Portfolios in der Kita – Bildungsbuch statt Fotosammlung

Wie viele andere Wörter ist auch das Wort Portfolio aus dem Lateinischen abgeleitet. Portare bedeutet tragen; folium ist das lateinische Wort für Blatt. Somit bezeichnet das Portfolio eine Sammlung von Blättern – von wichtigen Blättern! Zunächst wurde der Begriff in der Kunst benutzt, hat seinen Weg über die Wirtschaft genommen und ist seit etwa 20 Jahren in der pädagogischen Arbeit in Kitas angekommen.

Mit dem Portfolio wird die Entwicklung eines Kindes – seine Lerngeschichte in Krippe, Kindergarten und Hort – dokumentiert (vgl. Wagner 2018, S. 34). Darüber hinaus geben Portfolios auch Auskunft über die Lebenssituation eines Kindes, über seine Vorlieben und Interessen. Einerseits lernen die begleitenden Pädagog*innen ein jedes Kind mit dem Portfolio immer besser kennen, wissen, wie es lernt und welche neuen Kompetenzen es kürzlich erworben hat. Andererseits können pädagogische Angebote daraus abgeleitet oder Lernumgebungen geschaffen werden, um einem Kind den vor ihm stehenden Entwicklungsschritt zu ermöglichen.

Wie passt Portfolio-Arbeit zu den I´s der element-i Pädagogik?

In der Auswahl der Beobachtungs- und Dokumentationsinstrumente hat das Portfolio einen wichtigen Platz. Mit großer Wertschätzung und ressourcenorientiert werden Entwicklungsschritte oder kleine Geschichten übers Kind festgehalten. In Summe mit kommentierten Fotos oder Foto-Storys, mit Briefen an das Kind (sehr beliebt sind die Seiten mit den Erinnerungen an die Eingewöhnung), mit Seiten, die von der Familie gestaltet werden, ergibt sich ein individuelles Bildungsbuch des Kindes (Wagner 2018, S. 33, betrachtet das Bildungsbuch als dem Portfolio sehr ähnliche Methode). Die ausgeprägten Interessen der Kinder werden wahrgenommen, beschrieben und bebildert. Das ist für jedes Kind von besonderer Bedeutung. Zeigt es doch, dass es in seiner Einzigartigkeit so angenommen wird, wie es ist. Das ist für ein Stück auf dem Weg zu einer reifenden Identität ein hohes Gut. Da werden die Fußballkünste des einen Kindes ebenso begeistert dokumentiert wie die feinmotorischen Kompetenzen eines anderen Kindes im Atelier. Die Ressourcen der Kinder sind die Grundlage der Betrachtung und damit auch leitend für die Angebote oder Impulse, die die Pädagog*innen planen.

Konstruktivistische Theorien geben der Portfolio-Arbeit eine solide Grundlage. Diese Theorien gehen davon aus, dass Kinder und auch Erwachsene sich ihre Kompetenzen in einem aktiven Prozesse selbst aneignen. Es ist demnach irrig anzunehmen, man könne Kinder bilden. Sie leisten diese Prozesse eigenständig – aufgrund ihrer Erfahrungen und ihrer genetischen Dispositionen. Besonders gut und leicht lernen wir alle, Erwachsene sind da ebenso gemeint wie Kinder, wenn wir aus unseren Ressourcen schöpfen und an erworbene Kompetenzen anknüpfen können. So wird Freude am Lernen – eine der Leitlinien der element-i Pädagogik – im besten Sinne sichtbar.

Wer ist der Adressat des Portfolios?

