Raum für Spuren – das Nestatelier

Anfassen, ablecken, draufsteigen, einfüllen, umfüllen, herausräumen, einräumen, verteilen, zerdrücken, bemalen, matschen – was gibt es Beglückenderes für Nestkinder? Für ein Kind ist alles neu. Jedes Ding um es herum kann eine Aufforderung sein, die es ergreift. Mit allen Sinnen, den Füßen, den Händen und dem Mund wird erfühlt, ertastet und probiert.

Die Welt zu erfahren, geschieht bei Kleinkindern zuallererst über den eigenen Körper. Der Körper dient als Bindeglied zwischen der inneren und der äußeren Welt. Über die körperlichen Erfahrungen lernen Kinder die Welt zu begreifen. Ihre multisensuell aufmerksamen Untersuchungen lösen in ihnen eigene Empfindungen und Eindrücke aus, welche spielerisch Wahrnehmung und Handeln schulen.

Ein zentrales Element kindlicher Motivation ist das Erzeugen einer Zustandsveränderung. Die Basis für die Entfaltung der kreativen Potentiale von Kindern ist, etwas selbst zu tun. Wenn ich als Kind tun darf, was ich kann, dann entwickle ich mich (von der Beek 2008, S. 8). Wie fühlt sich grüne Farbe auf den Händen an, wie auf dem Bauch? Was passiert, wenn sich beim Waschen die Farbe der Haut wieder zeigt? Dieses Spiel zieht Kleinkinder magisch an.

Sichtbar oder nicht sichtbar? Eine Farbschicht wird immer wieder übermalt, ein zusammengerolltes Bild zu einer Röhre verklebt oder ein Stück Papier auf das andere geklebt. Das Kind entdeckt, ob das Ding, was nicht mehr zu sehen ist, dennoch da ist. Es begeistert Kinder, Dinge zu verbinden oder zu trennen. Kleine Röhren werden in große geschoben, Papierschnipsel auf Pappe geklebt, Klebestreifen mit unterschiedlichsten Materialien verbunden oder auch Papier zerschnitten und wieder zusammengeklebt. Die Schwerkraft wird unermüdlich erforscht. Farbe spritzt nach allen Seiten. Nach oben und nach unten. Warum läuft Farbe nach unten? Kinder transportieren Schälchen mit Farbe, Pinselstriche und Farbrollen, zeigen die eigenen Bewegungen quer über das Papier auf dem Boden. Mit Farbe hinterlässt das Kind erste eigene sichtbaren Spuren.

Das Atelier ist ein Schlaraffenland fürs Hinterlassen von Spuren. Sinne und Gefühle werden angesprochen: die Kinder riechen, hören, sehen, tasten, schmecken, balancieren, träumen, vergleichen, singen, tönen, staunen, entdecken die Schwerkraft, bewegen, rotieren und transportieren. Und dafür brauchen Kinder Platz. Weniger Tische und Stühle im Raum, stattdessen großzügige Bodenflächen und senkrechte Orte zum Malen. Nestkinder stehen und bewegen sich gerne. Große Formate ermöglichen bewegtes Malen. Mit Schwung des Armes quer übers Papier, laufend über ausgerolltes Papier oder sogar im körperlichen Drehen Spuren auf senkrechtem Papier zu hinterlassen. Neben angeleiteten Situationen bieten sich Kritzelecken, große befestigte horizontale Papiere in Kinderhöhe über Wandecken an.

Um zu malen, brauchen Kinder uns vordergründig nicht. Sie benötigen eine vorbereitete Umgebung mit handhabbarem Material, mit dem sie ohne Anleitung werkeln können. Kleister, flüssige Farbe, Kohle, Grafit-Stifte, Kreide, Papier und Ton sind Materialien, die nicht erklärt werden müssen. Kinder erschließen sich diese selbst. Der eigenständige Umgang ermöglicht ihnen, sich selbst auszudrücken, ohne sich an etwas Vorgegebenes anzupassen. Zu erkennen ist dies, dass Kinder z.B. als ersten Malgrund oft ihren Körper nutzen. Nachdem dieser liebevoll und intensiv bemalt wurde, widmen sie sich auch gerne anderen Malgründen.

Material soll Lust machen, selbsterklärend und anregend sein. Ein Platz zum Malen mit Papier an der Wand sowie Farbe, Wasser und Pinsel wird sofort eingenommen. Je mehr Möglichkeiten die Materialien bergen, umso interessanter für das Kind.

Die Leuchtkraft der Farbe steht beim Kind nicht unmittelbar im Vordergrund. Ihre Konsistenz ist interessant. Weich und nicht zu hart und in Mengen verfügbar. Es gibt wenige Materialien in der kindlichen Welt, was sich so anfühlt wie Farbe und mit dem man so frei hantieren darf. Für reichhaltige Wahrnehmungserlebnisse bieten sich z.B. Kleister-Erd-Farbe, sehr flüssige wasserverdünnte Farbe, Farbensand und Schaumfarbe an. Alle Farben eignen sich zum Rühren, Löffeln oder Schütten, Transportieren, Reinlegen, Hineinsteigen, Verteilen und natürlich auch Malen auf unterschiedlichen Untergründen. In Kombination mit anderen Materialien wie Sand, Stein, Eierkartons wird es sogar zwei- und dreidimensional.

