Junge Kinder brauchen Responsivität!

Der Kita-Alltag kann für Kinder mit stresshaften Momenten verbunden sein. Auch wenn die Eingewöhnung, die eine große Herausforderung für die Jüngsten bedeutet, gelungen ist, belasten kleine Übergänge im Alltag – so genannte Mikrotransitionen – die Kinder. Untersuchungen belegen, dass im Gehirn der Kinder mehr Stresshormone (Gutknecht/Kramer 2018, S. 17) ausgeschüttet werden, was die Kinder mit Weinen, Unruhe, Zurückziehen, Grenzenlosigkeit und ähnlichen Verhaltensweisen zum Ausdruck bringen. Langfristig können zu viele Stresshormone zum physischen wie psychischen Entwicklungsrisiko für die Kinder werden.

Wie kann man hier entgegensteuern? In der Fachliteratur liest man vermehrt von Sensitivität, Feinfühligkeit oder sensitiver Responsivität. Begriffe, die alle etwas Ähnliches beinhalten. Sie sollten nicht nur zu den Grundkompetenzen von Fachkräften zählen, sondern müssen vor allem im Kleinkindbereich vorausgesetzt werden!

Der am häufigsten verwendete Begriff der Responsivität geht auf das lateinische „reponsum“ zurück und bedeutet Antwort (Gutknecht/Kramer 2018, S. 17). Allein diese Übersetzung sagt etwas über die Bedeutung des Begriffes im pädagogischen Handeln aus: Der Erwachsene soll eine Antwort auf etwas geben, das vom Kind ausgeht, und zwar über alle Kanäle der Kommunikation (ebd., S. 17). Es kommt jedoch nicht nur auf irgendeine Antwort auf die kindlichen Signale an, es geht um eine möglichst passende Antwort. Dies wird durch die Erweiterung des Begriffs um sensitiv oder feinfühlig verdeutlicht. Lassen Sie mich die Idee aus bindungstheoretischer Sicht näher betrachten:

Das Kind ist von Natur aus auf Zuwendung und Versorgung angewiesen – auf physischer und psychischer Ebene. Es verfügt daher schon vom ersten Atemzug an über ein Repertoire an Signalen, mit denen es seine Bedürfnisse ausdrücken kann. Diese manifestieren und erweitern sich bereits in den ersten Lebenswochen. Man spricht dabei vom Bindungsverhalten des Säuglings, das seine Bezugsperson an sich zu binden versucht, um das eigene Überleben zu sichern.

Gleichzeitig verfügen die Bezugspersonen (und die meisten Erwachsenen an sich) über ein intuitives Fürsorgeverhalten. Dieses basiert auf eigenen Erfahrungen aus der Kindheit und Erfahrungen aus dem weiteren Lebensverlauf. Sendet das Kind ein Bindungssignal, wählt die Bindungsperson ein scheinbar passendes Fürsorgeverhalten intuitiv aus. Im Laufe der Zeit werden die Reaktionen der Bindungspersonen (meist der Eltern) weiter verfeinert und beantworten die Signale des Kindes zunehmend genauer. Auch das Kind lernt, seine Signale besser einzusetzen. So stimmen sich Bindungs- und Fürsorgeverhalten von Kind und Bindungspersonen in den ersten Lebensmonaten aufeinander ab. Die Versorgung des Kindes und die mentale Ansprache gelingen zunehmend besser.

Der Übergang durch die Eingewöhnung

Kommt das Kind mit fortgeschrittenen Kleinkindalter in die Einrichtung, muss diese Abstimmung zwischen Kind und Fachkraft neu erfolgen. Nur so gelingt es, den oben beschriebenen Stresshaushalt zu regulieren, der durch die neuen Betreuungspersonen und das neue Umfeld ins Ungleichgewicht geraten ist. Gleiches gilt nach der Eingewöhnung für die alltäglichen Übergänge, die neue Situationen und ggf. auch wechselnde Betreuungspersonen mit sich bringen und dadurch stresshaft sind.

Diese Abstimmung gelingt, wenn die Fachkraft eine „offene, wertschätzende und respektvolle Grundhaltung“ (Nentwig-Gesemann/Neuß 2012, S. 229) mitbringt. Nur so kann ein aufeinander eingestimmtes Interaktionssystem zwischen Fachkraft und Kind gelingen. Gemeint ist damit, dass kindliche, verbale wie non-verbale Bedürfnisse, Kompetenzen, Motivationen und Interessen individuell erkannt werden und passend und prompt darauf reagiert wird (ebd., S. 229). Die Fachkraft braucht dazu ein hohes Maß an Wärme, Freundlichkeit, Humor, ermöglicht einen selbstverständlichen und gelösten Körperkontakt, spiegelt die kindlichen Emotionen, Bewegungen und Lautierungen. Dann erfährt das Kind die Situation als liebevoll und zugewandt, was im Gehirn die Ausschüttung von Anti-Stress-Hormonen bewirkt. Mit Blick auf die jungen Kinder in Einrichtungen sind besonders die situationsangemessene Modulation der Stimme sowie bewusste und fürsorgliche Berührungen bedeutend (Gutknecht/Kramer 2018, S. 19) – die in diesem Entwicklungsstadium bevorzugten Zugänge zur Welterfahrung der Kinder.

Doch nicht nur die Reduktion des Stresslevels wird durch sensitive Responsivität bedient. Ein abgestimmtes Antwortverhalten zwischen Kind und Bezugsperson zählt bereits in frühester Kindheit zu den zentralen Grunderfahrungen. Im Sinne einer Ko-Regulation dient Responsivität der Affektregulation auf beiden Seiten: Kinder, die sich angenommen und verstanden fühlen, die spüren, dass man ihnen fürsorglich und liebevoll zugewandt ist, senden positive Feedbacksignale. Diese wiederum wirken sich wiederum bestärkend auf die Interaktion und Reaktion der Bezugsperson zum Kind aus (Nentwig-Gesemann/Neuß 2012, S. 229). Das responsive Handeln reguliert den Stress eines Kindes, den es mit Weinen oder Schreien äußert, und ist damit in früher Kindheit die Vorstufe der eigenständigen Emotionsregulation.

Die hier beschriebene Beziehungsqualität zwischen Kind und Bezugsperson hat enorme Bedeutung und unweigerlich Einfluss auf die Qualität von Bildungsprozessen. Gelingt es, die Beziehung (in der Rahmung von Sicherheit – Zuwendung – Stressreduktion – Explorationsunterstützung – Assistenz) zu gestalten, ist die Voraussetzung für eine gesunde kindliche Entwicklung und damit für gelingende Bildungsprozesse gegeben. Neben den Bedürfnissen nach Nähe und Körperkontakt gilt es dabei sowohl im frühen Kindesalter als auch bei älteren Kindern das Autonomie- und Kompetenzstreben mit zu berücksichtigen (ebd., S. 229). Daher spielt sensitive Responsivität nicht nur in der Kleinkindpädagogik eine bedeutende Rolle. Auch für Kinder im älteren Kindergarten- und Grundschulalter ist eine responsive Haltung und entsprechendes Agieren im beschriebenen Sinne bedeutend und Voraussetzung für die grundlegende gesunde Entwicklung der Kinder.

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Literatur

Gutknecht, D.; Kramer, M. (2018): Mikrotransitionen in der Kinderkrippe. Freiburg: Herder.

Nentwig-Gesemann, I.; Neuß, N. (2012): Professionelle Haltung von Fachkräften. In: Neuß, N. (Hrsg.): Grundwissen Krippenpädagogik. 2. Auflage. Berlin: Cornelsen, S. 249-258.

 

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