Das Portfolio ist Eigentum des Kindes. Das Kind soll jederzeit Zugang zu seinem Portfolio haben, aber nicht jedermann. Und es versteht sich, dass Pädagog*innen oder Besucher*innen des Kinderhauses nachfragen, ob sie ein Portfolio anschauen dürfen. Das Kind entscheidet auf jeden Fall bei dieser Frage mit. Je besser es dem Team eines Kinderhauses gelingt, die Kinder mit einzubinden bei der Portfolio-Arbeit, desto stärker zeigen Kinder auch, dass sie das Portfolio als ihr persönliches Buch begreifen. Für mich als Fachberaterin wird diese Haltung besonders transparent, wenn Kinder mir ihr Portfolio zeigen möchten. Es ergeben sich mitunter mit mir als nicht vertrauter Person gute Gespräche. Die Kinder erzählen mir, was sie erlebt haben, und ich frage nach: „Was habt ihr denn da gemacht?“, „Da hattest du mit Lukas und Zoe einen Turm gebaut. Wie hoch war der Turm denn?“ usw. Solche Momente sind Momente der Verbundenheit und Momente, Erlerntes zu festigen und eine Sprache für Erlebtes zu finden. Die Kinder erinnern sich an Geschehnisse, die sich ohne Portfolio rasch verflüchtigen könnten. Sie kommunizieren über das Portfolio, dass sie sich mit den Aktivitäten im Kinderhaus identifizieren, mit den Pädagog*innen und anderen Kindern.

Das Portfolio gehört auch den Eltern in ihrer Funktion als Erziehungsberechtigte. Sie haben jederzeit das Recht, das Portfolio mit nach Hause zu nehmen. Sie bestimmen nach Austritt des Kindes, ob das Portfolio zu Hause als das Bildungsbuch ihres Kindes seinen Platz findet oder der nachfolgenden Institution zur Verfügung gestellt wird. Von dieser Möglichkeit, die Potenziale des Portfolios in der nachfolgenden Bildungsinstitution zu nutzen, wird in Deutschland wenig Gebrauch gemacht. Da mag die Sorge mitspielen, das Portfolio könnte als Beleg für nicht vorhandene Kompetenzen dienen oder sogar einen defizitären Blick aufs Kind begünstigen. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft häufiger aus den Ressourcen des Kita-Portfolios im weiteren Bildungsweg von Kindern geschöpft wird (vgl. Viernickel/Völkel 2017, S. 153).

Für die Zusammenarbeit zwischen Kita und Elternhaus ist das Portfolio für einen weiteren Aspekt zentral: Mit der reflektierten Sicht auf das Kind, die sich im Portfolio widerspiegelt, können Eltern differenzierte Einblicke in die pädagogische Arbeit des Teams erhalten. „Eltern nehmen die Fachkräfte verstärkt in ihrer Professionalität als Bildungsbegleiterinnen und -begleiter sowie Arrangeurinnen und Arrangeure für Lernumwelten wahr“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 154). Diese Wahrnehmung geht weit über die auch wichtigen Informationen, was das Kind gegessen, mit wem es gespielt hat, hinaus.

Was unterscheidet das Portfolio von Sammelmappen?

In zahlreichen Kitas haben die Kinder Fächer oder Orte, an denen sie ihre Werke ablegen, Fundstücke vom Ausflug oder Mitgebrachtes aufbewahren. Diese Fächer oder Mappen haben ihre Berechtigung, die Kinder sammeln dort alles, was ihnen wichtig ist. Und diese Sammlung trägt ein jedes Kind von Zeit zu Zeit nach Hause. Die Sammlung unterscheiden sich jedoch vom Portfolio. Um die Bildungsbiografie eines Kindes nachzeichnen zu können, braucht es eine Idee davon, warum ein Blatt ins Portfolio gelangt. Welcher Entwicklungsschritt wird damit dokumentiert? Welche Erfahrung hat das Kind gemacht? Es werden demnach nicht einfach Produkte des Kindes abgelegt oder „Ergebnisse von Beobachtungen, sondern möglichst auch immer kurze Reflexionen, Notizen über Konsequenzen für die pädagogische Arbeit … und Aufzeichnungen darüber, was die Kinder selbst zu ihren Produkten oder Fotografien sagen“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 151).

Die Rolle der Pädagog*in?

