In der Kita achtsam sprechen – wie Sprache das Denken beeinflusst

„Toll gemacht!“ – „Nicht die Steine über die Mauer werfen!“ – „Wenn du das noch einmal machst, dann …“ – „Ist doch nicht so schlimm.“ Sätze wie diese werden von Erwachsenen gegenüber Kindern gebraucht und sind vielleicht gut gemeint, aber nicht unbedingt sinnhaft. Im Gegenteil: Oft verfehlen sie die gewünschte Wirkung. Wir Menschen sind geprägt von den Erfahrungen unseres Lebens. Und die daraus resultierende Sprache zeigt, wie wir denken. Sie zeigt den Kindern auch, wie wir sie sehen und beeinflusst deren Selbstbild. Sich seiner Sprache bewusst zu werden und achtsamer mit Kindern und Erwachsenen zu sprechen als bisher, ist ein Prozess. Wer sich auf die Reise begibt, kann etwas erleben.

Achtsamkeit: was bedeutet das?

Achtsam sein heißt, im Hier und Jetzt zu sein und sich wahrhaft auf eine Situation oder eine andere Person einzulassen. Der Begriff Achtsamkeit und das damit verbundene Handeln ist als Idee dem Buddhismus entliehen und kann auch als Prinzip der Gewahrwerdung beschrieben werden (vgl. Strobach 2014, S. 115). Oftmals lassen wir uns in unserem Alltag nicht aufrichtig auf eine Situation ein. Wir sind in Eile und wollen eine Aufgabe rasch lösen. Wir sorgen uns um das, was heute noch zu erledigen ist, oder sind in Gedanken ganz anderswo. Und dann bewerten wir eine Situation schnell – möglicherweise viel zu schnell (vgl. Kuss 2021).

Dazu ein Beispiel: Ben ärgert Theo. Er entreißt ihm das Buch, in dem Theo gerade blättert. Und das geschieht nicht zum ersten Mal. Seit Tagen geht es so, und Theo beschwert sich lautstark. Gerade wenn wir als Erwachsene das Gefühl haben, für die Situation keine Zeit aufwenden zu können, rutschten uns Sätze heraus wie der folgende: „Wenn du Theo nicht in Ruhe lässt, dann kannst du nicht in der Leseecke bleiben.“

Lösen wir mit der Androhung tatsächlich die Streitigkeit? – Vielleicht kurzfristig. Wäre es nicht sinnvoll, sich mit dem zu befassen, was Ben wirklich antreibt? Was hinter dem Verhalten des Kindes steckt, lässt sich nur herausfinden, wenn wir uns als erwachsene Begleiter:in auf die Situation einlassen, dem Kind gegenüber versprachlichen, was wir beobachten, die beiden Positionen der Kinder ergründen, die Kinder einladen, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Das mag einige Minuten dauern und lohnt sich. Das Sich-Einlassen könnte dazu führen, dass Ben allmählich versteht, was Theo möchte und was er nicht möchte, dass Theo sich direkt mit Ben verständigen lernt, dass sie gemeinsam das Buch anschauen – vor allem jedoch, dass beide Kinder Zugang zu ihren Bedürfnissen finden und so zu einem achtsamen Umgang miteinander. Denn eines ist sicher: Achtsamkeit ist nicht einfach da und stellt sich als Kompetenz nicht von selbst ein.

Wir Erwachsenen können uns auf den Weg machen, achtsamer im Denken, Sprechen und Handeln zu werden. Die Kinder schauen auf uns Erwachsene und lernen am Vorbild und durch unsere Begleitung. „Achtsame Kinder sind besser imstande, sich zu konzentrieren, werden zunehmend ruhiger, erleben weniger Stress und Unruhe, haben eine bessere Selbstkontrolle …“ (Strobach 2014, S. 115). Diese Aussichten sind mehr als einladend, sich die Zeit für ein achtsames Gespräch mit den beiden Kindern zu nehmen. Mittel- und langfristig haben die erwachsenen Begleiter:innen und die Kinder einen größeren Effekt durch achtsames Miteinander als durch schnelles Lösen eines augenscheinlichen Konfliktes.

