Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Sie ermöglicht Kommunikation und eröffnet uns den Zugang zum Reich des Wissens. Doch damit Kinder sprechen lernen, benötigen sie Menschen, die mit ihnen reden. Wir geben Einblicke in die Sprachentwicklung und Tipps, wie Sie als Eltern Ihrem Kind beim Erwerb von Sprache helfen können.
„Es hat ‚Ball‘ gesagt!“ Aus dem Gebrabbel Ihres Babys sind erste verständliche Worte geworden. Als Eltern sind Sie zu Recht begeistert von dieser Leistung.
In den meisten Fällen sprechen Kinder ihre ersten Worte im Alter zwischen zwölf und 18 Monaten. Manche starten bereits mit neun Monaten. Andere lassen sich Zeit bis ins dritte Lebensjahr. Wie alle menschlichen Entwicklungsschritte ist auch der Spracherwerb sehr individuell. Daher gilt: Vertrauen Sie Ihrem Kind! Setzen Sie es mit Ihren Erwartungen nicht unter Druck („Sag doch mal …!“). Es findet seinen Weg und seine Zeit.
Kinder sammeln einen Wortschatz
Kinder bauen ihr Wörterwissen dann fortlaufend aus. Ihr aktiver Wortschatz umfasst mit 20 Monaten in der Regel zwischen 50 und 200 Worte. Außerdem beinhaltet ihre Schatzkiste viele weitere Wörter, die sie verstehen, aber (noch) nicht selbst nutzen.
Die Sprachexplosion
Mit ungefähr zwei Jahren beginnen viele Kinder Wörter zu kombinieren. Sie sagen zum Beispiel „Ball haben“. Es entstehen erste Sätze. Im Anschluss an diesen Entwicklungsschritt passiert etwas Unglaubliches: Ihr Kind lernt jeden Tag ungefähr acht neue Worte dazu. Fachleute sprechen von einer Sprachexplosion. Gleichzeitig erwirbt es die grammatikalischen Regeln der Sprache. Bis es vier Jahre alt ist, gelingt es ihm wahrscheinlich, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Um das dritte Lebensjahr herum beginnen Kinder zumeist auch damit, Nebensätze zu konstruieren, und sagen zum Beispiel: „Weil ich das haben will.“
Handlungen nacherzählen
Auch die Erzählfähigkeit, also die Fähigkeit, eine Handlung in logischer Abfolge wiederzugeben, entwickelt sich schrittweise. Zunächst wirken kindliche Erzählungen unzusammenhängend. Mit etwa fünf Jahren können Kindern dann logisch nachvollziehbare Geschichten erzählen. Abgeschlossen ist die Sprachentwicklung damit nicht. Die wesentlichen Strukturen haben Menschen in der Regel mit etwa sechs Jahren erworben. Doch bis ins Erwachsenenalter verfeinern wir unsere Ausdrucksfähigkeit und erweitern unseren Wortschatz.
Sie können helfen!
Wie gut und schnell Kinder ihre Muttersprache erwerben, hat nicht nur etwas mit ihrer Persönlichkeit und Veranlagung zu tun. Es kommt dabei maßgeblich auf ein sprachanregendes Umfeld an. Das heißt: Sie können Ihr Kind beim Spracherwerb unterstützen.
Sprachvorbild sein
Ihr Kind erwirbt seine Sprechfähigkeit, indem es Sie nachahmt. Daher ist es wichtig, dass Sie viel mit ihm sprechen und sich ihm dabei zuwenden. Nur so kann es sehen, wie sich Ihr Mund bewegt, wenn Sie Laute bilden, und dies nachmachen.
Erwachsene, die mit Babys reden, verfallen fast unwillkürlich in eine sogenannte Ammensprache. Sie sprechen langsam, machen Pausen, betonen die einzelnen Wörter besonders, wiederholen sie oft und erhöhen die Tonlage. Damit erleichtern sie dem Kind das Verständnis. Zunächst konzentrieren sie sich auf die kindlichen Laute und ahmen diese nach. Dadurch entsteht eine Art vorsprachlicher Kommunikation zwischen Eltern und Kind. Ohne das bewusst zu steuern, passen die erwachsenen Bezugspersonen ihre Sprache Schritt für Schritt der kindlichen Entwicklung an. Sprich: Eltern sind quasi von Natur aus darauf geeicht, ihre Kinder beim Erwerb der Sprache zu unterstützen.