Raker und Stascheit (2007, S. 19ff) unterscheiden prozessorientierte und ergebnisorienierte Portfolios. Im Kita-Alltag begegnen uns die zu den prozessorientierten gehörenden Lern- und Entwicklungsportfolios. Warum? Ein Ziel des Portfolios ist es, mit den Kindern über Lernwege zu reflektieren und neue Ziele mit ihnen gemeinsam zu entwickeln. Und dafür reicht es nicht aus, Fotos aufzukleben und abzuheften. Denn damit sammelte man mehr oder minder zufällige Produkte, die das ungute Gefühl verstärken könnten, wenig ergiebige Fleißarbeit zu leisten. Eine solche Sammlung geht an der Intention des Portfolios vorbei. Das Portfolio soll genutzt werden als Anregung für die nächsten Schritte pädagogischen Handelns. Und es soll ermöglichen, dass das Kind an seinen Lernwegen und Lerninhalten beteiligt wird. Dabei bleiben die Pädagog*innen die zentralen Begleiter*innen. Sie erweitern die Perspektiven des Kindes, indem sie neue Aspekte beleuchten. Sie stellen Fragen, die das Kind zum Denken anregen, oder stellen Informationen bzw. Material zur Verfügung. Sie schlagen Themen vor, die für das Kind unbekanntes Terrain bedeuten, das sich zu erobern lohnt. Sie schaffen Lernanlässe (vgl. Raker/Stascheit 2007, S. 31).

Was sollte im Portfolio enthalten sein – und was nicht?

In der Literatur wird bisweilen angeregt, das Portfolio in Kapitel zu gliedern, die Überschriften tragen wie „Das bin Ich“, „Das kann ich schon“, „Meine Familie und Freund*innen“ und weitere Rubriken (Raker/Stascheit 2007, S. 26).

In den element-i Einrichtungen haben wir uns auf ein chronologisches System verständigt, in dem regelmäßig vom ersten Tag an jeden Monat neue Seiten für jedes Kind hinzukommen. Da vermischen sich die oben genannten Rubriken. Üblicherweise beginnt das Portfolio mit der Beschreibung der Eingewöhnung. Des Weiteren finden sich folgende Möglichkeiten (vgl. Wagner 2018, S. 34):

  • Kommentierte Fotos von Aktivitäten oder aus dem Tagesverlauf
  • Kunstwerke mit Kommentaren vom Kind oder zum Entwicklungsschritt
  • Bildungs- und Lerngeschichten
  • Kleine Foto-Serien, die einen Lernweg nachzeichnen
  • Seiten übers Kind (vom Kind selbst, von den Erwachsenen)
  • Reflexionen mit dem Kind

Es werden auch die Produkte aufgezählt, die keine Platz im Portfolio haben sollten, wie Ausmalbilder (Mandalas), Fotos und Kunstwerke des Kindes (ohne jegliche Einordnung oder Reflexion), Beobachtungsbögen und ähnliches nicht verbundenes Material (ebd.). Diese Produkte tragen nicht zu einem Bildungsbuch bei, denn die Werke des Kindes an sich sagen noch nichts darüber aus, welchen Lernschritt ein Kind bewältigt hat.

Wie pflegt man ein Portfolio?

In unserem Qualitäts-Handbuch ist die Vorgabe von zwei Portfolio-Seiten für jedes Kind in jedem Monat. Solche Vorgaben bieten eine Orientierung, nützen jedoch nur bedingt, wenn die Pflichterfüllung im Vordergrund steht. Die Frage, was ins Portfolio gelangt und wie das Team sich organisiert und gegenseitig unterstützt, lohnt sich zu diskutieren.

