Digitalisierung im Kinderzimmer? – Wie Eltern mit Bildschirmmedien umgehen können

Um es gleich zu sagen: Eine Patentlösung gibt es nicht. Selbst Fachleute sind uneins, in welchem Alter Kinder reif sind für digitale Medien. Auch die, die Bildschirmmedien bereits im Kita-Alter befürworten, sagen klar: Der Umgang von Kindern mit den Geräten ist risikobehaftet. Mein Votum nach allem Für und Wider: Eltern sollten es langsam angehen lassen. Ihre Kinder verpassen nichts, wenn sie erst im Grundschulalter lernen, ein Handy oder Tablet zu bedienen.

Gehören Smart-Phone, Tablet & Co. in die Hände von Kindern im Vorschulalter? Wann sollten Eltern ihren Nachwuchs an digitale Medien heranführen?

Digitale Medien gehören heute zum Alltagsleben

Ich denke, die meisten Familien haben schon Fakten geschaffen, bevor diese Fragen überhaupt auftauchen. Denn die Geräte gehören zum Leben der Eltern mittlerweile so selbstverständlich dazu, dass Kinder damit automatisch in Kontakt kommen. Und klar, dass sie schauen wollen, was da so interessant ist, was da spricht und piepst. Dass die Eltern dann zeigen, was das Gerät alles kann und macht, ist nur natürlich. Sie installieren vielleicht sogar die ersten Spiel- und Lernapps für ihre Kinder. Und ganz schnell sind sie mitten im Thema. Immer öfter fragen die Kinder: „Darf ich ans Handy/ans Tablet/an den Computer?“ „Ja, aber nur ein Spiel, nur zehn Minuten“, antworten die Eltern und wissen schon, dass es Geschrei und Geheule gibt, wenn sie kurze Zeit später sagen: „Deine Handy-/Computerzeit ist vorbei!“

Sind Bildschirmmedien gefährlich für Kinder?

Dann stehen die Fragen im Raum, die schon Gegenstand zahlloser Elternabende und Info-Veranstaltungen waren: „Schadet der Medienkonsum meinem Kind?“, „Wieviel ist vertretbar?“, „Wie finden wir in unserer Familie einen Umgang damit, der möglichst stressfrei ist und in unseren Alltag passt?“

Argumente von Wissenschaftler*innen

Das haben Sie sicherlich auch schon gemerkt: Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Selbst Wissenschaftler*innen sind sich nicht einig. Viele Psycholog*innen und Pädagog*innen raten dazu, bis zum Ende der Grundschulzeit zu warten, und Kinder erst dann an Bildschirmmedien heranzuführen. Fachleute aus Medien-Design, Medien-Produktion und Medien-Pädagogik sprechen sich dagegen oft für einen Beginn der Mediennutzung im Kitaalter aus.

Ich fasse mal die (aus meiner Sicht) wichtigsten Argumente beider Seiten zusammen:

Verfechter*innen einer frühen Nutzung digitaler Medien sagen:

  • Digitale Medien gehören sowieso zum Alltag der Kinder.
  • Medienkompetenz wird in der Schule zu einem gewissen Grad vorausgesetzt.
  • Für die Altersgruppe geeignete Apps unterstützen Lernprozesse und können hilfreiche Werkzeuge sein.
  • Die Risiken sind kalkulierbar, wenn Erwachsene Regeln aufstellen und sich daran halten.

Befürworter*innen einer späten Einführung digitaler Medien argumentieren:

  • Junge Kinder benötigen ein Umfeld, das sie mit ihren Sinnen erfahren, sehen, anfassen, riechen, schmecken und hören können. Nur so können sie ein Verständnis von sich und der Welt entwickeln. Ein zweidimensionaler Bildschirm kann sie beim Lernen nicht unterstützen.
  • Bildschirmphasen sind nahezu bewegungsfreie Zeiten. Dabei spielt Bewegung bei Kindern eine wichtige Rolle für die Gehirnentwicklung, die Körperwahrnehmung und das Selbstwirksamkeitsempfinden.
  • Digitale Medien verringern die natürliche Lernbereitschaft und die Konzentrationsfähigkeit. Sie überfordern das Stammhirn, lassen die Kinder übellaunig und unausgeglichen zurück und wirken sich negativ auf die Schlafqualität aus.
  • Medienkompetenz im Sinne einer technischen Fähigkeit können auch recht junge Kinder bereits erwerben. Gefragt ist jedoch eine Medienmündigkeit, bei der der Mensch das Medium beherrscht und nicht umgekehrt. Das überfordert selbst viele Erwachsene – Kinder erst recht.

