Das Glas ist halb voll: Dispositionaler Optimismus

Für den einen Menschen ist ein Glas halbvoll, für den anderen ist es halbleer. Die Metapher ist uns allen wohl bekannt. Es handelt sich im Kern um eine Einstellung, mit der auf Situationen geschaut oder das eigene Leben beschritten wird, oder um eine Perspektive auf die Dinge. Etwas vereinfacht gesagt, bedient sich die Perspektive des halbvollen Glases einer positiven Grundhaltung, aus der heraus neue Optionen gesehen werden oder sich scheinbar leicht Türen finden, die zuvor nicht existiert haben. Neue, sich öffnende Türen bedeuten gleichzeitig Möglichkeiten, und Möglichkeiten bedeuten Chancen, und Chancen bedeuten wiederum Weiterentwicklung. Um aufzuzeigen, welches Potential mit einer solchen optimistischen Haltung verbunden sein kann, möchte ich Ihnen Informationen zur Ressource des sog. dispositionalem Optimismus zur Verfügung stellen.

Im Jahre 1985 haben Wissenschaftler den Life-Orientation-Test, kurz den LOT-R Fragebogen (Carver & Scheier, 1985), entworfen, mit welchem dispositionaler Optimismus – das heißt, eine zeitlich stabile positive Lebensgrundeinstellung – gemessen werden kann (Renner & Weber, 2005). Dieser international anerkannte Fragebogen wird insbesondere im medizinischen Bereich angewendet, und es werden nach wie vor Studien angelegt, die die Auswirkungen von dispositionalem Optimismus auf das Leben von Menschen aufzuzeigen versuchen. Es konnte beispielweise belegt werden, dass Student*innen mit hohen Werten in der Persönlichkeitseigenschaft dispositionaler Optimismus bessere Ergebnisse während ihres Studiums erzielten als ihre Kommiliton*innen, bei denen diese Eigenschaft geringer ausgeprägt war (Diener, Emmons, Griffin, & Larsen, 1985). In anderen Studien konnte gezeigt werden, dass kranke Menschen mit hohen Werten in dieser Persönlichkeitseigenschaft sich schneller erholten (Scheier & Carver, 1992) als tendenziell pessimistisch eingestellte Menschen.

Was haben diese Ergebnisse mit den Ideen der element-i Pädagogik zu tun? Die Elementarpädagogik, aber auch die Schulpädagogik und unsere Ausbildungsstätten sind darauf ausgelegt, möglichst viele positive Eigenschaften und Potentiale der Mitarbeiter*innen offenzulegen und gezielt zu fördern. In unserem Netzwerk gibt es Fachberatungen, Praxiscoaches, Teamleitungen, Mentor*innen, Quereinsteiger*innen, Erzieher*innen, Native Speaker*innen, Student*innen, Themenexpert*innen, Fachschüler*innen. Sie alle bringen ihre Expertise an den entsprechenden Stellen wie in Qualitäts-Werkstätten, Seminaren, Basisbausteinen, Fachzirkeln etc. ein, stellen Fragen und entwickeln in diesen Formaten und anderswo neue Ideen. Einerseits teilen die Menschen dort ihr Wissen, können jedoch ebenso neues Wissen auf- und bestehendes Wissen ausbauen. Mit einer grundlegend optimistischen Haltung, nach der wir aus diesen Settings schöpfen können, gehen wir alle täglich unserer Arbeit nach.

Im besten Falle zeigen sich die Ergebnisse in den element-i Häusern, in denen die Kompetenzen und Potentiale der Kinder beachtet, ihre Gedanken aufgenommen und sie mit aufrichtigem Interesse wertgeschätzt werden oder die Zone der nächsten Entwicklung in den Blick genommen wird – begleitet von kompetenten und optimistischen Mitarbeiter*innen.

In Teamsitzungen wird darüber nachgedacht, wie Familien unterstützt werden können, die es schwer haben. Es gibt unzählige Beispiele, die Sie aus den Häusern bestens kennen. Der Blick ist – unserer Vision entsprechend – fortwährend prospektiv, also auf eine gestaltbare Zukunft und Weiterentwicklung unseres gesellschaftlichen Kontextes gerichtet.

Wenn die Kinder mit dieser lebensbejahenden Perspektive erzogen werden, in der sie die Erfahrung machen, selbstwirksam entscheiden zu dürfen, gehört und beschützt werden, ihre Potentiale erkannt werden, ihr Tun Anerkennung findet etc., so öffnet es möglicherweise für sie eine Perspektive: eine, die es ihnen ermöglicht darüber nachzudenken, ob das Glas für sie halbvoll oder halbleer ist.

Literatur

Carver, C., & Scheier, M. (Februar 1985). Optimism, Coping, and Health: Assessment and Implications of Gerealized Outcome Expecancies. Health Psychology, S. 219-247.

Diener, E., Emmons, R., Griffin, S., & Larsen, R. (1985). The Satisfaction With Life Scale. Journal of Personality Assessment, S. 233.

Renner, B., & Weber, H. (2005). Optimismus. In Handbuch Persönlichkeitspsychologie und Differenziellen Psychologie (S. 446). Göttingen: Hofgrefe Verlag.

Scheier, M., & Carver, C. (1992). Effects of optimism on psychological and physcal well beeing: Theoretical overview and empirical update. Cognitive Therapy and Research, 207.

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