„Ich wünsche mir mehr Mut und Experimentierfreude an den Schulen“

Schule der Zukunft muss sich auf dauernden Wandel und dauernde Veränderung vorbereiten. Sich selbst und andere, insbesondere in Zeiten und für Zeiten der Krise. Eine Krise ist immer die Chance zur Veränderung. Die Coronapandemie könnte als große, gesellschaftliche Krise nicht nur die einzelnen Schulen, sondern das gesamte Schulsystem hin zu besseren Wegen des Lernens leiten. Nach drei Lockdowns, Homeschooling und einer quasi Zwangsdigitalisierung sämtlicher Schulen hat die Pandemie in den Fokus gerückt, was in unserem Bildungssystem funktioniert und wo dessen Schwachstellen liegen.

In Deutschland haben autarke Schulen freier Träger wie die element-i Grund- und Gemeinschaftsschulen bewiesen, dass sie auch in Krisenzeiten sehr gut funktionieren. Eva Lang ist die Bereichsleiterin Schulpädagogik bei Konzept-e, dem Trägernetzwerk für Bildung und Betreuung. Während der Pandemie war und ist Homeoffice für sie nur eine bedingte Option. Denn ob und wie der teilweise kurzfristig notwendige Wechsel von Präsenz- und Fernunterricht in den element-i Einrichtungen umgesetzt wird, muss sie auch vor Ort überprüfen.

Frau Lang, wie haben Sie die Situation in den Schulen erlebt?

Unsere Schulpädagoginnen und -pädagogen haben den Umstieg auf digitales Lernen sehr schnell vollzogen. Dabei kam uns zu Hilfe, dass wir im Unternehmen bereits mit einer digitalen Lernplattform gearbeitet haben, in die wir übers Wochenende alle Schülerinnen und Schüler der element-i Schulen einbeziehen konnten. Die Arbeit am Laptop gehört in unseren Schulen zum Alltag, ebenso wie selbstständiges Lernen. Dadurch hatten auch die allermeisten Schülerinnen und Schüler keine Schwierigkeiten, sich auf das digitale und selbstständige Fernlernen umzustellen.

Wie sieht der Tagesablauf einer element-i Schule aus und was hat sich verändert in Zeiten von Lockdowns und Notbetreuung?

Jeder Tag bei uns startet mit der so genannten Lernkonferenz. Hier kommen alle Kinder, die Pädagoginnen und Pädagogen zusammen und besprechen den Tag. Die Kinder können im vorgegebenen Rahmen selbst mitbestimmen, was und bei wem sie lernen wollen. Dafür steht das „i“ in element-i: individuell, interessenorientiert und interaktiv. Das ist unser grundlegendes Verständnis von Bildung und Erziehung. Im Anschluss an die Konferenz geht es allein oder in Gruppen in die verschiedenen Arbeitsphasen. Dabei wird jedes Kind individuell von den Pädagoginnen und Pädagogen betreut. Während der Pandemie waren einige Schülerinnen und Schüler, wenn es von den Behörden erlaubt war, vor Ort, andere im Homeschooling zuhause. Trotzdem kamen alle jeden Morgen zur Konferenz zusammen. Der Laptop stand auf dem Tisch, die Kinder zuhause waren per Videokonferenz zugeschaltet, die Kinder vor Ort saßen um oder auf dem Tisch gemeinsam mit den anwesenden Pädagoginnen und Pädagogen. In den anschließenden Arbeitsphasen wurden die anwesenden Kinder von einer Kollegin vor Ort betreut, eine andere zog sich mit dem Laptop zurück und betreute die Kinder, die daheim geblieben waren. Das hat sehr gut funktioniert.

Die Schülerinnen und Schüler werden also schon früh an Themen wie Internet und Digitalisierung herangeführt?

Der MINT-Schwerpunkt an unseren Schulen nimmt Zukunftsthemen wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz in den Blick. Wir sind uns bewusst, dass die fortschreitende Digitalisierung unsere Gesellschaft verändert und die Heranwachsenden vor ganz neue Herausforderungen stellen wird. Darauf müssen wir sie vorbereiten, denn viele werden einmal in Berufen arbeiten, die es so heute noch gar nicht gibt. Daher steht für uns die Vermittlung von Zukunftskompetenzen im Zentrum – wie der Einsatz digitaler Medien als Werkzeug zum Lernen und für die Bearbeitung von Projektaufgaben oder der Umgang mit unsicheren Situationen sowie die Fähigkeit, selbstständig Probleme zu lösen. Für Grundschulkinder sorgen wir für einen ausgewogenen, altersangemessenen Mix aus haptischem, sinnlichem Lernen, kognitiver Auseinandersetzung, sozialem Lernen und Umgang mit digitalen Medien.

