Beobachtung & Dokumentation: Zu aufwändig?

In den Bildungsplänen der Länder ist Beobachtung und Dokumentation als wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit festgeschrieben. Bei der Wahl der Instrumente gewährt der Gesetzgeber bzw. der jeweilige Bildungsplan des Bundeslandes dem Kita-Träger eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Und das ist gut so, denn so kann jeder Kita-Träger die Instrumente zu seiner Konzeption passend wählen und Schwerpunkte setzen. Die Bundesländer weisen darauf hin, dass die Lebenswelt der Kinder berücksichtigt wird, und favorisieren generell einen mehrperspektivischen Ansatz (bspw. Orientierungsplan Baden-Württemberg 2015, S. 70).

Jede Perspektive ist ein Gewinn

Durch die Wahl der Instrumente ergibt sich eine Vielfalt an Blickwinkeln – dazu einige Beispiele: Das Portfolio beschreibt Lernwege eines Kindes und hält bewältigte Entwicklungsschritte in Wort und Bild fest. So entsteht über die Jahre in der Einrichtung ein wertvolles und individuelles Lerntagebuch für jedes Kind. Mit den Grenzsteinen betrachtet man mit einem standardisierten Instrument die Entwicklung eines Kindes. Zu jedem Erhebungszeitpunkt wird überprüft, ob ein Kind bestimmte altersangemessene Kompetenzen erworben hat. Der element-i Bogen ist ein ressourcenorientiertes Instrument. Geleitet von den Interessen eines Kindes wählt die Pädagog*in in ihrem Bildungsbereich Aktivitäten aus, die das Kind in seiner Entwicklung weiterbringen können, es herausfordern und die Chance bieten, die Zone der nächsten Entwicklung zu erreichen. So betrachtet blickt das Portfolio eher auf die Vergangenheit, der Grenzsteine auf die Gegenwart und der element-i Bogen auf eine noch zu bewältigende Zukunft.

Im guten Austausch mit Team, Eltern und Kind

Es wäre jedoch verkürzt, sich bei der Frage der Mehrperspektivität nur auf die Instrumente als solche zu konzentrieren. Darauf verweist auch der Orientierungsplan von Baden-Württemberg. Erst der reflektierte Umgang mit den verschiedenen Instrumenten kann die Kraft entfalten, die in den Instrumenten steckt. Leitend können dabei Fragen sein wie: „Sehe ich das Kind mit seinen Besonderheiten? Erkenne ich seine Ressourcen? Wie sieht eine Kolleg*in auf das Kind, wie die Eltern? Und was heißt das für meine pädagogische Arbeit?“ Mehrperspektivisch heißt, mit Kolleg*innen zu beraten, inwiefern die eigenen Beobachtungen und Schlussfolgerungen einer Ergänzung bedürfen oder bestätigt werden. Mehrperspektivisch heißt, sich mit den Eltern auszutauschen und deren Sichtweise mit zu berücksichtigen. Mehrperspektivisch kann auch bedeuten, die Sicht des Kindes mit einzubinden. Dieses reflektierte Vorgehen hilft dabei, den eigenen Blick auf ein Kind zu weiten, zu ergänzen oder neu zu justieren.

Eine so gedachte Mehrperspektivität hat eine dialogische Komponente. Man macht sich als Pädagog*in auf den Weg, den eigenen Blick anzureichern, andere Sichtweisen neben die eigene zu stellen und so zu einem soliden Gesamtblick gelangen zu können. In den Bildungsgrundsätzen von Nordrhein-Westfalen ist dieser Aspekt, „die eigene Rolle und Haltung im Prozess der Beobachtung und Einschätzung zu reflektieren“, ausformuliert. Damit verbunden ist auch der prüfende Blick auf die eigene pädagogische Arbeit: „die Wirksamkeit pädagogischer Maßnahmen kontinuierlich zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren“ (Bildungsgrundsätze NRW, S. 36). Einen dritten Aspekt, den ich in keinem Bildungsplan fand, würde ich gern ergänzen: Mit einer gut geführten und reflektierten Dokumentation trägt man als Pädagog*in selbst dazu bei, den großen Wert der eigenen Arbeit sichtbar zu machen.

Gelingt den Teams in den element-i Häusern diese Mehrperspektivität – in Bezug auf die sorgfältige Pflege der Instrumente und in Bezug auf Austausch sowie Reflektion –, werden Beobachtung, Dokumentation und pädagogisches Handeln sinnhaft aufeinander bezogen und können ein Garant für hohe Qualität sein. Die Instrumente entfalten ihre Kräfte, und nicht zuletzt lässt sich mit einer lebendigen Mehrperspektivität eine gute von einer mittelmäßigen Dokumentation unterscheiden.

Zurück zur Ausgangsfrage: Ja, eine Bildungsdokumentation ist aufwändig, der Austausch kann anstrengend und erhellend gleichzeitig sein. Doch der Aufwand lohnt sich: fürs Kind, für die Eltern und für das Team im Kinderhaus. Denn nur mit einer soliden Dokumentation und aufrichtigen Mehrperspektivität lässt sich hochwertige Bildungsarbeit in den Kinderhäusern anbieten.

Schreiben Sie mir Ihre Gedanken und Rückfragen zum Thema in die Kommentare.

Quellen:
Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2015): Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen. 2. Auflage. Herder: Freiburg
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen; Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (2016): Bildungsgrundsätze für Kinder von 0-10 Jahren in Kindertagesbetreuung und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen. Herder: Freiburg

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