Mein Fazit: Bildschirmmedien bergen erhebliche Risiken für Kinder – je jünger sie sind, desto mehr. Und der Nutzen, der dem entgegenstehen soll, erscheint mir fraglich. Doch wie realistisch ist es, digitale Geräte aus dem Alltag eines Kleinkindes zu verbannen? Wer möchte nur abends, wenn das Kind im Bett ist, das Handy herausholen oder den Computer anschalten? Das heißt: Die Geräte sind Bestandteil des Alltags der Kinder. 

Erwachsene als Vorbilder

Doch wir Erwachsenen haben es in der Hand, den digitalen Endgeräten eine untergeordnete Rolle zuzuweisen, sie nicht unseren Alltag bestimmen zu lassen. Das bedeutet, den eigenen Umgang mit Handy & Co. zu hinterfragen. Hand aufs Herz: Wie oft muss sich Ihr Kind Ihre Aufmerksamkeit mit Ihrem Smart-Phone teilen? Sie schauen nur mal schnell, wer da gerade geschrieben hat, und just in der Zeit läuft vielleicht ein Kommunikationsversuch Ihres Babys ins Leere. Passiert das regelmäßig, wird Ihr Kind seine Versuche, eine sichere Bindung zu Ihnen aufzubauen, irgendwann frustriert aufgeben. Vielleicht machen Sie es sich zur Regel, Ihr Handy beiseitezulegen, wenn Sie sich um Ihr Kind kümmern?

Und so geht es oft weiter: Telefon am Ohr, während Sie Ihrem Kind in den Anorak helfen? Den Nachwuchs schnell vor dem Computer oder Fernseher parken, um noch eine E-Mail zu schreiben? – Wir wissen eigentlich alle, dass das No-gos sind. Doch wenn die Alltagsfalle mit ihren vielfältigen Anforderungen zuschnappt, greifen wir immer mal wieder zu solchen Not-Lösungen. So ging es mir wenigstens. Doch eines sollten wir nicht tun: Vor der Macht des Faktischen kapitulieren, den Weg des geringsten Widerstandes wählen, und es einfach so laufen lassen.

Wichtig: Regeln aufstellen und einhalten

Als Erwachsene haben wir es in der Hand, Regeln aufzustellen, sie selbst einzuhalten und auch in einer möglichen Auseinandersetzung mit dem Kind daran festzuhalten. So könnten die Regeln für den Umgang mit Bildschirmmedien in der Familie aussehen:

  • Kinder im Kita-Alter erhalten keine eigenen Bildschirmmedien.
  • Sie benutzen Geräte der Eltern unter deren Aufsicht.
  • Ihnen steht dafür ein maximales tägliches bzw. wöchentliches Zeitkontingent zur Verfügung (z.B. zehn Minuten pro Tag), das mit zunehmendem Alter erhöht wird.
  • Die Eltern stellen sicher, dass die Kinder nur Inhalte sehen und Spiele spielen, die für ihr Alter geeignet sind.
  • Die Eltern interessieren sich für die Erfahrungen, die Kinder mit den Medien machen, schauen (teilweise) mit und sprechen mit den Kindern über die Inhalte.

Was mir noch wichtig zu sein scheint: Mutter und Vater sollten sich einig sein, wie sie mit dem Thema umgehen möchten und die Regeln gemeinsam formulieren. Alles andere sorgt für zusätzlichen Stress.