Die ersten elementaren Erfahrungen machen Kinder gerne für sich allein. Aus diesem Grund ist ein eigenes Materialarrangement für jedes Kind hilfreich. Zeigt das Kind mit der Zeit Interesse, mit anderen zu werkeln, können gemeinsame Materialien für bildnerisches Gestalten angeboten werden. Neben strukturiertem Material mögen Kinder insbesondere unstrukturiertes Material zum freien Experimentieren. Strukturiertes Material (z.B. Auto) ist mitunter nicht über längere Zeit so interessant wie unstrukturiertes (z.B. Sand, Schwämme, Watte), mit strukturiertem Material sind weniger Spielideen möglich als mit unstrukturiertem. Hierfür bieten sich Aktionsboxen an. Zwei oder drei Materialien, bei denen es Sinn macht, sie in Beziehung zu setzen z.B. feiner Sand und Zahnspachtel, Kies und Bagger, Linsen und unterschiedlich große Behältnisse. Manchmal ist ein begeistertes Vor- und Mitmachen der Erzieher:innen eine motivierende Einladung an die Kleinsten. Manche Kinder brauchen Zeit, um sich auf unbekannte Materialien einzulassen. Auch Zuschauen ist erlaubt!

Zeit ist kein Begriff für Kinder. Sie brauchen Zeit, um fremde Umgebungen zu entdecken. Sie brauchen Ruhe, um tief einzutauchen, auszuprobieren und zu üben. Jedes Kind hat seine eigene Zeit, um sich einzulassen. Angebotene Aktivitäten brauchen ihre Zeit, auch wenn es oft den Anschein hat, dass die Nestkinder nur wenige Minuten konzentriert dabei sind. Der Schein trügt. Auch wenn sie sich einem anderen Thema zuwenden, nehmen sie wahr und beobachten sich gegenseitig. Obwohl Kinder selbstbezogen ihre Welt erkunden, lernen sie intensiv voneinander.

Jede angeleitete Aktivität hat einen Anfang und auch ein Ende. Neben einer vorbereitenden Umgebung als Impuls des Beginns gehören das Aufräumen und Saubermachen als schließendes Element dazu. Das Aufräumen wird gerne als Teil des Prozesses vergessen und damit unterschätzt. Systematisches Aufräumen ist ein jedoch ein wichtiger Teil des Gesamtprozesses. Als Ritual gibt es Sicherheit, trainiert das Zuordnen und vermindert Stress bei allen Beteiligten.

Das kreative Gestalten im Nestatelier eröffnet Kindern ein Universum. Alle Entwicklungsfelder vereinen sich in diesen Tätigkeiten, und das Kind kann prozesshaft seine Mitwelt intensiv wahrnehmen. Sichtbare Ergebnisse stehen hierbei im Hintergrund. Das fotografische Festhalten von konzentrierten Blicken, Aneinanderreihung von Lernaktivitäten sowie die Neugierde und Begeisterung skizziert Lernprozesse des Kindes. Prozessdokumentation ermöglicht, Nicht-Sichtbares sichtbar werden zu lassen. Wanddokumentationen und Portfolios bieten den Kindern, Eltern und auch Erzieher:innen ein Erinnern, Erkennen und Gesprächsanlässe.

Rezept: Kleister-Erd-Farbe 

Kleister, Erde, Sand, Ton, Wasser, Eimer, Löffel, ungiftige Pigmente  

Kleister zwei Stunden vor dem Weiterverarbeiten anrühren. In eine flache Schüssel trockene Erde oder Sand geben und löffelweise Kleister hinzufügen. Die Masse verrühren, bis eine breiige Konsistenz entsteht. Mithilfe von Pigmenten oder Temperafarben kann die Farbpalette vergrößert werden. 

 

Rezept: Farbsand

Zur Herstellung von Farbschaukeln (Trichter, Schnur, Baum) zum Thema Balance, Rotation und Schwerkraft. Ausreichende Streuflächen berücksichtigen 

Sand, ungiftige Pigmente, Eimer und Löffel

Sand mit Pigmenten oder verdünnter Farbe mischen und trocknen lassen.

 

Rezept: Puddingfarbe

wackelige, matschige Masse zum wunderbaren Schmieren, Spachteln, Löffeln geeignet

5 Tassen Wasser

2 Tassen weißes Mehl

½ Tasse Zucker

3 Esslöffel Salz

1 Mixbecher

1 Kochtopf

1 Kochlöffel 

Alle Zutaten verrühren und aufkochen, bis eine dicke Masse entsteht. Nach dem Erkalten einfärben und in Gläser abfüllen.

Ungiftige Pigmente, Lebensmittelfarbe oder Badewasserfarbe

Aus: Bostelmann/Fink 2012, S. 34, 46, 44

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Literatur 

Bostelmann, Anje;Fink, Michael (2012): Das Krippenatelier. Malen,Matschen und Gestalten mit Kindern unter 3 Jahren. Verlag: Bananenblau: Berlin

von der Beek, Angelika (2008): Pamper, Pinsel und Pigmente. verlag das netz: Weimar 

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