Es gibt nichts Schöneres, als Sachensucher zu sein

Kinder machen es uns leicht. Sie begeistern sich von allein für künstlerisch-kreative Prozesse. Sie sind von Natur aus neugierig, Neues zu erfahren, zu entdecken und zu erforschen. Sie begeben sich auf Spurensuche an gewohnten und ungewohnten Orten. Kinder schweifen gerne umher und entdecken das Fremde im Bekannten. Erleben Spannung zwischen offen und eng, fertig und unfertig, inspirierend und anregend. Erahnen einen neuen Sinn, ohne genau zu erkennen, was sich daraus ergeben wird.
Selbstbestimmtes Erkunden und Erkennen, wie sich etwas zeigt, ist beim Reproduzieren von bereits Vorgedachtem kaum möglich. Es lässt die Welt- und Selbstwahrnehmung in kontextbezogenen und individuellen Ausprägungen nicht zu.
Kinder wollen wahrnehmen. Sie haben ein Verlangen nach intensiven sensorischen Eindrücken, die über ein Gespür für Räume und Atmosphären emotional wirken und zum Nachdenken, Verarbeiten und Interpretieren einladen. Dafür benötigen sie eine passende Atmosphäre und eine vorbereitende Umgebung.

Das passende Umfeld schaffen

Wie lässt sich das passende Umfeld in der Kita schaffen? Indem wir mutig, im Jetzt und Hier gemeinsam mit den Kindern Zugänge zu schöpferischen Freiräumen erobern. Uns die Unbefangenheit von Kindern gegenüber Materialien abschauen und zeitgleich unsere Erfahrungen mit gestalterischen Verfahren und Fachwissen sensibel mit Material, Kindern und der Kunst zusammenführen.
Das Schöne ist: Kunst gehört zum Leben und zum Alltag. Angewandte Kunst kann sich überall in der Kita zeigen: Ausstellungen von selbstgefertigten Kunstwerken, Rauminstallationen in und außerhalb der Kita sowie Impulse durch Bildergeschichten, Musik, Kunstfotos, Objekte, die die Kinder ins Gespräch einladen. Kunst kann überall sein. Künstlerisches Schaffen kann überall stattfinden. Bieten wir dem Kind eine sichere, wertschätzende Atmosphäre sowie Beteiligung, dann ist der Ort frei wählbar.
Entdecken, Staunen, Ausprobieren benötigen Zeit und Raum. Als Begleitung ‚unsichtbar‘ im Hintergrund zu bleiben und es geschehen zu lassen sind essenziell dafür, diese subjektiven Erfahrungsräume zu eröffnen. Insbesondere das Warten stellt die Pädagog*innen immer wieder vor eine Herausforderung und ist doch lohnend. Es ermöglicht uns, genau zu beobachten, und verschafft uns über das Interesse des Kindes Klarheit: will das Kind ein Material, eine Technik, eine Bewegung entdecken oder setzt es sich mit seinen Eindrücken auseinander, die einen Ausdruck suchen (Overdiek 2020, S.103)?

Die schönen Künste im Alltag einbinden

Betrachten wir das kindliche Spiel von Finden und Sammeln. Kinder finden täglich Dinge und auch überall: auf dem Spaziergang, im Garten, beim Aufräumen … Kinder sind unfassbare gute Sucher und vor allem auch Finder. Sie begegnen freudig ihrem Fund und sind angeregt weiter zu schauen. In diesem kindlichen Interesse zeigt sich das Interesse an der Wirklichkeit. Kinder betrachten, ertasten, befühlen und beriechen die Objekte, beratschlagen sich über Herkunft, Funktion und Nutzung. Nach eigenen Kriterien werden Funde geordnet und arrangiert.
Die Begegnung und das Begreifen unterschiedlicher Materialien fördert die optische und taktile Wahrnehmung. Raum und Zeit bilden sich fassbar ab und eröffnen dem Kind die Beziehung zur Welt als Gesamtheit.

