Bereits viele Jahre vor Beginn der Corona-Pandemie bewegten sich Heerscharen von Freizeitsportlern durch die Wälder und Wiesen oder über Laufbänder, die Rad- und Fußwege der Bundesrepublik. Bestückt mit Pulsgurten, Fitness-Trackern und Smart-Watches verfolgte das sportelnde Individuum Ziele wie diese: das eigene Gewicht kontrollieren, dem Alltagsstress durch Ausschüttung von Glückshormonen begegnen, das Immunsystem stärken, die Minuten pro Kilometer messen. Es geht dabei um die eigene Fitness in Form körperlicher Ausdauer. Aus Perspektive eines Erwachsenen stellen diese sportlichen Aktivitäten eine optimale Trainingsform dar, da alles im eigenen Tempo und gemäß dem eigenen Wohlbefinden getan werden kann. Bedingt durch die vielfach beschriebenen Einschränkungen der Pandemie hat sich der Waldlauf, neben dem klassischen Spaziergang, für erwachsene Menschen zu einer der beliebtesten, aktiven Freizeitbeschäftigungen in unseren Breitengraden entwickelt.
Beweglichkeit und Ausdauer von Kindern und Jugendlichen
Eine aktuelle Studie des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie bestätigt derartige Trends für Kinder ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Die Ergebnisse der Studie ließen im Juni des Jahres aufhorchen, denn die Forschenden konnten belegen, dass die Beweglichkeit von Kindern und Jugendlichen in den letzten beiden Jahren noch einmal, im Vergleich zu den Jahren davor, stark abgenommen hat. Bedingt durch den Wegfall von Angeboten in Sportvereinen und Schulen, habe dabei vor allen Dingen die Ausdauer und die Schnelligkeit gelitten.
Nahezu zeitgleich zur angesprochenen Publikation pulverisierte der Kenianer Eliud Kipchoge seinen eigenen Weltrekord: Er hat als erster Mensch einen Marathon in weniger als zwei Stunden absolvieren können. Genau waren es eine Stunde, 59 Minuten und 40 Sekunden (1:59:40 Stunden).
Auf der einen Seite entstehen gesunde Trends und Rekorde werden verbessert, auf der anderen Seite scheinen Kinder und Jugendlich abgehängt zu sein. Der Qualitätsentwicklungszirkel (kurz: QEZ) Körper: Bewegung und Ernährung hat sich daher damit beschäftigt, ob und wie Ausdauer in unseren Kinderhäusern trainiert wird und warum es sich lohnt, sich mit diesem Thema genauer zu befassen. Per Definition versteht man unter dem Begriff Ausdauer „die körperliche (physische) und geistige (psychische) Widerstandsfähigkeit des Organismus gegen Ermüdung bei lang andauernder Belastung sowie die rasche Erholungsfähigkeit“ (Müller, 2021). Auch wenn die allgemein gültige Empfehlung der Experten aus Forschung und Wissenschaft lautet, Kita-Kindern eine tägliche Bewegungszeit von 180 Minuten zu ermöglichen, wird dieser Artikel nicht zu einem Plädoyer für frühkindliche Ausdauereinheiten im oben beschrieben Rahmen werden. Vielmehr sollte zwei Fragen genauer beleuchtet werden.
1. Welche Vorteile ergeben sich durch gute Koordinationsfähigkeit und Ausdauer?
2. Wie kann Kindern eine intensive, spielerische Form der Bewegung angeboten werden, die Kinder motiviert sich zu beteiligen?
