Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust – Unser Dilemma mit dem Klimaschutz

Klimawandel und Klimaschutz sind in aller Munde. Neben der Pandemie ist die Klimakrise das Tagesthema, welches uns in den unterschiedlichsten Medien fortwährend begegnet. 78 % der deutschen Bevölkerung akzeptierte bereits 2015 die Realität des Klimawandels (Ziegler 2015, S. 28). Die meisten Menschen sprechen sich deutlich für Klimaschutz aus und erkennen die Wichtigkeit, unsere Erde zu retten, an. Das Dilemma: Keiner tut es. Warum ist es so schwer, tatsächlich nachhaltig zu handeln?

Die Temperatur auf unserer Erde steigt seit 1980 exorbitant. Trotz gesunkenem Energieverbrauch im Lockdown 2020 und weltweitem Rückgang an CO2-Emissionen, verursacht durch fossile Brennstoffe, um 7% gegenüber dem Vorjahr stieg 2020 die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf Rekordhöhe. Wetterextreme, Dürren, Meeresspiegelanstieg und Artensterben sind direkte Konsequenzen. Die komplexen und globalen Folgen aus z.B. Abschwächung des Golfstroms, Schwächung des Jetstream, Eisschmelze in der Arktis sind nicht vorhersagbar (Harms/Franck 2021). Der schwedische Chemiker und Physiker Svante Arrhenius sagte bereits 1896 eine globale Erwärmung aufgrund des steigenden CO2-Gehalts (durch Verbrennung fossiler Brennstoffe) in der Atmosphäre voraus. In den 1970ern gab es intensive Debatten über Klimaverschlechterung, Waldsterben und Forderungen zur Reduzierung der Autonutzung (Kulke 2009). Vergleicht man den Straßenverkehr von damals mit heute, zeigt sich, dass Auto- und Flugzeug-Nutzung um ein Vielfaches gestiegen sind. Was blockiert uns in unserem Handeln? Gehen wir einen Schritt zurück.

Wie entsteht Klimawandel?

Die Erde hat eine Atmosphäre, welche sich erheblich von allen bisher bekannten Planeten unterscheidet. Aus physikalisch-chemischer Sicht ist sie aus dem üblichen Gleichgewicht gefallen. Sie ist eine Membran bzw. eine Hülle, welche sich weit in den Kosmos ausdehnt. Lebendiges und Nicht-Lebendiges bilden hier einen Organismus. Beide Komponenten sind eng gekoppelte und wechselwirkende Kräfte, die einander formen und beeinflussen. Die Atmosphäre gibt dem Menschen einerseits den Raum zum Leben, zugleich sind wir Teil des Ganzen und bilden auch den Lebensraum.

In diesen natürlichen Prozessen entsteht u.a. die Kohlenstoffverbindung CO2. Diese ist ein natürlicher Nährstoff für unsere Pflanzen. Der natürliche CO2-Gehalt der Atmosphäre schwankt zyklisch. Durch unseren Hunger nach Wachstum verbrennen wir immer mehr fossile Energieträger und produzieren Unmengen an zusätzlichem CO2. Kohlendioxid ist der Hauptverursacher des Treibhauseffekts.

Schon 2016 verbrauchten wir jeden Tag ca. 15 Milliarden Liter Öl. Zusätzlich wurden 700 Millionen Tonnen Braunkohle und 3,5 Millionen Tonnen Erdgas gefördert – Tendenz weiter steigend. Dies verursachen wir bei der Produktion von Gütern, durch Mobilität, Beheizung unserer Häuser und durch unsere Ernährung in Form von Fleisch, Wurst und Käse. Wir manipulieren alle Lebensräume. Wir nutzen zwei Drittel der Erdoberfläche für unsere Belange und vernichten die Lebensformen, die dafür sorgen, dass CO2 der Luft entzogen wird: Wälder, Moore, Humusböden.

Die Verstärkung der CO2-Konzentration findet rund 16 km über unseren Köpfen statt und wirkt sich auf den Effekt der Sonneneinstrahlung aus. Die Sonne kann zwar auf die Erde strahlen, aber die Abstrahlung in den Weltraum gelingt durch die Verdichtung der Atmosphäre nicht mehr ausreichend. Die Erde erwärmt sich. Es kommt zu einem Ungleichgewicht. Die Temperatur steigt, die Erde fiebert. Nicht vorstellbar ist, was geschieht, falls es zu einem Kipppunkt kommt und dieser Prozess katastrophale Bahnen einschlägt.

