Warum unsere Demokratie Kinderrechte braucht: Im Doppel-Interview dazu Waltraud Weegmann und Monsignore Dr. Christian Hermes

Eine wehrhafte Demokratie braucht Menschen, die es frühzeitig gelernt haben, solidarisch zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Demokratiebildung fängt in der Kita an. Wichtig dafür sind die passenden Rahmenbedingungen und eine richtige Balance im Interessenausgleich zwischen Kindern und pädagogischen Fachkräften: Denn Mitbestimmung heißt nicht Laissez-faire! Darüber hat KONZEPT-E Geschäftsführerin Waltraud Weegmann mit dem Stuttgarter Stadtdekan Monsignore Dr. Christian Hermes am 7. März 2024 im Alten Schloss diskutiert. Wir haben beide zum Doppel-Interview gebeten.

Frau Weegmann, was bedeutet Demokratie, wenn es um Kinder geht?

Weegmann: Jeder Erwachsene sollte Kindern stets auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen – immer und überall. Echte Augenhöhe bedeutet, dass wir auch die Kinder um ihre Meinung fragen, ihnen genau zuhören und uns ohne eine vorgefertigte Meinung auf ihre Antworten einlassen.

Und welche Rolle spielen dabei die Kinderrechte?

Weegmann: Menschen sind kompetente Gestalter:innen ihres Lebens und ihrer Umwelt, die Verantwortung für sich und andere übernehmen und einen relevanten Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft leisten möchten. Indem wir die Kinderrechte wahren, sichern wir Kindern die Möglichkeit zu, dies in einem geschützten Rahmen zu erproben und zu erlernen.

Hermes: In einer Demokratie leben und Rechte haben, gehört zusammen. Demokratie lebt von Beteiligung und Mitverantwortung. Ich habe Rechte und Pflichten, ebenso wie andere auch. Nur wenn wir einander achten und ernstnehmen und bereit sind, Kompromisse zu schließen, werden wir zu Lösungen kommen, die für alle möglichst gut oder erträglich sind. Dass Kinder wissen, dass sie Rechte haben – genauso wie andere – und dass nicht das „Recht des Stärkeren“ gilt, ist eine gute Voraussetzung, dass aus Kindern aktive und verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger werden.

Wie können Kitas und Schulen zum Erhalt unserer Demokratie und der Umsetzung der Kinderrechte beitragen?

Weegmann: Zunächst einmal braucht es das Verständnis dafür, dass Demokratie mehr ist als beispielsweise eine Kinderkonferenz, bei der gemeinsam über den Tagesablauf entschieden wird. Demokratie ist eine Haltung. Kinder sollten die Möglichkeit haben, Selbstwirksamkeit zu erleben und ihre Meinung äußern zu können. Wir müssen ihnen den notwendigen Raum geben, damit sie ihre Gedanken entwickeln können und auch die Kinder, die nicht so laut oder selbstbewusst sind, stärken. Kitas sind Gemeinschaftseinrichtungen, das heißt alle werden einbezogen und alle müssen dabei auch lernen, sich ein- und unterzuordnen.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung?

Weegmann: In vielen Einrichtungen herrschen immer noch die alten Strukturen, die aus der Kaiserzeit stammen. Die bilden Demokratie nicht ab. Insbesondere in den Schulen steht oft der Wissenserwerb im Vordergrund. Hier gilt es, die Erziehung zur Freiheit in Verantwortung in den Fokus zu rücken und beispielsweise projektbezogen zu lernen. So lernen die Kinder, Wissen in Tun umzusetzen. Dafür ist es aber wichtig, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

Hermes: Wenn Kinder ihre Kinderrechte kennen und sich damit auseinandersetzen, wachsen die mündigen Bürger von morgen heran. Sie müssen gerade in der Kita lernen, dass sie selbst ernstgenommen werden, aber, dass natürlich auch andere Rechte haben. Kinder sind toll in Kooperation, sehr sensibel für Ungerechtigkeiten und doch neigen sie manchmal zu sehr „handfesten“ Konfliktlösungen. Es braucht also Erziehung. Kita und Schule müssen die passenden Stimuli setzen, denn erfolgreicher werden Kinder und Gesellschaft auf Dauer durch Kooperation und Achtung anderer.

Und eine letzte Frage: Was raten Sie den Erzieher:innen vor Ort und den Eltern zu Hause?

Weegmann: Kinder brauchen altersangemessene Grenzen. Sie müssen wissen, dass es Regeln gibt und warum man diese einhalten muss. Aber diese Regeln sollte man ihnen nicht einfach überstülpen, sondern gemeinsam mit ihnen aushandeln. Demokratie muss gelernt werden, in einem Rahmen, der zunehmend erweitert wird. Das gilt auch innerhalb der Familien. Hier ist es wichtig, eine partizipative Kultur zu etablieren, also den Kindern ein Vorbild zu sein, was demokratische Werte angeht, Kindern etwas zuzutrauen, sie auch mal etwas selbst entscheiden und tun zu lassen und vor allem, ihnen zuzuhören und ihre Meinung bei familiären Entscheidungen zu berücksichtigen.

Hermes: Demokratie ist nicht immer schön, sondern auch mühsam. Sie hat mit Frustrations- und Erwartungsmanagement zu tun. Es ist eine Suche nach der im Moment bestmöglichen Lösung, aber nicht nach der perfekten. Erwartungen sollten realistisch sein – bei Kindern wie Erwachsenen. Perfektionsdruck tut nicht gut. Ich rate daher, zuhause wie auch in Kita und Schule zu einem guten Stück Demut und Gelassenheit.

Ich danke Ihnen beiden für das Gespräch. Der element-i Bildungsstiftung ist es übrigens u.a. schon lange eine Herzensangelegenheit, die Kinderrechte in Deutschland bekannter zu machen und für deren Wahrung einzutreten. Mehr zum Thema Kinderrechte und den Projekten der Stiftung finden Sie hier.

Mehr von Christian Klar

Kommentare

  • Kinderschutz (vor der Körperstrafe) dürfte auch eine Relevanz für die Friedlichkeit von Nationen haben. Siehe dazu die Artikel und Ebooks von Franz Jedlicka („Die vergessene Friedensformel“) und seine „White Hand“ Initiative.

    Angelika

Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * gekennzeichnet.