Ein Vorteil in der Pandemie?

Was ich während Corona vor Ort in den Schulen beobachtet habe, ist, dass die einzelnen Lehrkräfte, aber auch die meisten Eltern mit ihren Kindern, sehr gut klargekommen sind. Sicher gab es hin und wieder auch einmal Probleme, wo beispielsweise der Internetanschluss zuhause nicht so gut ist, aber grundsätzlich hat das Homeschooling, dort im Umfeld, wo das Kind schon vor Corona von den Eltern gefördert und unterstützt wurde, ebenfalls sehr gut funktioniert.

Vergrößern Privatschulen nicht die Kluft zwischen Kindern aus sozial bessergestellten sowie bildungsnahen Haushalten und Kindern, deren Eltern sich das Schulgeld nicht leisten können?

Es ist an der Zeit, Kitas und Schulen neu zu denken. Es wird eine gesellschaftliche Aufgabe sein, Zukunftskompetenzen einschließlich der digitalen Technologien allen Kindern – auch denen aus bildungsfernen Haushalten – gleichermaßen zugänglich zu machen, um dem Ungleichgewicht der Bildungschancen wirkungsvoll zu begegnen. Dafür müssen Schulen von der Politik mehr Freiheiten bekommen, und wir müssen das, was wir über gutes Lernen wissen, auch in die Breite der öffentlichen Schulen hineintragen. Derzeit haben wir immer noch staatliche Schulen, wie zu Zeiten, als ich zur Schule gegangen bin: mit großen Klassenverbänden, nicht altersgemischt und Frontalunterricht. In der element-i Gemeinschaftsschule ermutigen wir unsere Schülerinnen und Schüler, ihren persönlichen Interessen nachzugehen und diese in den Unterricht einzubringen. Wir schaffen einen verbindlichen Rahmen, in dem wir ihnen möglichst große Freiheiten geben können, und setzen ebenso die notwendigen Grenzen, die sie für eine optimale Entwicklung brauchen. Außerdem sind wir der festen Überzeugung, dass Bildung und Bildungserfolge nicht von der sozialen Herkunft abhängen dürfen, daher gibt es bei uns unter anderem auch Stipendien.

„Wo“ Kinder für die Zukunft lernen, wird dann gar nicht mehr entscheidend sein?

Richtig. Selbstverständlich ist Lernen ein sozialer Prozess, der im Austausch, im Diskurs, im persönlichen Miteinander stattfindet. Gleichzeitig haben wir Schülerinnen und Schüler erlebt, die sehr davon profitiert haben, dass sie während der Schulschließung zuhause ohne Ablenkung und in ihrem vertrauten Umfeld lernen konnten. Wir haben da ähnliche Erfahrungen wie bei den Erwachsenen im Homeoffice gemacht. Ein neuer Ansatz von uns soll den Kindern auch weiterhin ermöglichen, einen Teil ihrer schulischen Lernzeit zuhause zu verbringen. Das passt zu unserem zentralen Anliegen, lernen für die Kinder zu gestalten – die klassische Schule gestaltet Lehren für die Lehrer. Wenn wir den Fokus konsequent auf die Lernenden und die besten Voraussetzungen und Bedingungen für deren Lernen verschieben würden, würde sich im Schulsystem viel verändern.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft unseres Bildungssystems? Was können wir aus der Krise mitnehmen?

Ich wünsche mir mehr Mut und Experimentierfreude an den Schulen – an allen Schulen. Dieser Gedanke bewegt mich schon lange. Wie muss Schule aufgestellt sein, wenn man Kinder und Jugendliche für eine digital transformierte Gesellschaft vorbereiten will? Wenn wir Schülerinnen und Schüler in eine Gesellschaft entlassen wollen, die sich in rasender Geschwindigkeit digital transformiert? Diesen Blick auf das gesellschaftliche Handeln müssen wir wieder öffnen.

Das Interview führte Christian Klar.

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