„Kinder brauchen Zeug zum Spielen“

Plüschtiere, Puppen, Autos, Schiffe …: Die meisten Kinderzimmer sind voll mit buntem Spielzeug. Kitas sehen dagegen oft vergleichsweise spartanisch aus. Denn hier hat Zeug zum Spielen Vorrang vor klassischem Spielzeug. Anja Burger aus dem pädagogischen Leitungskreis des Konzept-e Netzwerks erklärt, was es damit auf sich hat und gilt Tipps für die Kinderzimmerausstattung.

Aus Stühlen und Decken Höhlen bauen, das Fach mit den Plastikdosen ausräumen, Knöpfe nach Farben sortieren – fast alle Menschen kennen solche oder ähnliche Spielerfahrungen aus ihrer Kindheit und sind begeistert, wenn sie daran denken. Die geschilderten Situationen haben eines gemeinsam: Die Kinder gebrauchen kein fertiges Spielzeug, sondern bedienen sich anderen Zeugs, das sie für ihre Zwecke umfunktionieren. Spielzeug ist also nicht gleich Spielzeug. Fachleute aus der Pädagogik unterscheiden daher zwischen Spielmaterial, Spieldingen und Spielzeug.

Spielmaterial

Unter Spielmaterial sind zum Beispiel Dinge aus der Natur zu verstehen, die Kinder gerne zum Spielen verwenden. Sie nutzen Äste, Stöcke, Steine, Blätter, Sand und Erde. Im Spiel werden daraus Menschen, Autos, Nahrungsmittel… alles, was man sich vorstellen kann. Auch (Verbrauchs)-Materialien wie Papier, Pappe, Röhren, Kreppband, Becher oder Holzklötze fallen in die Kategorie „Spielmaterial“.

Spieldinge

Spieldinge sind Alltagsgegenständen, die Kinder zum Spielen nutzen – also die besagten Plastikdosen, die Knöpfe oder Decken. Manche dieser Gegenstände sind sehr vielfältig einsetzbar und lassen sich je nach Spielidee umdeuten. Andere Gegenstände, zum Beispiel ein ausrangiertes Telefon, alt Hüte oder Schuhe, sind weniger offen für Interpretationen. Kinder nutzen sie jedoch gerne, um in Rollenspielen die Erwachsenenwelt nachzunahmen.

Spielzeug

Unter Spielzeug verstehen Fachleute nur die Dinge, die zum Zweck des Spielens hergestellt wurden, zum Beispiel Puppen, Spieltiere oder -autos. Im Gegensatz zu Spielmaterial und Spieldingen sind diese Sachen sehr festgelegt. Sie lassen wenig Raum für Fantasie und Interpretation. Es ist daher oft zu beobachten, dass Kinder eines Spielzeugs schnell überdrüssig werden.

In Kitas gilt: Vorrang für Spielmaterialien und -dinge

Kindertagesstätten achten darauf, den Schwerpunkt auf Spielmaterial und Spieldinge zu legen und Spielzeug nur in begrenztem Umfang anzubieten. „Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass dies die Kinder stärker zum kreativen Spielen auffordert“, sagt  Anja Burger, die im pädagogischen Leitungskreis des Konzept-e Netzwerks für die Themenfelder Räume & Material zuständig ist. „Uns ist es wichtig, dass Materialien möglichst vielfältig einsetzbar sind. Ein Beispiel: Ein Autoteppich, auf dem Straßen, Häuser und Parkplätze zu sehen sind, lässt kaum Freiraum für eigenen Gestaltung. Besitzt ein Raum einen einfarbigen Teppich, auf dem Kinder mit Kreppband eigene Straßen markieren können, ist dagegen ihre Fantasie und Kreativität gefragt. Sie können ihre Straßen auch immer wieder umgestalten, und das Spiel bleibt interessant.“ Ein weiteres Beispiel: Statt eines fertigen Spiel-Parkhauses, das wenig Spielvarianten zulässt, bieten Kitas zuweilen Pappröhren an, durch die Autos flitzen können. Damit können die Kinder ganz unterschiedliche Szenarien aufbauen und erproben. Die Röhren lassen sich zum Beispiel auch zu Murmelbahnen oder zu Türmen zusammensetzen oder beim Piratenspiel als Fernrohre nutzen. „Bei solchen Bau-Materialien ist es uns wichtig, dass genug davon vorhanden ist, damit die Kinder aus dem Vollen schöpfen und ihre Visionen realisieren können,“ erklärt die Pädagogin.

Das geht auch im Kinderzimmer

Für das Kinderzimmer zu Hause können sich Eltern gut an diesem Vorbild orientieren. Auch dort gilt: Vielfältig einsetzbare Materialien sollten die erste Wahl sein. Sie besitzen einen höheren Spielwert und haben einen weiteren Vorteil: Sie wachsen quasi mit. Während Kinder aus klassischem Spielzeug schnell „herauswachsen“, können sie Materialien und Dinge, die weniger festgelegt sind, einfach neu interpretieren, so dass sie zu ihrem Entwicklungsstand und den aktuellen Interessen passen.

„Weniger ist mehr“ …

… lautet ein weiterer Tipp der Pädagogin. Zu viel Zeug lenke die Kinder ab. Es falle ihnen schwerer, sich auf ein Spiel einzulassen. Anja Burger rät Eltern daher, Spielzeug, das aktuell uninteressant ist, einfach eine Zeit lang wegräumen. So schaffen sie mehr Luft und Klarheit im Kinderzimmer. Änderten sich die Interessen des Nachwuchses könnten die Eltern die angebotenen Dinge einfach austauschen.

Ordnung tut gut

Wenn’s in ihrem Zimmer aussieht, als habe eine Bombe eingeschlagen, machen sich auch Kinder lieber dünne. Ordnung und Struktur helfen ihnen, Spielmöglichkeiten zu erfassen, eine Wahl zu treffen und auch dabei zu bleiben. „Das heißt nicht nur, dass der Boden zum Spielen frei sein sollte“, sagt Anja Burger. „Es ist auch vorteilhaft, wenn Materialien und Spielzeuge so verstaut sind, dass das Kind sie unkompliziert finden und nutzen kann. Einfach allen Puppenkram in eine große Box zu werfen, macht es zum Beispiel oft bereits schwer, bestimmte Dinge schnell wiederzufinden.“

Auch hier zeigt sich also: Weniger ist mehr. Und fehlt der Puppe die passende Kleidung, lassen sich Kinder etwas einfallen. „Ich habe mir früher aus Papiertaschentüchern Anziehsachen für meine Barbiepuppe gebastelt. Das hat viel mehr Spaß gemacht, als wenn ich einfach ein fertiges Röckchen aus der Schublade gezogen hätte“, erinnert sich Anja Burger.

Pädagogischer Fachtext zum Weiterlesen:

Anja Burger, „Räume und Material: Zur Bedeutung einer guten Gestaltung“

https://www.element-i.de/magazin/raeume-und-material-zur-bedeutung-einer-guten-gestaltung/

Mehr von Eike Ostendorf-Servissoglou

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