Vielfalt leben: Rassismuskritische Erziehung und Bildung von Anfang an

„Du kannst nicht mit uns spielen. Deine Haut sieht aus wie Kacka! So sieht Elsa nicht aus, geh weg.“ Greta (4 Jahre) bleibt enttäuscht und traurig im Türrahmen des Rollenspielzimmers stehen. Sie hätte so gerne mit Tim (5) und Lea (4) gespielt. Wieso kann sie nicht aussehen wie ihre Freunde oder Elsa? Eine Pädagogin hat die Situation beobachtet und wendet sich hilflos ab. Greta weint schließlich nicht, und die zwei anderen Kinder haben es ja sicher nicht so gemeint. Kinder sind doch nicht rassistisch, oder?

Es ist ein Zeichen normaler und gesunder Entwicklung, dass Kinder Unterschiede zwischen Menschen wahrnehmen und diese benennen. Durch die kindliche Unvoreingenommenheit, Themen direkt und unverfälscht anzusprechen, entstehen für die pädagogischen Fachkräfte vielfältige Möglichkeiten im Alltag, über ungewohnte Sachverhalte mit Kindern zu sprechen und sich darüber einem Themenfeld intensiv widmen zu können. Doch wie geht eine Pädagog*in mit kindlichen Aussagen um, die – wie im Beispiel – verdeutlichen, dass bereits Kinder mit Rassismus konfrontiert werden oder diesen reproduzieren? Wie lässt sich ein Anfang finden, um in solch einer Situation handlungsfähig zu bleiben und vor allem sich aktiv für die ausgegrenzten Kinder einsetzen zu können?

Hier sehe ich zwei zentrale Schwerpunkte:

1. Wenn man mit Kindern über Rassismuserfahrungen sprechen möchte, muss man im ersten Schritt wissen, was Rassismus ist. Ob und wie Rassismus wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, ob man selbst davon betroffen ist oder ob man sich Fachwissen darüber angeeignet hat.
2. Die natürliche und selbstverständliche Darstellung von Diversität als normalen Bestandteil des Alltags zu integrieren.

1. Was ist Rassismus?

Der vor allem durch die Rassenlehre legitimierte Kolonialismus hat dazu beigetragen, dass heute das Geburtsland eines Menschen und seine Hautfarbe maßgeblich entscheiden, welche Chancen dieser im Leben erhält (vgl. El-Mafaalani 2021, S. 37). Das lehrt uns die Geschichte des Rassismus. Ausschließlich weiße Wissenschaftler teilten im 18. und 19. Jahrhundert die Menschen nach Kriterien wie Hautfarbe, Schädelform und Haarfarbe in „Rassen“ ein und verknüpften diese mit negativen bzw. positiven Eigenschaften. Dieses Konstrukt setzte die Weißen an die Spitze der Menschheit und wertete andere ab (vgl. Apraku 2021, S. 14).

Aus heutiger Sicht ist die Erfindung der sogenannten „Rassen“ als machtpolitisches Instrument wissenschaftlich klar belegt. Dennoch ist die Rassifizierung von Menschen ein fortwährendes Konstrukt, das vor allem in Nordamerika, aber auch in Deutschland eine Grundlage für Diskriminierung und Ausgrenzung darstellt. In Deutschland erfahren Menschen zudem Rassismus aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen Religion, ihrer Abstammung bzw. geografischen Herkunft und weiterer wahrnehmbarer Differenzen, wie etwa einem sprachlichen Akzent (vgl. El-Mafalaani 2021, S. 19).

Besonders wirksam ist Rassismus auf diesen drei Ebenen (siehe die Begriffserklärungen dazu im Kasten):

• Individuelle Ebene: rassistische Witze, die BIPoC erfahren, aber auch entgegengebrachte Antipathien oder gewalttätige Übergriffe
• Institutionelle Ebene: Regeln, Gesetzgebungen, die für BIPoC eine Benachteiligung zur Folge haben
• Strukturelle Ebene: ungleicher Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, zu Bildung oder zur Gesundheitsversorgung

Ob und wie wir Rassismus wahrnehmen, hängt also davon ab, ob er uns Vor- bzw. Nachteile verschafft.