Bedeutung von Ausdauer für die Entwicklung
Kinder mit einer gut ausgebildeten Gesamtkörperkoordination und Ausdauer sind deutlich besser in der Lage, sich Aufgaben mit einer hohen Konzentrationsleistung erfolgreich zu stellen. D.h. sie lassen sich weniger schnell ablenken und lösen die Aufgaben erfolgreicher (Graf, 2003). Entsprechend können altersangemessen gestaltete Bewegungsangebote einen Rahmen dafür bieten, vielfältige Erfahrungen im Zusammenspiel der Leitlinien Resilienz, Freude am Lernen und Gesundheit zu machen. Dabei soll es nicht in erster Linie darum gehen, vorgegebene Distanzen zu bewältigen, eine bestimmte Zeit zu erreichen und klassische Leistungen zu erbringen. Angebote für Kinder sollten vielmehr so gestaltet sein, dass ein erhöhter Puls und ein „Außer-Atem-Sein“ spielerisch erfahrbar werden. Gelingt dies, werden die Kinder ihre Ausdauer entsprechend entwickeln und gleichzeitig ihren Körper näher kennenlernen – ohne dass Zwang und Didaktik einen engen Rahmen dafür vorgeben müssten. Dazu ein Praxisbeispiel, das den beschriebenen Rahmen entsprechend aufgreift und verbildlicht.
Memory in Bewegung
Im Bewegungsraum, Garten oder Flur wird ein Memoryspiel aufgebaut. Es können jeweils Gruppen gebildet werden, die miteinander oder gegeneinander Memory in Bewegung spielen. Dazu startet jede Gruppe oder jedes Individuum aus einer entfernten Ecke oder Seite hin zum Memory und legt diesen Weg nach dem Aufdecken auch wieder zurück, bevor eine weitere Person sich zum Spiel hinbewegen kann.
Durch den veränderten Aufbau des klassischen Memoryspiels entsteht ein hoher Aufforderungscharakter, der die Kinder durch seine entstehende Eigendynamik kontinuierlich in Bewegung hält. Somit ist eine lang anhaltende Bewegung ein wesentlicher Bestandteil der Aktivität, steht jedoch nicht im Vordergrund. Die Kinder werden sowohl im Bereich der physischen wie auch psychischen Ausdauer und Widerstandsfähigkeit gefordert. Denn im Spiel kombiniert jeder Mitspielende unterschiedliche Bewegungsformen mit verschiedenen Denkvorgängen.
Spielvariationen
Das Spiel kann individuell ausgestaltet und variiert werden und bietet Möglichkeiten zur kindlichen Partizipation. Denn ein selbst entworfenes und gestaltetes Bewegungsmemory erhöht den Spaßfaktor sicherlich um ein Vielfaches. Auch die aktive Bewegung hin zum Spiel kann mit den Kindern auf verschiedene Art und Weise gestaltet werden. Bewegungen, die Tiere imitieren, oder der Einsatz von Teppichfließen und Rollbrettern seien an dieser Stelle als Inspiration genannt. Es liegt in den Händen der Fachkraft, die Komplexität mit Blick auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder anzupassen. Probieren Sie es aus!?
Für eine weitere Vertiefung des Themas wird sich das Fortbildungsangebot im Jahr 2023 mit dem Thema Alltagsmotorik und Ausdauer in Kinderhäusern beschäftigen.
Literatur:
Bös K. (2003): Motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. In: Schmidt W, Hartmann-Tews I, Brettschneider W. D. (Hrsg.): Erster Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht. Schorndorf: Hofmann, S. 85-107
Bös, K.; Krug, S. (2011): Die Bedeutung von Motorik und Bewegung im Kindes- und Jugendalter. Ernährung & Medizin, 26 (04), S. 156-160
Graf, C., Koch, B., Klippel, S., Büttner, S., Coburger, S., Christ, H., … & Dordel, S. (2003): Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und Konzentration im Kindesalter –Eingangsergebnisse des CHILT-Projektes. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 54 (9), S. 242-246
Unterweger, M. (Jahr): Motorische Unterschiede in der Sekundarstufe I: Vergleich einer Neuen Musikmittelschule mit einer Neuen Sportmittelschule. Vorgelegt von Mario Unterweger, BSc (Doctoral dissertation), Karl-Franzens-Universität Graz