Im Interview Dr. Ernst Fritz-Schubert, der Erfinder des Schulfachs Glück – der neue, etwas andere Seminarkurs in der geplanten Gymnasialen Oberstufe im element-i Bildungshaus Karlsruhe.
Freiheit und Glück werden seit der Antike in der Literatur in ein einander bestimmendes Abhängigkeitsverhältnis gesetzt – das eine kann es ohne das andere nicht geben. Aber welche Freiheit ist tatsächlich gemeint, ohne die der Mensch scheinbar nicht glücklich sein kann? Bin ich glücklich, wenn ich tun und lassen kann, was ich will? Macht Grenzenlosigkeit glücklich?
In der element-i Pädagogik wird (das innere) Glück vielmehr mit Kohärenz in Verbindung gesetzt, dem inneren, stimmigen Zusammenhang zwischen den Gegebenheiten der Welt, den Anforderungen an den Einzelnen und dessen Möglichkeiten, damit umzugehen. Nicht, weil ich frei bin, zu tun, was ich möchte, kann ich glücklich werden, sondern weil ich über Ressourcen verfüge, die die Welt für mich verstehbar, handhabbar und damit sinnhaft machen.
Mit anderen Worten: Als Menschen können wir nicht immer kontrollieren, was und wie geschieht, aber wir können sehr wohl kontrollieren, wie wir damit umgehen und die Konsequenzen unserer Handlung abschätzen. Und diese innere Freiheit kann – im besten Fall – glücklich machen.
Die Frage nach dem Glück haben wir auch Dr. Ernst Fritz-Schubert, Direktor des Fritz-Schubert-Instituts, gestellt. Als Leiter einer Heidelberger Schule führte er im Jahr 2007 erstmals in Deutschland das Schulfach Glück ein. Und mit der geplanten Einführung der Gymnasialen Oberstufe im Bildungshaus Karlsruhe zum Schuljahr 23/24 wird es den Seminarkurs Glück künftig auch für element-i Schüler*innen geben.
Herr Dr. Fritz-Schubert, was ist Glück?
Es gibt drei Arten von Glück: Zufallsglück, Glücksmoment und Lebensglück/Lebenssinn.
Glück fällt nicht nur als Zufall vom Himmel, wir dürfen ihm auch auf die Sprünge helfen. Vielleicht fordert die Natur sogar von uns Menschen, dass wir unser eigenes Glück schmieden und danach streben. Glücksmomente entstehen nämlich auch als Belohnung unseres Tuns. Was wäre aus uns ohne die kleinen und großen Glücksmomente unserer Vorfahren geworden? Nur das Streben nach Glück hat die Menschen dazu bewegt, Werkzeuge zu entwickeln und sich mit Speeren auf die gemeinsame Jagd nach dem Säbelzahntiger zu machen und sich weiterzuentwickeln.
Es gibt ein Sprichwort, das besagt und Sie sagen es ja auch: „Jeder ist seines Glückes Schmied…“ – oder kann es eben sein! Was benötigt man denn zum Glücklichsein? Wie spielen externe Faktoren, auf die ich keinen Einfluss habe, eine Rolle? Können Sie in einfachen Worten sagen, wie ich Glücklichsein lernen kann?
Zum Leben gehören natürlich auch negative Gefühle. Durch sie lernen wir, dass nicht alles im Leben auf Erfolg ausgerichtet sein kann und nicht alles gelingt. Die Fülle des Lebens bleibt daher unberechenbar mit Gegensätzen und Widersprüchen, mit Gelingen und Misslingen und das ist gut so.
Doch woher kommt dieses Talent – das Streben nach Lebensglück – oder „schlechter“ formuliert, die sogenannte Glückskompetenz? Manche Forscher behaupten 50 % sind ererbt, 10 % sind äußere Bedingungen. Sicherlich sind manche Menschen lebenslustiger, von Natur aus offener, zugewandter, verträglicher und gewissenhafter als andere. Und manchmal kommt es auf die äußeren Umstände an. Aber vergessen wir nicht, dass neben den vorgegebenen 60 % noch 40 % übrigbleiben, um sich weiterzuentwickeln, verantwortungsvoll sich selbst und andere zu lieben, Sinn im Leben zu finden und dadurch Lebensfreude zu spüren.
Sie sind der Erfinder des „Schulfachs Glück“, das demnächst auch Teil des Lehrplans der gymnasialen Oberstufe in der weiterführenden element-i Schule in Karlsruhe werden soll. Hätten Sie selbst gern „Glück“ in der Schule gehabt?
Ja, natürlich (lacht). Doch damals war Schule „nur“ eine Einrichtung der Wissensvermittlung, der Sozialisation und Selektion. Die Schule des 21. Jahrhunderts ist mehr. Durch die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation ist sie zugleich auch Anwalt der Heranwachsenden zur Sicherung deren körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Sie ist als Institution der Gesellschaft verpflichtet, dafür zu sorgen, dass aus unerfahrenen Kindern und Jugendlichen lebenstüchtige, engagierte selbstbestimmte und demokratisch denkende und handelnde Erwachsene werden. Außerdem hat die Schule des 21. Jahrhunderts laut Kultusministerkonferenz einen auf Persönlichkeitsentwicklung und Weltorientierung abzielenden Bildungsauftrag, der in besonderer Weise die Potenzialentwicklung von Einzelnen und Gruppen unterstützen soll.
