Wettkampf und Regelspiele in den element-i Kinderhäusern

Neulich im Bewegungsraum eines element-i Kinderhauses: Für eine altersheterogene Gruppe von Kindern sind vor allen Dingen die Bälle im Fokus. So kommen an diesem Vormittag in dieser Situation nicht nur die Kinder in Bewegung, sondern auch Bälle verschiedenster Formen und Größen. Große Gymnastikbälle, kleine Tennisbälle, leichte Tischtennisbälle, stachelige Igelbälle, weiche Softbälle, Basketbälle und natürlich Fußbälle.

Aus dem zunächst offenen Bewegungsangebot heraus entwickelt sich nach und nach das Bestreben einiger Kinder, ein Wettkampfsportspiel spielen zu wollen. Die Art des angestrebten Spiels kann dabei vielfältig sein und spielt für dieses Beispiel eine untergeordnete Rolle. Es könnte also ein Fußball-, Basketball, Brenn-, Völker- oder Handballspiel im Bewegungsraum unseres Kinderhauses entstehen. Es bilden sich zwei oder mehrere Mannschaften, die das ausgewählte Spiel spielen möchten.

Vorfreude und Motivation innerhalb der Kindergruppe sind groß, sodass das Spiel umgehend gestartet wird. Jedoch endet es bereits nach kurzer Zeit rasch und unerwartet. Die eben noch gefühlte Vorfreude und die Motivation sind geschwunden und haben anderen Gefühlen Platz gemacht: Frustration, Ärger oder Langeweile sind zu spüren. Die begleitenden Pädagog*innen nehmen die beschriebenen Emotionen im Raum sofort wahr und fragen sich. Wieso konnte sich die Stimmung im Bewegungsraum innerhalb kurzer Zeit ins komplette Gegenteil umkehren? Was ist geschehen, wie konnte es dazu kommen?

Bildungsbereich Bewegung & Sport

Die oben beschriebene Situation ist fiktiv und gleichzeitig ein Abbild der Realität. Sicherlich kennen Sie ähnliche Situationen aus Ihren Kinderhäusern, den Bewegungsräumen, den Gärten oder den Höfen. Ich möchte der Frage nachgehen, welche Faktoren dazu beitragen, dass derartige Situationen gelingen und keine der Beteiligten frustriert zurücklassen.

Der Bildungsbereich Bewegung & Sport ist im Kinderhaus für die Kinder in vielen Facetten erlebbar und wird durch eine verlässliche räumliche und materielle Verortung sicht- und spürbar. Die hohe Relevanz, die dieses Thema für die Entwicklung aller Kinder hat, rückt den Bildungsbereich beständig in den Fokus und erfordert die Beobachtung und Einschätzung der Entwicklungsschritte aller Kinder durch die Fachkräfte der Einrichtung, um so entwicklungsangemessene Explorations- und Erfahrungsmöglichkeiten für alle Kinder gestalten zu können.

Die Begrifflichkeiten, welche dem Bildungsbereich seinen Namen geben, sind in ihrer Charakterisierung zu unterscheiden und bilden somit die Inhalte des Bildungsbereichs und damit die Entwicklungsschritte von Kindern umfänglich ab. Mit fortschreitender Entwicklung lässt sich in den Kinderhäusern immer wieder beobachten, dass Kinder das beständige Interesse daran haben, freie Bewegungsformen um kognitive oder komplexe Bestandteile zu erweitern und sich so im gemeinsamen Wettkampf – als Individuum oder innerhalb einer Gruppe – zu messen. Wenn dies der Fall ist, rücken die so genannten Regel- und Wettkampfspiele verstärkt in den Blickpunkt der täglichen pädagogischen Arbeit. Diese sind jedoch kein Alleinstellungsmerkmal des Bildungsbereichs Bewegung & Sport und dennoch von einer hohen Relevanz.

Regelspiele

Regelspiele sind vor allen Dingen dadurch gekennzeichnet, dass das Reglement vor Beginn festgelegt oder verhandelt ist und diese Regeln im Verlauf des Spiels eingehalten werden. Durch die Einführung von Regeln werden vergleichbare Voraussetzungen geschaffen, die für alle Beteiligten gültig sind, die ein faires Spiel gewährleisten und so vor allen Dingen auch von Kindern unterschiedlichen Alters gemeinsam gespielt werden können. Das bedeutet damit, dass die individuellen Fähigkeiten keine Auswirkungen auf den Ausgang des Spiels haben müssen. Somit kann beispielsweise eine Partie „Mensch, ärgere Dich nicht“ problemlos von einer altersgemischten Kindergruppe gespielt werden.