Fundstücke als künstlerisches Repertoire

Kindliche Fundstücke bieten auf sehr einfache Weise ein unglaublich künstlerisches Repertoire, mit Kindern zu gestalten und darzustellen. Funde können gemeinsam betrachtet, beschrieben und frei dazu assoziiert werden. Sie werden nach eignen Kriterien arrangiert, Zweck und Funktion erahnt, Zusammenhänge hergestellt, Fundorte analysiert, Herstellungsprozesse nachvollzogen oder mit ihnen gespielt. Geschichten vom Herstellungsort über seinen Nutzen bis zum Fundort entwickelt, nachgespielt oder bildnerisch darstellt.
Einzelnen Fundstücke regen an, mehrere Vertreter zu sammeln, um die Vielfältigkeit aufzuzeigen. Daraus entstehen Collagen oder Skulpturen: aus vielen Schlüsseln wird ein großer Schlüssel.
Die Einbindung von dreidimensionalen Fundstücken in bildnerische Gestaltung eröffnet dem Kind eine weitere Möglichkeit, sich mit der Oberfläche, Farbe und Struktur des Gegenstandes im Raum auseinanderzusetzen und zeitgleich die Objekte zu verwandeln, anzupassen und zu verformen. Gegenstände können individuell verändert werden, indem sie größer oder kleiner gezeichnet werden, die passende Umgebung hinzu gemalt oder gestaltet wird. Oder Gegenstände werden übermalt und mit Bildern, anderen Objekten kombiniert und ergänzt.

Berühmte KünstlerInnen als Vorbild

Robert Rauschenberg hat viele Fundstücke gesammelt und eine Tauschbörse gestaltet. Jeder kann ein Fundstück erwerben, wenn er es durch etwas Mitgebrachtes ersetzt und eine Zeichnung oder ein Bild des entnommenen Gegenstandes fertigt (Robert Rauschenberg, Black Market).
Neben der Betrachtung und der bildnerischen Verwandlung bietet sich insbesondere das Präsentieren und Aufbewahren als künstlerische Interaktion an. Georges Braque und Pablo Picasso haben bereits in den frühen 20er Jahren mit Sand, Sägemehl und Farben begonnen, Fundstücke einzuarbeiten. Diese Assemblage-Kompositionen nehmen das Fundstück aus seiner gewohnten Umgebung und verändern dessen Bedeutung und Wertigkeit. Arrangiert auf Holz, Pappe oder Papier, ergänzt durch Bilder werden alltägliche Gegenstände einmalig. Triviale Fundstücke wie ein Bonbonpapier kann vielfältig dargestellt werden: geglättet, zerknäult, gekugelt oder mehrere zerknäult auf einem Haufen. Die Darstellungsformen sind unbegrenzt. Aus zusammengesetzten montierten Fundstücken, verbunden mit Draht, Maschendraht oder Schnüren und Leim, entstehen Unsinns-Maschinen, Plastiken und sogar ganze Rauminstallationen.
Der Künstler Herbert Distel kreierte das Schubladenmuseum. Eine ausgediente Schublade oder eine Schublade in einem Schrank eigenen sich als Aufbewahrungsort für gesammelte Gegenstände. Sie werden mit Pappstreifen oder Holz in Fächer unterteilt, dem Fundstück passend ausgestaltet, bemalt oder mit Material ausgekleidet (Watte, Stoff, Sand, Holz). Ein ganzer Schrank mit zugeordneten Themenwelten kann entstehen. Die Schubladen werden bemalt und gekennzeichnet (Kathke 2019, S. 174 ff).
Stöcke, Blätter, Kronkorken, Becher, geknickte Strohhalme, krumme Nägel, kaputtes Spielzeug, Zettel mit Notizen, Kinotickets, Steine, Stöcke, Kugeln, Draht, Bretter, Resthölzer, Wurzeln – Abgenutztes, Aussortiertes, Kaputtes, Natürliches. Jedes Ding kann unabhängig von seiner ursprünglichen Bestimmung zum Ausgangspunkt der Gestaltung werden.

Wie Pippi Langstrumpf schon sagte: „Was ihr machen wollt, weiß ich nicht. Aber ich selbst werde nicht auf der faulen Haut liegen, ich bin nämlich ein Sachensucher, da hat man niemals eine freie Stunde. Ein Sachensucher ist jemand, der Sachen findet. Was soll es anders sein? Die ganze Welt ist voller Sachen, da ist es doch notwendig, dass jemand sie findet“ (Lindgren 1986, S. 29).

Quellen:
Kathke, Petra (2019): Sinn und Eigensinn des Materials. verlag das netz: Weimar
Overdiek, Aike (2020): Bildnerisches Gestalten im Montessori-Kinderhaus. Herder: Freiburg
Lindgren, Astrid (1986): Pippi Langstrumpf. Oetinger: Hamburg

Anregungen von Künstler*innen

Herbert Distel: Das Schubladenmuseum: www.schubladenmuseum.org (Schubladenausstellung)
Jean Tinguely: www.tinguely.ch
Robert Rauschenberg: www.artsy.net/artwork/robert-rauschenberg-black-market

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