Matheprogramme für den Kindergarten unter der Lupe

In diesem kürzlich erschienenen Magazinartikel wurde ein erster Blick auf den Aufbau von mathematischen Fähigkeiten geworfen. Dass der Erwerb der sogenannten Vorläuferfähigkeiten auch für den mathematischen Bereich bedeutend ist, ist sicher unbestritten. Aus diesem Grund haben sich im letzten Jahrzehnt verschiedene Autoren daran gewagt, Programme zur elementarpädagogischen Förderung mathematischer Fähigkeiten zu entwerfen. Doch halten diese das, was sie versprechen? Es soll hier nicht darum gehen, einzelne Programme genauer vorzustellen, wohl aber darum, Kriterien für die Bewertung der unzähligen Programme zu finden. Die Literatur schlägt hierzu drei Punkte vor:

„1. Fokussierung auf mathematische Inhalte (inhaltsspezifische Förderung)

2. Systematischer Aufbau mathematischer Kompetenzen

3. Einbezug strukturorientierter Darstellungsmittel unter Verwendung ‚mathematischer’ Sprache“ (Krajewski 2008, S. 285).

Was ist damit gemeint? Viele gängige Programme verwenden Zahlen in Form von Tier- oder Menschen-Gestalten oder betten das Zahlenkonzept in weitgreifende Geschichten ein. Dies führt bei den meisten Kindern in erster Linie dazu, dass emotional belebende Aspekte anstelle der mathematischen angesprochen werden. Das eigentliche Ziel, das Erfahren des Zahlenraums und Erlernen der Zahlen als Äquivalent für numerische Situationen, wird damit in der Regel verfehlt. Die Programme wecken damit möglicherweise ein Interesse am Thema und über diese Schleife auch an Zahlen, vermitteln aber letztlich maximal erste Basisfertigkeiten und keine Kompetenzen auf höherer Ebene wie dem präzisen Anzahlkonzept oder der Anzahlseriation. Oft können die Kinder den Bezug zur behandelten Zahl durch die Geschichte oder die Vermenschlichung nicht schließen. Von Programmen mit solchen Darstellung ist also durchaus abzusehen, was auch der dritte Punkt noch unterstreichen wird.

Mit systematischem Aufbau ist gemeint, dass ein neues Themenfeld erst dann angegangen wird, wenn das vorherige final abgeschlossen ist. Hier ist die Programmlandschaft unterschiedlich. Oft fließen verschiedene Themenfelder der Mathematik zusammen: Mengen- und Zahlenverständnis mit Raum-Lage-Wahrnehmung u. ä. Blickt man auf die Haltung des ganzheitlichen Lernens von Kindern ist dies auch ein richtiger Weg. Der Mensch verfügt über begrenzte Gedächtniskapazitäten. Werden beispielsweise nummerische Inhalte mit visuellen oder auditiven Reizen verknüpft, kann der Abruf der Inhalte über verschiedene Assoziationswege erfolgen und macht so wieder Gedächtniskapazitäten für andere Inhalte frei. Gleichzeitig muss man berücksichtigen, dass zu viele Informationen zu einer Zeit (und das kann das Ansprechen verschiedener Sinne und Thematiken durchaus sein) Kinder überfordern kann. Greift man außerdem viele Themen nebeneinander auf, kann es sein, dass nicht alle beendet werden. Im schlechtesten Falle wird von einem Thema zum anderen gesprungen, teils ohne Bezüge zueinander. Für die Kinder ist es schwer bis unmöglich, die Themen miteinander in Verbindung zu setzen. Hier besteht die große Kunst darin, eine angemessene Relation und ein inhaltlich sinniges Verhältnis zwischen verschiedenen Themen zu finden.