Sprechen und Denken – was sagt die Forschung?

Dass Sprache die kognitive Entwicklung beeinflusst, ist wahrlich kein neuer Gedanke. Schon im ausgehenden 17. Jahrhundert gab es Befürworter dieser Idee, und sie hat die Forschenden nicht losgelassen. Boroditsky führt zahlreiche Beispiele an, „… wie Sprache das Denken formt“ (2012, S. 30). Die Sprache, die wir sprechen, beeinflusst unsere Wahrnehmung, Erinnerungen und Vorurteile. Sie prägt Ideen zu Raum und Zeit und kann auch kognitive Kompetenzen begünstigen, die andere Sprachen nicht in der Form schulen. Wie kann das sein? Dazu eine beeindruckende Beobachtung der Forscherin.

Eine Gruppe von Aborigines in Australien weist sprachlich aus, in welcher Himmelsrichtung Gegenstände zueinanderstehen. Deren Sprache kennt nicht die Wörter rechts und links, sondern nutzt die Himmelsrichtungen, um anzuzeigen, wo jemand oder etwas steht. Im Deutschen sagen wir auch, dass München südlicher liegt als Frankfurt, aber nicht bezogen auf Teller und Gabel. So geschieht es in dieser Sprache der Aborigines. Ein wunderbarer Effekt dieser sprachlichen Besonderheit ist, dass bereits junge Kinder dieser Gruppe die Himmelsrichtungen äußerst präzise bestimmen können, während uns das nicht so früh oder kaum gelingt (Boroditsky 2012, S. 31). Dieses Beispiel mag hier als eines von vielen belegen, dass die Sprache Denkprozesse beeinflusst. Die andere Richtung – dass nämlich unser Denken in unserer Sprache zum Ausdruck kommt – ist ebenso richtig.

Was heißt das für den (Kita-)Alltag?

Dem Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, Marshall Rosenberg, wird der Satz zugeschrieben: „Worte sind wie Mauern – oder auch Fenster.“ (Rosenberg, zitiert nach Wedewardt 2022, S. 7). Mit Worten kann Nähe entstehen oder Distanz, können Menschen einander verletzen oder stärken. Worte hinterlassen Spuren. Je häufiger ein Kind bestimmte Botschaften hört, desto eher verfestigen sich diese Botschaften. Ein „ist nicht so schlimm“ mag einem Kind zeigen, dass seine Gefühlslage nicht angemessen, dass es zu empfindlich sei und stark sein muss. Ein „toll gemacht!“ zeigt an, wer Dinge bewerten darf und sich damit über den anderen erhebt. Ein „typisch Junge/typisch Mädchen“ gibt Auskunft darüber, was den einen zugestanden wird und den anderen nicht.

Kinder wollen zur Gemeinschaft gehören. Sicherlich beabsichtigen sie mit ihren Handlungen nicht, das Vertrauen der erwachsenen Begleiter:innen zu erschüttern. Wenn sie nicht hören, tun sie es nicht, um uns zu ärgern. Wenn sie über ein verloren gegangenes Spielzeug tieftraurig sind, dann tun sie es nicht, um die Erwachsenen zu beschäftigen. Wenn sie den Singkreis vermeintlich stören, tun sie es nicht, um uns zu treffen. Kinder sind in der Situation mit etwas anderem beschäftigt, überfordert, haben ein unerfülltes Bedürfnis, das auszudrücken sie noch nicht imstande sind, fühlen sich missverstanden … Daher gilt es, das hinter der Handlung liegende Bedürfnis zu erkennen und zu versprachlichen. Darin liegt eine zentrale Aufgabe der erwachsenen Begleiter:innen.

