Philosophieren mit Kindern – Ideen für die Praxis

„Wer nie Philosophie, richtige Philosophie, mit einem Kind oder einer Gruppe von Kindern betrieben hat, hat eine der schönsten Gaben, die das Leben zu bieten hat, verpasst. Ich schlage allen vor, diesem Mangel so schnell wie möglich abzuhelfen.“ (Matthews 1995, S. 5)

Wir sehen unsere Kinder als spielende und lernende Forscher und Entdecker. Sie beschäftigen sich mit allem, was sie umgibt, ergreifen so spielerisch ihre Welt, um sie zu begreifen und sich lernend in ihr zurechtzufinden. Mit jedem neuen Tag erobern sie sich die Welt Stück für Stück. Dabei stellen Kinder viele Fragen, die ihnen dabei helfen können, in dieser Welt Orientierung zu finden, Haltungen und Wertvorstellungen zu entwickeln und sich Meinungen zu bilden. Orientierung bekommen sie, in dem sie Sinn hinter ihrem Handeln und ihrem Dasein entdecken. Dafür sind (philosophische) Gespräche über die Fragen und Vorstellungen der Kinder unersetzlich. Genau darin liegen eine große Chance und Aufgabe des Philosophierens: Kinder dabei zu unterstützen, sich mit Argumenten und Urteilen über Entscheidungsfragen auseinanderzusetzen (vgl. Sinhart-Pallin/Ralla 2015, S. 5). Außerdem macht Philosophieren einfach Spaß! Man kann sich mit kleinen und großen Fragen des Lebens beschäftigen und dabei gemeinsam auf neue Antworten stoßen. Kinder erfahren so neben einer Orientierung auch eine Erweiterung des eigenen Horizontes und eine Förderung der Kreativität. Schauen wir uns an, wie Philosophieren im Alltag gelingen kann. Dazu möchte ich im Folgenden wichtige Aspekte zusammentragen, die für philosophische Gespräche im Kitalltag zu beachten sind:

Die Kita als Ort des Philosophierens

Kinder stellen Fragen zu Glauben und Gott, Tod und Leben, Zeit, Freundschaft, Mut, zum Ich oder dazu, was Glück ist. Wenn pädagogische Fachkräfte diese Fragen aufgreifen und als Anlass für Gespräche nutzen, ohne vorgefertigte Antworten zu geben, so kann die Kita zu einem Ort des Philosophierens werden. Denn so bietet sich für alle die Möglichkeit, weiter über ihre Fragen nachzudenken, eben zu philosophieren. Dazu sollte der Tagesablauf so angelegt sein, dass spontan geäußerte Fragen und Gedanken der Kinder aufgegriffen und zu gegebener Zeit vertieft werden können (vgl. Sinhart-Pallin/Ralla 2015, S. 31).

Am Anfang des Philosophierens steht eine Frage. So ist „die Frage […] das Eingangstor zum Reich der Kenntnis und Erkenntnis“ (ebd., S. 17). Aber wie wird aus einer Frage ein Thema? Eine Möglichkeit besteht darin, die Frage eines Kindes aus dem Alltag heraus aufzugreifen. Die zweite Möglichkeit besteht darin, den Kindern eine eigene Beobachtung/Erfahrung oder Frage anzubieten. Die Fragen sollten stets am Stand bzw. Verständnis der Kinder ansetzen oder durch die Brille der Kinder gestellt werden. Das heißt besonders, eigene Wissensvorsprünge nicht preiszugeben. Haben sich Fragen ergeben, über die philosophiert werden kann, geht es darum, bewusst Räume und Zeiten für die Auseinandersetzung mit den Fragen zu suchen. Das kann beispielsweise in einem Erzählkreis oder einem Impuls geschehen.

In der Literatur werden Gruppenstärken von maximal 6-8 Kinder empfohlen, sodass alle Kinder hinreichend intensiv einbezogen werden und zu Wort kommen können. In der Regel kann man mit Kindern ab dem vierten bzw. fünften Lebensjahr philosophieren. Die Teilnahme ist abhängig von der Aufgeschlossenheit gegenüber den Fragen und Themen und schließlich der Reflexionsfähigkeit des Kindes (vgl. ebd., S. 42).

