Jedes Kind ist anders: Wie Eltern unnötige Vergleiche vermeiden

Entwickelt sich mein Kind altersgemäß? Benötigt es eventuell besondere Unterstützung? Mache ich alles richtig? Diese Fragen sind für Eltern mit Kindern im Baby- und Kleinkindalter besonders präsent. Daher verwundert es nicht, dass in Krabbel- und Kitagruppen das Vergleichen losgeht nach dem Motto: „Laura läuft schon seit fünf Monaten und unser Jens krabbelt immer noch. Ist das normal?“ Im Netz klagen manche Mütter über einen regelrechten Eltern-Wettstreit um die Fortschritte der Kinder. Wie soll es da gelingen, Kindern gelassen ihr jeweils eigenes Tempo zuzugestehen?

Ich erinnere mich noch gut an die Krabbelgruppe, zu der ich mit unserem Sohn ging, als er noch ganz klein war. Ich war sehr froh, diese Gemeinschaft gefunden zu haben, denn in der ersten Zeit alleine zuhause mit Kind fiel mir die Decke auf den Kopf. Der Austausch mit anderen in der gleichen Lebenssituation tat gut.

Mein Sohn verhält sich anders

Eine Sache jedoch fand ich schwierig. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, was unser Sohn tat und konnte und was andere Kinder machten. Während sich die anderen bei gemeinsamen Spielchen, Reimen, Liedern und Co. wohlzufühlen schienen, machte unser Sohn schnell schreiend darauf aufmerksam, dass er solche Freizeitaktivitäten gar nicht schätzte. Witzig? – Das fand ich damals nicht. Ich quälte mich mit folgenden Fragen: „Stimmt etwas mit unserem Sohn nicht? Was mache ich falsch?“

Erfolgsmeldungen anderer Eltern

Vielen anderen Müttern (und natürlich auch Vätern) geht es genauso. Im Internet finden sich zahlreiche Berichte darüber. Vor allem wenn andere Eltern stolzgeschwellt von den Erfolgen ihrer Kinder erzählen – „Max kann sich schon selbstständig umdrehen.“, „Mia krabbelt jetzt.“, „Thea läuft schon!“ – fangen die Selbstzweifel an: „Oh, das kann mein Kind noch nicht! Habe ich es nicht genug gefördert? Sollte ich mit ihm zum Arzt oder zur Ärztin?“

„Wann hört der Wettstreit endlich auf?“

Manche Mütter und Väter erleben, dass die Fortschritte der Kinder in einem regelrechten Wettkampf der Eltern münden und leiden darunter. Eine schreibt im Forum „Rund ums Baby“ (https://www.rund-ums-baby.de/kleinkind/Diese-nervigen-Vergleiche_125176.htm ): „Ich habe die Pekip-Gruppe verlassen, weil es sich um nichts anderes drehte, und in der Krabbelgruppe ist es nicht anders gewesen. Jetzt sind die Großen vier und es wird eigentlich immer schlimmer.“

Expert*innenrat: Take it easy

„Bleibe gelassen und vertraue deinem Kind. Es findet seinen Weg“, lautet dann der Ratschlag von Fachleuten. Denn jeder Mensch habe sein eigenes Entwicklungstempo. Schließlich seien wir alle unterschiedliche, unverwechselbare Persönlichkeiten. Sich selbst und damit oft auch das Kind unter Druck zu setzen, sei kontraproduktiv.

Damit haben die Ratgeber*innen sicherlich recht. Inzwischen erscheinen auch mir meine damaligen Sorgen lächerlich. Aber könnte ich es heute anders?

„Alles wir gemessen und geprüft“

Britta Jochum aka Frau Freigeist beschreibt auf ihrem Blog (https://www.fraufreigeist.de/kindliche-entwicklung-3-grunde/) übers Kinderkriegen: „Heutzutage geht es nur um Zahlen, alles wird in irgendwelche Statistiken gepackt, für alles gibt es Tabellen, Rechner etc. Jetzt als Mama fällt mir (…) besonders auf. Es ging doch in der Schwangerschaft schon los. Ständig könnte man sich Sorgen machen, weil das Baby in Schwangerschaftswoche 15 nicht so groß ist wie der Durchschnitt oder weil es sich in Schwangerschaftswoche 30 nicht genug bewegt beim Ultraschall usw. Kaum ist das Kind auf der Welt, geht es weiter. In den U-Untersuchungen wird die kindliche Entwicklung auf Herz und Nieren geprüft. Getestet, ob das Kind schon kann, was ‚alle‘ Kinder in seinem Alter können sollten.“

Motto: Bloß nichts verpassen!

Kann es da verwundern, dass viele Eltern mit Argusaugen überwachen, ob sich ihre Kinder altersgerecht entwickeln und dabei auch andere Kinder des gleichen Alters als Maßstab heranziehen? Kindliche Entwicklung, so vermitteln es nicht nur Mediziner*innen, scheint verletzlich und immer von Scheitern bedroht zu sein. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass sie automatisch gut verläuft. Als Erwachsene müssen wir dieser Sichtweise zufolge daher auf der Hut sein, um kindlichen Defiziten rechtzeitig mit geeigneten Therapien beikommen zu können. Das Vorgehen hat durchaus seine Berechtigung. So ist es, um nur ein Beispiel zu nennen, entscheidend für die Sprachentwicklung eines Kindes, eine mögliche Hörschädigung rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Des Guten zu viel?

Allerdings scheint mir, dass wir oft des Guten zu viel tun. Kaum ein Kind, das heutzutage nicht der „Optimierung“ bedarf, das keine Ergotherapie oder Logopädie, keine Zahnspange und keine Einlage benötigt. Als unser Sohn mit fünf noch „drün“ statt „grün“ sagte, wurden wir mit ihm zu Logopädin geschickt. Später habe ich mich gefragt, ob er das nicht auch allein hinbekommen hätte. Aber man weiß ja nie.

Null Toleranz für Abweichungen

In einer Zeit, in der immer mehr Menschen zum Beispiel ihren Puls und Blutdruck, ihr Schlafverhalten und die Schritte, die sie täglich tun, per App aufzeichnen, alles regelmäßig kontrollieren und mit Normwerten vergleichen, sinkt, meiner Beobachtung nach, die Toleranz für Abweichungen. Wir kontrollieren und messen uns und unsere Kinder so lange, bis wir vermeintlich Krankhaftes oder Ungenügendes entdecken. Ich finde, das ist eine bedenkliche Entwicklung. Etwas mehr Vertrauen in die Weisheit der Natur wäre sicherlich heilsam.

Mein Tipp: Gelassene Vorbilder suchen

Mit der Gelassenheit ist es für junge Eltern also nicht so einfach. Mütter und Väter, die mehrere Kinder haben, berichten oft, dass sie mit jedem weiteren Kind unaufgeregter wurden. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sie beim zweiten, dritten oder vierten Kind vieles schon aus Erfahrung wissen und sich in der Elternrolle immer souveräner bewegen. Daher mein Tipp für Erstlingseltern: Suchen Sie sich erfahrene Eltern, deren Erziehungsstil sie schätzen, sprechen Sie mit ihnen und schauen Sie sich etwas ab. 

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