Wichtige Fragen, um den persönlichen Umgang mit Unterschieden zu erkennen, wären beispielsweise:

• Wie bewerte ich Hautfarben?
• Welche Begrifflichkeiten kenne ich und darf ich verwenden?
• Wie gehe ich mit Rassismus im Allgemeinen um?
• Welche Position vertrete ich? Bin ich selbst von Rassismus betroffen?
• Bin ich bereit für die Perspektiven derer, die von Rassismus betroffen sind und meine bisherigen Ansichten in Frage zu stellen?

Sich einzugestehen, dass man selbst (meistens ungewollt) Rassismus reproduziert oder diesen gar nicht erst bemerkt hat (beispielsweise in Kinderbüchern oder Kinderliedern), ist eine wichtige Erkenntnis und kann der Ausgangspunkt für Lernprozesse sein. Der persönliche Umgang mit Rassismus lässt sich verändern und kann zu einer Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders führen: „Viele Menschen hören bei Rassismus nur Verbote, aber eigentlich geht es um die große Chance, diese Welt gemeinsam besser zu machen“ (Tupoka Ogette 2022).

2. Wie erleben Kinder die Gestaltung von Diversität im Kinderhaus?

Bis zum dritten Geburtstag haben Kinder ein Bewusstsein davon, dass sich Menschen in ihrer Hautfarbe unterscheiden. Bereits in diesem Alter verknüpfen weiße Kinder und auch BIPoC-Kinder die weiße Hautfarbe vorrangig mit positiven Eigenschaften (vgl. Wagner 2017, S. 89). Fakt ist auch, dass Braune/ Schwarze (sic!) Kinder bereits ab dem frühkindlichen Alter erste Rassismuserfahrungen machen.

Wie reagieren die Erwachsenen auf die vom Kind benannten Unterschiede und auf die damit verbundenen Zuschreibungen? Ein erster grundlegender Aspekt, wie Kinder rassistisches Denken und Handeln lernen, ist das Verhalten der erwachsenen Bezugspersonen, der Eltern und anderer Betreuungspersonen. Durch sie erfahren und lernen Kinder, welche äußeren Merkmale in unserer Gesellschaft anerkannt und privilegiert sind. Wie im ersten Teil bereits beschrieben, ist es daher umso wichtiger, die verinnerlichten Vorurteile zu identifizieren und die eigene Haltung dazu zu überprüfen und ggf. zu verändern. Ganz zentral ist dabei die Verwendung einer diskriminierungssensiblen Sprache, um nicht unwissentlich Rassismus zu reproduzieren (siehe hierzu den Lesetipp im Kasten) und um aktiv auf Ungerechtigkeiten hinweisen und dazu Stellung beziehen zu können.

Zwischen 4 bis 6 Jahren entwickeln Kinder einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. In dieser Entwicklungsphase sollten rassistische Ungerechtigkeiten nicht übergangen, sondern benannt werden. Zu den Äußerungen des Kindes aus dem Anfangsbeispiel kann sich die Fachkraft klar positionieren und den Begriff Rassismus verwenden, wie etwa: „Ich wäre jetzt ganz schön traurig, wenn ich nicht mitspielen dürfte. Mir ist es echt wichtig, fair behandelt zu werden. Wisst ihr, dafür gibt es ein Wort, das nennt man Rassismus. Und das ist nie okay. Außerdem gibt es doch Schwarze Prinzessinnen, oder?“. Spätestens hier zeigt sich konkret, wieso eine diskriminierungssensible Sprache wichtig ist, wie in diesem Fall die korrekte Bezeichnung der Hautfarbe. Eine Erklärung, wieso eine bewusste Großschreibung des Begriffs zu einer zusätzlichen Wertschätzung beiträgt, findet sich im Kasten.

Um gesellschaftlich vorherrschende Narrative zu durchbrechen, benötigt es eine ehrliche und schonungslose Auseinandersetzung mit Projektinhalten, die an die Kinder vermittelt werden. Was wird transportiert, wenn z.B. Afrika als ausschließlich armer und hilfsbedürftiger Kontinent beschrieben wird oder als Kontinent mit Löwen, Elefanten in der Savanne? Kinder benötigen eine vielfältige und diverse Umgebung, damit eine rassismuskritische Bildung und Erziehung gelingen kann. In diesem Falle wäre zu fragen, wie Afrika als heterogener Kontinent dargestellt werden kann, vor allem seine Bevölkerung. Hilfreich kann es sein, im Team darüber zu reflektieren, wie ein vielfältiges, realitätsgetreueres Bild Afrikas vermittelt werden kann, und bereit dazu zu sein, sein Wissen weiterentwickeln zu wollen (vgl. Behmanesh 2021).