So macht es mein Kollege

Da mein Sohn schon älter ist, und das Thema vor 20 Jahren, als er Kindergartenkind war, noch kaum relevant war, habe ich meinen Kollegen Salim Zitouni gefragt, wie er es zuhause mit der Medienerziehung hält. Er berichtet:

„Unsere Tochter ist dreieinhalb Jahre alt und darf nur am Wochenende pro Tag ein bis zwei Videos mit jeweils rund 15 Minuten auf Youtube ansehen. Sie liebt die Geschichten von Pettersson, einem alten Mann, und seinem Kater Findus. In der Kita sprechen die Kinder darüber, was sie sehen, und unsere Tochter kommt manchmal mit neuen Ideen nach Hause. Ich checke dann zunächst, ob ich denke, dass das für ihr Alter okay ist. Unsere Tochter fragt regelmäßig, ob sie ein Video schauen darf. Wenn wir dann erklären, dass heute Pausentag ist, akzeptiert sie das aber meistens. Schwerer fällt es ihr, nach einer Episode aufzuhören. Sie ist dann so ‚angefixt‘, dass sie unbedingt weiterschauen möchte. Das führt regelmäßig zu Konflikten.
Dass wir keinen Fernseher zuhause haben, trägt sicherlich dazu bei, das Thema etwas zu entschärfen. Dafür sind da natürlich die Handys. Und ich bin als Online-Marketing-Manager sehr medienaffin. Da muss ich mich an die eigene Nase fassen, wenn mein Handy die Aufmerksamkeit meiner Tochter auf sich zieht. Daher plane ich Auszeiten ein, die wir als Familie zum Beispiel draußen in der Natur verbringen und bewusst medienfrei genießen.“

Ein Vater berichtet im Internet

Es gibt auch Eltern, die das ganz anders handhaben. Im Forum auf Urbia.de schreibt ein Vater: „Unsere hat ihr eigenes Tablet mit viereinhalb bekommen, vorher durfte sie auf meinem Handy spielen oder Fernsehen. Ich persönlich finde Fernsehen eher langweilig, war schon immer der Typ für Videospiele und so ist meine Tochter (mittlerweile fast sechs) auch. Mit drei durfte sie ca. eine halbe Stunde am Tag spielen oder Fernsehen. Jetzt haben wir keine Begrenzung mehr, meine Tochter hat auch mal Tage, wo sie eine Stunde Mario Kart auf der Switch mit uns spielt oder sich am Wochenende ein paar Disney-Filme reinzieht.“

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen!

Mein Eindruck: Manche Väter oder Mütter schließen beim Thema Medienkonsum von sich auf ihre Kinder. So nach dem Motto: „Hat mir nicht geschadet, dann wir es meinem Kind auch nicht schaden.“ Doch ich denke, dass die Rechnung nicht aufgeht. Keine Generation zuvor ist in dieser Weise mit digitalen Medien aufgewachsen wie die heutige. Und es ist sicher, dass Bildschirmmedien auf kindliche Gehirne eine andere, negativere Wirkung haben als auf die von Jugendlichen oder Erwachsenen. Die Zeit vor dem Handy, dem Tablet, dem Computer oder dem Fernseher hält sie von den Tätigkeiten ab, von denen sie nachweislich profitieren: vom Klettern, Raufen, Rennen, vom Bauen, Basteln, Malen, vom Spielen mit anderen, von Erlebnissen in der Natur oder auch von gemeinsamer Bilderbuch-Lektüre im eigenen Tempo.

Mehr von Eike Ostendorf-Servissoglou

Quellen:

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Wie Medien Kindern schaden können
https://www.kindergesundheit-info.de/themen/medien/mediennutzung/medien-gefahren/

Deutscher Bundestag; Wissenschaftliche Dienste: Zu den Auswirkungen der Nutzung digitaler Medien auf Kleinkinder in Kindertageseinrichtungen
https://fragdenstaat.de/dokumente/13139-wd-9-05018-zu-den-auswirkungen-der-nutzung-digitaler-medien-auf-kleinkinder-in-kindertageseinrichtungen/?page=1

Stiftung Zu-Wendung für Kinder: Was macht Digitalisierung mit unseren Kleinstkindern?
https://fuerkinder.org/blog/was-macht-die-digitalisierung-mit-unseren-kleinstkindern/

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Apps und Co: Welche digitalen Medien eignen sich für Kinder?
https://www.fruehe-chancen.de/themen/digitalisierung/apps-und-co-welche-digitalen-medien-eignen-sich-fuer-kinder

Paula Bleckmann: Kleine Kinder und Bildschirmmedien
https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_Bleckmann_2014.pdf

Diskussion „Mediennutzung“ auf urbia.de: https://www.urbia.de/forum/4-kindergartenalter/5625548-mediennutzung

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