Wo fange ich an? – die eigene Sprache reflektieren …

Die eigene Sprache genauer unter die Lupe zu nehmen, erzählt uns zunächst etwas über uns selbst. Hinhorchen ist gar nicht so leicht, denn wir nutzen Sprache – vereinfacht gesagt – nicht selten automatisch. Beim Hinhorchen stellen wir möglicherweise fest: Ich bin eine Person, die viele Aufgaben mal schnell macht, schnell mal etwas holt, schnell mal die Windeln wechselt. Vielleicht bin ich eine Person, die einer neuen Aufgabe skeptisch mit einem „Das geht niemals! Ich kann das nicht.“ begegnet. Vielleicht bin ich eine Person, die sich bewusst Zeit für Aufgaben nimmt, oder eine, die einer neuen Aufgabe lächelnd mit einem „Ich weiß noch nicht wie, aber es wird gelingen.“ begegnet. Was auch immer die Glaubenssätze oder Mindsets sind, die wir uns angeeignet haben: Sie drücken sich in unserer Sprechweise aus. Wenn eine Person eigene Schwächen nicht zulassen oder schon gar nicht anderen offenbaren möchte, lebt sie danach und sagt sich selbst innerlich so etwas wie „Ich muss das (allein) schaffen.“ Umgekehrt mag eine Person, die auf sich vertraut und sich zugesteht, auch Unterstützung anderer zu benötigen, eher zu sich sagen: „Die Aufgabe ist schwierig. Dafür hole ich mir Hilfe, und gemeinsam finden wir eine Lösung.“

… und verändern – Verantwortung übernehmen

Wir sind unseren Glaubenssätzen nicht ausgeliefert, wir können sie überprüfen und gegebenenfalls verändern. Starke und positive Mindsets beeinflussen die Sicht auf die Welt, und sie tun uns mental gut. „Wichtig ist es, sich aus seiner Opferhaltung zu befreien und Verantwortung zu übernehmen. Es geht darum, sich bewusst zu machen: Ich bin selbst der Entscheidungsträger für jedes Wort und jede Tat. (Wedewardt 2022, S. 15). Das nennt man auch innere Freiheit, wie sie in der element-i Konzeption verankert ist. Und mit der Entscheidung, die eigene Sprache zu reflektieren und zu verändern, tun wir auch den Kindern Gutes. Wir signalisieren, dass wir uns um uns selbst sorgen, mit uns selbst achtsam umgehen, an manchen Tagen schwach und an anderen Tagen stark sind, dass wir uns Fehler zugestehen, engagiert und mit echter Anstrengung den Tag gestalten, nach Lösungen suchen usf. Der reflektierte Umgang mit sich selbst kann ein Schlüssel sein, Kindern ein authentisches Vorbild zu sein – eines, das sich selbst gut umsorgt. Sprachlich betrachtet, wird aus einem zu raschen „Stell dich nicht so an.“ ein gelungener Dialog mit dem Kind. Wir ergründen mit dem Kind, was es empört und verzweifeln lässt, und finden heraus, was nötig ist, um die Situation zu verändern oder im Moment so zu lassen. Aber sie in jedem Fall zu gestalten. Das kann Kindern dabei helfen, positive Glaubenssätze zu entwickeln und Verantwortung für sich zu übernehmen.

Wer sich auf die Reise nach der eigenen Sprache und den darin verankerten Mindsets begibt, der braucht Nachsicht mit sich selbst, dem hilft ein fehlerfreundliches Denken – und Übung, Übung, Übung. Denn dann wird man in der Kita wirklich was erleben.

Mehr von Christina Henning

Literatur: 

Boroditsky, Lera (2012): Wie die Sprache das Denken formt. Spektrum der Wissenschaft. Abrufbar unter https://nikklaus.files.wordpress.com/2013/02/sdw_2012_4_s30.pdf (zuletzt aufgerufen am 17.4.2023) 

Kuss, Melanie (2021): Achtsamkeit. Abrufbar unter: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/achtsamkeit/index.html (zuletzt aufgerufen am 17.4.2023) 

Strobach, Susanne (2014): Achtsamkeit. In: Pousset, Raimund (Hrsg.): Handwörterbuch Frühpädagogik. Mit Schlüsselbegriffen der Sozialen Arbeit. 4., erweiterte Auflage. Cornelsen: Berlin 

Wedewardt, Lea (2022): Wörterzauber statt Sprachgewalt. Achtsam sprechen in Kita. Krippe und Kindertagespflege. Herder: Freiburg i. Br. 

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