Den Alltag sprachlich begleiten
Es hilft jedoch, wenn sich Mütter und Väter das bewusst machen und wissen, wie wichtig es für ihr Kind ist, dass sie mit ihm „ins Gespräch“ kommen. Dazu bedarf es keines besonderen Anlasses. Alle Alltagssituationen eignen sich, um mit dem Kind zu reden. Wer sein Kind wickelt, kann ihm dabei erklären, was gerade geschieht und zum Beispiel die Körperteile benennen. Beim gemeinsamen Essen können Sie darauf achten, dass das Kind erfährt, wie die Lebensmittel heißen und wie sich unterschiedliche Geschmacksrichtungen bezeichnen lassen. So erweitert Ihr Kind nach und nach seinen Wortschatz.
Gespräche führen
Sprache dient dem Austausch der Menschen untereinander. Damit Ihr Kind das erleben kann, sollten Sie es als Gesprächspartner ernst nehmen. Lassen Sie ihm Zeit, das zu sagen, was es auf dem Herzen hat – auch wenn es etwas länger dauert. Greifen Sie seine Äußerungen auf und gehen Sie darauf ein. Zunächst wollen Ihrem Kind die Worte noch nicht recht über die Lippen kommen. Vieles können zunächst oft nur Sie als Eltern verstehen. Sie helfen Ihrem Kind, die Wörter richtig sprechen zu lernen, indem Sie sie korrekt in einem kompletten Satz wiederholen. Sagt Ihr Kind zum Beispiel: „Lone haben“. Sagen Sie: „Du möchtest die Melone haben.“
Reime und Lieder nutzen
Reime, Fingerspiele und Lieder unterstützen Ihr Kind dabei, seine Aussprache zu trainieren und sein Sprachverständnis zu verbessern. Nicht nur Fingerspiele auch Reime und Lieder lassen sich mit Bewegungen kombinieren, die die Bedeutung der Worte unterstreichen. Den meisten Kindern macht es viel Spaß mitzumachen, und die Worte bleiben ihnen dadurch besonders gut im Gedächtnis.
Bücher vorlesen und Geschichten erzählen
Haben Sie selbst als Kind erlebt, dass Eltern oder Großeltern Ihnen vorlasen oder Geschichten erzählten? Dann wissen Sie sicherlich noch, dass das besondere Momente waren: Zeiten, in denen Sie in eine Geschichte eintauchen konnten, Zeiten des kuscheligen Beisammenseins und des geteilten Interesses. Gönnen Sie sich und Ihrem Kind ebenfalls diese Freude. Dazu müssen Sie keine Meisterin oder kein Meister im Vorlesen sein. Ihr Kind wird Ihr Engagement auf jeden Fall schätzen. Manche Eltern erzählen auch einfach Geschichten, die sie in ihrer Kindheit gehört oder gelesen haben, oder denken sich selbst welche aus.
Eisenbahngeschichten
Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gerne daran, wie mein Vater früher meinem Bruder und mir davon erzählte, wie die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth fuhr. Als ich selbst einen Sohn hatte, war ich fürs Vorlesen zuständig. Mein Mann erzählte ihm Geschichten – zum Beispiel von Bruder Heinz, einer Figur, die seiner Fantasie entsprungen war, und die als Heizer auf einer Dampflok anheuerte. Vielleicht haben Sie ebenfalls Lust Ihre Fantasie spielen zu lassen und eigene Geschichten zu kreieren. Wenn Ihnen die Ideen ausgehen, spinnt Ihr Kind die Handlung sicherlich gerne zusammen mit Ihnen weiter.
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Meine Tochter spricht noch nicht so gut. Schön zu lesen, dass sie das Sprechen auch nur nachahmen. Daher werde ich mit ihr zu einer Logopädie gehen.