicht: „Mit dem Beginn des Schuljahres sind alle Kinder, die bis 30. Juni des laufenden Kalenderjahres das sechste Lebensjahr vollendet haben, verpflichtet, die Grundschule zu besuchen. Dasselbe gilt für die Kinder, die bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres das sechste Lebensjahr vollendet haben und von den Erziehungsberechtigten in der Grundschule angemeldet wurden.“ Letztgenannte Kinder werden vielfach als Kann-Kinder bezeichnet. Denn sie dürfen theoretisch in die Schule gehen, müssen es aber nicht.
Die Regelungen, die die Bundesländer getroffen haben, weichen etwas voneinander ab und sind im jeweiligen Schulgesetz geregelt. Die Kultusministerkonferenz stellt auf ihrer Website eine Übersicht über die Schulgesetze der Länder zur Verfügung.
Ab in die Schule?
Die Kann-Kinder-Regelung bedeutet: Auch sehr viele Fünfjährige könnten in die Schule gehen – wenn ihre Eltern sie dort anmelden. Besonders Eltern, deren Kinder nur wenige Wochen oder Monate nach dem Stichtag sechs Jahre alt werden, überlegen natürlich, ob es für ihren Sohn oder ihre Tochter sinnvoll wäre, bereits früher in die erste Klasse zu gehen. „Tut ein ganzes weiteres Jahr in der Kita meinem Kind gut?“, fragen sie sich oft. „Ist es dort nicht unterfordert?“ Denn manche Kinder in diesem Alter können bereits Buchstaben schreiben, beschäftigen sich mit dem Lesenlernen und zeigen mathematische Fähigkeiten. Also, ab in die Schule?
Nur intellektuelle Entwicklung betrachtet
Auf der Website Hallo:Eltern berichtet Saskia Wöhler von den Erfahrungen mit ihrem Sohn, einem Kann-Kind. Sie schreibt: „Er war sprachlich weit entwickelt, erzählte Geschichten mit Spannungsbögen, war aufgeweckt und neugierig.“ Da auch die Mutter selbst früh eingeschult wurde und das nie als Nachteil empfunden hatte, entschieden sie und ihr Mann sich auch bei ihrem Sohn für einen vorzeitigen Schuleintritt. Die Erzieher*innen in der Kita rieten ebenfalls dazu. Doch später bereute die Familie den Schritt. „Unser Sohn war verunsichert und reagierte mit Aggressionen und Verweigerung,“ beschreibt die Mutter den Start in der Schule.
Soziale Faktoren
Das Beispiel ist keine Ausnahme. Fachleute warnen daher davor, allein kognitive Leistungen und Konzentrationsfähigkeit zu betrachten, wenn es um einen möglichen Schuleintritt von Kann-Kindern geht. Die sozialen Aspekte bilden oft die größeren Herausforderungen. Die eigene Position in einer Klasse zu finden, sich einzugliedern und, wo nötig, zu behaupten, fällt jungen Kindern oft noch sehr schwer. Ich erinnere mich, dass es für unseren Sohn im ersten Schuljahr vor allem darum ging, die anderen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Es hat mich damals überrascht, welche große Bedeutung die sozialen Interaktionen in dieser Zeit für unseren Sohn hatten und wie sehr die Lerninhalte dagegen zurücktraten.
Emotionale Aspekte
Kinder, die in die Schule gehen, müssen außerdem recht selbstständig sein, mehr Entscheidungen eigenständig treffen als zu Kita-Zeiten und Verantwortung dafür übernehmen. Schulkinder kommen idealerweise bereits gut ohne die permanente Zuwendung von Erwachsenen klar, können Konflikte vielfach schon unter sich klären und sich recht schnell auf neue, ungewohnte Situationen einstellen. Wer in die Schule kommt, sollte zudem seine Emotionen weitgehend kontrollieren können und seine Frustrationstoleranz etwas geschult haben, um mit kleineren Rückschlägen fertig zu werden.
Körperliche und motorische Fähigkeiten
Es sind jedoch auch handfeste körperliche Aspekte entscheidend. Ist mein Kann-Kind kräftig genug, um seinen Schulranzen bis zur Schule zu tragen und zurück? Kann es sich für den Sportunterricht selbstständig an- und ausziehen und seine Schuhe binden? Kann es einen Stift unverkrampft halten und damit genau malen? Kann es sich auch körperlich gegen andere Kinder behaupten? Denn Rangeleien, ein spielerisches Kräftemessen, gehören in diesem Alter dazu, und es kann frustrierend sein, dabei immer den Kürzeren zu ziehen.
Checkliste
Auf dem Portal netmoms gibt es eine Checkliste zur Schulfähigkeit, die die wichtigsten Anforderungen für den Start in die Schule noch einmal zusammenstellt.
Erst Rat einholen, dann entscheiden
Stellen Eltern fest, dass ihr Kann-Kind nicht nur intellektuell, sondern auch sozial, emotional und körperlich so weit entwickelt ist, dass es in der Schule zurechtkommen wird, ist es sicherlich eine gute Idee, es dort anzumelden. Es ist jedoch in allen Fällen ratsam, vorab die pädagogischen Fachleute aus Kita und Schule um Rat zu fragen. Die Erzieher*innen erleben das Kind in einem anderen Umfeld als die Eltern zu Hause und haben es in der Regel über mehrere Jahre sehr gut kennengelernt. Mütter und Väter sollten deren Einschätzung daher besonders ernst nehmen. Lehrkräfte besitzen langjährige Erfahrungen mit Kann-Kindern und deren Schulkarrieren und können auf dieser Grundlage fundiert beraten. Sind Eltern trotz Beratung unsicher, könnten sie nach einer Schule Ausschau halten, die auch zum Halbjahr einschult und damit einen Mittelweg einschlagen. Wer sich gegen eine frühere Einschulung entscheidet, kann den Wissens- und Erfahrungshunger seines Kindes in der Vorschulzeit auch dadurch stillen, dass er ihm z.B. das Spielen eines Instrumentes ermöglicht oder es an eine neue Sportart heranführt.
Sonderfall: Hochbegabung
Manche Eltern haben den Eindruck, dass ihr Kind hochbegabt sein könnte. Auf dem Fachportal Hochbegabung der Karg-Stiftung gibt es gute Informationen dazu, wie sich eine Hochbegabung bereits früh feststellen lässt. Geht es um eine vorzeitige Einschulung, ist auch bei hochbegabten Kindern abzuwägen, ob der Schulbesuch, der in Bezug auf die intellektuelle Förderung sinnvoll erscheinen mag, in sozial-emotionaler oder körperlicher Hinsicht nicht eine Überforderung darstellt. Beratungsstellen für Hochbegabung unterstützen in solchen Fällen bei der Planung der Bildungsbiografie. Im ersten Schritt ist es ratsam, dass Eltern ihre Vermutung mit den Fachleuten aus der Kita teilen. Das Kita-Team kann eigene Beobachtungen beisteuern, Fördermöglichkeiten vorstellen, Beratungsadressen vermitteln und bei weiteren Schritten unterstützen.
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