Somit meint ein Erleben von Diversität im Kindesalter eben erst im zweiten Schritt eine bewusste Entscheidung für vielfältige Spielmaterialien. Vielmehr geht es zunächst um die persönliche Kompetenz Erwachsener, sich mit seinen eigenen rassistischen Denkmustern auseinander zu setzen und diese aufzubrechen. Daraus kann dann die Selbstverständlichkeit resultieren, die Vorherrschaft weißer Puppen beenden zu wollen oder für eine diverse Kinderbuchauswahl zu sorgen.

Mehr von Lisa Baganz

Welcher Begriff ist wann angemessen?

Black, Indigenous and People of Colour (BIPoC) ist eine Selbstbezeichnung von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Sie bezieht unterschiedlichste Personen ein, die sich als nicht-weiß in einer weißen Mehrheitsgesellschaft definieren.

Der Begriff „weiß“ wird kursiv geschrieben, da er keine biologischen Eigenschaften und auch keine tatsächliche Hautfarbe bezeichnet. Er steht für ein gesellschaftliches Konstrukt, das weiße Menschen mit mehr Privilegien und Ressourcen ausstattet (vgl. Apraku 2021, S. 14).

Der Begriff Schwarz wird als Selbstbezeichnung von BIPoC bewusst so gewählt, auch mit dem großgeschriebenen “S”. Dies gilt als emanzipatorische Widerstandspraxis, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich als weiß gelesenen Gesellschaft zu markieren. Der Begriff grenzt sich bewusst auch von der sprachlichen Verwendung “nicht-weiß” sein ab, da hier das sogenannte Weißsein die Norm definiert und alles andere damit eine Abweichung der Normalität darstellt.

Tipps zum Weiterlesen

Antidiskriminierungsbüro u.a.: Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch (zum Downloaden bspw hier: Rassismuskritischer Sprachgebrauch – M – Menschen Machen Medien (ver.di) (verdi.de)

Josephine Apraku zeigt in ihren Büchern konkrete Zugänge und aktuelle Impulse auf, um Kinder antirassistisch begleiten zu können. Sie bietet Fachkräften und Eltern eine Basis, sich Grundlagenwissen und viele praktische Umsetzungstipps anzueignen, um BIPoC-Kinder zu empowern und weiße Kinder zu sensibilisieren:

Kinderbücher, die Erwachsenen Impulse geben, die eigenen Positionen zu überprüfen, sowie deutliche Argumente herausarbeiten, die man parat haben sollte, wenn einem Rassismus begegnet und um Kinder zu stärken, sind bspw.:

Antirassismus, Aufklärung und Empowerment von Saskia Hödl und Pia Amofa-Antwi.

Von Sonja Eismann und Naira Estevez. Empfohlen ist dieses Buch ab 10 Jahren, in gemeinsamer Betrachtung geht es aber schon ab dem Vorschulalter bzw. für Fachkräfte zur Vorbereitung von Impulsen oder Projektideen empfehlenswert.

Literatur

Apraku, Josephine (2021): Wie erkläre ich Kindern Rassismus? Rassismussensible Begleitung und Empowerment von klein auf. Berlin: Familiar Faces.

Behmanesh, Sorah (2021): Wie wir rassismuskritische Kinder “erziehen”. URL: Wie wir rassismuskritische Kinder „erziehen“ – TofuFamily (letzter Zugriff 28.8.22)

Boldaz-Hahn, Stefani (2017): Weil ich dunkle Haut habe … – Rassismuserfahrungen im Kindergarten. In: Wagner, Petra (Hrsgin.): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilbewusster Bildung und Erziehung. 4. Auflage. Freiburg: Herder.

El-Mafalaani, Aladin (2021): Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrechte bis zum rassismuskritischen Widerstand. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Fajembola, Olaolu; Niminidé-Dundadengar, Tebogo (2021): Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen. Weinheim Basel: Beltz.

Wagner, Petra (2017): Wie erleben junge Kinder Vielfalt? In: Wagner, Petra (Hrsgin.): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilbewusster Bildung und Erziehung. 4. Auflage. Freiburg: Herder.

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