Wettkampfspiele

Das Wettkampfspiel ergänzt die oben beschriebenen Merkmale schließlich darum, dass die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten für das Ergebnis bzw. den Ausgang des Spiels relevant werden. In Kombination mit einer Steigerung der Komplexität des Regelwerks steigt der kognitive Anspruch und zeichnet sich unter Umständen dadurch aus, dass die Fähigkeit zur Kooperation mit weiteren Mitspielenden gegeben sein muss. Das Individuum oder die Gruppe möchte durch spielerische Formen der Auseinandersetzung eine Messbarkeit erreichen, die erste Erfahrungen mit Gewinnen und Verlieren ermöglicht. Durch gemeinsam ausgehandelte Regeln lässt sich sicherstellen, dass die Ergebnisse des gemeinsamen Messens keine negativen Auswirkungen für die Beteiligten haben (Erfahrungen innerhalb der Leitlinie Resilienz sind dabei möglich).

Damit bieten Wettkampf- und Regespiele Kindern die Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung. Kinder lernen ihre eigenen Emotionen, aber auch die Gefühle anderer Kinder kennen und nehmen diese wahr. Somit stellt der beschriebene Themenkomplex einen Vernetzungspunkt zum Bildungsbereich Soziales Miteinander oder Resilienz dar.

Anhand des dargestellten klassischen Beispiels „Feuer, Wasser, Sturm“ (siehe Abbildung) lässt sich aufzeigen, wie sich je nach Alter der Kinder aus einem Regelspiel ein Wettkampfspiel entwickeln lässt bzw. wie die Komplexität altersangemessen gesteigert werden kann.

Die Aufgabe der bildungsbereichsverantwortlichen Fachkraft ist es nun zu erkennen, ob und welche Form des Spiels passgenau für die beteiligten Kinder ist oder mit welcher Intention die Kinder sich beteiligen wollen. So kann beispielsweise ein Fußballspiel von Kindern verschiedenen Alters aus verschiedenen Motivationen gespielt werden. Wenn Motivation und Intention nicht deckungsgleich sind, sollte die Ausgestaltung der Situation überdacht oder mit den Kindern besprochen werden. Diese Beobachtung und das pädagogische Handeln vor und während der Ausgestaltung der Situation sind maßgeblich dafür, ob die Kinder die Situation als positiv oder als frustrierend erleben. Wettkampf- und Regelspiele sollten im Alltag der Kinderhäuser ebenso ihren Platz finden wie Möglichkeiten zur freien Bewegung. Die Beobachtungsgabe der pädagogischen Fachkräfte ist der entscheidende Faktor und damit ein Qualitätsmerkmal der pädagogischen Arbeit.

Folgende Leitfragen können hier zur Reflexion herangezogen werden

  • Welche Erfahrungen verbinde ich mit Regel- und Wettkampfspielen? Sind sie für mich als Fachkraft positiv besetzt, oder verbinde ich weniger gute Erfahrungen damit?
  • Worum geht es den Kindern/dem Kind in der jeweiligen Situation?
  • Was sind die Themen der Kinder/des Kindes?
  • Was soll in meinem Bildungsbereich stattfinden? Bewegungsformen oder Bewegungsbaustellen, Sport oder Regel- und Wettkampfspiele?
  • Passen die kognitiven Anforderungen zu den beteiligten Kindern, oder besteht ein entwicklungsangemessenes Gefälle der nötigen individuellen Fähigkeiten/Fertigkeiten?
  • Welche Gruppenform ist aufbauend auf meine Erkenntnisse die passende (altershomogene oder altersheterogene Gruppe)?

Wenn Sie Regel- und Wettkampfspiele ausprobiert und Ideen für eine gelungene Umsetzung haben (gern auch mit Fotos zur Veranschaulichung), so senden Sie die Praxisimpulse gern an mich. Der eine oder andere Impuls wird sicherlich seinen Weg in den Newsletter finden.

Mehr von Jacob Hesselschwerdt

 

Literatur

Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart

Zimmer, Renate (2020): Handbuch Bewegungserziehung: Grundlagen für Ausbildung und pädagogische Praxis. Freiburg: Herder

Böcker, Nicola (2011): Bewegungsentwicklung & Sprache bei Kindern von 0 – 3 Jahren. München: Deutsches Jugendinstitut

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