Zeitorientierung (Teil 2): Das Marshmallow-Experiment

Im ersten Teil wurde die Thematik „Zeitperspektive“ aufgegriffen. Nach Zimbardo und Boyd, die knapp 30 Jahre zu diesem Thema forschten und weiterhin forschen, unterscheidet man zwischen sechs Perspektiven. 

Die Zeit ist ein Medium, welches meist nur in ganz expliziten, besonderen Momenten wahrgenommen wird. Im Stau oder bei einem langweiligen Vortrag scheint jede Sekunde eine Ewigkeit zu dauern. Dagegen sind Momente, welche wir positiv in Erinnerung behalten haben, gefühlt in Sekundenschnelle vergangen: die Hochzeit, das Aufwachsen der Kinder, ein Workflow, Hobbys, Urlaub. Spricht man über Zeitperspektiven, spricht man gleichzeitig über eine Lebenseinstellung, ja, vielleicht sogar einer Lebensphilosophie. 

Menschen, die aus der „positiven Vergangenheit“ zehrenhaben gelernt, die Vergangenheit aus einem bestimmten Blickwinkel zu sehen und die Vergangenheit anzuerkennen als das, was sie ist: vergangen. Aus dieser Perspektive heraus werden Fehler zu Chancen, Fehltritte zu Erfahrung, Streit zu Beziehung. Diese Zeitperspektive hat nichts Endgültiges und bietet stets die Erweiterung des eigenen Horizonts. Eine für mein Empfinden sehr energetische Perspektive. An dieser Stelle könnten wir einen kleinen Blick in die element-i Konzeption wagen. 

Um sein Leben sinnvoll und stimmig in einer Gesellschaft, die sich nicht in individualisierter Beliebigkeit auflöst, gestalten zu können, braucht es die Fähigkeit, für sich einzustehen, die Folgen seiner Entscheidungen für sich und andere mitzudenken und aktiv zu bejahen und umzusetzen. Damit eng verbunden ist auch die Notwendigkeit, immer wieder Unsicherheiten auszuhalten und/ oder sich neu auszurichten, an Veränderungen anzupassen und geistig in Bewegung zu bleiben. „Echte“ Freiheit ist eine individuelle Verantwortung und anspruchsvolle Aufgabe, die stetig die Mobilisierung innerer Kräfte erfordert“. (Auszug aus der element-i Konzeption)

Wie bereits erwähnt, ist die vergangene Zeit durch nichts aufzuholen. Was bedeutet diese Perspektive also für die Zukunft? Was bedeutet die Zeitperspektive für künftige Entscheidungen, die wir treffen? Diese Fragen lasse ich gerne unbeantwortet und überlasse es Ihnen, sich diesem Gedankenkonstrukt anzunehmen und möglicherweise das ein oder andere Lebensszenario gedanklich durchzuspielen. 

Das Marshmallow-Experiment

Das Experiment ist denkbar einfach: Den Kindern wird ein Marshmallow angeboten und ihnen wird gesagt, dass sie die Möglichkeit haben, diesen direkt zu essen oder zu warten, dann bekommen sie einen zweiten. Es gibt an dieser Stelle kein gut oder schlecht. Dieses Experiment stammt aus den 1960er Jahren und wurde ursprünglich von Walter Mischel durchgeführt. Proband*innen waren Kinder im Alter zwischen 4-6 Jahren. Interessanter als das eigentliche Experiment ist der Werdegang der Kinder. Es wurde statistisch ermittelt, dass jene Kinder, die auf den zweiten Marshmallow warten konnten, im weiteren Lebensverlauf auf verschiedenen Ebenen signifikant erfolgreicher waren (Mischel, 2014)Wie kommt das? 

Die Kinder waren bereits in der Lage, aus einer Zukunftsperspektive heraus zu agieren, abzuwägen und für sich die Entscheidung zu treffen, zu warten, um dann den doppelten Gewinn zu generieren. Die Opportunitätskosten sind an dieser Stelle „Zeit“. Für einen Hedonisten wäre es an dieser Stelle keine Option, auf ein zweites Marshmallow zu wartenwenn der sofortige Genuss so nah ist. Oder anders formuliert: „Warum warten, wenn ich schon jetzt das haben kann, was ich eigentlich will? 

Unser Auftrag an dieser Stelle kann sein, den Kindern unsere kognitiven Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um mit ihnen in einen Diskurs darüber zu gehen, welche Entscheidungsmöglichkeiten es gibt und was dies, auch in Bezug auf Zeitperspektiven, in der Konsequenz bedeutet. Ganz gleich, welche Zeitperspektive eigenommen wird, je nachdem, welcher Zeitperspektive gefolgt wird, entwickelt sich eine Einstellung im Hinblick auf das eigene Leben. Und das ist es doch, was wir erreichen möchten. Dass die Kinder „Ja!“ und „Nein!“ sagen und lernen, voller Überzeugung und Selbstverständnis. Schreiben Sie mir Ihre Gedanken und Rückfragen zum Thema gerne in die Kommentare. Fortsetzung folgt… 

Literatur:
Mischel, Walter (2014): The Marshmallow Test Matering self-control. Abrufbar unter:

http://cimbaitaly.com/wp-content/uploads/sites/6/2015/03/book_club_october14.pdf (zuletzt aufgerufen am 28.6.2020) 

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