„Jein“ – Sinn und Unsinn von Verboten

Womöglich ist der Satz „Ich habe „Nein“ gesagt!“ einer der meistgesagten Sätze im Kitaalltag. Getoppt wird dieser Satz von einem noch knapperen „Nein“. Das glauben Sie nicht? Eine kleine Beobachtungsstudie hat herausgefunden, dass Kinder diese oder ähnliche Anweisungen sehr oft hören. Und ich möchte Sie heute einladen, den Satz in Frage zu stellen, ihn kritisch zu beäugen oder neu zu denken. Das mag die eine oder den anderen unter Ihnen irritieren oder sogar stören. Denn Verbote und klare Begrenzungen sind im Kita-Alltag und anderswo durchaus sinnvoll. Doch was wäre, wenn wir häufiger „Ja“ sagten? Begeben Sie sich mit auf meine Gedankenreise.

Einen ganzen Tag nur „ja“ zu hören, das ist der Wunsch vieler Kinder. Dieser Wunsch scheint auch Erwachsene immer noch zu bewegen, so dass sogar Filme und Bücher zum Thema entstanden sind. Titel wie „Der Ja-Sager“ oder „Yes Day“ oder „The Yes Man“ greifen die Idee, zu allem „ja“ sagen zu müssen, mit einem Augenzwinkern auf. Oft äußern auch Kinder gegenüber Pädagog*innen den Wunsch, dass die Pädagog*innen häufiger „Ja“ sagen könnten. Ich frage mich, woher dieser Wunsch kommt. Und was könnte die Botschaft an uns sein oder die Idee dahinter? Geht es darum, den ganzen Tag nur Süßigkeiten essen zu dürfen oder bis in die Nacht aufzubleiben? Würden wir als Gemeinschaft in Kita oder anderswo im Chaos versinken, wenn wir den Kindern häufiger mal zustimmten? Würden Kinder neue Kompetenzen entdecken? Würden wir als Erwachsene auf andere Lösungen kommen und leichter durch den Tag gehen? Mit Gedanken wie diesen habe ich mich beschäftigt.

Erziehung zur Freiheit

„Die Begleitung durch aktiv gesteuertes, fachlich fundiertes, entwicklungsangemessenes „Sichern und Freigeben“ mit dem Zutrauen in die kindlichen Fähigkeiten, ermöglicht und fördert die Selbständigkeit, das Engagement und die zunehmende Eigenverantwortung der Kinder.“ (Kammerlander et al. 2018, S. 2). In unserer element-i Konzeption steht es beschrieben, dass wir Kindern in einer Erziehung zu innerer Freiheit auch äußere Freiheit zugestehen wollen. Denn nur wenn ein junger Mensch eigene Erfahrungen machen darf, bekommt er damit die Möglichkeit, sich ein Bild über die Dinge und die Welt zu machen. Nur dann hat er die Chance herauszufinden, ob er sich das eine oder andere schon zutrauen kann oder ob vorher noch kleinere Entwicklungsschritte zu gehen sind.

Balance zwischen Autonomie und Sicherheit

Beobachten wir uns im Alltag selbst, dann können wir leicht feststellen, wie schnell uns ein „Nein“ oder ein „Jetzt nicht“ – mehr ein Befehl als eine Aussage – herausrutscht. Ein Befehl, der die Kinder in ihren Erfahrungen eingrenzt. Sei es, dass die Kinder genau auf dem Teppich ihre Eisenbahnstrecke aufgebaut haben, auf dem üblicherweise Kiko ist. Und nun müssen die Kinder für den Teil des Tagesablaufs ihren Platz räumen und das Bauwerk aufgeben. Oder sei es, dass wir bereits ahnen, dass das Kleinkind dabei ist, vom Stuhl auf den Tisch zu klettern, um sich beim Mittagessen einen Nachschlag zu sichern.