Um diese Veränderungen der Natur möglichst gering zu halten, ist die Weltgemeinschaft stark gefordert, nationale und globale gesellschaftliche Änderungen umzusetzen. Dazu vereinbarten 190 Staaten im Pariser Klimaabkommen 2015 eine erste umfassende Klimaschutzvereinbarung zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf unter 2 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts (Podbregar 2021). Als Beitrag zur Zielerreichung legten alle Mitgliedsstaaten nationale Aktionspläne für die Reduzierung ihrer Emissionen vor. Für die Erreichung müsste die weltweiten Emissionen bis 2050 um 90-95 % gesenkt werden. „Im Moment sieht es jedoch eher danach aus, nach einem Plus von drei oder vier Grad“, so DWD Präsident Gerhard Adrian (mdr 2021).

Die Aussage, die Klimakrise sei eine Energiekrise und wir müssten weg von Kohle und Öl, verdeutlicht eine technokratische Sichtweise, die die Erde als reine Ressource oder Produktionsmittel betrachtet. Aus dieser Perspektive wird die Erde ein Objekt der Beobachtung. Zu einem Ding. Zu „unserem“ Ding (Ruf 2019, S.74). Der Mensch grenzt sich damit gegenüber der Natur ab. Dies verführt, die Natur als reine Materie zu betrachten, sie zu nutzen, statt mit ihr in Beziehung zu treten: Hier ende ich, da fängt der andere Mensch, die Pflanze, der Wald, die Biene an. Wir betreten den geteilten Raum, ohne es zu spüren – den Raum unserer Mitwelt, sei es den des Mitmenschen, der Pflanze, des Waldes oder der Biene. Aus diesem Grund sind wir uns unserer vielen destruktiven Handlungen nicht bewusst. Sie scheinen uns erst einmal nicht zu betreffen. Dieses Denken verzerrt unsere Wahrnehmung und blockiert unser Handeln.

Gehen wir noch einmal an den Anfang. Die Erde hat eine Atmosphäre. Wir leben in dieser Atmosphäre, sind ein Teil davon, gleichzeitig eingehüllt und vernetzt. Dies erlaubt uns kein distanziertes Denken, eine Erde hier und wir da draußen. Wir stehen in direkter Wechselwirkung. Klimaschutz ist keine rein technokratische, sondern eine soziale Herausforderung.

Was bedeutet dies konkret für den Einzelnen?

Uns blockieren auf psychologischer Ebene oft Handlungsautomatismen aus der Vergangenheit, das vermeintlich Richtige zu tun. Ein Reaktionsmuster, welches die bestmögliche Reaktion auf eine schwierige Situation in der Kindheit darstellte. Im Erwachsenenalter kann dieses Verhalten destruktiv sein. Wir handeln so, wie wir es gelernt haben, obwohl wir viel mehr Optionen zur Verfügung haben.

Dasselbe passiert auch auf soziologischer Ebene. Wir antworten mit Methoden auf Probleme, welche die Methoden selbst geschaffen haben. Wir verhalten uns schemakonform. Wir gestalten unsere Umwelt durch unser Verhalten, so dass es zum Schema passt. Einige Beispiele dazu: Kinder von Alkoholiker*innen suchen sich oft Partner*innen, welche Alkoholiker*innen sind (Ruf 2019, S. 149). Kaufen wir uns z.B. ein Smartphone, fühlen wir uns erst einmal konform mit unserer Welt. Sehen wir jedoch die Zerstörungen der Natur durch z.B. Lithium- oder Goldförderung, bringt es uns aus dem Konzept. Oder uns fällt die Veränderung gar nicht erst auf: Nehmen wir den Fischfang. Der Großvater hatte als Fischer 1000 Fische im Netz, der Sohn 100 und der Enkel 10. Aber für jeden ist die Anzahl aufgrund der Bezugsgröße normal.

Unser Inneres tut alles, um die Dissonanz schnellstmöglich wieder verschwinden zu lassen. Problem klein reden, verleugnen, Verantwortung wegschieben, anderen zuschieben oder auf die Technik hoffen. Die wird’s schon richten. So tun wir alles, um uns nicht verändern zu müssen (Ruf 2019, S. 154).

Veränderung bedeutet, das Alte trägt uns nicht mehr, und das Neue ist noch nicht da. Wir befinden uns dazwischen und müssen die Ungewissheit und Unsicherheit ertragen. Und doch leiden wir an der Zerstörung der Erde und sehnen uns nach Einklang mit der Natur. Wie in Goethes Faust, erfahren wir: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.

Wie können wir diesem Dilemma entkommen?