Und Lernen und Potenzialentwicklung passt eben nur zusammen, wenn das Lernen ganz bewusst mit einem Gefühl der Lust als eine tief befriedigende und den eigenen Horizont erweiternde Tätigkeit erlebt werden kann.
Wenn man sich heute bei den Kindern und Jugendlichen so umschaut, wirkt es dank Smartphones, Selfies, Instagram und Co. vielmals so, als seien alle sehr auf sich fokussiert, teilweise isoliert. Welche Rolle spielen das Ich und die Gruppe beim Glücklichsein? Wie kann es gelingen, die Gruppe als Kraftquelle zum eigenen Glück zu erkennen?
Es wirkt zwar so, als seien die Kinder und Jugendlichen auf sich fokussiert, aber in Wirklichkeit geht es mehr um ihre Außenwirkung, die durch digitale Möglichkeiten scheinbar besser gelingen. Wir beobachten insbesondere drei Trends, die uns eine Antwort auf die Frage geben:
- Wir erkennen eine zunehmende Selbstverwertung durch die eigene Darstellung im Netz. Alles, was die Außendarstellung, das Fremdbild verbessern könnte, wird „gepostet“. Das kann auf die Dauer sehr anstrengend sein. Außerdem kann der Vergleich mit anderen im Fall der Unterlegenheit sehr unglücklich machen.
- Es entsteht eine zunehmende Fragmentierung, d.h., dass die Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichen sozialen Netzwerken unterschiedliche Positionen bzw. Haltungen verkünden müssen, um dazuzugehören. Das schränkt die Identitätsfindung ein. Die jungen Menschen wissen am Ende dann nicht mehr, wer sie sind, was sie brauche, was sie können und was sie wollen.
- Es ist eine zunehmende Algorithmisierung zu beobachten. Wenn alles digitalen Algorithmen folgt, dann schränkt das die Freiheit der Entscheidung ein. Mangelnde Selbstbestimmung und der Verlust der eigenen Wirksamkeitserwartung kann zu einer Erdulder- oder Opferrolle führen, die die Lebensgestaltung und das Lebensglück verhindern kann. Um das Gegenüber oder die Gruppe als Kraftquelle zu erkennen, bedarf es entsprechend Erfahrung durch gute Erlebnisse. Dazu gehören zum Beispiel die wahrgenommene Hilfe, die Wertschätzung oder die Möglichkeit zur Weiterentwicklung.
Die Philosophie hinter der element-i Pädagogik und Ihr Wunsch, die Persönlichkeit und das ganzheitliche Wohlbefinden zu stärken, harmonieren sehr gut miteinander. Schon immer lernen unsere Schüler*innen mehr als der staatliche Bildungsplan vorgibt. Wie kann „Glück“ sie auf ihrem Lebensweg zusätzlich unterstützen?
Das Schulfach Glück kann durch die vielfältigen Übungen und Methoden einen wichtigen Beitrag leisten und auf dem Lebensweg unterstützen. Die Sinnsuche, das Gefühl von Freiheit und das Gefühl von Geborgenheit gehören zu den Grundbedürfnissen von uns Menschen. Bleiben einzelne Bedürfnisse unerfüllt, verdüstern sich unsere Emotionen z.B. durch Wut, Angst oder Trauer. Umgekehrt können wir wahre Glückgefühle erleben, wenn wir das tun, was uns wichtig und wertvoll ist, selbstbestimmt handeln oder in der Gruppe Sicherheit und Geborgenheit erleben.
Menschen sind individuelle und soziale Wesen, die frei sein wollen. Zugleich streben sie aber auch nach Verbundenheit, Wertschätzung und Anerkennung. Die element-i Philosophie bringt die beiden Aspekte zusammen und sagt zugleich: Freiheit ist, dass man tut, was man will, weil man darüber nachgedacht hat, was das in der Folge bedeuten könnte. Und für diese Konsequenzen auch die Verantwortung übernimmt. Im Grunde bedeutet Freiheit, dass wir auch bejahen, was aufgrund unseres Handelns passieren wird. Wie würden Sie (innere) „Freiheit“ definieren? Hat Freiheit etwas mit Glück zu tun?
Das Gefühl von innerer Freiheit, also seine zur Verfügung stehenden persönlichen Fähigkeiten ohne Zwang oder Druck zu nutzen, hat, wie gesagt, sehr viel mit Glück und Zufriedenheit zu tun. Menschen, die nur von unreflektierten Impulsen getrieben werden oder auf Grund von Manipulation oder als Mitläufer eines allgemeinen Trends handeln, können sehr schnell das Gefühl von Sinnlosigkeit des Daseins verspüren, das zu depressiven Stimmungen bis hin zu psychischen Erkrankungen führen kann. Die Fähigkeit, seine eigenen Fähigkeiten zu nutzen und einzusetzen und selbstbestimmt handeln zu können, wird durch den ressourcenorientierten und logotherapeutischen Ansatz im Glücksunterricht gefördert.
Wir von element-i danken Herrn Dr. Fritz-Schubert herzlichst für das inspirierende und sehr interessante Gespräch!
Bildquelle Uwe Anspach/DPA