Gespräche auf Augenhöhe führen

„Muss ich Philosoph sein, um mit Kindern philosophieren zu können?“, mag manche/r fragen. Um sich mit den Kindern dem Prozess, über etwas zu philosophieren, zu öffnen, braucht der Erwachsene ein echtes eigenes Interesse, zusammen mit den Kindern an dem Thema weiterzudenken und sich gleichzeitig in die Ideen der Kinder zum Thema einzudenken (vgl. ebd., S. 41ff).

Beim Philosophieren bestimmen die Kinder den Gesprächsverlauf. Der pädagogischen Fachkraft fällt eine begleitende, moderierende Rolle zu. Dabei ist es wichtig, die Kinder im Gesprächsverlauf inhaltlich nicht in eine bestimmte Richtung oder zu einer Lösung zu drängen, sondern ihre Gedankengänge mit Impulsfragen wie „Warum könnte das so sein?“ oder „Gibt es da auch Ausnahmen?“ zu unterstützen. Auch hilft es, Bezüge zwischen einzelnen Aussagen „Was hat das miteinander zu tun?“ herzustellen oder Positionen zu erfragen „Sind alle derselben Meinung?“. Herrscht zu große Einigkeit, kann man eine andere Perspektive einbringen oder die Kinder – altersangemessen – mit Überspitzungen irritieren. Wichtig ist es, dabei jederzeit ergebnisoffen zu bleiben (vgl. Zeitler 2010, S. 13).

Der Prozess des Philosophierens endet nicht unbedingt mit einer vermeintlich richtigen Lösung. Es steht der Prozess des gemeinsamen Auseinandersetzens in der Gruppe, mit all den Ideen der Kinder, im Vordergrund. Das eigene Interesse am Thema, der eigene Gesprächsanteil ist somit gerahmt durch die Bereitschaft, den Kindern den notwendigen Freiraum für ihre Gedanken zu lassen. Zeitler drückt dies so aus: „Ich versuche nicht mehr die Themen mundgerecht zu servieren, sondern bin neugierig auf die Gedanken der Kinder“ (2010, S. 19). Grundlegend stellt sich das Philosophieren mit Kindern als ein interaktives Verhältnis dar, in dem der Erwachsene den Kindern zur Seite steht – als Begleiter im Prozess des Verstehens der Welt. Fertige Lösungen und unser erwachsener Wissensstand haben hier keinen Platz. Wir wenden uns ergebnisoffen den Fragen und den darauffolgenden Antworten der Kinder zu.

Über den Wert des Philosophierens

Im Austausch mit den anderen Kindern über unterschiedlichste Dinge und im Präzisieren, Begründen und Hinterfragen der eigenen Ansichten lernen Kinder zu erkennen, was ihnen wichtig und wertvoll ist und warum das so ist. So lernen Kinder nicht nur sich selbst, sondern auch andere und deren Blick auf die Welt besser kennen. Sie erfahren, wie andere Kinder denken und fühlen (vgl. Zeitler 2010, S. 17f.). Die Kinder werden mit einer Kultur der Nachdenklichkeit vertraut gemacht, indem sie Raum und Zeit für ihre kindliche, spontane Nachdenklichkeit und den dazugehörigen Austausch in der Gruppe bekommen (vgl. Sinhart-Pallin/Ralla 2015, S. 13). Philosophieren ist dabei keine zusätzliche Aufgabe im Alltag, sondern eine bewusste Herangehensweise im Umgang mit Themen. Gleichzeitig werden sprachliche und soziale-emotionale Kompetenzen verfeinert. Und nicht zuletzt findet mit dem Philosophieren ein Stück Demokratieerziehung und Wertebildung statt (vgl. Zeitler 2010, S. 19).

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Literatur

Matthews, G. B. (1995): Die Philosophie der Kindheit. Berlin: Quadriga.

Sinhart-Pallin, D.; Ralla, M. (2015): Handbuch zum Philosophieren mit Kindern. Kindergarten, Grundschule, freie Träger. 2. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Zeitler, K. (2010): Siehst du die Welt auch so wie ich? Philosophieren in der Kita. Freiburg im Breisgau: Herder.

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