Mathematik beinhaltet abstrakte Bilder, die nicht für jeden leicht greifbar sind. Dabei haben sowohl Erwachsene als auch Kinder Schwierigkeiten. Es ist dann notwendig, einen konkreten Zugang zur Mathematik zu eröffnen und die mathematische Grundidee dabei zu integrieren. Von daher ist man schnell dabei, zu konkreten Darstellungsmitteln zu greifen, um das Mathematische praktisch zu veranschaulichen, bedenkt dabei jedoch nicht, dass diese die tatsächlichen mathematischen Beziehungen zwischen den Mengen und Zahlen niemals wirklich aufdecken: Die Handlungen lassen sich damit nämlich nicht in konkrete mathematische Ideen umsetzen. Kann man konkrete Darstellungen also nicht verwenden, benutzt man Abbildungen in gezeichneter, konkreter oder vorgestellter Form. Doch auch diese sind nicht eindeutig und lassen einen Handlungs- und Deutungsspielraum. Dabei wird in strukturiertes und unstrukturiertes Material unterschieden. Letzteres findet sich im Alltag (Bausteine, Murmeln, Äpfel, Nüsse, o. ä.) und ist relativ merkmalsarm. Strukturiertes Material hingegen sind didaktische Erfindungen, die größere Ganzheiten von Objekten zu einer greifbaren Zahl zusammenfassen, wobei die einzelnen Einheiten sichtbar oder unsichtbar sein können. Die Auswahl der Darstellungsmittel ist demnach nicht beliebig. Einerseits wird in der Fachwelt empfohlen, keine vielfältigen, alltagsnahen Materialien zu verwenden, da es den Kindern schwer fällt, dieses Vorgehen auf andere handlungsnahe Gegenstände zu übertragen und die Kontextinformationen vom Inhalt ablenken. Andererseits ist jedoch erwiesen, dass sich die Förderung der mathematischen Grundfertigkeiten am meisten im Alltag, also in konkreten Situationen und Materialien üben lässt (Bonbons so abzählen, dass jeder eins bekommt o. ä.).

Anschauungen sind außerdem prinzipiell nicht selbsterklärend, auch wenn sie eine möglichst klare Struktur des Aufbaus des Zahlenraums vermitteln sollten, sondern bedürfen einer bewussten pädagogischen Gestaltung und Führung. Daher können sie also in erster Linie nur als Unterstützung mentaler Vorstellungsbilder, die im eigenen Wissensnetz des Kindes entstehen, dienen und müssen möglichst viel Platz für Ideen und Vorstellungen der Kinder lassen.

Auch hier ist also eine passende Relation zwischen strukturierten, didaktischen Darstellungsmitteln und sogenannten unstrukturierten Alltagsmaterialien bedeutend. Es sei auch nochmal darauf verwiesen, dass Mathematik in ganz vielen Alltagssituationen zu finden ist und unbedingt genutzt werden soll. Beschäftigt man sich nun gezielt mit einem Programm, sollte man auch konkrete mathematische Darstellungen einbeziehen.

Weitere relevante Komponenten sind auch die Heterogenität in Alter und Kompetenzniveau der Kinder sowie die zeitlichen Ressourcen. Gezielte Programme sind außerdem oft einengend und wenig flexibel entlang der entstehenden und prozessabhängigen Interessen der Kinder.

Ob es demnach überhaupt Mathe-Programme im elementarpädagogischen Alltag benötigt oder ob Alltagssituationen kombiniert mit guten, nicht vermenschlichten Anschauungsmitteln nicht die zielführendere Möglichkeit sind, obliegt der pädagogischen Fachkraft, sollte aber unter genannten Gesichtspunkten im Vorfeld kritisch begutachtet werden.

Literatur:

Krajewski, K. (2008): Vorschulische Förderung mathematischer Kompetenzen. In: Petermann, F. & Schneider, W. (Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie. Themenbereich C Theorie und Forschung, Serie V Entwicklungspsychologie, Band 7: Angewandte Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe, S. 275-304

Steinweg, A. S. (2007): Mit Kindern Mathematik erleben. In: Geschäftsstelle der Stiftung Bildungspaket Bayern (Hrsg.): Das KIDZ-Handbuch, 1. Mathematik im Kindergarten, Teil II – Mathematisches Lernen. Köln: Wolters Kluwer, S. 137-173

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