Als hilfreich werden Mappen erachtet, die sich jede Pädagog*in anlegt, oder zentral im Haus zugängliche Ablagekästchen für alle Kinder. Dort wird Material, das ins Portfolio aufgenommen werden könnte, gebündelt: Fotos, Kunstwerke, mitgeschriebene Dialoge, Reflexionen mit den Kindern. Es wird im Alltag sicherlich vorkommen, dass Sie als Pädagog*in – wenn Sie sich Zeit für die Portfolio-Arbeit nehmen – nicht mehr wissen, warum Sie ein Foto, ein Kunstwerk aufgehoben haben. Seien Sie hier mutig und nutzen Sie den Austausch mit den Kindern, um zu entscheiden: Kommt das Werk ins Portfolio? Was notieren Sie dazu? Oder entscheiden Sie mit dem Kind, dass dieses Detail nicht wichtig ist und entsorgt werden darf.

Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass der Fotoapparat stets verfügbar sein sollte. Damit halten Sie Situationen fest, die später für das Portfolio von Wert sein können. Notizblöcke oder die in den element-i Häusern vorrätigen A-5-Formulare für Beobachtungen gehören in jeden (Funktions-)Raum. Ihre Beobachtungen im Alltag aufzuschreiben, das lohnt sich: Melina hat sich zum ersten Mal die Schuhe allein angezogen, Marvin räumt Teller, Glas und Besteck nach dem Essen konzentriert auf den Wagen. Zoe türmt Bauklötze aufeinander und ist begeistert dabei.

Eine verbindliche Struktur hilft, sich gut zurecht zu finden. Manche Teams haben Listen mit allen Kindernamen, auf denen eingetragen wird, für welchen Bildungsbereich Portfolios vorliegen. Da mag es vorkommen, dass es für ein Kind viele Seiten im Bereich Bewegung gibt. Und das ist auch passend, wenn das Kind hier seine Stärken hat und viele Angebote/Impulse wahrnimmt. Im Austausch mit dem Kind ließe sich thematisieren, dass es in der Sprachwerkstatt Bücher zum Thema Ball und Ballspiele gibt. Es könnten neue Ideen mit dem Kind entwickelt werden, eine Einladung zum Impuls in den nächsten Tagen erfolgen. Das Portfolio kann in diesen Fällen zum Ideengeber für den nächsten element-i Bogen werden.

Regelmäßiges Arbeiten mit dem Portfolio kann nur begrüßt werden. Ob sich ein Team für einen wöchentlichen Turnus entscheidet oder sich anders organisiert, muss im Haus und mit der Teamleitung abgestimmt werden. Für manches Haus hat sich bewährt, eine Expert*in zu benennen, die in definierten Abständen die Portfolios sichtet und darauf aufmerksam macht, wenn Lücken zu groß werden, Bildungsbereiche nicht vertreten sind oder Diskrepanzen zwischen dargestellten Inhalten und Wahrnehmungen im Alltag bemerkt werden.

Das Fazit!

Das folgende Zitat legt die Bedeutung des Portfolios – berechtigterweise – groß an: „Im Portfolio finden die Kinder ein Stück ihrer eigenen Lebensgeschichte wieder und entwickeln so ein Verständnis von Vergangenheit und Zukunft, von Gewesensein und Werden und der Kontinuität der eigenen Existenz“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 154). Eine Fotosammlung mag schön anzusehen sein und hat ihren Sinn – ganz sicher! Ein Portfolio als Bildungsbuch mit Stationen des individuellen Lernens ist als Prozesswerkzeug unersetzlich und hoffentlich ein Impulsgeber für den weiteren Bildungsweg des Kindes.

Literatur

Raker, Katarina; Stascheit, Wilfried (2007): Was ist Portfolioarbeit? Verlag an der Ruhr: Mülheim a. d. Ruhr

Viernickel, Susanne; Völkel, Petra (2017): Beobachten und Dokumentieren im pädagogischen Alltag. 9. Auflage. Herder: Freiburg i. Br.

Wagner, Yvonne (2018): Das Praxishandbuch zum Beobachten & Dokumentieren. Kinder unter 3. Verlag an der Ruhr: Mülheim a. d. Ruhr

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