Ausgefallener Unterricht, dürftige Digitalisierung, monatelanger Distanz- und Wechselunterricht und für die älteren Schüler*innen zusätzlich die Unsicherheit, ob und wie die Abschlussprüfungen stattfinden – es gab in den vergangenen Jahrzehnten wohl kein Schuljahr, das für die Schüler*innen mit so viel Stress verbunden war, wie Unterricht in Zeiten der Pandemie.
Wer den verpassten Stoff wieder aufholen muss, könnte die Sommerferien auch im Klassenzimmer oder vor dem Computer sitzen, anstatt die Zeit am Meer oder in den Bergen verbringen. So zumindest stellt sich das Dario Schramm, der Vorsitzende der Bundesschülerkonferenz, vor. „Dieses Corona-Schuljahr ist so ungewöhnlich, dass jeder die Chance haben muss, in einer Sommerschule Lerndefizite aufzuarbeiten“, sagt er. Da hat er nicht unrecht, aber ob dieser Vorstoß bei allen Schüler*innen gut ankommt, darf bezweifelt werden. Rückenwind verschaffen ihm die Ergebnisse mehrerer Studien, die wenig überraschend belegen: Je ärmer eine Familie und je schlechter die Ausstattung der Schule, desto größer die Defizite bei den Schüler*innen.
Einige Bundesländer bieten bereits Sommerschulen an, darunter Berlin, Bayern und Baden-Württemberg. Vor allem schwächere Schüler*innen sollen so Versäumtes nachholen können. Diese freiwilligen Kurse gehen in der Regel über zwei Wochen, unterrichtet werden vor allem die Kernfächer Deutsch und Mathematik, zum Teil auch Englisch.
Und der Blick über den Teich oder zu unseren Nachbarn auf der Insel bestätigt den positiven Effekt. Dort gibt es das Angebot an Sommerschulen schon lange, insbesondere bei Privatschulen. In Deutschland sollen diese nun Corona-bedingte Ausfälle kompensieren. „Es ist sehr wichtig, dass etwas unternommen wird, um die Lernlücken zu schließen“, sagt Mareike Kunter vom DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt. „Alles ist besser als nichts.“
Aber funktioniert das so pauschal? Können ein paar Wochen Sommerunterricht die Defizite der vergangenen Monate ausgleichen? Wohl kaum – zumindest nicht im Gießkannenprinzip ohne Berücksichtigung von individuellen Stärken und Schwächen bei den Schüler*innen. Denn im Unterschied zu herkömmlichen Schulen unterrichten in den Sommerschulen Honorarkräfte wie Lehramtsstudenten oder pensionierte Lehrer, zum Teil auch Quereinsteiger*innen mit Uniabschluss. Denn die regulären Lehrer*innen, die ihre Schüler*innen genau kennen, haben in den Sommerferien auch frei. „Es ist nachgewiesen, dass Nachhilfe nur dann funktioniert, wenn der externe Lehrer qualifiziert ist und sich mit dem regulären Lehrer über die Bedürfnisse des [einzelnen] Schülers austauscht“, bestätigt der Bildungsforscher Olaf Köller von der Universität Kiel. Und das sei so sicherlich nicht immer gegeben.
Was Sommerschulen gut leisten können, ist die Vermittlung grundlegender Kenntnisse, wie man sie braucht, um in den Kernfächern weiter dem Unterricht folgen zu können. Dazu gehört z. B. wie das Addieren von Brüchen funktioniert oder worin sich die Vergangenheitsformen im Englischen unterscheiden. In der Schule geht es aber selten nur um reinen Wissenserwerb. Grundschüler*innen beispielsweise müssen erst lernen, wie man sich Wissen überhaupt aneignet, wie man Inhalte erfasst oder wie man sich helfen kann, wenn man nicht weiterkommt. Dieses so genannte selbstregulierte Lernen lernen die Kinder nicht nebenbei in zwei Wochen Sommerkurs, dafür braucht es Zeit und Fachleute, die es gezielt fördern. Und wie heißt es so schön: Gut Ding will Weile haben! Gerade Grundschüler*innen brauchen anfangs mehr Zeit, um Vertrauen aufzubauen und sich auf eine Lehrkraft einzulassen.
Größtes Hemmnis ist und bleibt aber die Motivation. Wie motiviert man Kinder und Jugendliche, weiter in die Schule zu gehen, während ihre Freunde am See oder im Urlaub sind? Ein Lösungsansatz sind erlebnispädagogische Maßnahmen aus den Bereichen Kunst, Musik und Sport, die manche Schule zusätzlich anbieten. Das kann aber nicht jede Schule leisten. Manchem Schüler und mancher Schülerin wäre vielleicht mit einer gezielten Nachhilfe, die individuell auf seine oder ihre Bedürfnisse und Defizite eingeht, mehr gedient. Positiv lässt sich das Angebot an Sommerschulen aber auch als erster Hinweis der Politik deuten, dass sich die Verantwortlichen wirklich um die Folgen der Pandemie an den Schulen kümmern wollen.