Wenn wir zu Kindern „Nein“ sagen, dann mag es berechtigte Gründe dafür geben. Nicht selten wird jedoch auch ein Verbot ausgesprochen, weil unsere routinierte Ordnung gestört wird oder auch aus Gründen der Bequemlichkeit. Wir befürchten womöglich im Nachgang einen Mehraufwand oder begeben uns nicht auf den Weg, eine alternative Lösung zu suchen, weil wir etwas immer schon so und nicht anders gemacht haben. Oder es steht eine Diskussion mit Eltern ins Haus, wenn wir dem Kind die Erfahrung, barfuß zu laufen, nicht vorenthalten wollten und deshalb am Abend nur noch einen Socken von dem Paar am Morgen zu finden ist. Wir sagen auch „Nein“ zu Kindern, wenn wir selbst etwas nicht aushalten können, also wir zum Beispiel nicht zuschauen können, wie ein Kind die Sprossenwand oder den Baum hochkraxelt. Wir entreißen Kleinkindern die Bastelscheren, noch bevor es einmal am Blatt ansetzen konnte, statt bei ihnen zu bleiben und sie in der Erfahrung zu begleiten.

Für mehr Autonomie im Alltag

Janusz Korczak hat vor über 100 Jahren in seiner Magna Charta Libertatis geschrieben, dass das erste Recht eines Kindes das Recht auf seinen eigenen Tod sein soll. Damit setzte er den Tod mit Risiko gleich, Lebensrisiko. Er stellte die Behauptung auf, dass wir Kindern aus Angst, der Tod könnte uns das geliebte Kind entreißen, ihm die Chance nehmen zu leben (vgl. Korczak 2007, S. 10ff). Seine Worte sind aus einer anderen Zeit und klingen radikal, dennoch ist die Idee darin bedenkenswert. Man stellt sich die Frage, ob die Entscheidungen, die man fällt, willkürlich geschehen oder Kindern einen Rahmen geben, in dem sie sich bewegen und ausprobieren können. Dazu einige Beispiele:

Nehmen wir erneut das Kleinkind, das auf den Tisch krabbelt, um sich einen Nachschlag vom Essen zu sichern. Auf den Tisch mit den Schüsseln klettern?, das macht man doch nicht. Also wird das Verhalten unterbunden. Vielleicht wäre es eine Alternative, das Kind gewähren zu lassen (sofern keine akute Gefahr besteht). Und im Nachgang zu erklären, dass dieses Kind eine Lösung gewählt und ausprobiert hat, die ihm sinnvoll erschien. Mit den Kindern kann man anschließend gemeinsam überlegen, wie man künftig vorgehen kann

Beim Thema Kletterbaum scheiden sich die Geister: Wenn Sie nur schwer aushalten können, dass ein Kind am Baum herumkraxelt, und Sie sich sorgen, es könne sich verletzen, dann könnten Sie eine Kolleg*in bitten, die Aufsicht zu übernehmen – eine Kolleg*in, die den Kindern mehr Zutrauen entgegen bringen kann. Kinder wissen intuitiv recht gut, was sie sich zutrauen können und brauchen eine Unterstützer*in, die drauf schaut, wo der Fuß als nächstes gesetzt werden kann. Eine Bremser*in, die wiederholt „Pass auf“ ruft, ist für diese Lernerfahrung eine hemmende Begleiter*in.

Was macht man mit dem Bauwerk auf dem Kiko-Teppich? Statt „Nein“ zu sagen und die Kinder zu begrenzen, könnte man gemeinsam mit den Kindern auf Lösungssuche gehen. Es könnte sich dabei herausstellen, dass der Kiko-Teppich oft und gern für Bauwerke aller Art genutzt wird. Dann haben Sie einen Hinweis erhalten, dass Sie einen anderen und günstigeren Ort für die Kiko suchen sollten.

Der Kita-Alltag ist geprägt vom Abwägen zwischen dem Wohl des Einzelnen und dem der Gemeinschaft. Trotzdem möchte ich Sie einladen, den Alltag im Kinderhaus zu beobachten. Schauen Sie (oder als Team) einen Tag lang darauf, wie oft und in welchen Situationen Sie Kinder begrenzen und ihnen mit einem „Nein“ oder einer knappen Ansage Erfahrungen vorenthalten. In der Teamsitzung könnten Sie die Situationen analysieren und Alternativen finden, die den Kindern neue Erfahrungsräume eröffnen. Denn schon Konfuzius wusste: „Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“

Mehr von Franziska Pranghofer

Literatur

Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis (2018): element-i Konzeption. Stuttgart

Korczak, Janusz (2007): Das Recht des Kindes auf Achtung. Fröhliche Pädagogik. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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