Gehe ich an einem Montag in eine Kindertageseinrichtung, kommt es immer wieder vor, dass mir Kolleg*innen Folgendes berichten: Am Verhalten der Kinder könne man erkennen, dass sie das Wochenende nur zu Hause und viel Zeit vor dem Fernsehen verbracht hätten. Die Kinder seien unruhiger, lauter und hätten einen erkennbar größeren Bewegungsdrang als an anderen Wochentagen. Entsprechend dem Verhalten und den Bedürfnissen der Kinder würde sich der Tagesablauf montags anders gestalten. Wenn ich diese Schilderungen weiterdenke, stelle ich mir eine Frage: Ist es nur der Montag, den wir verändern müssen?
Mediennutzung und motorische Fähigkeiten
Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir die Mediennutzung und die motorische Entwicklung von Kindern etwas näher angeschaut. Kinder verbringen laut der Studie miniKIM viel Zeit mit digitalen Medien. Im Jahr 2014 verbrachten Kinder im Alter von zwei und drei Jahren bereits 34 Minuten und Kinder zwischen vier und fünf Jahren 52 Minuten täglich vor dem Fernseher – nicht einberechnet sind hier weitere digitale Endgeräte und passives Fernsehschauen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2014, S. 31). Zum Vergleich: bereits in diesem Alter ist die vor dem Fernseher verbrachte Zeit minimal höher als die Zeit, die ein Kind täglich mit Bilderbuchbetrachtungen verbringt. Bestätigung für die geschilderte Beobachtung von Pädagog*innen konnte ich ebenso finden. Im Vergleich der Wochentage verbringen Kinder am Sonntag die meiste Zeit mit und vor digitalen Medien (Feierabend/ Scolari 2019, S. 157).
Bezüglich der motorischen Entwicklung von Kindern beschreiben Studien, dass die motorischen Fähigkeiten im Vergleich zu früheren Generationen rückläufig sind. Ein Grund könnte sein, dass Kinder sich durch die gesteigerte Mediennutzung und die zunehmenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit weniger bewegen und zudem die motorischen Herausforderungen abnehmen. Die Kinder leben in einer zunehmend „geschützten“ und „sicheren“ Umwelt. „Für Kindergartenkinder soll insgesamt eine Bewegungszeit von 180 Minuten/Tag und mehr erreicht werden, die aus angeleiteter und nichtangeleiteter Bewegung bestehen kann“ (Schwarz 2020, S. 353). Was denken Sie: Wie viele Kinder aus Ihren Einrichtungen erreichen diese 180 Minuten je Tag?
Beschäftigungen von Kindern am Nachmittag
Kindheit passt sich immer entsprechend der Lebensumstände, die den Kindern von den Erwachsenen gegeben werden, an. Dies hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Erfahrungen, die Kinder sammeln. Nachvollziehbar wird dies, wenn wir die Kindheit heute mit unserer eigenen Kindheit vergleichen. Wie sind Sie selbst aufgewachsen? Wie haben Sie die Zeit in Ihrer Kindheit verbracht? Wie viel Stunden pro Tag waren Sie selbst in der Kita und wie haben Sie den Tag dort verbracht?
Haben wir früher noch die meiste Zeit am Nachmittag im Freien in selbstorganisierten Gruppen verbracht und die Nachbarschaft (vor allem ohne Beaufsichtigung durch Erwachsene) erkundet, schauen Kinder heute auf einen vollen, von den Eltern für sie strukturierten Stundenplan. Kinder halten sich heutzutage häufiger drinnen auf als früher (Renz-Polster/Hüther 2019, 100). War der Kindergarten früher – vereinfacht gesagt – zum „Basteln“ gedacht, da die notwendigen Materialien zu Hause nicht vorhanden waren und Eltern diesem Bildungsfeld wenig nachgekommen sind, erledigen Eltern heutzutage diese Aufgabe selbst. Oder sie organisieren ein zusätzliches Bildungsangebot am Nachmittag. Welche Schlüsse können wir aus diesen Veränderungen der Kindheit im Zusammenhang mit Mediennutzung und motorischer Entwicklung von Kindern ziehen?
Um auf meinen Anfangsgedanken zurück zu kommen: Es ist keineswegs nur der Montag, den wir – entsprechend den Bedürfnissen der Kinder und einer veränderten Kindheit – anpassen sollten. Es bleibt uns beinahe keine andere Wahl, als mit Kindern und für sie mehr „Wege ins Freie“ zu finden. Dies wird auch in der element-i Konzeption beschrieben: „Gerade in den zumeist städtischen Lagen der element-i Kinderhäuser ist es uns ein wichtiges Anliegen, Natur auch innerhalb der Einrichtung erfahr- und erlebbar zu machen. Der Aufenthalt im Freien bietet vielfältige Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, fördert Bewegung, Umweltverständnis und Naturverbundenheit und stärkt das Immunsystem und damit insgesamt die physische und psychische Gesundheit der Kinder“ (Kammerlander/Rehn 2018, S. 18).
Naturpädagogik und Schulfähigkeit
Nun werden Kritiker*innen vielleicht äußern, dass Kinder, die viel Kita-Zeit im Freien verbringen, nicht genügend auf die Schule vorbereitet würden. Dazu hat Häfner im Jahr 2002 eine entsprechende Studie durchgeführt. Er befragte Lehrer*innen und bat sie, Kinder, die eine Waldkita besucht haben, mit denen, die eine Regel-Kita besucht haben, zu vergleichen. Die Ergebnisse, die er beschreibt, sind eindeutig. Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, werden von Lehrer*innen bei der Einschulung als leistungsfähiger beschrieben als die Vergleichsgruppen aus Regelkindergärten. Sie könnten länger sitzen, sich besser konzentrieren und zeigen im sozialen Verhalten eine höhere Kompetenz (Häfner 2002). Die Studie legt den Schluss sehr nahe, dass wir uns wenig Sorgen um die Schulfähigkeit der Kinder machen müssen, wenn wir ihnen mehr Erfahrungen im Freien ermöglichen.
Das Fazit meines Artikels liegt klar auf der Hand. Ich gehe sogar davon aus, dass sie die Antwort beim Lesen der ersten Zeilen dieses Artikels bereits kannten: Wir müssen mehr mit den Kindern nach draußen gehen. Und es bleibt nur eine einzige Frage offen. Warum tun wir es nicht? Dazu möchte ich einen nachdenklich machenden Gedanken zitieren, dessen provozierende Aussage Sie selbst für sich prüfen können: „Warum unsere Kinder nicht mehr draußen sind, hat tiefere Gründe – und sie haben etwas mit uns selbst zu tun. Mit uns Großen“ (Renz-Polster/ Hüther 2019, S. 96).
Ich freue mich über Ihre Kommentare, Gedanken und Antworten zu meinen Fragen.