Wir können die innere Verstrickung durch eine Art inneren Dialog lösen, indem wir einem Konflikt kontextgebunden achtsam und aufmerksam begegnen, ihn wahrnehmen und aushalten, uns ihm annähern und ihn verwandeln. Die Signale des eigenen Körpers und Gefühle wahrnehmen, Gedanken erkennen und in Resonanz zu unseren Mitmenschen, unserer Umwelt und unserem Raum wieder bewusst erfahren (Ruf 2019, S. 168). Je öfter uns dies gelingt, desto sensibler werden wir im Erleben. Mit dieser veränderten Wahrnehmung findet ein inneres Umdenken und Neudenken von Lebens- und Konsummustern statt. Wir reduzieren unseren Müll, verschwenden weniger Lebensmittel, kaufen weniger unnötige Kleidung, Kosmetika, Schuhe – ohne inneren Druck. Es entstehen neue Alltagsroutinen und neue innere Befriedigungen. Neben dem Erleben eigener Einflussmöglichkeiten sind Kooperation, Dialog und Vernetzung essenziell. Teilen und Teilhaben erzeugt Energie und mobilisiert Mitgefühl, Gerechtigkeit und lokale Verantwortung. Wir lösen uns aus der Isolierung hin zur Gemeinschaft. Der Buchtitel von Cordula Lonzig bringt es auf den Punkt: „Du allein schaffst es, aber du schaffst es nicht allein!“

Was bedeutet diese Erkenntnis für unsere Arbeit mit Kindern?

Kinder befinden sich noch in Resonanz mit ihrer Mitwelt, weil innen und außen eine Einheit ist. Sie erleben sich noch nicht gespalten in Innen- und Außenwelt, kennen noch keine Automatismen, keine Schemata, sondern sind offen und wertfrei in ihrer Wahrnehmung. Ab einem Alter von drei Jahren entwickeln sie erste Grundzüge von moralischem Wissen und ein eigenes Bestreben sich durchzusetzen. Erleben sie authentische Erwachsene, die ihnen Orientierungs- und Erfahrungsräume zur Entwicklung eigener moralischer Motivations- und Gewissensbildung eröffnen, verlernen Kinder nicht ihre natürliche Verbundenheit. Für Kinder gibt es noch keine Alternativen, sondern nur wirksame Beteiligung und Teilhabe. Ökologisches Handeln ist kein mühsamer Zusatz, sondern ihre Kultur. Dies kann gelingen, wenn wir den Mut haben, aus unseren Mustern auszubrechen, uns selbst begegnen und uns als Teil der Atmosphäre verstehen und erleben. Partizipatives und wertorientiertes Handeln im Elementarbereich wird das ökologische und soziale Handeln der Kinder in der Zukunft prägen.

Lassen Sie uns gemeinsam die Lebenswirklichkeit erkennen und tradierte bequeme Verhaltensmuster bewusst für die Gestaltung einer lebenswerten Welt ablegen.

#eskommtaufmichan

Mehr von Patricia Sigg

Empfehlungen

  • Klimaschutz mit Kindern entdecken: Das Portal Klima-Kita-Netzwerk. Das Klima-Kita-Netzwerk lädt dazu ein, hinter die Dinge zu schauen und Handlungsalternativen zu entdecken – mit Aktionswochen, Fortbildungen und weiteren Angeboten.
  • David Nelles & Christian Serrer: Kleine Gase – Große Wirkung, der Klimawandel.
    Friedrichshafen: Klimawandel GbR
    https://www.klimawandel-buch.de„Da wir kein Buch finden konnten, das den Klimawandel verständlich auf den Punkt bringt, haben wir kurzerhand beschlossen, es selbst zu schreiben.“Zwei Studenten erklären mit kurzen Texten, anschaulichen Grafiken und der Unterstützung von über 100 Wissenschaftlern die Ursachen und Folgen des Klimawandels.

Literatur:

Harms, Gönke; Franck, Annika (o. J.): Klimawandel. https: //www.planet-wissen.de/natur/klima/klimawandel/index.html (zuletzt aufgerufen am 15.03.2021)

Kulke, Ulli (2009): Als uns vor 30 Jahren eine neue Eiszeit drohte. https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article5489379/Als-uns-vor-30-Jahren-eine-neue-Eiszeit-drohte.html (zuletzt aufgerufen am 15.03.2021)

mdr.de (2021): DWD warnt vor globalem Temperaturanstieg. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/dwd-warnt-vor-drastischem-temperatur-anstieg-100.html (zuletzt aufgerufen am 15.03.2021)

Podbregar, Nadja (2021) Pariser Klimaabkommen: Viele Staaten hinken hinterher – Mehr als die Hälfte der Länder hat keine neuen Selbstverpflichtungen vorgelegt. Abrufbar unter: https://scinexx.de/news/geowissen (zuletzt aufgerufen am 15.3.2021)

Ruf, Stefan (2019): Klimapsychologie. Atmosphärisches Bewusstsein als Weg aus der Klimakrise. Frankfurt am Main, Info 3 Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG

Ziegler, Andreas (2015): On the Relevance of Ideological Identification and Environmental Values for Beliefs and Attitudes toward Climate Change: An Empirical Cross Country Analysis. https://www.uni-marburg.de/fb02/makro/forschung/magkspapers/paper_2015/16-2015_ziegler.pdf (zuletzt aufgerufen am 16.3.2021)

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